Gericht | OVG Berlin-Brandenburg 2. Senat | Entscheidungsdatum | 29.12.2011 | |
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Aktenzeichen | OVG 2 N 27.09 | ECLI | ||
Dokumententyp | Beschluss | Verfahrensgang | - | |
Normen | § 124 Abs 2 Nr 1 VwGO, § 124 Abs 2 Nr 3 VwGO, § 124a Abs 4 S 4 VwGO, § 2 Abs 3 S 1 AufenthG, § 5 Abs 1 Nr 1 AufenthG, § 27 Abs 3 S 1 AufenthG, § 28 Abs 1 S 1 Nr 1 AufenthG, § 28 Abs 1 S 3 AufenthG |
Der Antrag der Beklagten auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Berlin vom 10. Dezember 2008 wird abgelehnt.
Die Beklagte trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens mit Ausnahme der außergerichtlichen Kosten des Beigeladenen, die dieser selbst trägt.
Der Streitwert wird für die zweite Rechtsstufe auf 5.000 Euro festgesetzt.
Der Antrag der Beklagten auf Zulassung der Berufung hat keinen Erfolg. Ein Zulassungsgrund (§ 124 Abs. 2 VwGO) besteht auf der Grundlage des im Hinblick auf das Darlegungserfordernis (§ 124 a Abs. 4 Satz 4 VwGO) allein maßgeblichen Vorbringens der Beklagten nicht.
1. Das Zulassungsvorbringen ergibt keine ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des Urteils des Verwaltungsgerichts (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO). Derartige Zweifel bestehen dann, wenn ein einzelner tragender Rechtssatz oder eine erhebliche Tatsachenfeststellung der angegriffenen Entscheidung mit schlüssigen Gegenargumenten in Frage gestellt werden und nicht nur die Begründung der angefochtenen Entscheidung oder nur einzelne Elemente dieser Begründung, sondern auch die Richtigkeit des Ergebnisses der Entscheidung derartigen Zweifeln unterliegt. Hat das Verwaltungsgericht seine Entscheidung auf mehrere jeweils selbständig tragende Gründe gestützt, müssen die Darlegungsanforderungen hinsichtlich jedes einzelnen tragenden Entscheidungsgrundes erfüllt sein.
Das Verwaltungsgericht hat der auf Erteilung eines Visums zum Nachzug des Klägers zu seiner deutschen Ehefrau gerichteten Klage stattgegeben. Zur Begründung hat es ausgeführt, dass besondere Umstände, die es erlaubten, den Nachzug im Hinblick auf die Regelung des § 28 Abs. 1 Satz 3 AufenthG ausnahmsweise von der Sicherung des Lebensunterhalts abhängig zu machen, nicht vorlägen, da es dem deutschen Kind der Ehefrau des Klägers, für das diese allein sorgeberechtigt sei, nicht zuzumuten sei, mit ihr nach Kasachstan auszureisen. Die Beklagte und der Beigeladene könnten sich auch nicht ermessensfehlerfrei auf den Versagungsgrund des § 27 Abs. 3 Satz 1 AufenthG berufen. Das Ermessen nach dieser Vorschrift sei zwar eröffnet, aber hier in der Weise beschränkt, dass von der Versagungsbefugnis nicht Gebrauch gemacht werden dürfe.
a) Die dagegen gerichteten Einwendungen der Beklagten, die sich allein auf die Annahme beziehen, die Visumserteilung könne nicht gemäß § 27 Abs. 3 Satz 1 AufenthG versagt werden, bleiben ohne Erfolg.
Es bedarf dabei keiner Entscheidung, ob die Einwendungen der Beklagten gegen die Annahme des Verwaltungsgerichts durchgreifen, § 27 Abs. 3 Satz 1 AufenthG habe den Zweck, nachrangig Unterhaltsberechtigten die Unterhaltsleistung des Verpflichteten zu erhalten und die Träger von Leistungen nach dem SGB II oder XII vor weiteren Verpflichtungen gegenüber nachrangig Unterhaltsberechtigten zu schützen, und nur dieser begrenzte Zweck der Ermächtigung sei bei einer auf § 27 Abs. 3 Satz 1 AufenthG gestützten Entscheidung auf Seiten des öffentlichen Interesses in die Abwägung mit den privaten Interessen am Nachzug einzustellen.
Die Beklagte hat jedenfalls die weitere, selbständig tragende Erwägung des Verwaltungsgerichts nicht erfolgreich angegriffen, wonach – selbst wenn man zu den Zwecken des § 27 Abs. 3 Satz 1 AufenthG die Vermeidung weiterer Belastungen des Sozialhilfesystems durch den Nachziehenden zählte – dieser Zweck im Falle des Nachzugs zu Deutschen nicht angeführt werden könne, solange ein Ausnahmefall im Sinne des § 28 Abs. 1 Satz 3 AufenthG nicht vorliege; denn § 28 Abs. 1 AufenthG enthalte eine der Bestimmung des § 27 Abs. 3 Satz 1 AufenthG vorgehende speziellere Regelung.
Ohne Erfolg wendet die Beklagte hiergegen ein, das Verwaltungsgericht habe selbst dargelegt, dass § 27 Abs. 3 Satz 1 AufenthG auch für den Nachzug zu Deutschen gelte. Die Beklagte übergeht dabei, dass das Verwaltungsgericht die Versagungsbefugnis nach § 27 Abs. 3 Satz 1 AufenthG nur zu dem Zweck als eröffnet angesehen hat, nachrangig Unterhaltsberechtigten die Unterhaltsleistung des Verpflichteten zu erhalten und die Träger von Leistungen nach dem SGB II oder XII vor weiteren Verpflichtungen gegenüber nachrangig Unterhaltsberechtigten zu schützen. Damit steht es nicht in Widerspruch, wenn das Verwaltungsgericht in Bezug auf den Zweck, die Träger öffentlicher Leistungen vor einer Inanspruchnahme durch den Nachziehenden selbst zu schützen, von einer in § 28 Abs. 1 Satz 1 und 3 AufenthG getroffenen Spezialregelung ausgegangen ist.
Im Übrigen bleiben die Angriffe der Beklagten gegen den vom Verwaltungsgericht angenommenen Vorrang des § 28 Abs. 1 Satz 1 und Satz 3 AufenthG als Spezialregelung gegenüber § 27 Abs. 3 Satz 1 AufenthG jedenfalls deshalb ohne Erfolg, weil die letztgenannte Bestimmung auf den hier vorliegenden Sachverhalt nicht anwendbar ist. Wie nämlich das Bundesverwaltungsgericht inzwischen im Zusammenhang damit, dass für die Sicherung des Lebensunterhalts (§ 5 Abs. 1 Nr. 1 i.V.m. § 2 Abs. 3 Satz 1 AufenthG) auf die Bedarfsgemeinschaft im sozialrechtlichen Sinne abzustellen ist, herausgestellt hat, bezieht sich der Versagungsgrund des § 27 Abs. 3 Satz 1 AufenthG nur auf nicht zur familiären Bedarfsgemeinschaft gehörende andere Familienangehörige oder Haushaltsangehörige des stammberechtigten Ausländers. Der Bezug von Leistungen nach dem SGB II ist, soweit er bereits bei der Regelerteilungsvoraussetzung zu berücksichtigen ist, nicht zusätzlich noch von § 27 Abs. 3 Satz 1 AufenthG erfasst (vgl. BVerwG, Urteil vom 16. November 2010 – 1 C 20.09 –, juris Rn. 27). So verhält es sich hier. Durch den Nachzug des Klägers entstünde eine Bedarfsgemeinschaft aus dem Kläger, seiner Ehefrau und deren Sohn, mit dem sie schon bisher in einer Bedarfsgemeinschaft zusammenlebt (vgl. § 7 Abs. 3 Nr. 1, Nr. 3 Buchst. a und Nr. 4 SGB II). Der Unterhaltsbedarf des Sohnes ist deshalb bereits bei der Beurteilung der Unterhaltssicherung der Bedarfsgemeinschaft – soweit es hierauf nach § 28 Abs. 1 Satz 3 AufenthG ankommt – zu berücksichtigen. Er wird deshalb nicht zusätzlich von § 27 Abs. 3 Satz 1 AufenthG erfasst.
2. Die Berufung ist auch nicht wegen der von der Beklagten angenommenen grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache zuzulassen (§ 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO). Wird die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache geltend gemacht, so ist erforderlich, dass eine bisher weder höchstrichterlich noch obergerichtlich beantwortete konkrete und zugleich entscheidungserhebliche Rechts- oder Tatsachenfrage aufgeworfen und zugleich erörtert wird, warum sie über den Einzelfall hinaus bedeutsam ist und im Interesse der Rechtseinheit oder Rechtsfortbildung der Klärung in einem Berufungsverfahren bedarf.
Die von der Beklagten als klärungsbedürftig bezeichneten Fragen nach dem Zweck der Ermächtigung des § 27 Abs. 3 Satz 1 AufenthG und dem Verhältnis dieser Regelung zu § 28 Abs. 1 Satz 3 AufenthG sind aber durch die oben genannte Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts zum Anwendungsbereich des § 27 Abs. 3 Satz 1 AufenthG für den hier vorliegenden Sachverhalt bereits geklärt.
3. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2, § 162 Abs. 3 VwGO. Einer Entscheidung über die Beschwerde des Klägers gegen den die Bewilligung von Prozesskostenhilfe zurückweisenden Beschluss des Senats vom 22. September 2009 bzw. gegen den darin liegenden erneuten Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe bedarf es danach nicht mehr. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 47 Abs. 1 und 3, § 52 Abs. 2 GKG.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO, § 68 Abs. 1 Satz 5 i.V.m. § 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).