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Rückwirkende Einbehaltung von Pflichtbeiträgen zur gesetzlichen Kranken- und Pflegeversicherung


Metadaten

Gericht LSG Berlin-Brandenburg 16. Senat Entscheidungsdatum 07.09.2011
Aktenzeichen L 16 R 121/11 ECLI
Dokumententyp Urteil Verfahrensgang -
Normen § 255 Abs 1 SGB 5, § 255 Abs 2 SGB 5, § 60 Abs 1 S 2 SGB 11

Tenor

Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Berlin vom 25. Januar 2011 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

Streitig ist die nachträgliche Erhebung von Beiträgen zur gesetzlichen Kranken- bzw Pflegeversicherung (KV/PV) für die Zeit vom 1. Juli 2006 bis 30. September 2008.

Der 1941 geborene Kläger bezieht von der Beklagten seit 1. Juli 2006 Regelaltersrente (RAR; Bescheid vom 13. Juli 2006), wobei die Beklagte einen Beitragszuschuss zur KV iHv monatlich 135,97 €, ab 1. April 2007 iHv monatlich 141,89 €, ab 1. Juli 2007 iHv monatlich 142,65 € und ab 1. Juli 2008 iHv monatlich 144,22 € gewährte.

Durch Datenmeldung der Beigeladenen wurde der Beklagten in der Folge mitgeteilt, dass der Kläger seit 1. Juli 2006 in der Krankenversicherung der Rentner versicherungspflichtig sei. Nach Anhörung des Klägers stellte die Beklagte die RAR mit Bescheid vom 22. September 2008 rückwirkend neu fest, wobei sie Pflichtbeiträge zur KV/PV ab 1. Juli 2006 in Ansatz brachte (Überzahlungsbetrag für die Zeit vom 1. Juli 2006 bis 30. September 2008 = 8.991,84 €). Es sei beabsichtigt, die rückständigen Beitragsanteile an der KV/PV aus der weiterhin zu zahlenden Rente einzubehalten. Zugleich hob die Beklagte die Bewilligung eines Zuschusses zur KV für die Zeit ab 1. Oktober 2008 auf und hörte den Kläger zur beabsichtigten Aufhebung des Bescheides über die Zahlung eines Zuschusses zur KV bereits mit Wirkung vom 1. Juli 2006 an. Die entsprechende Aufhebungsentscheidung mit Rückforderung der in der Zeit vom 1. Juli 2006 bis 30. September 2008 gezahlten Zuschussbeträge in einer Gesamthöhe von 3.793,86 € erfolgte mit Bescheid vom 12. November 2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 23. September 2009. Insoweit ist das Klageverfahren S 12 R 5578/09 (Sozialgericht – SG – Berlin) anhängig.

Den Widerspruch gegen den Bescheid vom 22. September 2008, mit dem sich der Kläger gegen die Neuberechnung der RAR unter nachträglicher Berücksichtigung von Beitragsanteilen zur KV/PV für die Zeit vom 1. Juli 2006 bis 30. September 2008 in einer Gesamthöhe von 5.197,98 € wandte, die Berechnung ab 1. Oktober 2008 aber nicht beanstandete, wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 8. April 2009 zurück. Die rückwirkende Beitragserhebung ergebe sich zwingend aus dem Gesetz. Der Kläger sei versicherungspflichtig in der KV/PV seit 1. Juli 2006.

Das SG hat die auf Aufhebung des Bescheides vom 22. September 2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 8. April 2009, soweit darin für die Zeit vom 1. Juli 2006 bis 30. September 2008 nachträglich Beitragsanteile zur KV/PV erhoben werden, gerichtete Klage abgewiesen (Gerichtsbescheid vom 25. Januar 2011). Zur Begründung ist ausgeführt: die Klage sei nicht begründet. Die Beklagte sei gemäß den §§ 255 Abs. 2 Sozialgesetzbuch – Gesetzliche Krankenversicherung – (SGB V), 60 Abs. 1 Sozialgesetzbuch – Soziale Pflegeversicherung – (SGB XI) berechtigt, die erhobenen KV/PV-Beiträge nachträglich einzubehalten. Die Grenzen der Verjährung habe die Beklagte beachtet. Die Höhe der geltend gemachten Beitragsanteile in der Zeit vom 1. Juli 2006 bis 30. September 2008 sei nicht zu beanstanden.

Mit der Berufung verfolgt der Kläger sein Begehren weiter. Er trägt vor: Er sei von der Beklagten bei der Rentenantragstellung unzutreffend dahingehend informiert worden, dass ein Zuschuss zur KV geleistet werde. Mit der Beigeladenen habe sich die Beklagte nicht zeitnah in Verbindung gesetzt. Gleiches gelte für die Beigeladene. Nach Treu und Glauben und den Grundsätzen des sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs dürfe er jetzt nicht dafür zur Rechenschaft gezogen werden, dass seine Krankenversicherungspflicht nicht zutreffend und zeitnah geprüft worden sei.

Der Kläger beantragt nach seinem Vorbringen,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Berlin vom 25. Januar 2011 aufzuheben und den Bescheid der Beklagten vom 22. September 2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 8. April 2009 aufzuheben, soweit die Beklagte darin für die Zeit vom 1. Juli 2006 bis 30. September 2008 Beitragsanteile zur gesetzlichen Kranken- und Pflegeversicherung in einer Gesamthöhe von 5.197,98 € erhebt.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält die angefochtene Entscheidung für zutreffend.

Wegen des Vorbringens der Beteiligten im Übrigen wird auf deren vorbereitende Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.

Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt (§§ 153 Abs. 1, 124 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz – SGG -).

Die Gerichtsakte und Auszüge aus der Rentenakte der Beklagten haben vorgelegen und sind Gegenstand der Beratung gewesen.

Entscheidungsgründe

Über die Berufung hat der Vorsitzende und Berichterstatter, dem durch Beschluss des Senats vom 11. Juli 2011 der Rechtsstreit gemäß § 153 Abs. 5 SGG zur Entscheidung übertragen wurde, zusammen mit den ehrenamtlichen Richtern entschieden.

Die Berufung des Klägers ist nicht begründet. Die Beklagte hat mit dem angefochtenen Bescheid vom 22. September 2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 8. April 2009 beanstandungsfrei Beiträge des Klägers zur KV/PV für den Zeitraum vom 1. Juli 2006 bis 30. September 2008 in einer Gesamthöhe von 5.197,98 € erhoben. Die nachträgliche Einbehaltung dieser Beiträge nach § 255 Abs. 2 Satz 1 SGB V iVm § 60 Abs. 1 Satz 2 SGB XI ist hingegen in den angefochtenen Bescheiden von der Beklagten noch nicht verlautbart – vielmehr erst angekündigt - worden, so dass es einer gerichtlichen Entscheidung hierüber – insoweit missverständlich die Ausführungen des SG – nicht bedarf. Eine solche hat der Kläger ersichtlich auch nicht begehrt. Er wendet sich vielmehr bei verständiger Würdigung (vgl § 123 SGG) gegen die Erhebung der Pflichtbeiträge in dem streitigen Zeitraum als solche und die Geltendmachung einer entsprechenden Gesamtbeitragsforderung iHv 5.197,98 € durch die Beklagte. Dieses Begehren kann der Kläger statthaft mit der Anfechtungsklage verfolgen. Die Klage ist jedoch nicht begründet.

Die Festsetzung der Beitragspflicht zur KV/PV durch die Beklagte für – den hier allein streitigen – Zeitraum vom 1. Juli 2006 bis 30. September 2008 und die festgesetzte Höhe der Beiträge ist nicht zu beanstanden. Als Rentenversicherungsträger ist die Beklagte bei Rentnern, die – wie der Kläger – in der KV/PV pflichtversichert sind, für die Entscheidung über die Tragung und Höhe der Beiträge, die nach den §§ 255 Abs. 1 SGB V, 60 Abs. 1 Satz 2 SGB XI einzubehalten sind, sachlich zuständig (vgl BSG SozR 3-2500 § 247 Nr 2; BSG, Urteil vom 18. Juli 2007 – B 12 R 21/06 R = SozR 4-2500 § 241a Nr 1; für die PV BSG, Urteil vom 29. November 2006 – B 12 RJ 4/05 R = SozR 4-3300 § 59 Nr 1). Die Beitragspflicht des Klägers zur KV ergibt sich aus § 5 Abs. 1 Nr. 11 SGB V iVm § 237 SGB V. Ein etwaiger Wohnsitz des Klägers in F ändert hieran nichts. Denn die für das Leistungsrecht insoweit nach den Vorschriften der – seinerzeit noch geltenden – EWG-Verordnung 1408/71 (vgl Art. 28 Abs. 1 der Verordnung) ausgesprochene Wohnsitzfiktion (in D) gilt auch für das Beitragsrecht (vgl BSG, Urteil vom 5. Juli 2005 – B 1 KR 4/04 R = SozR 4-2400 § 3 Nr 2). Der KV-Beitrag bemisst sich nach dem allgemeinen Beitragssatz der Beigeladenen (vgl § 247 SGB V) und ist von dem Kläger und der Beklagten jeweils zur Hälfte zu tragen (vgl § 249 SGB V). Die Verpflichtung des Klägers zur Zahlung eines – allein von ihm zu tragenden (vgl § 249a SGB V) - zusätzlichen KV-Beitrags iHv 0,9 vH folgt aus § 241a SGB V in der bis 31. Dezember 2008 geltenden Fassung. Auch Einbehalt und Abführung des zusätzlichen KV-Beitrags nach § 241a SGB V oblagen als Teil des gesamten KV-Beitrags der Beklagten (vgl zum Ganzen BSG, Urteil vom 18. Juli 2007 – B 12 R 21/06 R -). Die Tragung des zusätzlichen Beitrags begegnet keinen verfassungsrechtlichen Bedenken (vgl BSG aaO). Den aus der Rente zu bemessenden Beitrag zur PV hat der Kläger ebenfalls allein zu tragen. Als pflichtversicherter Rentner war er im streitigen Zeitraum nach § 20 Abs. 1 Satz 1 und Satz 2 Nr. 11 SGB XI versichertes Mitglied der sozialen Pflegeversicherung. Gemäß § 59 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 2 SGB XI idF von Art. 6 Nr. 1 des Zweiten Gesetzes zur Änderung des Sechsten Buches Sozialgesetzbuch und anderer Gesetze vom 27. Dezember 2003 (BGBl I 3013) haben Bezieher einer Rente der gesetzlichen Rentenversicherung die mit der Beitragspflicht zur PV verbundene Beitragslast allein zu tragen. Für den Kläger waren dies in dem in Rede stehenden Zeitraum 1,7 vH und ab 1. Juli 2008 1,95 vH (vgl § 55 Abs. 1 Satz 1 SGB XI). Die alleinige Beitragstragung ist auch insoweit verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden (vgl BSG, Urteil vom 29. November 2006 – B 12 RJ 4/05 R -).

Auf ein etwaiges Verschulden der Beklagten und/oder der Beigeladenen kommt es im Hinblick auf die rückwirkende Veranlagung zur Tragung von Pflichtbeiträgen nach § 255 Abs. 1 SGB V aus der RAR des Klägers nicht an (vgl schon BSG, Urteil vom 23. März 1993 – 12 RK 62/92 – juris), so dass sich der Kläger nicht darauf berufen kann, der Beklagten sei es nach Treu und Glauben verwehrt, die Beitragsforderungen geltend zu machen. Auch auf der Grundlage eines sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs ist die Beklagte nicht verpflichtet, von der Beitragsfestsetzung und –erhebung abzusehen. Denn die Herstellung bzw Beibehaltung eines rechtswidrigen Zustandes kann insoweit nicht geltend gemacht werden. Die von der Beklagten festgesetzten Beiträge zur KV/PV für die Zeit vom 1. Juli 2006 bis 30. September 2008 waren auch nicht verjährt, was allein einer Geltendmachung der Beitragsansprüche entgegenstehen könnte. Denn für die Beitragsansprüche nach § 255 Abs. 1 SGB V gilt die vierjährige Verjährungsfrist des § 25 Abs. 1 Satz 1 Sozialgesetzbuch – Gemeinsame Vorschriften für die Sozialversicherung – SGB IV – (vgl BSG, Urteil vom 15. Juni 2000 – B 12 RJ 6/99 R – juris). Danach verjähren Beitragsansprüche in vier Jahren nach Ablauf des Kalenderjahrs, in dem sie fällig geworden sind. Die aus der RAR des Klägers für die Zeit vom 1. Juli 2006 bis 30. September 2008 zu zahlenden Beiträge waren daher noch nicht verjährt.

Die Festsetzung der geltend gemachten Beiträge zur KV/PV ist ausgehend von einem allgemeinen Beitragssatz der Beigeladenen von 13,8 vH (1. Juli 2006 bis 31. März 2007) bzw 14,4 vH (1. April 2007 bis 30. September 2008), einem zusätzlichen KV-Beitrag von 0,9 vH und einem PV-Beitrag von 1,7 vH (1. Juli 2006 bis 30. Juni 2008) bzw 1,95 vH (1. Juli 2008 bis 30. September 2008) in einer Gesamthöhe von 5.197,98 € zutreffend erfolgt, wogegen der Kläger rechnerisch auch keine Einwände vorbringt.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe für eine Zulassung der Revision nach § 160 Abs. 2 Nrn. 1 oder 2 SGG liegen nicht vor.