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Entscheidung 13 UF 234/14


Metadaten

Gericht OLG Brandenburg 4. Senat für Familiensachen Entscheidungsdatum 11.10.2016
Aktenzeichen 13 UF 234/14 ECLI
Dokumententyp Beschluss Verfahrensgang -
Normen

Leitsatz

Erzielt ein Unterhaltsschuldner seit Jahren als kaufmännischer Angestellter kein den Kindesunterhalt sicherndes Einkommen, so kann sich der Unterhaltspflichtige gegenüber seinen minderjährigen Kindern nicht darauf berufen, eine solche wirtschaftlich unzureichende Tätigkeit zu ihren Lasten ausüben zu wollen (vgl. OLG Koblenz, FamRZ 2009, 1921; OLG Saarbrücken Beschluss vom 28.04.2010 - 9 WF 41/10, zitiert nach juris, jew. zur selbständigen Tätigkeit). Bei dieser Sachlage obliegt es einem Unterhaltsschuldner, seine bisherige Tätigkeit aufzugeben und in ein lukrativeres Arbeitsverhältnis zu wechseln (vgl. OLG Naumburg FamRZ 2008, 2230, ebenfalls zur Selbständigkeit).

Tenor

I. Auf die Beschwerde des Antragsgegners und unter Zurückweisung seiner weitergehenden Beschwerde wird der Antragsgegner in Abänderung des angefochtenen Beschlusses des Amtsgerichts – Familiengerichts – Nauen vom 07.10.2014 - 23 F 94/14 – verpflichtet, Kindesunterhalt für den am 09.06.2004 geborenen Antragsteller wie folgt zu zahlen:

246 € monatlich ab Januar 2014,
207 € monatlich ab Januar 2015,
211 € monatlich ab Januar 2016 und
232 € monatlich ab Juni 2016.

Von den Kosten des Rechtsstreits haben der Antragsteller 13 % und der Antragsgegner 87 % zu tragen.

Dieser Beschluss ist für die ab Dezember 2016 fällig werdenden Forderungen sofort wirksam.

Der Verfahrenswert für das Beschwerdeverfahren wird auf bis zu 5000 € festgesetzt.

II. Dem Antragsteller wird Verfahrenskostenhilfe für das Beschwerdeverfahren bewilligt.

Dem Antragsgegner wird unter Zurückweisung seines Gesuchs im Übrigen Verfahrenskostenhilfe für das Beschwerdeverfahren bewilligt, soweit er sich gegen eine Verpflichtung zur Zahlung von mehr als den zuerkannten Unterhaltsansprüchen wendet. In Umfang der Bewilligung wird ihm wird Rechtsanwalt Schaaf, 13088 Berlin, beigeordnet.

Gründe

I.

Der beschwerdeführende Antragsgegner wendet sich gegen seine Verpflichtung zur Zahlung rückständigen und laufenden Mindestunterhalts für seinen am 09.06.2004 geborenen Sohn, den Antragsteller.

Dieser ist vermögenslos und lebt mit seinem am 09.11.2006 geborenen Bruder … bei seiner seit Juni 2007 von dem Antragsgegner getrennten und seit November 2010 geschiedenen Mutter.

Mit Schreiben vom 28.11.2013 forderte der Beistand den Antragsgegner zur Leistung von Mindestunterhalt auf (vgl. 4).

Der Antragsgegner hat sich unter Hinweis auf das Bestehen von insgesamt zwei Unterhaltsverpflichtungen für leistungsunfähig gehalten.

Mit dem angefochtenen Beschluss, auf den der Senat wegen der weiteren Einzelheiten des erstinstanzlichen Sach- und Streitstandes verweist, hat das Amtsgericht den Antragsgegner zur Zahlung des Mindestunterhalts verpflichtet. Die Leistungsunfähigkeit des Antragsgegners lasse sich mangels hinreichender Bewerbungsbemühungen nicht feststellen.

Mit seiner hiergegen gerichteten Beschwerde verfolgt der Antragsgegner sein Abweisungsbegehren uneingeschränkt weiter. Das Amtsgericht habe seine Leistungsunfähigkeit zu Unrecht verneint.

Er beantragt,

in Abänderung des Beschlusses des Amtsgerichts– Familiengericht – Nauen vom 7.10.2014 – 23 F 94/14 – den Antrag des Antragstellers abzuweisen.

Der Antragsteller beantragt,

die Beschwerde zurückzuweisen.

Er verteidigt den angefochtenen Beschluss.

Wegen der weiteren Einzelheiten des zweitinstanzlichen Sach- und Streitstandes verweist der Senat auf die Korrespondenz im Beschwerderechtszug. Er entscheidet, wie angekündigt (191), ohne mündliche Verhandlung (§§ 117 Abs. 3, 68 Abs. 2 Satz 2 FamFG), von der ein weiterer Erkenntnisgewinn nicht zu erwarten war.

II.

Die gemäß §§ 58 ff, 117 FamFG statthafte und auch im Übrigen zulässige Beschwerde des Antragsgegners hat nur teilweise Erfolg.

Sein Einwand der Leistungsunfähigkeit (vgl. § 1603 BGB) greift gegenüber dem Unterhaltsanspruch (§§ 1589 S. 1, 1601, 1602, 1610, 1612 a, 1612 b BGB), dessen Entstehungsvoraussetzungen dem Grunde nach unstreitig sind, nur in geringem Umfang durch.

Die Leistungsfähigkeit des Unterhaltsschuldners wird nicht nur durch sein tatsächlich vorhandenes Vermögen und Einkommen bestimmt, sondern auch durch seine Arbeits- und Erwerbsfähigkeit. Reichen seine tatsächlichen Einkünfte nicht aus, so trifft ihn unterhaltsrechtlich die Obliegenheit, die ihm zumutbaren Einkünfte zu erzielen, insbesondere seine Arbeitsfähigkeit so gut wie möglich einzusetzen und eine ihm mögliche Erwerbstätigkeit auszuüben. Kommt er dieser Erwerbsobliegenheit nicht nach, muss er sich so behandeln lassen, als ob er ein Einkommen, das er bei gutem Willen erzielen könnte, auch tatsächlich erzielt. Zum unterhaltsrechtlich relevanten Einkommen zählen daher auch Einkünfte, die der Unterhaltspflichtige in zumutbarer Weise erzielen könnte, aber tatsächlich nicht erzielt (Wendl/Dose, Unterhaltsrecht, 9. Aufl., § 1 Rn. 736 m.w.N.). Diese Erwerbsobliegenheit (vgl. § 1603 Abs. 1 BGB) ist regelmäßig nochmals gesteigert, wenn, wie hier, der Mindestunterhalt eines minderjährigen Kindes in Frage steht (vgl. § 1603 Abs. 2 S 1 BGB); sie kann dann auch einen möglichen Berufswechsel oder die Ausübung von Nebentätigkeiten neben einer vollschichtigen Tätigkeit umfassen. Hier ist ein beruflicher Wechsel unabweisbar.

Der Antragsgegner erzielt seit Jahren als kaufmännischer Angestellter bei 20 - 30 Wochenstunden in einem nur ihn beschäftigenden Unternehmen noch immer kein den Kindesunterhalt sicherndes sondern nach eigenem Vorbringen bloß ein monatliches Nettoeinkommen in Höhe von durchschnittlich 436,32 €. Dies lässt nur den Schluss zu, dass diese Tätigkeit entweder nicht lukrativ ist, weil das Einkommen in keinem Verhältnis zu dem Arbeitsaufwand steht und es sich insoweit als „Liebhaberei“ darstellt, oder aber tatsächlich höhere Einkünfte erzielt werden. Jedenfalls kann sich der Unterhaltspflichtige gegenüber seinen minderjährigen Kindern nicht darauf berufen, eine solche völlig unwirtschaftliche Tätigkeit zu ihren Lasten ausüben zu wollen (vgl. OLG Koblenz, FamRZ 2009, 1921; OLG Saarbrücken Beschluss vom 28.04.2010 - 9 WF 41/10, zitiert nach juris, jew. zur selbständigen Tätigkeit). Bei dieser Sachlage obliegt es einem Unterhaltsschuldner, seine bisherige Tätigkeit aufzugeben und in ein lukrativeres Arbeitsverhältnis zu wechseln (vgl. OLG Naumburg FamRZ 2008, 2230, ebenfalls zur Selbständigkeit).

Als Verkaufsberater könnte der Antragsgegner in Berlin ein durchschnittliches Bruttogehalt von 2.212,42 € erzielen (vgl. www.nettolohn.de). Die Tätigkeit als Verkaufsberater steht ihm offen. Die Stärke eines Verkaufsberaters liegt in der Kundenpflege, wobei auch die Erweiterung des Kundenstammes zu seinen Kernaufgaben gehört. Er bedient sich hierzu moderner Kommunikationstechniken und ist in der Lage, anlässlich persönlicher Kundenbesuche die Kunden auf der Basis ihrer Bedürfnisse und seiner sicheren Produktkenntnis kompetent und intensiv zu beraten. Da die Tätigkeit auch stark kaufmännisch geprägt ist, ist eine Ausbildung im Einzelhandel hilfreich, aber nicht Voraussetzung. Neben einer kaufmännischen Orientierung verfügen Verkaufsberater/-innen über ein fundiertes Wissen über die firmenbezogenen Produkte und Waren. Sie sind äußerst kontaktfreudig und sind in der Lage, in Kundengesprächen situationsbedingt den richtigen Ton zu treffen. Die Beratungen erfolgen zielgerichtet und erfolgsorientiert (vgl. https://www.nettolohn.de/gehaltsvergleich/gehalt/verkaufsberaterin-verkaufsberater-in-berlin-5669.html#second).

Dies alles entspricht dem Profil und den Erfahrungen des Antragsgegners, die er in seinem eindeutig vertriebsorientierten Lebenslauf mit starkem kaufmännischem Einschlag vorweisen kann (vgl. 143). Dass er neue Produktkenntnisse erlangen und sein Können auch auf Bereiche außerhalb der Musikbranche anzuwenden imstande ist, liegt nahe und deckt sich im Übrigen mit seiner aus seinen Bewerbungen ersichtlichen Selbsteinschätzung.

Dass dem jahrzehntelang im Vertrieb beheimateten Antragsgegner mit erheblicher kaufmännischer Erfahrung als Verkaufsberater keine realen Beschäftigungsmöglichkeiten offen stehen, ist nicht feststellbar; qualitativ zureichende Bewerbungsbemühungen lassen sich nicht feststellen. Abgesehen davon, dass sie nicht schriftsätzlich aufbereitet sind – die Vorlage einer bloßen Auflistung von Bewerbungsschreiben genügt den Anforderungen an eine substanziiertes Vorbringen nicht (vgl. Viefhues in: Herberger/Martinek/Rüßmann u.a., jurisPK-BGB, 8. Aufl. 2017, § 1603 BGB, Rn. 463) - fehlt es ganz überwiegend an der Mitteilung, welche Reaktionen er auf seine Bewerbungen erhalten hat (vgl. Wendl/Dose, Unterhaltsrecht, § 1 Die Ermittlung des unterhaltsrechtlich relevanten Einkommens Rn. 782 m.w.N.). Zudem erwecken sie, wie das Amtsgericht bereits zutreffend ausgeführt hat, vielfach den Eindruck der mangelnden Eignung oder Arbeitsunlust, da sie die Bewerbungsfristen missachten oder den konkreten Bezug des Antragsgegners zur angebotenen Stelle vermissen lassen, obwohl er die Stellenprofile mit seinem Lebenslauf erheblich deutlicher und spezifischer hätte verzahnen können (vgl. Viefhues in: Herberger/Martinek/Rüßmann u.a., jurisPK-BGB, 8. Aufl. 2017, § 1603 BGB, Rn. 455).

Der Senat verortet die Einkommensmöglichkeiten des Antragsgegners nach § 287 ZPO im mittleren Bereich, da der Antragsgegner einerseits über jahrzehntelange Vertriebserfahrungen verfügt, andererseits außerhalb der Musikbranche noch vor produktspezifischen Einarbeitungsnotwendigkeiten stehen kann. Das erzielbare durchschnittliche Bruttoeinkommen von 2.212,42 € entspricht bei Steuerklasse I, einem Kinderfreibetrag und Kirchensteuer monatsdurchschnittlich geschätzt etwa netto 1.504,14 € in 2016, netto 1.494,80 € in 2015 und 1.492,36 € in 2014 (vgl. AOK Gehaltsrechner; www.aok-business.de).

Der Senat hat sodann geprüft, ob den 1961 geborenen Antragsgegner bei einem lediglich fiktiv anzusetzenden, indessen weiterhin unzureichenden Einkommen eine Obliegenheit zur Ausübung einer weiteren Nebentätigkeit trifft (vgl hierzu BGH, Beschluss vom 22. Januar 2014 – XII ZB 185/12 –, Rn. 18, juris), und dies schlussendlich verneint; in Ansehung seines Alters, der Notwendigkeit sich in neue Produktgebiete einzuarbeiten, seines damit verbundenen gesteigerten Regenerationsbedürfnisses und nicht zuletzt zur unbeeinträchtigten Aufrechterhaltung des Umgangs mit seinen Söhnen sind dem Antragsgegner hinreichende Regenerationszeiten zuzubilligen.

Damit errechnen sich nach Nr. 24 LL unter Berücksichtigung wechselnder Einsatzbeträge, Selbstbehalte und Einkommen folgende gekürzte Unterhaltsansprüche:

        

A…    

 B…     

Selbst-
behalt

Einkommen

V-Masse

M-Anspruch

J-Anspruch

Jan. 14

272,00

272,00

1.000,00

1.492,36

492,36

246,00

246,00

Feb. 14

272,00

272,00

1.000,00

1.492,36

492,36

246,00

246,00

Mrz. 14

272,00

272,00

1.000,00

1.492,36

492,36

246,00

246,00

Apr. 14

272,00

272,00

1.000,00

1.492,36

492,36

246,00

246,00

Mai. 14

272,00

272,00

1.000,00

1.492,36

492,36

246,00

246,00

Jun. 14

272,00

272,00

1.000,00

1.492,36

492,36

246,00

246,00

Jul. 14

272,00

272,00

1.000,00

1.492,36

492,36

246,00

246,00

Aug. 14

272,00

272,00

1.000,00

1.492,36

492,36

246,00

246,00

Sep. 14

272,00

272,00

1.000,00

1.492,36

492,36

246,00

246,00

Okt. 14

272,00

272,00

1.000,00

1.492,36

492,36

246,00

246,00

Nov. 14

272,00

272,00

1.000,00

1.492,36

492,36

246,00

246,00

Dez. 14

272,00

272,00

1.000,00

1.492,36

492,36

246,00

246,00

Jan. 15

272,00

272,00

1.080,00

1.494,80

414,80

207,00

207,00

Feb. 15

272,00

272,00

1.080,00

1.494,80

414,80

207,00

207,00

Mrz. 15

272,00

272,00

1.080,00

1.494,80

414,80

207,00

207,00

Apr. 15

272,00

272,00

1.080,00

1.494,80

414,80

207,00

207,00

Mai. 15

272,00

272,00

1.080,00

1.494,80

414,80

207,00

207,00

Jun. 15

272,00

272,00

1.080,00

1.494,80

414,80

207,00

207,00

Jul. 15

272,00

272,00

1.080,00

1.494,80

414,80

207,00

207,00

Aug. 15

284,00

284,00

1.080,00

1.494,80

414,80

207,00

207,00

Sep. 15

284,00

284,00

1.080,00

1.494,80

414,80

207,00

207,00

Okt. 15

284,00

284,00

1.080,00

1.494,80

414,80

207,00

207,00

Nov. 15

284,00

284,00

1.080,00

1.494,80

414,80

207,00

207,00

Dez. 15

284,00

284,00

1.080,00

1.494,80

414,80

207,00

207,00

Jan. 16

289,00

289,00

1.080,00

1.501,14

421,14

211,00

211,00

Feb. 16

289,00

289,00

1.080,00

1.501,14

421,14

211,00

211,00

Mrz. 16

289,00

289,00

1.080,00

1.501,14

421,14

211,00

211,00

Apr. 16

289,00

289,00

1.080,00

1.501,14

421,14

211,00

211,00

Mai. 16

289,00

289,00

1.080,00

1.501,14

421,14

211,00

211,00

Jun. 16

355,00

289,00

1.080,00

1.501,14

421,14

232,00

189,00

Jul. 16

355,00

289,00

1.080,00

1.501,14

421,14

232,00

189,00

Aug. 16

355,00

289,00

1.080,00

1.501,14

421,14

232,00

189,00

Sep. 16

355,00

289,00

1.080,00

1.501,14

421,14

232,00

189,00

Okt. 16

355,00

289,00

1.080,00

1.501,14

421,14

232,00

189,00

Nov. 16

355,00

289,00

1.080,00

1.501,14

421,14

232,00

189,00

Die Wertfestsetzung für die Beschwerdeinstanz beruht auf §§ 55 Abs. 2, 51 Abs. 1 S 1, Abs. 2 FamGKG, die Kostenentscheidung auf § 243 S 2 Nr. 1 FamFG, die zur sofortigen Wirksamkeit auf § 116 Abs. 3 FamFG.

Anlass, die Rechtsbeschwerde zuzulassen (§ 70 Abs. 2 FamFG), besteht nicht.

III.

Im Umfang der Ablehnung des Verfahrenskostenhilfegesuchs beruht die Entscheidung auf fehlender Erfolgsaussicht (§§ 113 Abs. 1 FamFG, 114 Abs. 1, 119 Abs. 1 S. 1 ZPO), wie sich aus vorstehenden Ausführungen ergibt, auf die der Senat zur Vermeidung von Wiederholungen verweist.

Anlass, die Rechtsbeschwerde zuzulassen (§ 70 Abs. 2 FamFG), besteht nicht.