Gericht | OVG Berlin-Brandenburg 2. Senat | Entscheidungsdatum | 01.02.2012 | |
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Aktenzeichen | OVG 2 S 6.12 | ECLI | ||
Dokumententyp | Beschluss | Verfahrensgang | - | |
Normen | § 123 Abs 1 VwGO, § 146 Abs 4 S 6 VwGO, § 72 Abs 2 AufenthG, § 60 AufenthG, § 60a Abs 2 S 1 AufenthG, § 27a AsylVfG, § 34a AsylVfG, § 34 AsylVfG, Art 3 EGV 343/2003, Art 19 EGV 343/2003, Art 20 EGV 343/2003 |
Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe für das Beschwerdeverfahren wird abgelehnt.
Die Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Berlin vom 11. Januar 2012 wird zurückgewiesen.
Die Kosten der Beschwerde trägt der Antragsteller.
Der Wert des Beschwerdegegenstandes wird auf 2.500 Euro festgesetzt.
1. Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe unter Beiordnung von Rechtsanwältin A… ist abzulehnen, weil die Rechtsverfolgung aus den nachfolgend zu 2. genannten Gründen keine hinreichende Aussicht auf Erfolg hat (§ 166 VwGO i.V.m. § 114 ZPO).
2. Die Beschwerde des Antragstellers bleibt ohne Erfolg. Aus den vom Antragsteller dargelegten Gründen, die das Oberverwaltungsgericht nach § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO allein zu prüfen hat, ergibt sich nicht, dass das Verwaltungsgericht dem erstinstanzlich gestellten Antrag, den Antragsgegner durch Erlass einer einstweiligen Anordnung nach § 123 Abs. 1 VwGO zu verpflichten, den Antragsteller bis zur Entscheidung im Verwaltungsverfahren zu dulden, hätte stattgeben müssen.
Das Verwaltungsgericht hat den Antrag mit der Begründung abgelehnt, dem Antragsteller stehe gegen den Antragsgegner kein Anordnungsanspruch auf Aussetzung der Abschiebung wegen des geltend gemachten inlandsbezogenen Abschiebungshindernisses (Bindung zu Ehefrau und Kind) zu, nachdem das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge mit Bescheid vom 1. Dezember 2011 den Asylantrag des Antragstellers für unzulässig erklärt und die Abschiebung gemäß § 34a Abs. 1 Satz 1 AsylVfG nach Norwegen angeordnet habe. Denn nicht dem Antragsgegner, sondern dem Bundesamt obliege in diesem Zusammenhang die Prüfung inlandsbezogener Abschiebungshindernisse.
Fehl geht der Einwand des Antragstellers, aus § 72 Abs. 2 AufenthG folge, dass das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge nur für die Prüfung von Abschiebungshindernissen nach § 60 Abs. 2 bis 5 und Abs. 7 AufenthG zuständig sei, nicht hingegen von inlandsbezogenen Abschiebungshindernissen (§ 60a Abs. 2 Satz 1 AufenthG). Denn § 72 Abs. 2 AufenthG, wonach die Ausländerbehörde u.a. über das Vorliegen eines zielstaatsbezogenen Abschiebungshindernisses nach § 60 Abs. 2 bis 5 oder Abs. 7 nur nach vorheriger Beteiligung des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge entscheidet, ist vorliegend nicht einschlägig. Vielmehr folgt die (alleinige) Zuständigkeit des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge für die Prüfung, ob der Abschiebung eines Asylantragstellers in einen sicheren Drittstaat (§ 26a AsylVfG) oder - wie vorliegend - in einen für die Durchführung eines Asylverfahrens zuständigen Staates (§ 27a AsylVfG) inlandsbezogene Abschiebungshindernisse oder Duldungsgründe (§ 60a Abs. 2 Satz 1 AufenthG) entgegenstehen, aus § 5 Abs. 1 Satz 2 i.V.m. § 34a Abs. 1 Satz 1 AsylVfG. § 34a Abs. 1 Satz 1 AsylVfG bestimmt, dass das Bundesamt die Abschiebung anordnet, „sobald feststeht, dass sie durchgeführt werden kann“. Danach muss zunächst die Übernahmebereitschaft des Drittstaats, in den abgeschoben werden soll, abschließend geklärt sein. Voraussetzung für den Erlass der Abschiebungsanordnung ist jedoch auch, dass die Abschiebung nicht aus in der Person des Ausländers liegenden Gründen rechtlich oder tatsächlich unmöglich ist (vgl. Funke-Kaiser in: GK-AsylVfG, Stand: Dezember 2011, § 34a AsylVfG Rn. 15). Somit ist das Bundesamt anders als bei der Entscheidung über Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 2 bis 5 und Abs. 7 AufenthG im Zusammenhang mit dem Erlass einer Abschiebungsandrohung im Sinne von § 34 AsylVfG (vgl. dazu BVerwG, Urteil vom 11. November 1997 - 9 C 13.96 -, BVerwGE 105, 322, 324) bei der Abschiebungsanordnung gemäß § 34a Abs. 1 Satz 1 AsylVfG nicht auf die Prüfung von so genannten zielstaatsbezogenen Abschiebungshindernissen beschränkt (vgl. VGH Bad.-Württ. Beschluss vom 31. Mai 2011 - A 11 S 1523/11 -, juris Rn. 4; OVG Hamburg, Beschluss vom 3. Dezember 2010 - 4 Bs 223/10 -, juris Rn. 12; OVG Nordrh.-Westf., Beschluss vom 30. August 2011 - 18 B 1060/11 -, juris Rn. 4; OVG Meckl.-Vorp., Beschluss vom 29. November 2004 - 2 M 299/04, juris Rn. 9).
Hierfür sprechen insbesondere auch Sinn und Zweck von § 34a AsylVfG und die mit der Vorschrift umgesetzten gemeinschaftsrechtlichen Regelungen. Ist ein Asylantrag nach § 27a AsylVfG unzulässig, weil ein anderer Staat aufgrund von Rechtsvorschriften der Europäischen Union für die Durchführung des Asylverfahrens zuständig ist, dient die Abschiebungsanordnung der Umsetzung der nach der Verordnung (EG) Nr. 343/2003 des Rates vom 18. Februar 2003 zur Festlegung der Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedstaates, der für die Prüfung eines von einem Drittstaatsangehörigen in einem Mitgliedstaat gestellten Asylantrag zuständig ist (ABl. L 50, S. 1) – Dublin II VO – vorgesehenen Überstellung des Asylbewerbers in den für die Durchführung des Asylverfahrens zuständigen Mitgliedstaat. Das Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedstaates, der für die Prüfung eines Asylantrages zuständig ist, soll nach den Reglungen der Verordnung möglichst zügig durchgeführt und durch die Überstellung des Asylantragstellers in den aufnahmebereiten Mitgliedstaat möglichst kurzfristig abgeschlossen werden. Wie sich aus den relativ kurzen Fristen, die sowohl dem um die Aufnahme des Drittstaatsangehörigen ersuchten Mitgliedstaat für eine entsprechende Antwort gegenüber dem ersuchenden Staat gesetzt sind (vgl. Art. 20 Abs. 1 Buchst. b Dublin II VO), als auch aus der Frist ergibt, innerhalb derer ein Asylbewerber in den Mitgliedstaat, der seiner Aufnahme zugestimmt hat, zu überstellen ist (vgl. Art. 19 Abs. 3 Dublin II VO), bezweckt die Verordnung hauptsächlich, die Bearbeitung der Anträge im Interesse sowohl der Asylbewerber als auch der teilnehmenden Staaten zu beschleunigen (vgl. EuGH, Urteil vom 21. Dezember 2011 - C-411/10 u.a. -, juris Rn. 79). Dementsprechend sieht auch das nationale Recht durch den Verzicht auf eine vorherige Androhung der Abschiebung und eine Fristsetzung eine beschleunigte Durchführung des Überstellungverfahrens vor. Dem Beschleunigungsgebot würde es widersprechen, wenn das Bundesamt zwar für die Anordnung der Abschiebung nach § 34a Abs. 1 Satz 1 AsylVfG zuständig wäre, aber vor der Überstellung in den aufnahmebereiten Mitgliedstaat nicht dieses, sondern die Ausländerbehörde zu prüfen hätte, ob gegebenenfalls tatsächliche oder rechtliche Hindernisse in der Person des Antragstellers einer Abschiebung entgegenstehen (vgl. OVG Hamburg, Beschluss vom 3. Dezember 2010 - 4 Bs 223/10 -, juris Rn. 14).
Außerdem weist die vom Verwaltungsgericht in Bezug genommene Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts Hamburg (a.a.O., Rn. 15) zutreffend darauf hin, dass die Möglichkeit gegenläufiger Entscheidungen des Bundesamtes und der Ausländerbehörde gegen eine Zuständigkeit der Ausländerbehörde für die Prüfung von inlandsbezogenen Abschiebungshindernissen spricht. Dazu könnte es kommen, wenn die Ausländerbehörde in Bezug auf einen Asylantragsteller ein Abschiebungshindernis von unbestimmter Dauer feststellt, etwa aus den vom Antragsteller hier geltend gemachten Gründen familiärer Bindung, und deshalb dessen Überstellung in den für das Asylverfahren zuständigen Staat trotz Vorliegens einer Abschiebungsanordnung nach § 34a Abs. 1 Satz 1 AsylVfG auf unbestimmte Zeit aussetzt, das Bundesamt hingegen an seiner Anordnung festhält und insbesondere von seinem Selbsteintrittsrecht gemäß Art. 3 Abs. 2 Dublin II VO keinen Gebrauch macht. Da eine Aussetzungsentscheidung der Ausländerbehörde nach § 60a Abs. 2 AufenthG gegenüber dem Bundesamt keine Bindungswirkung hat (vgl. Funke-Kaiser, a.a.O., § 27a Rn. 221), könnte der Asylantragsteller zwar auf unabsehbare Zeit nicht aus dem Bundesgebiet abgeschoben werden, er wäre zugleich aber auch an der Verfolgung seines - ggf. begründeten - Asylantrages, für den ein anderer Staat zuständig ist, wegen seines hiesigen Aufenthaltes gehindert.
Daher sind die vom Antragsteller mit der Beschwerde geltend gemachten inlandsbezogenen Abschiebungshindernisse nicht im vorliegenden Verfahren gegen den Antragsgegner, sondern vom Bundesamt für Migration und Flüchtlinge und ggf. in einem gegen dessen Entscheidung erhobenen – auch vorläufigen – Rechtsschutzverfahren zu prüfen (vgl. zur Zulässigkeit vorläufigen Rechtsschutzes trotz der Regelung des § 34a Abs. 2 AsylVfG in Fällen des § 27a AsylVfG: Funke-Kaiser, a.a.O., § 34a AsylVfG Rn. 89 ff; Bergmann in: Renner, Ausländerrecht, 9. Aufl. 2011, § 27a AsylVfG Rn. 4; ferner grundlegend zur verfassungsrechtlichen Zulässigkeit des Ausschlusses vorläufigen Rechtsschutzes in Fällen des § 26a AsylVfG nur innerhalb des Konzeptes „normativer Vergewisserung“: BVerfG, Urteil vom 14. Mai 1996 – 2 BvR 1938/93 und 2315/93 -, BVerfGE 94, 49 [95 unten, 99]).
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 47 Abs. 1, § 53 Abs. 2 Nr. 1, § 52 Abs. 2 GKG.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO, § 68 Abs. 1 Satz 5 i.V.m. § 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).