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Umsatzsteuer 2005


Metadaten

Gericht FG Berlin-Brandenburg 5. Senat Entscheidungsdatum 21.03.2013
Aktenzeichen 5 K 5274/11 ECLI
Dokumententyp Urteil Verfahrensgang -
Normen

Tenor

Die Klage wird abgewiesen.

Die Kosten des Verfahrens werden der Klägerin auferlegt.

Tatbestand

Die Klägerin wurde im Jahr 2005 von den Spitzenverbänden des Gesundheitswesens zum Zweck der Entwicklung, Einführung und Pflege der so genannten elektronischen Gesundheitskarte gegründet, die die bis dahin verwendete Krankenversicherungskarte ablösen sollte. Aufgabe der Klägerin waren zunächst der Aufbau und der Betrieb der erforderlichen Telematikinfrastruktur (§ 291 a Abs. 7 SGB V). Durch gesetzliche Regelung vom 26.3.2007 wurde der Klägerin auch die Zulassung von Komponenten und Diensten der Telematikinfrastruktur sowie der Anbieter, die für den operativen Betrieb zuständig waren, übertragen (§ 291 b Abs. 1 a bis 1c SGB V). Sie war berechtigt, Entgelte für die Durchführung der Zulassungsverfahren entsprechend dem vom Bundesministerium für Gesundheit genehmigten Entgeltkatalog zu erheben. Das Stammkapital von 1 Mio. € wurde durch Einlagen der Gesellschafter erbracht und durfte längstens für zwei Jahre zur Deckung der laufenden Kosten verwendet werden. Die weitere Finanzierung ab 2008 erfolgte durch Zahlungen des Spitzenverbandes Bund der Krankenkassen, die sich auf 0,50 € bzw. 1,00 € je Mitglied der gesetzlichen Krankenversicherungen beliefen (§ 291a Abs. 7 Satz 4 SGB V. u. F.).

Die Klägerin erzielte in den Jahren 2005-2010 keine Umsätze, erste Umsätze tätigte sie im Jahr 2011. Nachdem sie für 2005 zunächst Umsätze und Vorsteuern i. H. v. 0,00 € erklärt hatte, errechnete sie in einer berichtigten Jahreserklärung einen Vorsteuer-Erstattungsbetrag i. H. v. 588.772,70 €. Im Anschluss an eine Umsatzsteuer-Sonderprüfung versagte der Beklagte den Vorsteuerabzug, da die Klägerin die Eingangsleistungen zur Entwicklung der Telematikinfrastruktur und damit für ihren nichtunternehmerischen Bereich bezogen habe.

Zur Begründung ihrer Klage macht die Klägerin im Wesentlichen geltend, die Voraussetzungen für den Vorsteuerabzug lägen vor. Die von dem Beklagten versuchte Aufspaltung ihrer Tätigkeit in einen unternehmerischen und einen nichtunternehmerischen Bereich gehe an den tatsächlichen Gegebenheiten vorbei und diene lediglich dem Zweck einer maximalen Umsatzbesteuerung. Sie - die Klägerin - habe sich von Beginn an als Unternehmerin betätigt. Die Unternehmereigenschaft beginne mit dem ersten nach außen erkennbaren, auf eine Unternehmertätigkeit gerichteten Tätigwerden, so dass die Entwicklungsleistungen Ausdruck ihrer unternehmerischen Tätigkeit seien. Diese seien kein Selbstzweck, sondern stünden im unmittelbaren zweckgerichteten Zusammenhang mit der späteren Zulassung der Komponenten und Dienste, für die sie - die Klägerin - Entgelte habe berechnen dürfen. Die Entwicklungsleistungen seien demnach zwingende Vorleistung der späteren Zulassungsverfahren. Hieran ändere weder die gesetzliche Aufgabenzuweisung etwas noch der Umstand, dass die Erstellung der Telematikinfrastruktur unentgeltlich habe erfolgen müssen. Die Vorfinanzierung von Produkten und Dienstleistungen durch die Gesellschafter sei eine absolut marktübliche Situation und führe nicht dazu, dass hinsichtlich des vorfinanzierten Aufwandes aus der Entwicklung keine unternehmerische Betätigung vorliege.

Entscheidend für das Recht zum Vorsteuerabzug sei allein, dass die Aufwendungen für die bezogenen Leistungen zu den Kostenelementen der Ausgangsumsätze oder zu den allgemeinen Aufwendungen gehörten und direkt und unmittelbar mit der wirtschaftlichen Gesamttätigkeit des Unternehmers zusammenhingen. Auch komme es nicht darauf an, Gewinne zu erwirtschaften. Maßgeblich sei allein die Absicht, ein Entgelt zu erzielen. Würden die Entwicklungskosten erst dann in die allgemeinen Kostenelemente einfließen, wenn die Kosten der konkreten Haupttätigkeit (Zulassung) gedeckt seien, hätte ein Unternehmen, das Verluste erwirtschafte, niemals einen Vorsteuerabzug hinsichtlich seiner Allgemeinkosten. Dieser Ansatz widerspräche jedoch der Neutralität der Umsatzsteuer. Schließlich gehe die Finanzverwaltung selbst davon aus, dass Grundlagenforschung der Förderung der Verkaufstätigkeit und dem Marktauftritt diene und deshalb im Rahmen des Unternehmens erbracht werde.

Die Klägerin beantragt,

unter Änderung des Bescheides vom 19.06.2009 und Aufhebung der Einspruchsentscheidung vom 21.06.2011 die Umsatzsteuer 2005 in Höhe von -588.772,70 € festzusetzen,

hilfsweise Beweis über die bereits im Streitjahr bestehende Absicht der Klägerin zu erheben, Leistungen gegen Entgelt zu erbringen, und zwar durch Vernehmung des damaligen Geschäftsführers der Klägerin sowie weitere zu benennende Zeugen.

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen,

hilfsweise, der Klägerin aufzugeben, Unterlagen über ihre damalige Finanzplanung vorzulegen.

Er ist der Auffassung, die Klägerin habe zumindest im Jahr 2005 davon ausgehen müssen, dass der gesamte Aufbau der Telematikinfrastruktur ausschließlich von ihren Gesellschaftern zu finanzieren gewesen sei. Denn erst mit Wirkung zum 01.04.2007 sei § 291 Buchst. b SGB V um die Abs. 1a, 1b und 1c ergänzt und der Klägerin das Recht eingeräumt worden, für Zulassungen ein Entgelt zu verlangen. Im Jahr 2005 habe die Klägerin daher nicht mit dem Willen handeln können, Einnahmen zu erzielen. Sie habe ausschließlich in Erfüllung des gesetzlichen Auftrags gehandelt und zum damaligen Zeitpunkt mit einer Vergütung durch Dritte nicht rechnen können. Außerdem sei die Zuständigkeit für das Zulassungsverfahren der Klägerin erst zum 1.4.2007 zugewiesen worden, nachdem anfänglich allein die Verpflichtung bestanden habe, die erforderliche Infrastruktur aufzubauen. Der Gesetzgeber habe zudem vorgesehen, dass die erlangten Kenntnisse unentgeltlich veröffentlicht würden (Bundestags-Drucksache 16/3100 Seite 174, zu Abs. 1a). Im Rahmen der Zulassungsverfahren prüfe die Klägerin also nur, ob die angemeldeten Komponenten und Dienste den zuvor veröffentlichten Anforderungen genügten. Die Bereitstellung der Informationen bezüglich der Kompatibilität erfolge bereits vorher und unentgeltlich.

Schließlich dürften laut Gesetz Gebühren lediglich für den Aufwand des Zulassungsverfahrens erhoben werden. Dies schließe somit aus, dass die Errichtung der Infrastruktur in irgendeiner Weise wirtschaftlich mit dem Zulassungsverfahren zu tun habe. Daher seien auch die Entwicklung und die Zulassung nicht als ein einheitliches Verfahren zu sehen.

Dem Gericht haben bei seiner Entscheidung neben der Verfahrensakte ein Band Umsatzsteuerakten, ein Aktenband mit Umsatzsteuer-Voranmeldungen sowie neun Ordner mit Rechnungen der Klägerin vorgelegen.

Entscheidungsgründe

Die Klage ist unbegründet.

Der angefochtene Bescheid ist rechtmäßig. Der Beklagte hat den Vorsteuerabzug im Ergebnis zu Recht versagt.

Der Unternehmer kann die gesetzlich geschuldete Steuer für Lieferungen oder sonstige Leistungen, die von anderen Unternehmern für sein Unternehmen ausgeführt werden, als Vorsteuer abziehen (§ 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 UStG). Unternehmer ist nach der Definition des § 2 Abs. 1 UStG, wer eine gewerbliche oder berufliche Tätigkeit selbständig und nachhaltig zur Erzielung von Einnahmen ausübt. Beim Bezug von Leistungen handelt bereits als Unternehmer bzw. als Steuerpflichtiger im Sinne von Art. 4 der Richtlinie 77/388/EWG, wer die durch objektive Anhaltspunkte belegte Absicht hat, eine wirtschaftliche bzw. unternehmerische Tätigkeit selbständig auszuüben und erste Investitionsausgaben für diese Zwecke tätigt. Die Frage, ob eine Leistung für unternehmerische Zwecke und damit für eine den Vorsteuerabzug eröffnende Verwendung bezogen wird, entscheidet sich durch eine abschließende Prognose im Zeitpunkt ihres Bezugs (Bunjes/Heidner UStG 9. Auflage § 15 Rz. 106).

Nach diesen allgemeinen Rechtsgrundsätzen kann von einer Unternehmereigenschaft der Klägerin im Streitjahr 2005 nicht ausgegangen werden.

Diese Beurteilung beruht entscheidend auf der Gesetzeslage, wie sie sich nach § 291 a Abs. 7 i. V. m. § 291 b Abs. 1 SGB V in dem hier maßgeblichen Zeitraum darstellt. Danach war einziger Zweck der Klägerin die Schaffung der Telematikinfrastruktur im Wege der in § 291 Buchst. b Abs. 1 SGB V näher beschriebenen Maßnahmen. Nach Satz 3 der letztgenannten Bestimmung durfte die Klägerin Aufgaben nur insoweit wahrnehmen, wie dies zur Herstellung einer interoperablen und kompatiblen Telematikinfrastruktur erforderlich war. Erst mit Gesetz vom 26.3.2007 wurde der Aufgabenbereich der Klägerin mit Wirkung zum 1.4.2007 erweitert: Nach § 291 b Abs. 1 a und Abs. 1 b SGB V wurden ihr das Zulassungsverfahren für die Komponenten und Dienste der Telematikinfrastruktur und die Auftragsvergabe für die Durchführung des operativen Betriebs übertragen. Zur Erfüllung dieser weiteren Aufgaben war die Klägerin nach § 291 b Abs. 1 c SGB V berechtigt, Entgelte zu verlangen.

Aus dieser Gesetzesentwicklung wird deutlich, dass die Klägerin im Gründungsjahr 2005 - und nur um dieses geht es hier - ausschließlich mit Entwicklungstätigkeiten betraut war. Die Frage der Erbringung entgeltlicher Leistungen stellte sich im Jahr 2005 nicht. Es ist auch nichts dafür ersichtlich, dass im Jahr 2005 die Erzielung von Einnahmen absehbar oder auch nur geplant war. Vielmehr war die Finanzierung der Entwicklungsleistung im Gesellschaftsvertrag bis einschließlich 2007 über das Stammkapital und ab 2008 durch gestaffelte Zahlungen des Spitzenverbandes Bund der Krankenkassen festgeschrieben worden. Hierin liegt auch der entscheidende Unterschied zu den zum Zwecke der Produktentwicklung und -vermarktung erfolgenden Forschungs- und Entwicklungsleistungen, die von den Unternehmen zunächst vorfinanziert werden, im Ergebnis aber durch die Verkaufspreise finanziert werden. Dort werden Entwicklungskosten zielgerichtet zur Ausführung späterer Umsätze aufgewendet, während hier die Interessenlage des Gesetzgebers darauf beschränkt war, die Telematikinfrastruktur von der Klägerin auf eigene Kosten entwickeln zu lassen.

Unter diesen Umständen konnte die Klägerin im Streitjahr schlechterdings nicht die Absicht gehabt haben, künftig Umsätze zu tätigen und Einnahmen zu erzielen, zumal auch nach § 3 des Gesellschaftsvertrages ihre Tätigkeit ausdrücklich auf den ihr vom Gesetzgeber übertragenen Tätigkeitsbereich beschränkt war. Bei objektiver Betrachtung war im Streitjahr somit von der Ausführung entgeltlicher Leistungen nicht auszugehen. Aus diesem Grunde musste das Gericht auch der hilfsweise beantragten Beweiserhebung nicht entsprechen, da ein etwaiger Wille der Geschäftsführung zu Ausführung entgeltlicher Leistungen aufgrund der anderslautenden Gesetzes- und Vertragslage unbeachtlich gewesen wäre.

Der Klägerin steht der Vorsteuerabzug im Streitjahr auch nicht unter dem Gesichtspunkt zu, dass die Aufwendungen für die bezogenen Leistungen – wie sie meint – zu den Kostenelementen der Ausgangsumsätze oder zu den allgemeinen Aufwendungen gehört und unmittelbar mit der wirtschaftlichen Gesamttätigkeit ihres Unternehmens zusammen gehangen haben (vgl. dazu auch Urteil des BFH vom 9.2.2012 V R 40/10, BStBl II 2012, 844 zum Vorsteuerabzug einer Holding). Denn die Klägerin war – wie ausgeführt – im Streitjahr gerade nicht auf Ausgangsumsätze ausgerichtet. Folglich können die Aufwendungen auch nicht zu den Kostenelementen von Ausgangsumsätzen gehört haben. Wegen der fehlenden Ausrichtung lag – wie bereits ebenfalls ausgeführt – auch keine wirtschaftliche, d. h. unternehmerische Tätigkeit der Klägerin vor.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 Finanzgerichtsordnung -FGO-.

Der Senat hat die Revision nicht zugelassen, weil die Voraussetzungen des § 115 FGO nicht vorliegen.