Gericht | OLG Brandenburg Vergabesenat | Entscheidungsdatum | 22.03.2011 | |
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Aktenzeichen | Verg W 18/10 | ECLI | ||
Dokumententyp | Beschluss | Verfahrensgang | - | |
Normen |
Auf die sofortigen Beschwerden der Beigeladenen und des Auftraggebers wird der Beschluss der Vergabekammer des Landes Brandenburg vom 17.12.2010 (Az.: VK 61/10) aufgehoben.
Der Nachprüfungsantrag der Antragstellerin wird zurückgewiesen.
Die Antragstellerin hat die für die Amtshandlungen der Vergabekammer des Landes Brandenburg entstandenen Kosten zu tragen. Die Verfahrensgebühr wird auf 3.800,- € festgesetzt.
Die Antragstellerin hat dem Auftraggeber und der Beigeladenen deren zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung vor der Vergabekammer des Landes Brandenburg entstandene notwendige Auslagen zu erstatten.
Die Hinzuziehung von Verfahrensbevollmächtigten durch den Auftraggeber und die Beigeladene im Verfahren vor der Vergabekammer war notwendig.
Die Antragstellerin hat die Kosten des Beschwerdeverfahrens einschließlich der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen zu tragen.
I.
Der Auftraggeber schrieb im Supplement zum Amtsblatt der Europäischen Union vom 23. Juli 2010 die Sammlung, Beförderung und Verwertung von Papier, Pappe und Kartonagen im Verbandsgebiet des Abfallentsorgungsverbandes "S…" im Offenen Verfahren europaweit aus, wobei die einzusammelnde Menge mit ca. 12.000 Mg angegeben war. Eine Aufteilung in Lose erfolgte nicht. Die Leistungen sollen für den Zeitraum 1. Januar 2011 bis 31. Dezember 2011 mit der Option der einmaligen Vertragsverlängerung um ein Jahr vergeben werden. Der Zuschlag soll auf das Angebot mit dem niedrigsten Preis erfolgen. Dabei hat der Bieter die eingesammelten PPK zu verwerten und einen mit seinem Angebot versprochenen Erlös an den Auftraggeber unter Abzug seiner Vergütung auszukehren.
Die Antragstellerin und die Beigeladene, die die bisherige Auftragnehmerin ist, beteiligten sich neben weiteren Bietern mit einem Angebot. Die Antragstellerin unterbot das zweitgünstigste Angebot der Beigeladenen um etwa 10 %.
Mit Schreiben vom 14. September 2010 forderte der Auftraggeber die Antragstellerin zur Vorbereitung eines Aufklärungsgespräches zur Übersendung erforderlicher und geeigneter Belege nach § 19 EG Abs. 6 S. 1 VOL/A zum Nachweis der Auskömmlichkeit des Angebotes auf. Ihr Angebot erscheine im Verhältnis zu der zu erbringenden Leistung ungewöhnlich niedrig. Die vorzulegenden Belege müssten geeignet sein, dem Auftraggeber die im Sinne von § 19 EG Abs. 6 S. 1 VOL/A erforderliche Prüfung zu ermöglichen und schlüssig darlegen, dass es sich bei dem Angebot der Antragstellerin um die ausgeschriebene Leistung und nicht um ein unangemessen niedriges Angebot handle. Mit Antwortschreiben vom 20. September 2010 überreichte die Antragstellerin ihre "Kalkulationsgrundlagen berechnet pro Tonne" und teilte mit, wie viele Fahrzeuge und wie viel Personal sie einzusetzen gedenke.
Am 30. September 2010 führte der Auftraggeber mit der Antragstellerin ein Aufklärungsgespräch auch zur Auskömmlichkeit ihres Angebotes. Darüber wurde ein Protokoll erstellt, dass die Antragstellerin mit handschriftlichen Zusätzen unterzeichnete.
Über die Absicht, den Zuschlag auf das Angebot der Beigeladenen zu erteilen, informierte der Auftraggeber die Antragstellerin mit Telefaxschreiben vom 28. Oktober 2010. Im Ergebnis der Prüfung der Auskömmlichkeit ihres Angebotes sei er zu dem Ergebnis gelangt, dass das Angebot auszuschließen sei.
Mit anwaltlichem Schreiben vom 2. November 2010 rügte die Antragstellerin die Entscheidung des Auftraggebers und erklärte, sie habe umfassend nachgewiesen, dass keine Zweifel an der vertragsgerechten Auftragsausführung durch sie bestünden.
Der Auftraggeber erwiderte mit Schreiben vom 4. November 2010. Zu den Gründen für den Ausschluss des Angebotes der Antragstellerin erläuterte er, in der Kalkulation würden wichtige Positionen gänzlich fehlen, bei wesentlichen Positionen seien keine Reserven ersichtlich. In der Folge könne nicht davon ausgegangen werden, dass eine ordnungs- und vertragsgemäße Leistungserbringung zu erwarten sei. Vielmehr sei davon auszugehen, dass die Antragstellerin durch den Auftrag erhebliche Verluste machen werde; hinzu komme, dass auch begründete Zweifel an der finanziellen und wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit der Antragstellerin bestünden.
Mit Schriftsatz vom 5. November 2010 hat die Antragstellerin bei der Vergabekammer des Landes Brandenburg einen Nachprüfungsantrag gestellt.
Die Antragstellerin hat gemeint, die Voraussetzungen für den Ausschluss ihres Angebotes seien nicht gegeben. Es mangele bereits an einem Unterkostenangebot, da keine Unterschreitung eines Angebotspreises von mehr als 20 % vorliege. Unabhängig davon habe die Antragstellerin auch nachgewiesen, dass sie bei der Erteilung des streitgegenständlichen Auftrages im konkreten Fall einen Gewinn erwirtschaften werde. Nach den Ausschreibungsunterlagen sei keine Anzahl der Schüttungen pro Jahr, keine Anzahl der zu leerenden Behälter, keine Anzahl der Leerungen je Tag und keine genaue Angabe zu Personalnebenkosten gefordert gewesen.
Die Antragstellerin hat beantragt,
ein Nachprüfungsverfahren gemäß § 107 Abs. 1 GWB einzuleiten, insbesondere den Auftraggeber zu verpflichten, in der mit Bekanntmachung im EU-Amtsblatt vom 23. Juli 2010 (Nr. 2010/S 141-217632) eröffneten Ausschreibung eines Vertrages für die Sammlung, Beförderung und Verwertung von Papier, Pappe und Kartonagen, keine Zuschläge zu erteilen,
Der Auftraggeber hat beantragt,
den Nachprüfungsantrag zurückzuweisen.
Der Auftraggeber hat gemeint, der Nachprüfungsantrag sei bereits unzulässig. Die Rüge vom 2. November 2010 sei nach fünf Tagen nicht unverzüglich erfolgt. Zum anderen gehe der Vortrag im Nachprüfungsantrag über das hinaus, was Gegenstand der Rüge vom 2. November 2010 gewesen sei. Die Antragstellerin habe es insoweit versäumt, diesbezüglich das Antwortschreiben des Auftraggebers vom 4. November 2010 zum Gegenstand einer eigenen Rüge zu machen. Schließlich würden auch die Voraussetzung des § 107 Abs. 2 GWB nicht vorliegen.
Das Angebot der Antragstellerin habe bereits deshalb nicht berücksichtigt werden müssen, weil das Schreiben der Antragstellerin vom 20. September 2010 die mit Schreiben des Auftraggebers vom 14. September 2010 ausdrücklich geforderten Nachweise nicht enthalten habe. Das Schreiben der Antragstellerin enthalte selbst keine Ausführungen dazu, sondern verweise nur auf die beigefügte "Anlage 1 ". Diese Anlage entspreche ihrerseits nicht den Vorgaben, da - mit Ausnahme des Personals und der Fahrzeuge - keine Mengenangaben gemacht worden seien. Es handle sich insoweit nur um einzelne Kalkulationsgrundlagen. Ein Ausschluss des Angebotes sei daher bereits nach § 19 Abs. 2 Satz 1, Abs. 3 lit. a) VOL/A-EG gerechtfertigt.
Jedenfalls sei das Angebot nach Maßgabe von § 19 Abs. 6 VOL/A-EG nicht zu berücksichtigen gewesen. Das Angebot der Antragstellerin sei bereits in formeller Hinsicht nicht "ernsthaft kalkuliert". Davon könne insbesondere dann nicht ausgegangen werden, wenn wesentliche Kalkulationsparameter überhaupt nicht berücksichtigt würden bzw. nicht einmal bekannt seien, nämlich die Anzahl der Schüttungen pro Jahr, die Anzahl der zu leerenden Behälter, die Anzahl der Leerungen je Tag und genauere Angaben zu Personal-Nebenkosten, da insoweit lediglich "Ansätze der Bilanz" zugrunde gelegt worden seien. Dies habe die Geschäftsführerin in dem Aufklärungsgespräch vom 30. September 2010 ebenso eingeräumt wie den Umstand, dass Teilleistungen und wichtige Positionen nicht kalkuliert worden seien.
Der Auftraggeber hat vorgetragen, er habe eine Unterdeckung des Angebotes der Antragstellerin ermittelt. Nach seinen Berechnungen, die auf entsprechenden Angaben der Antragstellerin im Schreiben vom 20. September 2010 bzw. im Aufklärungsgespräch vom 30. September 2010 beruhten, setze sich die ermittelte Unterdeckung zusammen aus einem zusätzlichen Sammelfahrzeug für die Vertragslaufzeit, insbesondere mit Blick auf die fehlerhaft kalkulierte Entleerung der 1.100-Liter-Behälter; einem zusätzlichen Sammelfahrzeug für die Startphase von drei Monaten; einem zusätzlichen Containerfahrzeug sowie zusätzlichem Personal.
Die Beigeladene hat gemeint, der Auftraggeber habe das Angebot der Antragstellerin zu Recht aus dem Vergabeverfahren ausgeschlossen, weil deren Angebot unter Kosten kalkuliert sei. Dem Vorwurf der Unauskömmlichkeit könne die Antragstellerin nicht entgegen halten, ihr Logistikkonzept sei - etwa im Verhältnis zu dem der Beigeladenen - besonders effizient.
Mit Blick auf die wirtschaftliche Situation der Antragstellerin könne die Entscheidung des Auftraggebers, die Antragstellerin aus dem Verfahren auszuschließen, auch nicht ernsthaft in Frage gestellt werden. Die schwache Bonität der Antragstellerin und deren bilanzielle Überschuldung, die sich aus Auskünften der Creditreform ergebe, sei zu berücksichtigen.
Die Vergabekammer hat dem Nachprüfungsantrag der Antragstellerin stattgegeben und den Auftraggeber verpflichtet, die Angebotswertung unter Einschluss des Angebots der Antragstellerin unter Berücksichtigung der Rechtsauffassung der Vergabekammer zu wiederholen. Zur Begründung hat sie ausgeführt, der Nachprüfungsantrag sei zulässig und begründet. Der Auftraggeber habe das Angebot der Antragstellerin auf der dritten Wertungsstufe nicht ordnungsgemäß geprüft und gewertet. Die Feststellung des Auftraggebers im Zusammenhang mit der Kalkulation eines weiteren Sammelfahrzeugs beruhe auf einer fehlerhaften Sachverhaltsermittlung im Rahmen der Anhörung der Antragstellerin am 30.9.2010. Die Kalkulation der Antragstellerin weise entgegen der Bewertung des Auftraggebers keine fehlenden Reserven auf. Im Übrigen habe der Auftraggeber bei der Bewertung der Kalkulation die Antragstellerin und die Beigeladene ungleich behandelt.
Gegen diesen Beschluss, ihnen jeweils am 17.12.2010 zugestellt, haben die Beigeladene durch bei Gericht am 23.12.2010 und der Auftraggeber durch bei Gericht am 30.12.2010 eingegangenen Schriftsatz sofortige Beschwerde eingelegt und ihre Rechtsmittel zugleich begründet.
Die Beigeladene meint, die Vergabekammer habe den Beurteilungsspielraum des Auftraggebers verletzt, der einer nur eingeschränkten Nachprüfbarkeit durch die Nachprüfungsinstanzen unterliege. Die Entscheidung des Auftraggebers sei nur insoweit angreifbar, als die getroffenen Sachverhaltsermittlungen und -feststellungen oder die Anwendung vergaberechtlicher Rechtsbegriffe auf willkürlichen und sachwidrigen Erwägungen beruhten. Der Ausschlussentscheidung des Auftraggebers liege hier eine gesicherte Erkenntnisgrundlage zugrunde. Die Vergabekammer habe ihre eigene Entscheidung an die Stelle der Vergabestelle gesetzt. Die Antragstellerin könne mit den ihr zur Verfügung stehenden Sammelfahrzeugen und Personal die vom Auftraggeber geforderten Leerungen nicht erbringen. Das Angebot der Antragstellerin sei auch nicht nach kaufmännischen Grundsätzen und nicht belastbar kalkuliert worden.
Auch wenn ein offenbares Missverhältnis zwischen Preis und Leistung fehle, könne ein Auftraggeber ein Angebot eines Bieters ausschließen, wenn es nicht die Gewähr einer ordnungsgemäßen Vertragserfüllung biete.
Der Auftraggeber macht geltend, er sei bei der Wertungsentscheidung trotz verbleibender erheblicher Zweifel von der wirtschaftlichen und finanziellen Leistungsfähigkeit der Antragstellerin ausgegangen. Die Antragstellerin habe in der mündlichen Verhandlung vor der Vergabekammer einen anderen Sachverhalt vorgetragen als in dem Aufklärungsgespräch. Sie habe das Protokoll, das sie in den maßgeblichen Passagen nicht ergänzt habe, unterschrieben und müsse sich hieran festhalten lassen.
Sein Verbandsvorsteher habe die von der Antragstellerin angegebenen Referenzauftraggeber telefonisch kontaktiert. Bei zwei Auftraggebern habe die Antragstellerin keine Vertragserfüllungsbürgschaft gestellt, auch wollten diese Auftraggeber kein positives Referenzschreiben ausstellen.
Die Vergabekammer habe verkannt, dass ihm, dem Auftraggeber, ein Beurteilungsspielraum zustehe. Sie habe sich an seine Stelle gesetzt und sei zu einem nicht vertretbaren Ergebnis gelangt, dass das Angebot der Antragstellerin nicht auszuschließen sei. Die Vergabekammer habe nicht zur Kenntnis genommen, dass die Beigeladene eine ausführliche Kalkulation vorgelegt habe, aus der sich ergebe, dass sie im Zwei-Schicht-Betrieb mit acht Mitarbeitern den Auftrag ausführen wolle. Die nach den Verdingungsunterlagen zu leistenden Entleerungen könne die Antragstellerin mit den von ihr kalkulierten Fahrzeugen und dem von ihr vorgehaltenen Personal schon rein rechnerisch nicht erbringen. Die Kalkulation der Antragstellerin sei offenkundig fehlerhaft.
Im Übrigen sei zu erwarten, dass die Antragstellerin wie auch bei den Referenzaufträgen keine Vertragserfüllungsbürgschaft werde stellen können. Dies stelle einen Kündigungsgrund dar. Die Antragstellerin könne nicht den Zuschlag auf ein Angebot verlangen, auf das umgehend eine Kündigung zu erwarten wäre.
Die Beigeladene und der Auftraggeber beantragen,
den Beschluss der Vergabekammer vom 17.12.2010 - VK 61/10 - aufzuheben und den Nachprüfungsantrag der Antragstellerin zurückzuweisen.
Die Antragstellerin beantragt,
die sofortigen Beschwerden zurückzuweisen.
Die Antragstellerin hält die Entscheidung der Vergabekammer für richtig. Sie meint, die Vergabestelle habe die Grenzen des ihr zustehenden Beurteilungsspielraums überschritten. Die Aussagen der Antragstellerin im Aufklärungsgespräch und in der mündlichen Verhandlung vor der Vergabekammer stimmten überein. Das Protokoll des Aufklärungsgesprächs gebe die Aussagen der Antragstellerin nur unvollständig wieder. Mit den von ihr angegebenen Fahrzeugbestand und Personal lasse sich der ausgeschriebene Auftrag erfüllen.
Da sie mit dem von ihr eingesetzten Wechselcontainersystem, den zum Einsatz gelangenden effektiveren, für eine Doppelaufnahme ausgerichteten, die Sammelleistung um 20 % erhöhenden Seitenladern als Sammelfahrzeuge und dem Anfahren von Großwohnanlagen durch zwei Sammelfahrzeuge bis hin zur Werkstattlogistik nachvollziehbar erklären könne, warum sie günstiger als das Bieterumfeld kalkulieren könne, könne ihr Angebot nicht als ungewöhnlich niedrig bezeichnet werden.
Wegen der weiteren Einzelheiten zum Sachverhalt und zum Vorbringen der Beteiligten wird auf die eingereichten Schriftsätze und ihre Anlagen Bezug genommen.
II.
I. Die sofortigen Beschwerden der Beigeladenen und des Auftraggebers sind gemäß den §§ 116, 117 GWB zulässig, weil sie fristgerecht eingelegt und begründet worden sind.
II. Die sofortigen Beschwerden haben auch in der Sache Erfolg. Zu Unrecht hat die Vergabekammer in dem angefochtenen Beschluss dem Nachprüfungsantrag der Antragstellerin stattgegeben. Dieser Antrag ist zwar zulässig, aber unbegründet.
1.) Der Nachprüfungsantrag ist zulässig.
a.) Insbesondere hat die Antragstellerin den Ausschluss ihres Angebotes gegenüber dem Auftraggeber rechtzeitig gemäß § 107 Abs. 3 Nr. 1 GWB gerügt.
Mit seinem Schreiben von Donnerstag, dem 28.10.2010, hat der Auftraggeber der Antragstellerin mitgeteilt, dass er im Ergebnis der Prüfung der Auskömmlichkeit des Angebots zu dem Ergebnis gelangt sei, dass das Angebot auszuschließen sei. Gegen diesen Ausschluss ihres Angebots hat die Antragstellerin fünf Tage später eine Rüge erhoben, wobei sie einen Rechtsanwalt eingeschaltet hat, der das Rügeschreiben vom Dienstag, den 2.11.2010 verfasst hat. Zwischen dem Schreiben vom 28.10.2010 und dem Rügeschreiben liegt ein Wochenende. Da hier ein Rechtsanwalt eingeschaltet wurde, ist diese Rüge als unverzüglich anzusehen, weil die Antragstellerin bis zur Erhebung der Rüge lediglich drei Werktage hat verstreichen lassen. Dabei kommt es nicht darauf an, ob es der Antragstellerin zum Nachteil gereicht, dass sie das in Nordrhein-Westfalen ansässige Büro ihrer Verfahrensbevollmächtigten kontaktiert hat, das wegen des dortigen Feiertages vom 1.11.2010 das Mandat erst am 2.11.2010 entgegen nehmen konnte.
Soweit der Auftraggeber in seinem Nichtabhilfeschreiben vom 4.11.2010 weitere Ausschlussgründe geltend gemacht hat, war eine weitere Rüge der Antragstellerin entbehrlich, so dass sie befugt war, direkt die Vergabekammer anzurufen. Die Vergabekammer hat insoweit zu Recht ausgeführt, dass der Auftraggeber zum Ausdruck gebracht hatte, dass er – auch soweit weitere Ausschlussgründe gerügt worden sein sollten – die Ausschlussentscheidung nicht rückgängig machen werde.
2.) Der Nachprüfungsantrag ist unbegründet. Die Entscheidung des Auftraggebers, das Angebot der Antragstellerin auf der dritten Wertungsstufe auszuschließen, erweist sich als vergaberechtskonform.
a.) Der Auftraggeber war hier berechtigt, eine Auskömmlichkeitsprüfung vorzunehmen.
Die aus § 19 Abs. 6 Satz 1 VOL/A-EG folgende Aufklärungspflicht besteht dann, wenn ein Angebot im Verhältnis zu der zu erbringenden Leistung ungewöhnlich niedrig erscheint. Wie sich aus der Verwendung des Begriffs "erscheint" ergibt, hat der Auftraggeber bei der Frage, ob er eine Aufklärung für erforderlich halten muss oder nicht, einen gewissen Beurteilungsspielraum. Dies führt dazu, dass die Einstufung, ob im konkreten Fall ein Angebot wegen einer Unterschreitung der nachfolgenden Angebote als ungewöhnlich niedrig einzustufen ist, nur einer begrenzten Kontrolle durch die Nachprüfungsinstanzen unterliegt.
In der vergaberechtlichen Rechtsprechung wird verbreitet die Auffassung vertreten, dass die Aufgreifschwelle jedenfalls bei 20 % liegt. Teilweise existieren landesrechtliche Regelungen, die den Auftraggeber verpflichten, bei einer Preisabweichung von 10 % eine Aufklärung durchzuführen. Dass der Auftraggeber hier eine Aufklärung für erforderlich gehalten hat, ist danach nicht zu beanstanden. Denn der Abstand zwischen dem Angebot der Antragstellerin und demjenigen der Beigeladenen beträgt nahezu 10 %, d. h. er liegt in einer Größenordnung, die Landesgesetzgeber als Anhaltspunkt für ungewöhnlich niedrig erscheinende Preise angesehen haben.
b.) Der Auftraggeber hat im Ergebnis der Aufklärung die Entscheidung getroffen, das Angebot der Antragstellerin auszuschließen. Unter Berücksichtigung der eingeschränkten Überprüfbarkeit seines Beurteilungsspielraums bei der Prognoseentscheidung, dass die Antragstellerin zum angebotenen Preis voraussichtlich nicht zuverlässig und vertragsgerecht leisten kann, ist diese Entscheidung nicht zu beanstanden.
Die Angemessenheit des Angebotspreises ist durch eine Betrachtung des Preis-Leistungs-Verhältnisses innerhalb des vom Ausschluss bedrohten Angebots zu ermitteln, d. h. dass der Gesamtpreis des Angebots in eine Relation zum Wert der angebotenen Leistung zu stellen ist (OLG Düsseldorf, Beschluss vom 13.12.2006, VII-Verg 54/06, NZBau 2007, 462, zitiert nach Juris; Kulartz/Marx/Portz/Prieß, VOL/A, 2. Aufl. 2011, § 19 EG Rn 221). Ein Angebot darf nur dann ausgeschlossen werden, wenn der Gesamtpreis im Verhältnis zur angebotenen Gesamtleistung unangemessen niedrig ist, § 19 Abs. 6 Satz 2 VOL/A-EG, und der Bieter die Seriosität und Auskömmlichkeit seines Preises nicht stichhaltig begründen kann. So liegt der Fall hier.
aa.) Zweifel bestehen allerdings, ob die Auskömmlichkeitsprüfung rechnerisch in der Weise erfolgen kann, wie sie der Auftraggeber durchgeführt hat.
Der Auftraggeber hat angenommen, dass wichtige Positionen gänzlich in der Kalkulation der Antragstellerin fehlten und in wesentlichen Positionen keine Reserven ersichtlich seien. Er hat deswegen eine "wirtschaftliche Unterdeckung" von 150.000 €, wenigstens jedoch von 120.000 € (pro Jahr) errechnet. Diese rechnerische "Anpassung" führt dazu, dass der vom Auftraggeber errechnete "richtige" Angebotspreis der Antragstellerin nicht nur die Auftragswertschätzung des Auftraggebers, sondern auch den von der Beigeladenen angebotenen Preis deutlich überschreitet.
Ob derartige, an einzelne Kalkulationsposten anknüpfende Überlegungen im Rahmen der Auskömmlichkeitsprüfung überhaupt zulässig sind, erscheint zweifelhaft, weil § 19 Abs. 6 VOL/A-EG, anders als die Vorgängervorschrift des § 25 Nr. 2 Abs. 2 Satz 1 VOL/A 2006, nicht auf Einzelposten Bezug nimmt, sondern nach dem Wortlaut eher eine Endpreisprüfung nahe legt (Müller-Wrede, VOL/A, 3. Aufl. 2010, § 19 EG Rn 767).
Darauf kommt es allerdings nicht entscheidend an. Denn die Überlegungen, die der Auftraggeber für die rechnerische Korrektur der Kalkulation der Antragstellerin herangezogen hat, tragen jedenfalls im Ergebnis seine Ausschlussentscheidung.
bb.) Denn die Antragstellerin hat nicht nachgewiesen, dass sie zum angebotenen Preis eine vertragsgerechte Leistung erbringen kann.
Führt der Auftraggeber wie hier in zulässiger Weise eine Aufklärung wegen unangemessen niedrig erscheinender Preise durch und verlangt er die erforderlichen Informationen über die Preisbildung, muss nicht der Auftraggeber dem Bieter nachweisen, dass dessen Angebot unauskömmlich ist, vielmehr geht die Beweislast auf den Bieter über. Will dieser den Ausschluss seines Angebots vermeiden, hat er Gründe darzulegen, die den Anschein der Unauskömmlichkeit seines Angebots widerlegen (Müller-Wrede, VOL/A, 23. Aufl. 2010, § 19 EG, Rn 180). Denn es ist allein der Bieter, der in der Lage ist, seine Kalkulation und deren Grundlagen zu erläutern. Die Rechtfertigung dieser Verteilung der Darlegungs- und Beweislast ergibt sich aus dem Sinn und Zweck der dritten Wertungsstufe, wonach der Auftraggeber davor geschützt werden soll, dass der Bieter infolge wirtschaftlicher Schwierigkeiten leistungsunfähig wird oder den Auftrag nur mangelhaft ausführt.
Die Darlegungen der Antragstellerin reichen im vorliegenden Fall nicht, um zu der Annahme zu gelangen, ihr Angebot sei auskömmlich kalkuliert.
Zwar hat sie im Rahmen der Aufklärung vorgetragen, dass sie leistungsfähigere Fahrzeuge einsetzt - Seitenlader, die Papiersammelbehälter unterschiedlicher Größe aufnehmen können - und mit einer Containersammlung ein anderes technisches Konzept als die Beigeladene umsetzt, das eine höhere Effizienz aufweise. Dies genügt für sich allein jedoch nicht.
Denn die Antragstellerin hatte auch, bezogen auf den konkreten Auftrag, darzulegen, in welcher Art und Weise sie die ihr nach dem zu vergebenden Auftrag geschuldeten Leistungen erbringen will. Der Auftraggeber hat aus den Angaben der Antragstellerin hierzu in nicht zu beanstandender Weise den Schluss gezogen, dass eine zuverlässige Vertragserfüllung nicht gewährleistet sei.
Die Antragstellerin hat auf das Aufklärungsverlangen des Auftraggebers hin mit Schreiben vom 20.9.2010 mitgeteilt, dass sie den Einsatz von vier Fahrzeugen plane, in der Startphase stehe ein zusätzliches Fahrzeug nebst Personal bereit. Sie plane mit dem Einsatz von fünf Arbeitskräften, ein Schichtsystem sei nicht vorgesehen.
Der Auftraggeber hat demgegenüber in seinem Vermerk über die Wertung des Angebots der Antragstellerin Erwägungen angestellt, aus denen sich ergibt, dass mit dem von der Antragstellerin vorgesehenen Einsatz von Maschinen und Personal die nach den Verdingungsunterlagen vom Bieter in bestimmten Zyklen durchzuführenden Leerungen der Papierbehälter nicht möglich sind. Zum einen halte die Antragstellerin nicht genügend Fahrzeuge vor, zum anderen könnten diese Fahrzeuge mit dem vorgesehenen Personal in einem Einschichtbetrieb schon zeitlich die notwendigen Leistungen nicht erbringen.
Diese Prognose des Auftraggebers ist nicht zu beanstanden. Denn der Auftraggeber ist dabei von feststehenden Tatsachen ausgegangen. Er hat zum einen die Angaben der Antragstellerin zu dem geplanten Einsatz ihrer Ressourcen und zum möglichen täglichen Sammelvolumen der Fahrzeuge herangezogen und hat zum anderen diese Angaben mit seinen Erfahrungen aus der Vergangenheit bei der Durchführung derselben Leistungen verglichen, um daraus eine Prognose für die Qualität der Vertragserfüllung durch die Antragstellerin zu ziehen.
Der Auftraggeber hat die Antragstellerin im Aufklärungsgespräch vom 30.9.2010 mit seiner Auffassung konfrontiert, dass nach seiner Prüfung für die Ausführung des Auftrages vier Sammelfahrzeuge nicht ausreichend und für die Entleerung von Behältern der Größe 1.100 l zwei Personen erforderlich seien. Darauf hat die Antragstellerin erklärt, sie könne nicht beziffern, wie viele zu leerende Behälter der Größe 240 Liter und 1.100 Liter der Kalkulation zugrunde gelegt wurden. Die maximale Anzahl der Leerungen je Tag für 1.100-Liter-Behälter betrage 300. Sie hat außerdem erklärt, an vier Tagen führen vier Fahrzeuge mit jeweils einem Mitarbeiter, an einem Tag führen zwei Fahrzeuge mit je einem Mitarbeiter und ein Fahrzeug mit zwei Mitarbeitern für die Entleerung der 1.100-Liter-Behälter.
Der Auftraggeber hat im Vergabevermerk anhand der vorgegebenen Entleerungszyklen errechnet, dass auf diese Weise die Antragstellerin die mit dem zu vergebenden Auftrag zu erbringende Leistung hinsichtlich der 1.100-Liter-Behälter nicht erbringen kann. Denn da ausweislich des Protokolls des Aufklärungsgesprächs die Antragstellerin nur an einem Tag der Woche mit zwei Mitarbeitern Leerungen dieser Behälter durchführen wollte und sie selbst davon ausging, dass maximal 300 Leerungen am Tag möglich sind, könnten bei insgesamt 52 Leerungstagen nur 15.600 Leerungen erfolgen. Das reicht nicht, um den Auftrag ordnungsgemäß auszuführen. Auch die Antragstellerin geht in ihrem nach Schluss der mündlichen Verhandlung eingegangenen, nicht nachgelassenen Schriftsatz davon aus, dass jährlich über 50.000 Leerungen durchzuführen sind, der Auftraggeber hat über 60.0000 Entleerungen errechnet.
Die aus diesem Grunde vom Auftraggeber aus dieser Bewertung gezogene Schlussfolgerung, dass die Antragstellerin mit dem vorgesehenen Einsatz die zu vergebende Leistung nicht werde vertragsgerecht erbringen können, unterliegt seinem Beurteilungsspielraum und ist – weil er von den eigenen Angaben der Antragstellerin ausgeht - einer Kontrolle im Nachprüfungsverfahren entzogen (Kulartz/Marx/Portz/Prieß, VOL/A, 2. Aufl. 2011, § 19 EG Rn 229).
Soweit die Antragstellerin dieses rechnerische Ergebnis mit ihrem nicht nachgelassenen Schriftsatz zu relativieren versucht, kann dies nicht mehr berücksichtigt werden. Sie hat das Protokoll des Aufklärungsgesprächs vom 30.9.2010 an diesen maßgeblichen Stellen unkorrigiert als richtig unterzeichnet. Die Berücksichtigung von weiteren Erklärungen der Antragstellerin im Nachprüfungsverfahren, sei es im Termin zur mündlichen Verhandlung vor der Vergabekammer oder im Beschwerdeverfahren, ist nach abgeschlossener Aufklärung durch den Auftraggeber vergaberechtlich unzulässig.
II. Die Kostenentscheidung für das Verfahren vor der Vergabekammer folgt aus § 128 Abs. 3 und 4 GWB, diejenige für das Beschwerdeverfahren beruht auf den §§ 120 Abs. 2, 78 GWB.