Gericht | VG Potsdam 2. Kammer | Entscheidungsdatum | 23.05.2011 | |
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Aktenzeichen | VG 2 L 67/11 | ECLI | ECLI:DE:VGPOTSD:2011:0523.2L67.11.00 | |
Dokumententyp | Beschluss | Verfahrensgang | - | |
Normen | § 123 VwGO, § 21 Abs 2 S 1 Verf BB, Art 33 Abs 2 GG |
1. Dem Antragsgegner wird im Wege der einstweiligen Anordnung vorläufig untersagt, den im November 2010 im Intranet (bb-intern) ausgeschriebenen Dienstposten der Leiterin/des Leiters des Referates 12 „Organisation, Innerer Dienst, Neue Steuerungsmodelle, IT“ mit der Beigeladenen zu besetzen, solange nicht über die Bewerbung des Antragstellers unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts erneut entschieden worden ist und seit der Mitteilung des Ergebnisses dieser Auswahlentscheidung gegenüber dem Antragsteller zwei Wochen verstrichen sind.
Der Antragsgegner trägt die Kosten des Verfahrens mit Ausnahme der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen, die diese selbst trägt.
2. Der Streitwert wird auf 5.000 Euro festgesetzt.
Der Antrag des Antragstellers nach § 123 Abs. 1 Satz 1 der Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) ist zulässig und begründet.
Nach § 123 Abs. 1 Satz 1 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) kann das Gericht auf Antrag eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustands die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte (so genannte Sicherungsanordnung), wobei ein Anordnungsgrund und ein Anordnungsanspruch in rechtlicher Hinsicht gegeben sein müssen und die dem Anordnungsgrund und dem Anordnungsanspruch zugrunde liegenden Tatsachen von dem Antragsteller glaubhaft zu machen sind, § 123 Abs. 3 VwGO i. V. m. § 920 Abs. 2 Zivilprozessordnung (ZPO).
Der für das vom Antragsteller verfolgte Begehren notwendige Anordnungsgrund besteht. Der Antragsgegner hat ersichtlich die Absicht, den in Streit stehenden Dienstposten, bei dem es sich für den Antragsteller um einen Beförderungsdienstposten handelt, alsbald endgültig mit der Beigeladenen, einer Tarifbeschäftigten in der Entgeltgruppe E 15 TV-L zu besetzen und den mit ihr bestehenden Arbeitsvertrag entsprechend anzupassen (E 15Ü TV-L bzw. Bes.Gr. A16 AT). Dadurch würde das vom Antragsteller geltend gemachte Recht auf diesen Dienstposten jedenfalls erheblich erschwert,
vgl. OVG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 31. Oktober 2005 - 1 B 1450/05 -, zit. nach juris; OVG Hamburg, Beschluss vom 3. März 1999 - 1 Bs 23/99 -, zit. nach juris; vgl. dagegen zum Fall einer lediglich vorläufigen bzw. kommissarischen Dienstpostenübertragung OVG Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 17. Februar 2006 - 1 M 25/06 -, zit. nach juris; vgl. ferner OVG Mecklenburg-Vorpommern, Beschluss vom 16. November 2007 - 2 M 153/07 -, zit. nach juris.
Auch der Anordnungsanspruch ist gegeben. In beamtenrechtlichen Konkurrentenstreitverfahren ist ein Anordnungsanspruch glaubhaft gemacht, wenn der unterlegene Bewerber darlegt, dass die Auswahlentscheidung fehlerhaft war und seine Aussichten, bei erneuter Auswahlentscheidung ausgewählt zu werden, zumindest offen sind, seine Auswahl mithin möglich erscheint;
vgl. BVerfG, Beschluss vom 24. September 2002 - BvR 857/02 -, NVwZ 2003, 200; BVerwG, Beschluss vom 20. Januar 2004 - 2 VR 3.03 -, Buchholz 310 § 123 VwGO Nr. 23.
Dies ist hier der Fall.
Art. 33 Abs. 2 des Grundgesetzes (GG) und Art. 21 Abs. 2 Satz 1 der Verfassung des Landes Brandenburg (VerfBbg) gewähren ein grundrechtsgleiches Recht auf gleichen Zugang zu jedem öffentlichen Amt nach Eignung, Befähigung und fachlicher Leistung. Dementsprechend hat jeder Bewerber Anspruch auf eine ermessensfehlerfreie Entscheidung über sein Beförderungsbegehren (sog. Bewerbungsverfahrensanspruch). Ein Anspruch auf Verleihung eines höheren statusrechtlichen Amtes besteht hingegen grundsätzlich nicht. Die Entscheidung über die Beförderung eines Beamten liegt im pflichtgemäßen Ermessen des Dienstherrn. Dabei verfügt er für die Einschätzung der Eignung, fachlichen Leistung und Befähigung über einen Beurteilungsspielraum, der gerichtlich nur dahingehend überprüft werden kann, ob der Dienstherr den gesetzlichen Rahmen und die anzuwendenden Rechtsbegriffe zutreffend gewürdigt hat, von einem richtigen Sachverhalt ausgegangen ist, allgemein gültige Wertmaßstäbe beachtet und schließlich keine sachfremden Erwägungen angestellt hat. Der Beurteilungsspielraum erstreckt sich nicht nur auf die individuelle Leistungsbewertung, sondern auch auf den Leistungsvergleich zwischen verschiedenen Bewerbern;
vgl. OVG Brandenburg, Beschluss vom 24. Oktober 2003 - 3 B 36/03 -; Beschluss der Kammer vom 9. Juli 2010 - 2 L 348/09 -.
Dem auch für die vorliegende Entscheidung zur Besetzung des streitigen höherwertigen Dienstpostens maßgeblichen Grundsatz der Bestenauslese entspricht es, zur Ermittlung des Leistungsstandes konkurrierender Bewerber in erster Linie auf unmittelbar leistungsbezogene Kriterien zurückzugreifen und als vorrangiges Auswahlkriterium auf die aktuellen dienstlichen Beurteilungen bzw. Zeugnisse abzustellen,
vgl. BVerwG, Urteil vom 27. Februar 2003 - 2 C 16.02 -, zit. nach juris, Rn. 12; OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 16. November 2010 - OVG 4 S 31.10 -, S. 18 f. des Abdrucks.
Dies gilt grundsätzlich auch für die Auswahlentscheidung zwischen Beamten und Tarifbeschäftigten,
vgl. BVerwG, Beschluss vom 27. April 2010 - 1 WB 39/09 -, zit. nach juris, Rn. 28.
Diesen Anforderungen wird die vom Antragsgegner getroffene Auswahlentscheidung nicht gerecht. Der Antragsgegner hat nämlich in der Sache allein auf die Bewertung der Bewerbungsunterlagen, insbesondere der Bewerbungsschreiben, und die Ergebnisse der mit den Bewerbern geführten Auswahlgespräche abgestellt. Der Auswahlvermerk vom 15. Dezember 2010 beschränkt sich hinsichtlich der Berücksichtigung der Beurteilungen demgegenüber im Kern auf die Feststellungen, dass der Antragsteller am 18. November 2010 mit neun von möglichen zehn Punkten beurteilt worden war, das Erreichen einer solchen „höchsten Punktzahl“ jedoch wegen der unterschiedlichen Beurteilungssysteme (Zeugnisse und Beurteilungen), unterschiedlichen Beurteilungszeiträumen und Stichtagen sowie erfahrungsgemäß unterschiedlichen Maßstäben in den verschiedenen Dienststellen (hier: S... und Ministerium d...) nicht „der alleinige Grund“ für die Auswahlentscheidung sein könnte. Zwar ließen sich Ungereimtheiten unterschiedlicher Beurteilungssysteme, -zeiträume und -stichtage durch das Erstellen bzw. Einfordern gleichartiger Anlassbeurteilungen lösen, nicht jedoch das Problem der unterschiedlichen Maßstäbe, weshalb die Anforderung von Anlassbeurteilungen unterblieben sei. Aus den vorliegenden Beurteilungen (und Zeugnissen) lasse sich daher letztlich nur entnehmen, dass alle Bewerber in ihren Referentenfunktionen, also ihren bisherigen Arbeitsbereichen, „hervorragende Leistungen“ erbracht hätten und dass sie mit „ausgezeichneten Fähigkeiten“ ausgestattet seien. Die Beurteilungen würden daher „für keinen Bewerber einen Vorteil“ ergeben.
Diese pauschale Form der Berücksichtigung der aktuellen dienstlichen Beurteilung des Antragstellers sowie des für die Beigeladene erstellten Zwischenzeugnisses greift nach den oben genannten rechtlichen Anforderungen zu kurz. In Bezug auf den Antragsteller hat der Antragsgegner schon nicht berücksichtigt, dass seine dienstliche Beurteilung auch einen Teil (15. Juni 2009 bis 31. Dezember 2009) des Zeitraumes (1. November 2007 bis 31. Dezember 2009) zum Gegenstand hat, in welchem er als Referatsleiter I/2 im Ministerium d... tätig war, so dass sich der Beurteilung nicht nur eine Aussage zu seinen Leistungen und Fähigkeiten in Bezug auf seine „Referentenfunktion“ entnehmen lassen dürfte; entsprechendes gilt für den Zeitraum vom 1. Januar 2010 bis 14. April 2010, in welchem der Antragsteller offenbar mit der Wahrnehmung der Geschäfte des Leiters der Stabstelle für Verwaltungsmodernisierung im Ministerium d... beauftragt war. Eine vergleichende Bewertung der in der dienstlichen Beurteilung zu den Leistungen und Fähigkeiten des Antragstellers getroffenen Einzelfeststellungen, d. h. der Einzelbewertungen zu den verschiedenen Beurteilungsmerkmalen, mit den über die Beigeladene in dem Zwischenzeugnis vom 15. Dezember 2010 niedergelegten Bewertungen hat der Antragsgegner nicht ansatzweise getroffen. Insbesondere hätten Überlegungen dazu nahe gelegen, wie die Leistungen und Fähigkeiten der Beigeladenen nach Maßgabe der für die Beamtenbeurteilung einschlägigen Beurteilungsrichtlinien zu bewerten bzw. zu „übersetzen“ sind, gegebenenfalls auch durch Rückfragen bei den Vorgesetzten und Beurteilern, namentlich der Abteilungsleiterin I der S..., welche das Zwischenzeugnis unterzeichnet und an den Auswahlgesprächen mit den Bewerbern teilgenommen hat. Auf diesem Wege wäre es zugleich möglich gewesen, für den Leistungsvergleich zwischen der Beigeladenen und dem Antragsteller auf vergleichbare (Beurteilungs-)Zeiträume abzustellen, nämlich etwa gezielt Erkenntnisse über das im Zeitraum von Mitte Juni 2009 bis Mitte November 2010 von der Beigeladenen gezeigte Leistungsbild zu gewinnen. Auch die vom Antragsgegner angesprochene Problematik unterschiedlicher Beurteilungsmaßstäbe im Ministerium des I... einerseits und in der S... andererseits kann es nicht rechtfertigen, den dienstlichen Beurteilungen – wie hier der Sache nach ersichtlich geschehen – praktisch eine Relevanz für die zu treffende Auswahlentscheidung abzusprechen und – neben den Bewerbungsschreiben – entscheidend auf in den Auswahlgesprächen gewonnene Eindrücke und die Qualität der dort gegebenen Antworten auf fachliche Fragen abzustellen. Denn es wäre möglich und auch für ein fehlerfreies Auswahlverfahren geboten gewesen, sich bei den diesbezüglichen Zweifeln durch eine Rückfrage im Ministerium d... über die dort angelegten Beurteilungsmaßstäbe und damit den „Wert“ der dem Antragsteller attestierten Gesamt- und Einzelnoten zu vergewissern. Anlass hierzu bestand nicht zuletzt auch angesichts der – womöglich tatsächlich hinsichtlich der Leistungsbewertung für einen relativ milden Maßstab sprechenden – Begründung des Eignungs-, Verwendungs- und Förderungsvorschlages in der aktuellen dienstlichen Beurteilung des Antragstellers. Dieser wird danach nämlich „im Hinblick auf seine Kenntnisse und Erfahrungen“ lediglich als „gut geeignet“ dafür angesehen, Führungsfunktionen in obersten Landesbehörden und in nachgewiesenem Bereich zu übernehmen. Den sich auch auf die Einordnung des Beurteilungsmaßstabes – ebenso wie auf die Bewertung der in dem Zwischenzeugnis über die Beigeladene getroffenen Feststellungen – erstreckenden, gerichtlich nur eingeschränkt überprüfbaren Beurteilungsspielraum in Bezug auf den Leistungsvergleich zwischen den Bewerbern hat der Antragsgegner hier nicht wahrgenommen, indem er die den Bewerbern in den dienstlichen Beurteilungen bzw. Zeugnissen attestierten Leistungen pauschal als gleich eingestuft hat. Erst wenn jedoch die substanzielle Heranziehung der aktuellen dienstlichen Beurteilungen bzw. Zeugnisse, gegebenenfalls auch unter Rückgriff auf frühere Beurteilungen bzw. Zeugnisse,
vgl. BVerwG, Beschluss vom 27. April 2010, a. a. O., Rn.34,
keine verlässliche Entscheidungsgrundlage ergibt, kann ausschlaggebend auf andere Erkenntnismittel wie etwa die hier geführten strukturierten Auswahlgespräche abgestellt werden,
vgl. BVerwG, Beschluss vom 27. April 2010, a. a. O., Rn. 39.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 und § 162 Abs. 3 VwGO, die Streitwertfestsetzung auf § 52 Abs. 2 i. V. m. § 53 Abs. 2 des Gerichtskostengesetzes.