Gericht | OLG Brandenburg Vergabesenat | Entscheidungsdatum | 07.12.2010 | |
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Aktenzeichen | Verg W 16/10 | ECLI | ||
Dokumententyp | Beschluss | Verfahrensgang | - | |
Normen |
Die aufschiebende Wirkung der sofortigen Beschwerde der Antragstellerin gegen den Beschluss der Vergabekammer des Landes Brandenburg vom 8. November 2010 - VK 51/10 - wird bis zur Entscheidung über die Beschwerde in der Hauptsache verlängert.
Dem Auftraggeber wird aufgegeben, dem Vergabesenat unverzüglich, spätestens binnen zwei Wochen, folgende Unterlagen zur Verfügung zu stellen:
- Alle Unterlagen zur Auftragswertschätzung. (Die Vergabeakten beginnen mit der "Anmeldung zur Vergabe" vom 18.5.2010, in der es heißt, dass die geschätzten Kosten dieser Ausschreibung 6.773.000 € betragen würden. Bezug genommen wird auf "Festlegungen", die am 30.10.2009 getroffen worden sein sollen. Diese Festlegungen sind der Vergabeakte jedoch nicht beigefügt.)
- Auftragswertschätzungen für die Vergabeeinheiten 2 und 3 (Landschaftsbau, Einfriedungen)
- Angebot der E… GmbH
Eine Beiladung der E… GmbH bleibt vorbehalten.
Die Vergabekammer hat durch Beschluss vom 8.11.2010 den Nachprüfungsantrag der Antragstellerin zurückgewiesen. Zur Begründung hat sie ausgeführt, der Nachprüfungsantrag sei zulässig, aber unbegründet.
Der Nachprüfungsantrag habe sich von Beginn an gegen den Auftraggeber gerichtet, die Vergabekammer habe deshalb das Rubrum berichtigt. Der Schwellenwert sei überschritten. Zwar übersteige die Mehrheit der abgegebenen Angebote den Schwellenwert nicht. Auch habe der Auftraggeber keine den Zeitpunkt der Auftragsvergabe berücksichtigende, ordnungsgemäße Schätzung des Auftragswertes vor der Bekanntmachung vorgenommen. Denn die Ausgangsdaten für die Schätzung des Auftragswertes seien offenbar veraltet. Da die Kosten für die beiden anderen Vergabeeinheiten nicht mit hinreichender Sicherheit festgestellt werden könnten, müsse jedoch von der Überschreitung des Schwellenwertes ausgegangen werden. Die Antragstellerin habe die Nichtwertung ihrer Nebenangebote rechtzeitig gerügt. Soweit die Antragstellerin auf den Hinweis der Vergabekammer zur mangelnden Berücksichtigungsfähigkeit ihrer Nebenangebote ihren Hilfsantrag angekündigt habe, habe keine Rügeobliegenheit bestanden.
Der Nachprüfungsantrag sei jedoch offensichtlich unbegründet. Nebenangebote könnten nicht gewertet werden, weil alleiniges Wertungskriterium der Preis sei. Dies verstoße gegen die Vorgaben der Vergabekoordinierungsrichtlinie. Soweit die Antragstellerin zur Begründung ihres Hilfsantrages behaupte, die Zulassung von Nebenangeboten durch den Auftraggeber habe ihr, der Antragstellerin, Hauptangebot beeinflusst, sei dies durch nichts belegt und rechtfertige nicht die Rückversetzung des Vergabeverfahrens in den Stand vor Angebotsabgabe unter Ausschluss der Zulassung von Nebenangeboten. Dies gelte hier auch deshalb, weil sämtliche Bieter ein Hauptangebot eingereicht hätten.
Die Kosten des Verfahrens hat die Vergabekammer dem Auftraggeber auferlegt, weil er unter Verstoß gegen die Vorgaben der Vergabekoordinierungsrichtlinie Nebenangebote zugelassen habe, obwohl einziges Zuschlagskriterium der Preis gewesen sei. Für eine Kostenbelastung des Auftraggebers spreche auch, das dieser pflichtwidrig den Auftragswert nicht geschätzt habe.
Gegen diesen Beschluss, ihr zugestellt am 9.11.2010, hat die Antragstellerin durch bei Gericht am 23.11.2010 eingegangenen Schriftsatz sofortige Beschwerde eingelegt.
Die Antragstellerin wiederholt und vertieft ihr Vorbringen vor der Vergabekammer. Sie meint, das Nachprüfungsverfahren sei eröffnet, weil der Schwellenwert überschritten sei. Sie beanstandet, dass die Vergabekammer die VOB/A 2009 für anwendbar gehalten habe. Da die Vergabebekanntmachung noch vor dem Inkrafttreten der novellierten Vergabeverordnung versendet worden sei, sei die alte Vergabeverordnung und die VOB/A anzuwenden.
Die Antragstellerin meint weiter, die Vergabekammer habe ihre Untersuchungsbefugnis verkannt. Keiner der am Vergabeverfahren beteiligten Bieter habe gerügt, dass die Vergabestelle unter Verstoß gegen Art. 24 Abs. 1 Vergabekoordinierungsrichtlinie Nebenangebote zugelassen habe. Die unterbliebene Wertung ihrer Nebenangebote sei vom Auftraggeber auch nicht hierauf gestützt worden. Wenn die Vergabekammer gleichwohl ihre Entscheidung darauf stütze, dass eine Wertung der Nebenangebote zu unterbleiben habe, geriere sie sich als Rechtsaufsichtsbehörde, die in die Entscheidungen der Vergabestelle hineinregiere. Dies sei nicht Sinn eines Nachprüfungsverfahrens. Ihre Nebenangebote seien im Übrigen gegenüber dem Amtsentwurf gleichwertig.
Soweit die Vergabekammer den auf Aufhebung der Ausschreibung gerichteten Antrag zurückgewiesen habe, weil der diesen Antrag stützende Vortrag der Antragstellerin durch nichts belegt sei, habe es an einem entsprechenden Hinweis gefehlt. Die Vergabekammer habe der Antragstellerin durch eine Entscheidung im schriftlichen Verfahren auch die Möglichkeit abgeschnitten, in der mündlichen Verhandlung weiter vorzutragen. Sie, die Antragstellerin, habe bei der Kalkulation ihrer Nebenangebote die Massen des Amtsentwurfs geprüft und hier Einsparpotentiale entdeckt. Sie habe demzufolge weniger Zeit investiert, um das Hauptangebot bis ins Detail mit kalkulatorischen Mitteln auszureizen. Durch die Ermittlung eigener Mengenansätze mit pauschaler Vergütung wie beim Nebenangebot Nr. 1 könne ein für den Bauherrn sehr günstiges und für die Antragstellerin risikoärmeres Angebot unterbreitet werden.
Führe der Auftraggeber die Bieter bei einer Zulassung von Nebenangeboten unter Verstoß gegen die Vergabekoordinierungsrichtlinien in die Irre, sei das Vergabeverfahren in den Stand vor Angebotsabgabe zurückzuversetzen, wenn sich ein Beteiligter des Vergabeverfahrens - wie vorliegend hilfsweise die Antragstellerin - auf diesen Verstoß berufe. Da sie auch lediglich Nebenangebote hätte einreichen können, müsse es ihr auch erlaubt sein, ein wertbares, aber nicht vollständig kalkulatorisch ausgereiztes Hauptangebot vorzulegen.
Die Antragstellerin beantragt, die aufschiebende Wirkung der sofortigen Beschwerde zu verlängern. Sie kündigt mit der Beschwerdeschrift an, folgende Anträge zu stellen,
1. Ziffer 1.) des Beschlusses der Vergabekammer des Landes Brandenburg vom 8.11.2010 – VK 51/10 - aufzuheben und den Auftraggeber zu verpflichten, den Zuschlag nur unter Berücksichtigung der Nebenangebote der Antragstellerin zu erteilen, hilfsweise, die Aufhebung des Vergabeverfahrens anzuordnen,
2. dem Auftraggeber zu untersagen, den Zuschlag auf das Angebot der E… GmbH, Niederlassung …, zu erteilen,
3. für den Fall, dass der Zuschlag bereits erteilt wurde, festzustellen, dass auf Grund dessen kein Vertrag zustande gekommen bzw. dieser nichtig ist und die Zuschlagserteilung die Antragstellerin in ihren Rechten verletzt.
Der Auftraggeber hat eine Beschwerdeerwiderung angekündigt und erklärt, gegen eine Verlängerung der aufschiebenden Wirkung der sofortigen Beschwerde bestünden keine Bedenken.
II.
Der Antrag der Antragstellerin, die aufschiebende Wirkung der sofortigen Beschwerde gemäß § 118 Abs. 1 Satz 3 GWB bis zur Entscheidung über das Rechtsmittel zu verlängern, war stattzugeben. Die Beschwerde ist zulässig. Es kann nicht festgestellt werden, dass sie unbegründet wäre, so dass ihr eine Erfolgsaussicht nicht abgesprochen werden kann.
A. Es kann noch nicht abschließend festgestellt werden, ob der Nachprüfungsantrag der Antragstellerin zulässig ist.
1.) Der Zulässigkeit des Nachprüfungsantrages steht allerdings nicht der Umstand entgegen, dass er sich nicht gegen den richtigen Auftraggeber gerichtet hätte. Zwar hat die Antragstellerin das Land Brandenburg als Auftraggeber benannt. Zu Recht hat jedoch die Vergabekammer das Rubrum berichtigt und den Nachprüfungsantrag als gegen die Bundesrepublik Deutschland gerichtet angesehen. In den Vergabeunterlagen ist die Bundesrepublik Deutschland als Auftraggeber benannt.
2.) Derzeit kann jedoch nicht festgestellt werden, ob der Schwellenwert überschritten wird. Zwar hat der Auftraggeber den Wert des zu vergebenden Auftrages auf 6.773.000 € geschätzt. Dieser Betrag liegt oberhalb des für Bauaufträge geltenden Schwellenwertes.
Gelangt der Auftraggeber bei seiner Schätzung des Auftragswertes gemäß § 3 VgV zu einem Auftragswert oberhalb der Schwellenwerte, können die am Vergabeverfahren teilnehmenden Bieter die Nachprüfungsinstanzen anrufen, auch wenn ihre Angebote - wie dasjenige der Antragstellerin - unterhalb der Schwellenwerte liegen. Voraussetzung hierfür ist jedoch, dass der Auftraggeber eine realistische und nachvollziehbare dokumentierte Schätzung vorgenommen hat. Das ist hier nicht der Fall.
Zunächst kann der Vergabesenat den ihm vorliegenden Vergabeakten nichts entnehmen, wie der Auftraggeber zur Ermittlung des Auftragswerts gelangt ist.
Im übrigen weist die Schätzung des Auftragswertes durch den Auftraggeber Mängel auf. So ist sie allem Anschein nach nicht zeitnah zu dem Tag der Absendung an das Amt für amtliche Veröffentlichung der europäischen Gemeinschaften im Mai 2010 erfolgt, sondern erheblich früher. So enthalten die Vergabeakten einen Hinweis auf "Festlegungen vom 30.10.2009". Darüber hinaus weist die Schätzung auch inhaltliche Mängel auf, weil die darin zugrunde gelegten Stahl- und Betonpreise offenbar veraltet waren. So sollen ausweislich des Vergabevermerks die Stahlpreise 30 % zu hoch bemessen worden sein. Auch die Betonpreise seien zu hoch angesetzt worden. Für Mängel der Auftragswertschätzung spricht auch, dass die Hauptangebote aller Bieter bis auf eines, das darüber hinaus einen deutlichen preislichen Abstand zum zweitteuersten Hauptangebot aufweist, unterhalb des Schwellenwertes liegen. Es kann deshalb nicht ausgeschlossen werden, dass der Schwellenwert hier nicht erreicht ist.
Der Vergabesenat muss den Auftragswert noch im Wege der Amtsermittlung errechnen. Denn auch die Vergabekammer hat in dem angefochtenen Beschluss keine ordnungsgemäße Auftragswertschätzung vorgenommen. Sie hat vielmehr wörtlich ausgeführt, "ob der Schwellenwert für die Gesamtbaumaßnahme überschritten (werde, könne) ... mangels Kenntnis der Kosten für die Vergabeeinheiten 2 und 3 der Gesamtbaumaßnahme nicht mit hinreichender Sicherheit festgestellt werden".
B. Die Ermittlung des Auftragswertes ist auch nicht entbehrlich. Denn dem Nachprüfungsantrag kann die Erfolgsaussicht nicht völlig abgesprochen werden.
1.) Die Vergabekammer ist davon ausgegangen ist, dass der Auftraggeber Nebenangebote schon deshalb nicht berücksichtigen durfte, weil der Preis alleiniges Wertungskriterium ist. Die sofortige Beschwerde der Antragstellerin dürfte mit dieser Begründung kaum zurückgewiesen werden können.
Zwar hat das OLG Düsseldorf in mehreren Entscheidungen in vergleichbaren Fällen ausgeführt, die Zulassung von Nebenangeboten sei vergaberechtswidrig, weil die maßgeblichen Richtlinien 2004/17/EG und 2004/18/EG Varianten nicht zuließen, wenn der Preis alleiniges Zuschlagskriterium sei. Tragende Begründung ist diese Rechtsauffassung erstmals im Beschluss vom 18.10.2010 (VII-Verg 39/10, zitiert nach Juris). Vorher hatte das OLG Düsseldorf sie in Beschlüssen vom 7.1., 23.3.2010 und 15.6.2010 in den Verfahren VII-Verg 61/09 und VII-Verg 10/10 bereits in obiter dicta vertreten (zitiert jeweils nach Juris).
Jedoch weicht das OLG Düsseldorf mit dieser neuen Rechtsauffassung nicht nur von seiner eigenen früheren Rechtsprechung ab. So hat es in seinem Beschluss vom 20.12.2008 (VII-Verg 51/08, zitiert nach Juris) einen Nachprüfungsantrag eines Bieters zurückgewiesen, der sich gegen einen beabsichtigten Zuschlag auch auf Nebenangebote in einem Verfahren wandte, bei dem einziges Wertungskriterium der Preis war.
Diese Rechtsprechung des OLG Düsseldorf ist auch mit der Rechtsprechung anderer Oberlandesgerichte nicht in Übereinstimmung zu bringen. Andere Oberlandesgerichte haben vielmehr, ohne auf die neueste Rechtsprechung des OLG Düsseldorf einzugehen, einen Zuschlag auf Nebenangebote für zulässig zugehalten, auch wenn alleiniges Wertungskriterium der Preis war (so OLG Koblenz, Beschluss vom 26.7.2010, 1 Verg 6/10, ZfBR 2010, 708; OLG Celle, Beschluss vom 3.6.2010, 13 Verg 6/10, VergabeR 2010, 1014; OLG Celle, Beschluss vom 11.2.2010, 13 Verg 16/09, VergabeR 2010, 669; jeweils zitiert nach Juris).
Bei einer derartigen Sachlage muss erwogen werden, ob wegen dieser Divergenz in der Rechtsprechung der Vergabesenate die Sache entweder der Bundesgerichtshof zugänglich gemacht oder der EuGH um Entscheidung zur Auslegung der beiden Eu-Richtlinien und zur Entscheidung darüber, ob das deutsche Vergaberecht hiermit vereinbar ist, angerufen werden muss.
2.) Es kann auch nicht davon ausgegangen werden, dass der Auftraggeber die Nebenangebote der Antragstellerin zu Recht nicht gewertet hätte.
Zwar dürfte es nicht zu beanstanden sein, dass er das Nebenangebot 2 nicht berücksichtigt hat, weil es unzweifelhaft nicht gleichwertig ist. Davon muss bereits angesichts der Beschreibung des Nebenangebots 2 durch die Antragstellerin selbst ausgegangen werden. Die Entscheidung des Auftraggebers, dieses Nebenangebot nicht zu berücksichtigen, dürfte deshalb kaum angreifbar sein. Dies führt dazu, dass auch das Nebenangebot 3 keine Berücksichtigung finden kann.
Es ist allerdings zweifelhaft, ob der Auftraggeber das Nebenangebot 1 der Antragstellerin mit einer nachvollziehbaren Begründung nicht gewertet hat. Zwar hat die Antragstellerin nicht nur eine konstruktive Veränderung der Grünbrücke gegenüber dem ausgeschriebenen Entwurf angeboten. Sie hat vielmehr Einzelpositionen des Leistungsverzeichnisses mit veränderten Mengen angeboten. Dies allein hätte möglicherweise die Beurteilung gerechtfertigt, dies stelle eine unzulässige Änderung der Verdingungsunterlagen dar. Aus dem Erläuterungsschreiben der Antragstellerin ergibt sich jedoch, dass sie damit nicht etwa – wie im Hauptangebot – Einheitspreise anbieten, sondern diese Positionen zu Pauschalpreises anbieten will. Sie hat damit ersichtlich das Mengenrisiko übernehmen wollen. Dies hat der Auftraggeber in seiner Wertung bisher nicht berücksichtigt. Er hat insbesondere auch den Alternativvorschlag zur Konstruktion der Grünbrücke bisher nicht gewertet.
Wenn das Nebenangebot der Antragstellerin nicht grundsätzlich unberücksichtigt bleiben müsste, weil einziges Wertungskriterium der Preis ist, käme in Betracht, den Auftraggeber zur Wiederholung der Wertung unter Berücksichtigung des Nebenangebotes 1 der Antragstellerin zu verpflichten.
C. Ob der Hilfsantrag der Antragstellerin zulässig ist oder nicht, braucht vorerst nicht geprüft zu werden. Allerdings ist die Zulässigkeit zweifelhaft, wenn Nebenangebote bei einer reinen Preiswertung unzulässig wären.
Die Antragstellerin hat nämlich zur Begründung ihres Hauptantrages vortragen, kein Bieter – auch sie nicht – habe eine entsprechende Rüge erhoben. Ihr Hilfsantrag setzt allerdings eine – spätestens im Nachprüfungsverfahren - erhobene Rüge der Unzulässigkeit von Nebenangeboten bei einer reinen Preiswertung voraus. Eine lediglich hilfsweise erhobene Rüge dürfte jedoch dem Hilfsantrag nicht zum Erfolg verhelfen können.
D. Eine Kostenentscheidung ist nicht veranlasst. Sie ergeht zusammen mit der Hauptsacheentscheidung.