Gericht | LSG Berlin-Brandenburg 3. Senat | Entscheidungsdatum | 03.11.2014 | |
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Aktenzeichen | L 3 U 168/14 BER | ECLI | ||
Dokumententyp | Beschluss | Verfahrensgang | - | |
Normen | § 86a SGG, § 86b SGG |
Die Beschwerde der Antragstellerin gegen den Beschluss des Sozialgerichts Cottbus vom 01. September 2014 wird zurückgewiesen.
Kosten sind für das Beschwerdeverfahren nicht zu erstatten.
Die zulässige Beschwerde ist unbegründet.
Der Senat kann offen lassen, ob sich der Eilrechtsschutzantrag der Antragstellerin nach der gemäß § 123 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) gebotenen Auslegung ihres Begehrens unter Würdigung des Gesamtvorbringens als Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung gemäß § 86b Abs. 2 S. 2 SGG darstellt, und zwar gerichtet auf die Weiterzahlung von Verletztengeld wegen der Folgen des Arbeitsunfalls vom 12. Juni 2009, oder als Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung gemäß § 86b Abs. 1 S. 1 Nr. 2 SGG der gegen den Einstellungsbescheid der Antragsgegnerin vom 27. März 2013 gerichteten Anfechtungsklage im beim Sozialgericht Cottbus unter dem Aktenzeichen S 13 U 1/14 geführten Sozialstreitverfahren.
Für eine einstweilige Anordnung ist das gemäß § 86b Abs. 2 S. 2 SGG erforderliche eilige Regelungsbedürfnis im Sinne einer gegenwärtigen existenziellen Notlage nicht gemäß § 86b Abs. 2 S. 4 SGG i.V.m. §§ 920 Abs. 2, 294, 938 Abs. 1, der Zivilprozessordnung (ZPO) mit der für die Vorwegnahme der Hauptsache erforderlichen hohen Wahrscheinlichkeit glaubhaft gemacht. Denn die Antragstellerin kann eigenen Angaben zufolge in einem ihrem Ehemann gehörenden Haus mietfrei wohnen und bezog im Übrigen bis einschließlich September 2014 Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach den Vorschriften des Zweiten Buchs des Sozialgesetzbuchs (SGB II) in Höhe der Regelleistung. Hiervon ausgehend erscheint ein eiliges Regelungsbedürfnis auch für die Zeit ab Oktober 2014 nicht glaubhaft. Die Antragstellerin hat ihre persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse insofern nicht, wie es die Glaubhaftmachung eines eiligen Regelungsbedürfnisses erfordert, rückhaltlos und widerspruchsfrei offen gelegt. Soweit sie im Termin zur mündlichen Verhandlung vor dem Sozialgericht vom 01. August 2014 u.a. für die von ihr genutzte Wohnung eine Verbrauchskostenaufstellung vorgelegt hat, ist nichts dafür ersichtlich, dass sie diese Verbrauchskosten tatsächlich begleicht bzw. ihr Ehemann aktuell auf einer entsprechenden Zahlung besteht. Davon abgesehen reicht die Verbrauchskostenaufstellung schon deshalb nicht zur Glaubhaftmachung einer bestimmten Zahlungspflicht aus, weil sie alternativ eine 70 %-ige und eine 50 %-ige Kostenbeteiligung der Antragstellerin vorsieht. Zudem ist nicht dargelegt, welche weitere Personen in dem Einfamilienhaus leben, die ebenfalls an den Verbrauchskosten zu beteiligen wären. Nach der vorgelegten Steuerabtretungserklärung vom 04. Mai 2013 ist davon auszugehen, dass der Sohn ebenfalls dort wohnhaft ist. Soweit die Antragstellerin im Beschwerdeverfahren nunmehr auf einen Bescheid des Jobcenters D vom 22. September 2014 verweist, wonach ihr Antrag auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts abgelehnt wurde, ist sie den darin enthaltenen Ablehnungsgründen im vorliegenden Eilverfahren nicht plausibel entgegen getreten. Insbesondere hat sich die Antragstellerin nicht schlüssig dazu geäußert, warum eine von ihr – nach ihrem Beschwerdevorbringen unbestrittenermaßen – im August 2014 vorgenommene Abtretung einer Steuerrückerstattung in Höhe von 8.622,49 € nicht – wie das Jobcenter meint - zwecks Deckung ihres eigenen Lebensbedarfs rückgängig gemacht werden kann. Soweit die Antragstellerin in diesem Zusammenhang zudem auf eine Abtretungserklärung vom 04. Mai 2013 verweist, welche sich auf die Einkommensteuerveranlagungen von 2006 bis 2012 bezieht, ist schon nicht klar, ob diese auch eine im Jahr 2014 stattgefundene Steuererstattung erfasst, zumal im Abtretungsformular vom 04. Mai 2013 unter „V. Wichtige Hinweise“ bestimmt ist, dass Abtretungen dem Finanzamt erst dann wirksam angezeigt werden können, wenn der abgetretene Erstattungsanspruch entstanden ist.
Soweit der Eilrechtsschutzantrag auf die Anordnung der aufschiebenden Wirkung der gegen die Einstellung des Verletztengelds gerichteten o.g. Klage abzielt, liegen ebenfalls keine Erfolgsaussichten vor.
Zwar ist ein solcher Antrag gemäß § 86b Abs. 1 S. 1 Nr. 2 SGG statthaft, soweit im Einstellungsbescheid vom 27. März 2013 die Entziehung des mit Bescheid der Antragsgegnerin vom 17. Dezember 2009 „bis auf weiteres“ gewährten Verletztengelds zu sehen ist. Denn die gegen den Einstellungsbescheid, der das Verletztengeld entzieht, gerichtete Anfechtungsklage entfaltet gemäß § 86a Abs. 2 Nr. 3 SGG keine aufschiebende Wirkung.
Ein solcher Antrag hat jedoch unter Zugrundelegung der im Eilverfahrenen gebotenen, aber auch nur möglichen überschlägigen Prüfung in der Sache keinen Erfolg. Denn die hierfür maßgebliche Interessenabwägung ergibt, dass das Interesse der Antragstellerin an der Aussetzung das Interesse der Antragsgegnerin an der Vollziehung des Einstellungsbescheids nicht überwiegt. Die Erfolgsaussichten in der Hauptsache lassen sich nämlich angesichts der widerstreitenden ärztlichen Äußerungen zum Fortbestehen der unfallbedingten Arbeitsunfähigkeit gegenwärtig nicht abschätzen; es müsste in der Hauptsache durch Einholung schriftlicher Sachverständigengutachten ggf. nach einer Ermittlung der bisherigen Arbeitsbedingungen aufgeklärt werden, ob die Antragstellerin nach den Maßstäben der Gesetzlichen Unfallversicherung arbeitsunfähig ist, d.h. aufgrund der Folgen des Versicherungsfalls ihre zuletzt vor dem Unfall ausgeübte Tätigkeit nicht mehr oder nur unter der Gefahr der Verschlimmerung der Erkrankung ausführen kann (vgl. etwa Köllner, in: Lehr- und Praxiskommentar Sozialgesetzbuch VII, 4. Aufl. 2014, § 45 Rn. 2). Die zeitnah zum Einstellungsbescheid gefertigten, aktenkundigen ärztlichen Stellungnahmen enthalten sowohl gegen als auch für eine fortbestehende Arbeitsfähigkeit sprechende Anhaltspunkte. So wurde die Antragstellerin laut Bericht des Unfallkrankenhauses B – Klinik für Unfallchirurgie und Orthopädie – vom 22. März 2013 nach einer arthroskopischen Behandlung des unfallverletzten linken Knies als arbeitsfähig entlassen. Nach dem für die Gesetzliche Rentenversicherung erstellten Gutachten des Facharztes für Psychiatrie und Psychotherapie Dr. T vom 02. April 2013 bestand bei einer körperlichen Untersuchung am 27. März 2013 aktuell noch Arbeitsunfähigkeit im Rahmen der Rekonvaleszenz nach neuerlicher Arthroskopie. Dr. R sieht in einem Arztbrief vom 28. Mai 2013 ein schmerzbedingt chronisches Streckdefizit als weiterhin behandlungsbedürftige Unfallfolge an. Dr. S führt in seinem Ersten Rentengutachten vom 15. Juni 2013 aus, dass Arbeitsfähigkeit am 25. März 2013 wieder eingetreten sei, wobei die Antragstellerin beim derzeitigen Befund nur sitzende Tätigkeiten ausüben könne. Demgegenüber erkennt die Fachärztin für Neurologie und Psychiatrie Dr. H in ihrem auf Veranlassung der Antragsgegnerin erstellten Zusammenhangsgutachten vom 27. Juni 2013 eine anhaltende somatoforme Schmerzstörung nicht als unfallbedingt an und erkennt gar keine unfallbedingten Einschränkungen für die Ausübung der mittlerweile aufgegebenen Tätigkeit als Tabakwarenhändlerin mehr.
Soweit die Erfolgsaussichten in der Hauptsache mithin noch nicht abschätzbar sind, ist die hiernach vorzunehmende allgemeine Interessenabwägung vor allem an dem in § 86a Abs. 2 Nr. 3 SGG zu entnehmenden Regel-Ausnahme-Prinzip zu orientieren, wonach die aufschiebende Wirkung eine mit gewichtigen Argumenten zu begründende Ausnahme bleiben muss (vgl. Keller, in: Meyer-Ladewig/ Keller/ Leitherer, SGG – Kommentar, 11. Aufl. 2014, § 86b Rn. 12c). Hiervon ausgehend liegen hier keine besonderen Umstände vor, welche eine Abweichung von diesem Regel-Ausnahme-Prinzip gebieten, zumal sich nach dem bereits zuvor Gesagten eine gegenwärtige existenzielle Notlage der Antragstellerin nicht annehmen lässt und die Herstellung einer aufschiebenden Wirkung zur Folge hätte, dass das Verletztengeld in Höhe von 160,00 € kalendertäglich vorerst weiter zu gewähren und damit faktisch für die Versichertengemeinschaft unwiederbringlich verloren wäre. Denn im Falle einer im Ergebnis des Hauptsacheverfahrens bestandskräftig werdenden Einstellung bestünde hier keinerlei Aussicht, dass das hiernach zu Unrecht gezahlte Verletztengeld wieder beigetrieben werden könnte.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Der Beschluss ist unanfechtbar, § 177 SGG.