Gericht | LArbG Berlin-Brandenburg 23. Kammer | Entscheidungsdatum | 27.02.2013 | |
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Aktenzeichen | 23 Sa 1763/12 | ECLI | ||
Dokumententyp | Urteil | Verfahrensgang | - | |
Normen | § 8 EinzelHBBMantelTV |
1. Das Urteil des Arbeitsgerichts Berlin vom 03.08.2012 - 28 Ca 7089/11 - wird abgeändert und die Klage abgewiesen.
2. Die Kosten des Rechtsstreits hat der Kläger zu tragen.
3. Die Revision wird zugelassen.
Die Parteien streiten um die Zahlung tariflicher Nachtzuschläge.
Der Kläger ist seit dem 15.7.2002 bei der Beklagten bzw. ihrer Rechtsvorgängerin, der T-LOG T. Logistik- und Dienstleistungsgesellschaft mbH, als Kommissionierer beschäftigt. Die Beklagte erbringt logistische Dienstleistungen, die bei der Versorgung von Einzelhandelsfilialen mit Waren anfallen. Der Kläger wurde bei ihr in dem noch als streitbefangen verbliebenen Zeitraum vom 30.8.2010 bis zum 31.12.2010 im Logistikzentrum P. im wöchentlichen Wechsel in der Früh- und Spätschicht eingesetzt. Grundsätzlich begann die Frühschicht um 6:00 Uhr und endete um 14:45 Uhr. Die Spätschicht begann grundsätzlich um 14:45 Uhr und endete um 23:30 Uhr. Wegen der weiteren Einzelheiten der Schichteinteilung wird auf die eingereichten Schichtpläne (Blatt 226 bis 243 der Akte) Bezug genommen. Soweit der Kläger während der Schichten Nachtarbeit leistete, zahlte ihm die Beklagte gemäß § 8 des auf sein Arbeitsverhältnis anzuwendenden Manteltarifvertrages für den Berliner Einzelhandel (MTV) einen Zuschlag von 20 %. § 8 MTV hat, soweit vorliegend von Bedeutung, folgenden Inhalt:
„Nacht-, Sonn-, Feiertags- und Spätöffnungsarbeit
1. Nacharbeit ist die in der Nachtzeit zwischen 20.00 und 06.00 Uhr geleistete Arbeit. Für das Zuendebedienen und andere Tagesabschlussarbeiten aus Anlass der Spätöffnung beginnt die Nachtarbeit montags bis samstags ab 20.10 Uhr. *)
2. Sonntagsarbeit...
3. Feiertagsarbeit...
4. Spätöffnungsarbeit (siehe § 6 Ziff. 3b und Ziffer 5) ist die Arbeit, die von Montag bis Freitag in der Zeit von 18:30 Uhr bis 20:00 Uhr und an Samstagen in der Zeit ab 15.00 Uhr an geleistet wird (Fassung gültig bis 30.6.2008).
Fassung gültig ab 01.07.2008: Spätöffnung (siehe § 6 Ziff. 3b und 5) ist die Arbeit, die von Montag bis Samstag in der Zeit von 18:30 Uhr bis 20:00 Uhr geleistet wird.
5. Für Arbeit nach Ziff. 1 – 4 sind zum Entgelt folgende Zuschläge zu gewähren:
a) Nachtarbeit
50 %
jedoch im Rahmen von Schichtarbeit
20 %
b) Sonntagsarbeit
120 %
c) Feiertagsarbeit
150 %
d) Spätöffnung
20 % Zeitgutschrift (Ziffer 6 ist zu beachten)
6. Beschäftigte die während der Spätöffnung eingesetzt werden, erhalten für diese Zeit eine Zeitgutschrift in Höhe von 20%, die grundsätzlich in Form von Freizeit zu gewähren ist. Bestehende Zeitguthaben können in Ausnahmefällen einvernehmlich in Geld abgegolten werden.
Ausgenommen von Zeitgutschriften gem. Ziffer 5d) sind die vier Samstage vor Weihnachten.
7. Für berufsübliche Nacht-, Sonn- und Feiertagsarbeit (z.B. Nachtwächter/innen, Pförtner/innen, Monteure/innen in Notdienstbetrieben) ist kein Zuschlag zu zahlen. Diese Arbeitnehmer/innen erhalten in jeder Woche (7 Tage) in der Regel zwei freie Tage. Die Verteilung der freien Tage hat so zu erfolgen, dass mindestens zwei freie Tage im Monat auf einen Sonntag oder gesetzlichen Feiertag fallen.
8. Auf Wunsch oder mit Zustimmung des/der Arbeitnehmers/in soll eine Abgeltung der geleisteten Mehr-, Nacht-, Sonn- und Feiertagsarbeit, einschließlich der Zuschläge, durch Freizeit innerhalb der auf die Mehrarbeitsleistung folgenden zwei Wochen gewährt werden. Im Monat Dezember erfolgte Mehrarbeitsleistungen können bis Ende Januar abgegolten werden.
9. Bei Zusammentreffen mehrerer Zuschläge wird nur der jeweils höhere Zuschlag gewährt.
10. …
...
*) § 6 Ziff. 3b ist zu beachten“
Mit den an die N. M. Discount AG & Co KG adressierten und nachrichtlich an die Beklagte gerichteten Schreiben vom 15.12.2010 und 12.1.2011 hat der Kläger für die Monate Juli 2010 bis Dezember 2010 zu dem gezahlten Nachtarbeitszuschlag von 20% einen weiteren Zuschlag von 30 % als Differenz zu dem Nachtarbeitszuschlag von 50 % geltend gemacht. Da dies erfolglos blieb, begehrte er mit der am 22.3.2011 bei Gericht eingegangenen Klage diese Differenz für die in den Monaten November 2009 bis Januar 2010 geleisteten 79,92 Nachtarbeitsstunden in Höhe von insgesamt 256,31 Euro und für die in dem Monaten September 2010 bis Dezember 2010 geleisteten 101,55 Nachtarbeitsstunden in Höhe insgesamt von 328,08 Euro. Er hat unter Hinweis auf die Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts vom 22.10.2003 (- 10 AZR 3/03 -) die Auffassung vertreten, dass auch die Nachtarbeit im Rahmen von Schichtarbeit mit dem höheren Zuschlag zu vergüten ist. Weder aus dem systematischen Regelungszusammenhang noch aus dem Gesichtspunkt der Gleichbehandlung heraus sei es verständlich, bei der Belastung durch Nacht- und Schichtarbeit einen geringeren Zuschlag zu gewähren. Es würden im Wesentlichen gleiche Sachverhalte ungleich behandelt. Einen Verstoß gegen Gleichheitssatz nach Art 3 Abs. 1 GG sei von den Tarifvertragsparteien aber nicht gewollt.
Die Beklagte hat die Auffassung vertreten, dass die Ansprüche für die Monate September bis Dezember 2010 gemäß § 18 Ziffer 1, Satz 1 MTV verfallen seien. Mit den Schreiben vom 15.12.2010 und 12.1.2011 sei ihr gegenüber keine Geltendmachung erfolgt. Unabhängig davon, bestehe kein Anspruch auf einen Nachtzuschlag von 50 %. Der Kläger leiste Nachtarbeit in Schichtarbeit. Dafür sehe § 8 MTV eindeutig nur einen Zuschlag von 20 % vor. Für eine Auslegung im Sinne der Klageforderung bestehe kein Raum. Gegen den Gleichheitssatz werde nicht verstoßen. Die Differenzierung halte sich in dem den Tarifvertragsparteien zustehenden Wertungs- und Gestaltungsspielraum. Sie hätten im Sinne einer typisierenden Betrachtungsweise annehmen dürfen, dass die übergroße Mehrheit der im Einzelhandel Beschäftigten, die in Schicht arbeiten, keine reine Nachtarbeit abzuleisten haben, und die im Einzelhandel vorherrschenden Früh- und Spätschichten für den einzelnen Mitarbeiter in medizinischer Hinsicht weniger belastend sind und zu erheblich weniger sozialen Einschränkungen führen als bei reiner Nachtarbeit.
Das Arbeitsgericht hat eine Expertise der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin zur „Belastung von Beschäftigten durch Nacht- und Schichtarbeit“ eingeholt. Wegen ihres Inhalts wird auf Blatt 74 bis 78 der Akte Bezug genommen. Mit Urteil vom 3.8.2012 hat es unter Abweisung der Klage im Übrigen und Zulassung der Berufung die Beklagte verpflichtet, an den Kläger 328,08 Euro brutto nebst Zinsen zu zahlen. Zur Begründung hat es ausgeführt, dass Ansprüche für die Monate November 2009 bis Januar 2010 nach § 18 MTV verfallen seien. Die Geltendmachung der Ansprüche ab September 2010 würde dagegen den Anforderungen der tariflichen Ausschlussfristenregelung genügen. Sie seien auch begründet. Der Kläger könne seine Gleichstellung mit den Beschäftigten fordern, denen die Beklagte den höheren Nachtarbeitszuschlag zahlt. Für die Differenzierung gebe es keinen dem Gebot der Gleichbehandlung nach Art 3 GG genügenden sachlichen Grund. Die Zuschläge dienten durch Verteuerung der Nachtarbeit dem Gesundheitsschutz der betroffenen Arbeitnehmer. Da aber Nachtarbeit im Schichtsystem nicht weniger gesundheitlich belastend sei als gelegentliche Nachtarbeit, gebe es auch unter Berücksichtigung der den Tarifvertragsparteien zustehenden Einschätzungsprärogative keinen Grund für eine Differenzierung zu Lasten des Klägers.
Die Beklagte hat gegen das am 22.8.2012 zugestellte Urteil am 14. 9.2012 Berufung eingelegt und sie am 2.11.2012 begründet. Die Begründungsfrist ist durch Beschluss vom 11.10.2012 zum 2.11.2012 verlängert worden. Sie widerspricht der Annahme des Arbeitsgerichts, dass mit dem Nachtarbeitszuschlag eine Verdrängung der Nachtarbeit bezweckt werde. Die zum Beleg ihrer gesundheitlichen Auswirkungen herangezogene Expertise sei auf reine Nachtarbeit nicht aber auf die vorliegende Schichtarbeit zugeschnitten, die teils tagsüber geleistet werde, aber auch in die Nachtstunden hineinreiche. Sie bleibt dabei, dass die vorgenommene Differenzierung von der Einschätzungsprärogative der Tarifvertragsparteien gedeckt sei.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Arbeitsgerichts Berlin vom 3.8.2012 – 28 Ca 7089/11 – abzuändern und die Klage abzuweisen.
Der Kläger beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Er verteidigt die angefochtene Entscheidung und bemängelt das Fehlen jeglichen Belegs für die von ihm bestrittene Behauptung, dass eine geringere Belastung von Nachtarbeit in Form von Schichtarbeit gegenüber gelegentlicher Nachtarbeit medizinisch festgestellt worden sei.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Akteninhalt Bezug genommen.
I.
Die Berufung der Beklagten ist zulässig. Sie ist nach §§ 8 Abs. 2, 64 Abs. 1 und 2 lit. a ArbGG statthaft sowie nach §§ 66 Abs. 1, 64 Abs. 6 ArbGG, 519, 520 ZPO form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden.
II.
In der Sache hatte die Berufung Erfolg. Die Klage ist zwar zulässig aber unbegründet. Der Kläger hat keinen Anspruch auf einen Nachtzuschlag von 50 %.
1. Eine einzelvertragliche Vereinbarung über die Zahlung von Zuschlägen für Nachtarbeit besteht nicht. Der unstreitig anzuwendende MTV sieht zwar einen Nachtzuschlag von 50 % vor. Der Kläger erfüllt aber mit seiner in dem streitbefangenen Zeitraum geleisteten Nachtarbeit nicht die erforderlichen Anspruchsvoraussetzungen. Er hat Nachtarbeit im Rahmen von Schichtarbeit geleistet. Für diese Form der Nachtarbeit gewährt der MTV nur den von der Beklagten gezahlten Zuschlag von 20 %.
1.1 Der MTV definiert zwar verschiedene Formen der Arbeit, nicht jedoch die Schichtarbeit. Da sie auch gesetzlich nicht definiert ist, kommt der Begriff in seiner allgemeinen arbeitsrechtlichen Bedeutung zum Zuge. Demnach ist für die Schichtarbeit wesentlich, dass eine bestimmte Arbeitsaufgabe über einen erheblich längeren Zeitraum als die wirkliche Arbeitszeit eines Arbeitnehmers hinaus anfällt und daher von mehreren Arbeitnehmern in einer geregelten zeitlichen Reihenfolge, teilweise auch außerhalb der allgemein üblichen Arbeitszeit, erbracht wird. Bei der Schichtarbeit arbeiten nicht sämtliche Beschäftigte eines Betriebes zu gleicher Zeit, sondern ein Teil arbeitet, während der andere Teil arbeitsfreie Zeit hat. Beide Beschäftigungsgruppen lösen sich regelmäßig nach einem feststehenden und überschaubaren Plan ab. Dabei muss nicht der jeweils abgelöste Arbeitsplatz identisch sein, sondern nur eine übereinstimmende Arbeitsaufgabe von untereinander austauschbaren Arbeitnehmern erfüllt werden (BAG Urteil vom 18.07.1990 - 4 AZR 295/89 - in AP Nr. 1 zu § 14 TV B II Berlin; Urteil vom 24.1.2001 - 10 AZR 196/00 - in EzA § 4 TVG Großhandel Nr. 6).
Demgemäß hat der Kläger im streitbefangenen Zeitraum Schichtarbeit geleistet. Wie den vorgelegten Dienstplänen zu entnehmen ist, war er in eine Arbeitsorganisation eingebunden, bei der die Aufgaben der Kommissionierer regelmäßig über einen Zeitraum von zwei Schichten zu mehr als 8 Stunden anfielen, die im wöchentlichen Wechsel geleitet wurden.
1.2 Nachtarbeit, die im Rahmen von Schichtarbeit geleistet wird, ist nach § 8 Ziffer 5 lit. a MTV nur mit einem Zuschlag von 20 % zu vergüten. Ein höherer Zuschlag ist der Regelung nicht zu entnehmen.
1.2.1 Nach dem Wortlaut der Regelung ist für Nachtarbeit im Rahmen von Schichtarbeit ein Zuschlag von 20 % zu gewähren. Die Aussage ist eindeutig. Sie lässt keinen Raum für das vom Kläger vorgetragene Verständnis der Tarifnorm.
1.2.2 Aus dem systematischen Zusammenhang der Regelung folgt nichts anderes. Zwar beträgt nach § 8 Ziffer 5 lit. a MTV der Nachtarbeitszuschlag 50 %. Durch den folgenden Zusatz „jedoch im Rahmen von Schichtarbeit 20%, wird er für diese Form der Nachtarbeit eben auf den niedrigeren Prozentsatz begrenzt. Es handelt sich nicht um zwei nebeneinander bestehende Zuschläge, von denen nach § 8 Ziffer 9 MTV der höhere zu gewähren wäre. § 8 Ziffer 5 lit. a MTV sieht nur einen Zuschlag vor, dessen Höhe davon abhängig ist, ob die Nachtarbeit im Rahmen von Schichtarbeit geleistet wird oder nicht.
1.2.3 Das Zusammentreffen der Belastungen durch Nacht- und Schichtarbeit steht dem geringeren Zuschlag ebenso wenig entgegen wie die Annahme, die Tarifvertragsparteien hätten im Interesse des Gesundheitsschutzes die Nachtarbeit verteuern wollen. Der Tarifvertrag sieht keinen gesonderten Zuschlag für Schichtarbeit vor. Es entsprach demnach nicht dem Willen der Tarifvertragsparteien, Erschwernisse durch Schichtarbeit mit einem Zuschlag auszugleichen, unabhängig davon, ob die Schichtarbeit in die Nachtzeit fällt. Der Nachtzuschlag ist allerdings im Zusammenhang mit § 6 Abs. 5 ArbZG zu sehen, der zu einem angemessenen Ausgleich für Nachtarbeit verpflichtet. § 6 Abs. 5 ArbZG dient dem Gesundheitsschutz des Arbeitnehmers. In seinem Interesse soll für die mit der Nachtarbeit verbundenen Belastungen ein Ausgleich geschaffen werden. Die Ausgestaltung des Ausgleichs überlässt das Gesetz wegen der größeren Sachnähe den Tarifvertragsparteien. Sie sind grundsätzlich frei darin, wie sei den Ausgleich regeln (vgl. BAG Urteil vom 18.05.2011 – 10 AZR 369/10 – in AP Nr. 11 zu § 6 ArbZG).
Von diesem Vorrecht haben die Tarifvertragsparteien in einer differenzierenden Weise Gebrauch gemacht. Sie haben dabei einen weitergehenden Ausgleich als § 6 Abs. 5 ArbZG vorgesehen und ihn nicht auf die Voraussetzungen des § 2 Abs. 3 bis 5 ArbZG beschränkt. So haben sie z.B. von § 2 Abs. 2 abweichend den Beginn der Nachtzeit generell auf 20:00 Uhr vorgezogen und lediglich für die Spätöffnung auf 20:10 Uhr festgelegt. Der in § 2 Abs. 4 ArbZG für die Annahme der Nachtarbeit geforderte Mindestumfang der in die Nachtzeit reichenden Zeitspanne wird in § 8 MTV nicht gefordert. Den Ausgleich selbst haben sie differenzierend gestaltet. Sie haben verschiedene Formen der Nachtarbeit berücksichtigt. Es wurden nicht nur unterschiedliche Zuschläge für die Nachtarbeit in Abhängigkeit davon ausgewiesen, ob sie im Rahmen von Schichtarbeit geleistet wird. Für berufsübliche Nachtarbeit ist überhaupt kein Zuschlag vorgesehen, sondern ein Ausgleich durch freie Tage, der weder einem Zuschlag von 50 % oder 20 % entspricht. Die Tarifvertragsparteien haben demnach Unterschiede in der Belastung durch die Nachtarbeit angenommen, die über eine gesundheitliche Beeinträchtigung hinausgehen, und sie bei der Ausgleichsregelung berücksichtigen wollen. Die Festlegung des Zuschlages für Nachtarbeit im Rahmen von Schichtarbeit auf 20 % trägt diesem Ausgleichzeck Rechnung. Sie berücksichtigt, dass bei der berufsüblichen Nachtarbeit und der Nachtarbeit im Rahmen von Schichtarbeit die betroffenen Arbeitnehmer sich und ihre Lebensführung auf die gleichförmige bzw. übliche Heranziehung zur Arbeit eingestellt haben, während die Heranziehung zur Nachtarbeit von den anderen Arbeitnehmern jeweils eine Umstellung abverlangt. Dieser Beeinträchtigung haben sie ein größeres Gewicht beigemessen und durch einen höheren Zuschlag ausgleichen wollen. Sinn und Zweck der Regelung sprechen damit gerade nicht für eine den Anspruch des Klägers stützende Auslegung der Tarifvorschrift.
1.2.4 Der Anspruch ergibt sich auch nicht unter Heranziehung des Gleichheitssatzes nach Art. 3 Abs. 1 GG. Zwar sind die Tarifvertragsparteien bei der tariflichen Normsetzung nicht unmittelbar grundrechtsgebunden. Sie müssen aber aufgrund der Schutzpflichtfunktion der Grundrechte den allgemeinen Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG und die Diskriminierungsverbote des Art 3 Abs. 2 und Art 3 Abs. 3 GG beachten. Der allgemeine Gleichheitssatz gebietet, alle Menschen vor dem Gesetz gleich zu behandeln. Das hieraus folgende Gebot, wesentlich Gleiches gleich und wesentlich Ungleiches ungleich zu behandeln gilt für alle Belastungen und ungleiche Begünstigungen. Dabei ergeben sich je nach Regelungsgegenstand und Differenzierungsmerkmal unterschiedliche Grenzen, die vom bloßen Willkürverbot bis zu einer strengen Bindung an Verhältnismäßigkeitserfordernisse reichen (vgl. BAG Urteil vom 16.12.2010 – 6 AZR 437/09 – in AP Nr. 4 zu § 1 TVG Tarifverträge: Bundesagentur für Arbeit). So verstößt eine sachverhaltsbezogene Ungleichbehandlung nur dann gegen Art. 3 Abs. 1 GG, wenn sie willkürlich ist, weil sich ein vernünftiger, aus der Natur der Sache oder sonst wie einleuchtender Grund für die jeweilige Differenzierung oder Gleichbehandlung nicht finden lässt. Bei einer personenbezogenen Ungleichbehandlung ist der Gleichheitssatz verletzt, wenn eine Gruppe von Normadressaten in Vergleich zu anderen Normadressaten anders behandelt wird, obwohl zwischen beiden Gruppen keine Unterschiede von solcher Art und Gewicht bestehen, dass sie die ungleiche Behandlung rechtfertigen könnten (vgl. BAG Urteil vom 27.5.2004 – 6 AZR 129/03 – in AP Nr. 5 zu § 1 TVG Gleichbehandlung). Dieser strengere Prüfungsmaßstab gilt auch dann, wenn eine Ungleichbehandlung von Sachverhalten mittelbar eine Ungleichbehandlung von Personengruppen bewirkt (vgl. BVerfG vom 11.1.1995 – 1 BvR 892/88 – in AP Nr. 209 zu Art 3 GG). So ist es auch im vorliegenden Fall. § 8 Ziffer 5 lit. a MTV führ zu einer unterschiedlichen Behandlung von Nacharbeit leistenden Arbeitnehmern, je nach dem, ob sie die Nachtarbeit im Rahmen von Schichtarbeit leisten oder nicht. Die Ungleichbehandlung ist aber gerechtfertigt. Dabei kann entsprechend der Behauptung des Klägers angenommen werden, dass Nachtarbeit eine besondere Belastung für den Organismus darstellt und deswegen nicht nur gelegentliche Nachtarbeit, sondern erst recht Nachtarbeit im Rahmen von Schichtarbeit gegenüber sonstiger Arbeit besonders erschwerend ist. Auf das entsprechende Beweisangebot des Klägers und die eingeholte Expertise kommt es daher nicht an. Wie bereits unter 1.2.3 ausgeführt, haben die Tarifvertragsparteien den Ausgleich nicht auf gesundheitliche Beeinträchtigungen beschränken wollen, sondern darüber hinaus berücksichtigt, dass Arbeitnehmer bei der Heranziehung zur Nachtarbeit außerhalb der Schichtarbeit und berufsüblichen Nachtarbeit weiteren Belastungen ausgesetzt sind. Diese Belastungen haben sie für ausgleichbedürftig gehalten. Der Grund für die unterschiedliche Zuschlagshöhe ist daher so gewichtig, dass er die unterschiedliche Vergütung der Nachtarbeit rechtfertigt.
Dem steht die vom Kläger angeführte Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts vom 22.10.2003 (10 AZR 3/03) nicht entgegen. In Gegensatz zum vorliegenden Fall war dort über eine Regelung zu entscheiden, die für Nachtarbeit und Schichtarbeit mit Nachtarbeit einen unterschiedlichen Zuschlag vorsah. In einer späteren Entscheidung (Urteil vom 19.1.2011 – 10 AZR 658/09 – in AP Nr. 19 zu § 611 BGB Lohnzuschläge), der eine Regelung mit Zuschlägen für Nachtarbeit in regelmäßiger Wechselschicht in Höhe von 20 %, für Nachtarbeit, die keine regelmäßige Wechselschichtarbeit ist, in Höhe von 50 % und für außerplanmäßige Einteilung zur Nachtschichtarbeit von 50 % zugrunde lag, hat es wegen der Differenzierung keine auf Art. 3 GG gestützte Bedenken geäußert.
2. Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 97, 92 Abs. 2 ZPO. Die Revision ist gem. § 72 Abs. 2 Ziffer 1 ArbGG zugelassen worden.