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Entscheidung 10 UF 192/13


Metadaten

Gericht OLG Brandenburg 2. Senat für Familiensachen Entscheidungsdatum 03.03.2014
Aktenzeichen 10 UF 192/13 ECLI
Dokumententyp Beschluss Verfahrensgang -
Normen

Tenor

Die Beschwerde der Beteiligten zu 1. gegen den Beschluss des Amtsgerichts Frankfurt (Oder) vom 1. Juli 2013 wird auf ihre Kosten zurückgewiesen.

Der Wert des Beschwerdeverfahrens wird auf 3.000 € festgesetzt.

Gründe

I.

Der Minderjährige M… B… wurde am ….3.2005 geboren. Alleinige Inhaberin der elterlichen Sorge war die Mutter, bei der M… vor seiner Aufnahme in die Wohneinrichtung „K…l“ im Mai 2012 lebte. Sein Halbbruder P…, geboren am ….12.1992, hat eine eigene Wohnung in …. Die nicht miteinander verheirateten Eltern leben getrennt. Der Vater hat zu M… derzeit keinen Kontakt.

M… war bereits vom 19.12.2007 bis zum 3.2.2009 in einer Pflegefamilie untergebracht und lebte vom 23.12.2009 bis zum 14.2.2011 in Heimerziehung.

Seit August 2011 besucht M… die L…-Grundschule in …. Im Februar 2012 teilte die Schule dem Jugendamt mit, dass M… wiederholt verspätet zur Schule gebracht werde und auch häufiger ganz fehle. Aus der Nachbarschaft wurde etwa in demselben Zeitraum mitgeteilt, dass es Feiern bei der Mutter oder deren Nachbarn gebe und M… bis Mitternacht wach sei. Der Fahrdienst für den Schulbesuch berichtete am 10.5.2012, dass die Mutter morgens alkoholisiert gewesen sei. Die Schule berichtete, dass sie M… wiederholt nicht geweckt und auf die Einnahme seines Medikaments, das er wegen einer ADHS nehmen müsse, nicht geachtet habe.

Auf Anregung des Jugendamtes entzog das Amtsgericht Frankfurt (Oder) im Wege der einstweiligen Anordnung mit Beschluss vom 14.5.2012 (5.1. F 327/12) der Mutter die elterliche Sorge und bestellte das Jugendamt zum Amtsvormund. Im Anhörungstermin am 18.6.2012 erklärte sich die Mutter mit der Fremdunterbringung von M… bis zur Entscheidung in der Hauptsache einverstanden. Daraufhin wurde das Anordnungsverfahren für erledigt erklärt.

Im hier geführten Verfahren hat das Amtsgericht mit Beschluss vom 25.6.2012 ein Sachverständigengutachten zur Frage der Sorge- und Erziehungsfähigkeit der Mutter, der Rückführung des Kindes in den Haushalt der Mutter sowie außerdem der Frage eingeholt, welche Schritte der Situation des Kindes angemessen sind. Die Sachverständige M… hat in ihrem Gutachten vom 5.4.2013 ausgeführt, dass die Erziehungsfähigkeit der Mutter erheblich eingeschränkt sei, da sie mit einer adäquaten Erziehung überfordert sei und insoweit ambulante Hilfen derzeit nicht ausreichend seien. Nach Anhörung der Beteiligten hat das Amtsgericht der Mutter durch den angefochtenen Beschluss vom 1.7.2013 das Aufenthaltsbestimmungsrecht sowie den Teilbereich der elterlichen Sorge betreffend die Beantragung von öffentlichen Leistungen und Hilfen entzogen und das Jugendamt … zum Pfleger bestellt. Wegen der Begründung wird auf den angefochtenen Beschluss Bezug genommen. Hiergegen richtet sich die Beschwerde der Mutter.

Sie trägt vor:

Das Amtsgericht habe verkannt, dass ein Entzug der elterlichen Sorge nur zulässig sei, wenn eine Gefährdung des Kindeswohls vorliege, eine Schädigung des Kindes also mit ziemlicher Sicherheit voraussehbar sei. Diese Voraussetzung sei nicht gegeben. Ihre depressive Erkrankung habe sich stabilisiert. Sie sei in der Lage, den Alltag mit nur leichten Einschränkungen zu bewältigen. Hierzu trage auch ihre feste Partnerschaft bei. Sie habe sich mit dem C… Verband … e.V. in Verbindung gesetzt und dort bereits einige Beratungstermine wahrgenommen, die ihre Erziehungskompetenz stärkten. Sie sei in der Lage, sich ausreichend gegenüber M… durchzusetzen. Der Vorwurf, sie habe M… entgegen der Empfehlung der Wohneinrichtung mit Süßigkeiten überhäuft, sei unzutreffend. Ihrer Einschätzung nach habe sich das aggressive Verhalten von M… während der Unterbringung in der Einrichtung eher verstärkt. Zudem sei der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit nicht gewahrt, da Leistungen der Familienhilfe ausreichend seien.

Die Mutter beantragt,

den angefochtenen Beschluss aufzuheben.

Der Senat hat eine aktuelle Stellungnahme des Jugendamtes … sowie der Verfahrensbeiständin eingeholt. Auf die Stellungnahmen vom 22.10.2013 und 4.11.2013 wird verwiesen. Das Jugendamt hat ergänzend einen Entlassungsbericht des Klinikums … vom 7.10.2013 über einen stationären Aufenthalt von M… im Zeitraum vom 23.4.2013 bis zum 20.6.2013 übersandt, auf den ebenfalls verwiesen wird.

Der Senat hat ferner die Eltern, das Kind, die Verfahrensbeiständin und die Vertreterinnen des Jugendamtes … persönlich angehört. Insoweit wird auf den Anhörungsvermerk zum Senatstermin vom 21.1.2014 Bezug genommen.

II.

Die gemäß den §§ 58 ff. FamFG zulässige Beschwerde der Mutter ist nicht begründet. Das Amtsgericht hat der Mutter zu Recht das Aufenthaltsbestimmungsrecht sowie das Recht, öffentliche Leistungen und Hilfen zu beantragen, entzogen und dem Jugendamt übertragen.

1.

Gemäß § 1666 BGB ist Voraussetzung für ein gerichtliches Eingreifen und den Entzug elterlicher Sorge eine körperliche, geistige oder seelische Kindeswohlgefährdung, die abzuwenden die Eltern nicht willens oder nicht in der Lage sind und die nicht durch andere Maßnahmen als den Sorgerechtsentzug abwendbar ist. Eine Gefahr für das Kindeswohl im Sinne von § 1666 BGB setzt eine gegenwärtige, in solchem Maße vorhandene Gefahr voraus, dass sich bei der weiteren Entwicklung der Dinge eine erhebliche Schädigung des körperlichen, geistigen oder seelischen Wohls des Kindes mit ziemlicher Sicherheit voraussehen lässt (vgl. hierzu BGH, FamRZ 2012, 99; FamRZ 2010, 720; OLG Saarbrücken, NJW-RR 2010, 146; OLG Naumburg, OLGReport 2007, 543; OLG Hamm, FamRZ 2006, 359).

Dabei ist zu berücksichtigen, dass Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG den Eltern das Recht auf Pflege und Erziehung ihrer Kinder garantiert. Sie können grundsätzlich frei von staatlichen Einflüssen darüber entscheiden, wie sie die Pflege und Erziehung ihrer Kinder gestalten und ihrer Elternverantwortung gerecht werden wollen (BVerfG, FamRZ 2008, 492). Nicht jedes Versagen oder jede Nachlässigkeit der Eltern berechtigt den Staat daher auf der Grundlage seines ihm nach Art. 6 Abs. 2 Satz 2 GG zukommenden Wächteramts, sie von der Pflege und Erziehung ihres Kindes auszuschalten oder gar diese Aufgabe selbst zu übernehmen (BVerfGE 24, 119, 144; BVerfGE 60, 79, 81). Es gehört nämlich nicht zur Aufgabe des Staates, gegen den Willen der Eltern für eine den Fähigkeiten des Kindes bestmögliche Förderung zu sorgen (BVerfG, FamRZ 2008, 492). Das elterliche Fehlverhalten muss vielmehr ein solches Ausmaß erreichen, dass das Kind bei einem Verbleiben in der Familie in seinem körperlichen, geistigen oder seelischen Wohl nachhaltig gefährdet ist (BVerfGE 60, 79, 81). Dabei kann das Kindeswohl gefährdet sein, ohne dass die Eltern ein Schuldvorwurf trifft oder jedenfalls ihr Verschulden bewiesen werden kann. So können Eltern trotz besten Willens und persönlichen Einsatzes der Erziehungsaufgabe nicht gewachsen sein.

Wenn das elterliche Sorgerecht (in Teilbereichen) für ihre Kinder entzogen und damit zugleich die Trennung der Kinder von ihnen gesichert oder ermöglicht wird, darf dies zudem nur unter strikter Beachtung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit erfolgen, § 1666 a BGB. Dieser gebietet es, dass sich Art und Ausmaß des staatlichen Eingriffs nach dem Grund des Versagens der Eltern und danach bestimmen müssen, was im Interesse des Kindes geboten ist. Der Staat muss daher nach Möglichkeit versuchen, durch helfende, unterstützende, auf Herstellung oder Wiederherstellung eines verantwortungsgerechten Verhaltens der Eltern gerichtete Maßnahmen sein Ziel zu erreichen (vgl. hierzu BVerfG, FamRZ 2010, 528; FamRZ 2010, 713).Nur dann, wenn mildere Mittel nicht ausreichen, die Gefahr für das Kind abzuwenden, sind Maßnahmen, mit denen eine Trennung des Kindes von der elterlichen Familie verbunden ist, zulässig.

2.

Von diesen Grundsätzen ausgehend hat das Amtsgericht der Mutter zu Recht das Aufenthaltsbestimmungsrecht und das Recht zur Beantragung öffentlicher Leistungen und Hilfen gemäß den §§ 1666, 1666a BGB entzogen und auf das Jugendamt als Ergänzungspfleger übertragen. Derzeit muss M… zunächst weiterhin in der Wohneinrichtung leben und kann noch nicht nach Hause zu seiner Mutter zurückkehren.

Nach dem ausführlichen und nachvollziehbar begründeten Gutachten der Sachverständigen M… vom 5.4.2013, auf die sich das Amtsgericht bezieht, ist bei M… eine Kindeswohlgefährdung gegeben.

Die Sachverständige hat ausgeführt: Bei M… liege neben einer Sprachentwicklungsstörung, einer Entwicklungsverzögerung der Fein- und Graphomotorik und einer allgemeinen Entwicklungsstörung eine Aufmerksamkeits- und Aktivitätsstörung (ADHS) vor. Daneben zeige er erhebliche psychische Beeinträchtigungen, die den sozio-emotionalen Bereich beträfen. M… verfüge über eine stark verminderte Frustrationstoleranz, zeitweise massive emotionale Spannungen und erhebliche Defizite in der Fähigkeit einer angemessenen Emotionsregulation. Er zeige erhebliche selbstverletzende und oppositionelle sowie provozierende Verhaltensweisen. In emotionalen Spannungssituationen ständen neben dem selbstverletzenden und aggressiven Verhalten kaum alternative Handlungsstrategien zur Verfügung. Zum Teil bediene er sich aber auch gezielt aggressiver Verhaltensmuster zur Durchsetzung eigener Ziele und Interessen. Bei M… sei anhaltend verbal aggressives, provokatives und oppositionelles Verhalten gegen Erzieher, Mitschüler und Mitbewohner sowie körperliche Aggression gegenüber Gleichaltrigen und älteren Jugendlichen zu beobachten.

Ausmaß, Intensität, Aufrechterhaltung und Verfestigung der ADHS und der Störung des Sozialverhaltens seien neben genetischen Dispositionen maßgeblich auch einem defizitären elterlichen Erziehungsverhalten zuzuschreiben. Aufgrund der bereits bei der Geburt von M… bestehenden chronisch depressiven Erkrankung der Mutter mit schweren Episoden sei von einer emotionalen Unterversorgung des Kindes und einer unzureichenden Förderung im weiteren Entwicklungsverlauf auszugehen.

Die massiven Auffälligkeiten stellten Umstände dar, aus denen sich eine erhebliche Gefahr für die weitere Persönlichkeitsentwicklung von M… und damit für seine Fähigkeit, in einer Gemeinschaft mit anderen zusammenzuleben, ergäben. Die Defizite im Bereich der kognitiven Leistung sowie die Sprachentwicklungsstörung seien ungünstige Voraussetzungen für die weitere schulische Entwicklung. Seine Persönlichkeitsentwicklung sei vor dem Hintergrund der aggressiven Verhaltensproblematik als sehr ungünstig zu beurteilen, da derartige Verhaltensweisen langfristig sehr stabil seien. Aufgrund des frühen Beginns der Störung sowie der Breite der Bereiche, in denen M… dieses Verhalten zeige, bestehe die Gefahr einer dauerhaft gravierenden und verfestigten Fehlentwicklung der Persönlichkeit.

Dieser Gefahr sei nur durch intensive psychotherapeutische und pädagogische Bemühungen zur Verhaltensmodifikation in allen Lebensbereichen zu begegnen, die auch die Herstellung eines langfristig stabilen Lebensmittelpunktes in einem kompetenten und pädagogischen Rahmen erforderlich mache. M… benötige aufgrund des Umstandes, dass er bereits mehrere Wechsel des Lebensmittelpunktes mit Fremdunterbringung erfahren habe, kontinuierliche und stabile Lebensverhältnisse.

Die Einschätzung der Sachverständigen wird gestützt durch die Feststellungen und Empfehlungen, die die Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie, Psychotherapie und Psychosomatik in ihrem Abschlussbericht vom 7.10.2013 mitteilt. Dort wird ausgeführt, dass M… von einer Tagesstrukturierung, klaren Regeln sowie einem klaren Arbeitsplan mit einem Belohnungssystem profitiere. Sein aggressives Verhalten sei vor allem dann aufgetreten, wenn er sich Lebenssituationen gegenübergestellt gesehen habe, die für ihn unübersichtlich gewesen seien. Eine ausreichend günstige Prognose für das Kind sei nur bei stabilen und verlässlichen Rahmenbedingungen zu erreichen.

3.

In Übereinstimmung mit dem Amtsgericht ist weiter davon auszugehen, dass die Mutter in ihrer Erziehungsfähigkeit derart eingeschränkt ist, dass sie nicht in der Lage ist, der dargestellten Gefahr für die Persönlichkeitsentwicklung von M… zu begegnen.

Die Ausführungen der Sachverständigen bestätigen, dass die Mängel in der Erziehungsfähigkeit der Mutter bereits zu einer nachhaltigen Schädigung des seelischen Wohlergehens von M… geführt und auch eine Beeinträchtigung in der kognitiven Entwicklung des Kindes bewirkt haben, die die Grenze der Kindeswohlgefährdung überschreiten.Die Begründung des Jugendamtes im Antrag auf einstweilige Anordnung vom 14.5.2012 (Amtsgericht Frankfurt (Oder) - 5.1 F 327/12 -) sowie Schilderungen der Sachverständigen belegen, dass die Mutter auch in jüngerer Zeit bis zum Zeitpunkt der Aufnahme von M… in die Wohneinrichtung seine Erziehung in erheblichem Umfang vernachlässigt hat. Insoweit wird zunächst auf die Ausführungen des Amtsgerichts zur mangelhaften Ernährung des Kindes verwiesen. Das Jugendamt hat im Bericht vom 14.5.2012 weiter ausgeführt, dass M… unzureichend beaufsichtigt worden und allein mit dem Fahrrad im Stadtgebiet von … unterwegs gewesen sei. Nach den im einstweiligen Anordnungsverfahren am 26.3.2012 und 7.5.2012 erstellten Berichten der Schule war ferner der pünktliche und regelmäßige Schulbesuch von M… in der Vergangenheit nicht gewährleistet. Soweit die Mutter im Rahmen der Anhörung hierzu ausgeführt hat, dass die Verantwortung dafür beim Fahrdienst liege, weil die Abholzeit bis zu 30 Minuten früher als vereinbart gewesen sei, überzeugt den Senat diese Erklärung schon deshalb nicht, weil dies zu Beanstandungen auch anderer auf den Fahrdienst angewiesener Familien geführt hätte. Solche Beschwerden wurden aber nicht bekannt. Zudem ist nicht nachvollziehbar, warum die Mutter auf die von ihr geschilderte Situation weder durch Rücksprache mit dem Fahrdienst noch mit Hilfe einer anderen morgendlichen Zeitplanung für M… reagierte.

Die Sachverständige hat weiter in ihrem Gutachten zur Erziehungsfähigkeit der Mutter erläutert, dass diese über eine eingeschränkte Fähigkeit verfüge, auf die Bedürfnisse des Kindes einzugehen und das Kind zu fördern. Sie sei auch mit einer adäquaten Lenkung des Kindes massiv überfordert, weil sie sich M… gegenüber nicht durchsetzen könne. Dies falle umso mehr ins Gewicht, weil M… aufgrund der vorhandenen Vorschädigungen hohe Anforderungen an erzieherisches Handeln stelle.

Von diesen den Senat überzeugenden Ausführungen der Sachverständigen ausgehend ist nach den Stellungnahmen im Beschwerdeverfahren und dem Ergebnis der persönlichen Anhörung nicht festzustellen, dass eine abweichende Beurteilung der Erziehungsfähigkeit der Mutter gerechtfertigt ist.

Die Vertreterinnen des Jugendamtes haben im Senatstermin am 21.1.2014 zwar hervorgehoben, dass die Mutter inzwischen ein größeres Interesse an M… Belangen zeige. Sie besuche ihn regelmäßig und begleite ihn zur Ergotherapie. Auch sei ihre Initiative gegenüber dem Jugendamt mit dem Anliegen, dass M… die Möglichkeit erhalte, zum Fußballtraining angemeldet zu werden, positiv zu bewerten. Insgesamt seien die im Hilfeplangespräch im Juli 2013 vereinbarten Maßnahmen der Elternarbeit wie Elterngespräche, Reflexionsgespräche und Umgangsauswertungen aber unzureichend von der Mutter umgesetzt worden. Beispielsweise seien Hausaufgaben, die M… während seines Besuchs bei ihr habe bearbeiten sollen, mit der Begründung nicht erledigt worden, dass M… kein Interesse daran gehabt habe. Nach dem Bericht der Bezugsbetreuerin vom 20.10.2013 seien Konfrontationsgespräche der Mutter mit M… über dessen Fehlverhalten entgegen der Vereinbarung im Hilfeplangespräch nicht geführt worden, weil sie „keine Zeit“ gehabt habe. Zudem habe M… von den Treffen mit seiner Mutter Süßigkeiten mitgebracht, obwohl sie wisse, dass er wegen seiner Medikation Zucker nur in geringem Umfang zu sich nehmen dürfe. Es zeige sich auch, dass M… seine Mutter als Autorität weiterhin nicht akzeptiere. Er äußere sich ihr gegenüber unangemessen und bevormundend und versuche, sie in Anwesenheit Dritter zu provozieren.

Die Ausführungen der Mutter im Rahmen der Anhörung rechtfertigen keine abweichende Beurteilung ihrer Erziehungsfähigkeit. Sie hat erklärt, M… sei, wenn er bei ihr zu Besuch sei, überhaupt nicht aggressiv. Sie habe eine gute Beziehung zu ihm und gehe davon aus, der Erziehung von M… gewachsen zu sein. Er berichte ihr neuerdings auch, wenn er Fehler gemacht habe. Insgesamt vertrat sie die Auffassung, dass sein aggressives Verhalten sich gerade verstärkt habe, seit er in der Wohneinrichtung lebe.

Die Einschätzungen der Mutter sind im Zusammenhang mit ihrer geschilderten Nachgiebigkeit in der Erziehung zu sehen. M… reagiert nicht aggressiv, wenn seinen Wünschen entsprochen wird. Der Bericht der Verfahrensbeiständin vom 4.11.2013 unterstreicht dies, da dort ausgeführt wird, M… habe den Wunsch geäußert, wieder bei seiner Mutter wohnen zu wollen, weil er dort mit der Playstation spielen und fernsehen könne, ohne um Erlaubnis zu fragen. Auch die Sachverständige hat diese Motivation in ihrem Gutachten wiedergegeben.

Dass die Darstellung der Mutter die Situation von M… nicht realistisch wiedergibt, folgt auch aus der Schilderung der Verfahrensbeiständin im Senatstermin. Danach hat sich M…´ Verhalten seit November 2013 negativ entwickelt: M… sei mit einem Messer auf eine Erzieherin losgegangen und habe in die psychiatrische Tagesklinik gebracht werden müssen. Er habe Mitbewohner angegriffen und sich während der Fahrten zwischen Wohneinrichtung und Schule aggressiv verhalten.

Es ist auch nicht festzustellen, dass die Mutter seit der Fremdunterbringung von M… eine kritische Auseinandersetzung mit ihrer eigenen Situation, ihrem Erziehungsverhalten und den Bedürfnissen von M… geführt hätte, die die Einschätzung zuließe, sie habe ihre Erziehungsfähigkeit bereits entscheidend verbessert. Dabei ist einzuräumen, dass sie sich um Verbesserungen bemüht. Sie besucht seit Mai 2013 eine Erziehungsberatung, in der auch angemessene Reaktionen auf das Verhalten von M… thematisiert werden. Ihre psychische Situation wird vom behandelnden Neurologen in einem Attest vom 5.6.2013 als so stabil beschrieben, dass sie den Alltag bewältigen könne. Auch beschäftigt sie sich während der Besuche mit M… und spielt mit ihm. Umstände, die auf eine grundlegende Verbesserung der Erziehungsfähigkeit hindeuten, fehlen aber. So konnte die Mutter nicht angeben, welche Erkenntnisse sie aus der Erziehungsberatung für den weiteren Umgang mit M… gewonnen hat. Eine von der Sachverständigen empfohlene psychotherapeutische Behandlung zieht sie für sich nicht in Betracht, weil die Erziehungsberatung ihrer Meinung nach ausreichend ist. Die von dem Schulpersonal, dem Fahrdienst und den Erziehern unabhängig voneinander festgestellten Anzeichen für einen unkontrollierten Alkoholkonsum stellte sie in Abrede. Die von der Bezugsbetreuerin berichteten Mängel in der Zusammenarbeit mit ihr sind ihrer Meinung nach eine „Verdrehung“ dessen, was sie sagt. Sie verwies auch darauf, dass die Einrichtung die Süßigkeiten, die sie M… mitgebe, ihm zuteilen könne, und übersah dabei, dass sie gerade dadurch nicht selbst die konsequente Erziehung von M… übernahm, sondern diese der Einrichtung überließ.

Nach alldem ist derzeit noch nicht davon auszugehen, dass die Mutter die für M… weitere Entwicklung zentrale Aufgabe übernehmen kann, ihm bei der Erziehung Regeln vorzugeben und deren Einhaltung konsequent zu verfolgen.

4.

Die Übertragung der elterlichen Sorge auf den Vater gemäß § 1680 Abs. 3 BGB in Verbindung mit § 1680 Abs. 2 Satz 2 BGB kommt derzeit nicht in Betracht. Angesichts der dargestellten hohen Anforderungen, die bei der Erziehung von M… gewährleistet sein müssen sowie seines Bedürfnisses nach stabilen Lebensverhältnissen entspricht die Übertragung des Aufenthaltsbestimmungsrechts auf den Vater derzeit nicht dem Wohl des Kindes. M… hatte bisher keinen regelmäßigen Kontakt zu seinem Vater und konnte keine stabile Bindung zu ihm aufbauen. Die Ehefrau des Vaters, die noch nicht deutsch spricht, kennt M… nicht. Gegenüber dem Senat äußerte sich M… zur Aufnahme des Umgangs mit seinem Vater noch vorsichtig ablehnend. Es wäre daher, wie vom Jugendamt erwogen, zunächst der Umgang mit M… anzubahnen, um eine tragfähige Beziehung zwischen Vater und Sohn zu begründen.

5.

Der Gefährdung des Kindeswohls kann auch nicht durch andere Maßnahmen als der Entziehung des Aufenthaltsbestimmungsrechts begegnet werden, § 1666 a BGB.

Maßnahmen der Familienhilfe wurden in der Vergangenheit zwischen den Aufenthalten von M… in Fremdunterbringung ständig gewährt, ohne dass die dargestellten Defizite in der Erziehung und Förderung des Kindes abgewendet werden konnten. Bis zur Aufnahme in die Wohneinrichtung im Mai 2013 wurde seit dem 3.2.2011 sozialpädagogische Familienhilfe von der Mutter in Anspruch genommen. Da das Sozialverhalten und die kognitive Entwicklung von M… nur durch eine ständige und konsequente Förderung, Grenzziehung und Strukturierung in allen Bereichen im Alltag verbessert werden können, sind lediglich begleitende oder temporäre Hilfen nicht ausreichend.

Die Entziehung der Befugnis, öffentliche Leistungen zu beantragen, ist zur weiteren Sicherung der Heimerziehung, die die Mutter nicht unterstützt, erforderlich.

Die Nebenentscheidungen folgen aus §§ 84 FamFG, 45 Abs. 1 Nr. 1 FamGKG.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar.