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Altersvorsorgezulage


Metadaten

Gericht FG Berlin-Brandenburg 10. Senat Entscheidungsdatum 07.12.2017
Aktenzeichen 10 K 10145/14 ECLI ECLI:DE:FGBEBB:2017:1207.10K10145.14.00
Dokumententyp Urteil Verfahrensgang -
Normen

Tenor

Die Beklagte wird unter Aufhebung des Ablehnungsbescheides vom 15. Januar 2014 und der Einspruchsentscheidung vom 19. Mai 2014 verpflichtet, dem Antrag des Klägers auf Entnahme des Altersvorsorge-Eigenheim-betrages vom 20. November 2013 stattzugeben.

Die Revision zum Bundesfinanzhof wird zugelassen.

Die Kosten des Verfahrens werden der Beklagten auferlegt.

Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des Kostenerstattungsanspruchs des Klägers abwenden, wenn nicht der Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in derselben Höhe leistet.

Tatbestand

Der vorliegende Rechtsstreit betrifft die Ablehnung des Antrags des Klägers auf Entnahme eines Altersvorsorge-Eigenheimbetrages nach § 92 b Einkommensteuergesetz (EStG).

Mit Schreiben vom 20. November 2013 beantragte der am 24. September 1948 geborene Kläger die Verwendung seines geförderten Altersvorsorgevermögens (Altersvorsorge-Eigenheimbetrag) aus seinem nach dem Altersvorsorgeverträge-Zertifizierungsgesetz (AltZertG) zertifizierten Altersvorsorgevertrag bei der D… Bank i.H.v. 11.864,38 € während der Ansparphase für eine selbstgenutzte Wohnung (§ 92 a EStG).

Er führte aus, seine Ehefrau und er hätten im Jahr 1977 das Einfamilienhaus B…-Straße in C… erworben, in dem sie noch wohnten und auch in Zukunft wohnen würden. Der Kauf sei seinerzeit vollständig fremdfinanziert worden. Die Finanzierung sei darauf ausgerichtet gewesen, dass die Finanzierungsdarlehen bei seinem Eintritt in den Ruhestand getilgt sein sollten. Damit sei das miet- und belastungsfreie Wohnen im eigenen Hause als Teil ihrer Altersvorsorge vorgesehen gewesen. Infolge der Vergrößerung der Familie seien Erweiterungsbaumaßnahmen und auch Erhaltungsmaßnahmen notwendig geworden, die nicht aus ihrem laufenden Einkommen hätten gezahlt werden können, da dieses vollständig für ihren eigenen Unterhalt und den Unterhalt ihrer vier Kinder benötigt worden sei. Daher hätten auch diese Erweiterungs- und Erhaltungsmaßnahmen durch Darlehen finanziert werden müssen. Aus diesem Grund könnten bei seinem Eintritt in den Ruhestand nicht sämtliche für Wohnzwecke aufgenommenen Darlehen getilgt werden, sondern es verbleibe eine Restschuld von rund 60.000 €, darunter das Darlehen Nr. … bei der D… Bank. Um die Restschuld teilweise zu tilgen, werde das Guthaben aus seinem Altersvorsorgevertrag einschließlich der Zulagen benötigt.

Mit Schreiben vom 3. Januar 2014 reichte der Kläger bei der Beklagten diverse Unterlagen ein, auf die wegen der Einzelheiten Bezug genommen wird. Der o.g. Darlehensvertrag Nr. … bei der D… Bank wurde danach am 20. Juni 2008 über 66.000 € abgeschlossen und wies den Verwendungszweck „Wohnkredit wegen Anbau Wintergarten; Zwischenfinanzierung BSV-Nr. …“ aus.

Nach Auskunft der D… Bank als Anbieterin des Altersvorsorgevertrages sollte die Auszahlungsphase zum 1. März 2014 beginnen.

Mit Bescheid vom 15. Januar 2014 lehnte die Beklagte den Antrag ab. Zur Begründung führte sie aus, das Darlehen sei nach den eingereichten Unterlagen für Sanierungs- und Erweiterungsmaßnahmen aufgenommen worden. Es sei daher nicht förderfähig, weil die Voraussetzungen nach den allgemeinen steuerrechtlichen Grundsätzen für eine Anschaffung oder Herstellung einer Wohnung nicht erfüllt seien. Werde eine bereits bestehende, selbstgenutzte Wohnung umgebaut oder saniert, handele es sich dabei nicht um die Anschaffung oder Herstellung im Sinne einer wohnungswirtschaftlichen Verwendung.

Der Kläger legte am 16. Januar 2014 Einspruch ein. Er trug vor, das streitbefangene Darlehen bei der D… Bank sei nicht für Sanierungs- und Erweiterungsmaßnahmen aufgenommen worden, sondern habe vielmehr ausschließlich der Schaffung zusätzlichen von seiner Ehefrau und ihm genutzten Wohnraums durch einen als Wintergarten bezeichneten Anbau gedient. Dies sei ein zulässiger Zweck im Sinne von § 92 a EStG in der Fassung vom 24. Juni 2013. Herstellung einer Wohnung sei auch die nachträgliche Herstellung sowie die Teilherstellung. Auch Anbauten und Erweiterungen zählten zur Herstellung der Wohnung.

Mit Schreiben vom 14. Januar 2014 teilte die D… Bank der Beklagten zudem mit, dass das o.g. Darlehen per 15. Januar 2014 eine Restschuld i.H.v. 66.000 € ausweise, innerhalb jeden Kalenderjahres könnten Sondertilgungen bis max. 13.200 € geleistet werden.

Die Ehefrau des Klägers erklärte nach einem entsprechenden Hinweis der Beklagten mit Schreiben vom 23. Februar 2014, dass sie auf die auf sie entfallenden 50 % der Sondertilgungssumme verzichte.

Mit Einspruchsentscheidung vom 19. Mai 2014, auf die wegen der Einzelheiten Bezug genommen wird, wies die Beklagte den Einspruch als unbegründet zurück. Die Begründung entsprach im Wesentlichen dem Ablehnungsbescheid.

Mit seiner fristgemäß eingereichten Klage begehrt der Kläger weiterhin die Genehmigung der begünstigten Entnahme. Ergänzend zu seinem Vorbringen in seinem Antrag und im Vorverfahren, auf das er sich bezieht, trägt er vor, er befinde sich seit dem 1. Dezember 2013 im Ruhestand. Das über den streitbefangenen Altersvorsorgevertrag geführte Konto weise per 30. Dezember 2013 ein Guthaben von 13.125,31 € auf. Mit dem Darlehen Nr. … bei der D… Bank, auf das der Entnahmebetrag eingezahlt werden solle, sei der Anbau eines Wintergartens finanziert worden, durch den die Wohnfläche des selbst bewohnten Hauses um ca. 30 m² erweitert worden sei. Diese Schaffung zuvor nicht vorhandenen Wohnraums, den er und seine Ehefrau nunmehr im Ruhestand selbst nutzten, entspreche genau dem Förderungszweck des Gesetzes. Sofern die Beklagte der Meinung sei, dass für den Begriff der Herstellung einer Wohnung in § 92 a Abs. 1 Nr. 1 EStG eine von den allgemeinen einkommensteuerlichen Grundsätzen abweichende Sonderauslegung gelten müsse, sei dem nicht zu folgen, wie sich auch aus dem Urteil des Bundesfinanzhofs (BFH) vom 6. April 2016 (X R 29/14, Sammlung der Entscheidungen des BFH [BFH/NV] 2016, 1541) ergebe.

Im Übrigen seien noch weitere Darlehensbelastungen vorhanden, die infolge von Umschuldungen noch auf den Erwerb des Wohnhauses im Jahr 1977 zurückgingen. Entsprechende Nachweise könnten vorgelegt werden.

Der Kläger beantragt,

die Beklagte unter Aufhebung des Ablehnungsbescheides vom 15. Januar 2014 und der Einspruchsentscheidung vom 19. Mai 2014 zu verpflichten, seinem Antrag auf Entnahme eines Altersvorsorge-Eigenheimbetrages vom 20. November 2013 stattzugeben.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie trägt vor, bei den Kosten für den nachträglichen Anbau eines Wintergartens handele es sich – wie seitens des Klägers ausgeführt – um nachträgliche Herstellungskosten. Diese seien jedoch im Sinne von § 92 a Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 EStG nicht berücksichtigungsfähig. Die Herstellung einer Wohnung setze das Schaffen einer neuen, bisher nicht vorhandenen Wohnung voraus. Durch die nachträgliche Herstellung werde keine neue Wohnung im bewertungsrechtlichen Sinne geschaffen, sondern nur die Wohnfläche einer bisher vorhandenen Wohnung nach deren Fertigstellung vergrößert. Die Einbeziehung nachträglicher Herstellungskosten in die steuerliche Förderung – wie sie in § 10 e Abs. 2 EStG und in § 6 Abs. 1 Eigenheimzulagegesetz für Erweiterungen und Ausbauten vorgesehen sei – habe der Gesetzgeber für den XI. Abschnitt des EStG nicht geregelt.

Diese Rechtsauffassung der Beklagten werde auch durch das Urteil des Bundesfinanzhofs zu dem Verfahren X R 29/14 bestätigt. Soweit dort für die Definition des Tatbestands „Anschaffung oder Herstellung einer Wohnung“ in § 92 a Abs. 1 Nr. 1 EStG auf die allgemeinen einkommensteuerrechtlichen Grundsätze abgestellt werde, entspreche dies ihrer Rechtsauffassung. Die in dem genannten Urteil angeführte Kommentierung von Blümich/Lindberg (Kommentar zu EStG, KStG, GewStG und Nebengesetzen, § 92 EStG Rn. 4, Stand Mai 2016) bestätige die von ihr vertretene Auffassung, dass Erweiterungen einer Wohnung nicht nach § 92 a Abs. 1 Nr. 1 EStG begünstigt seien, da dies gesetzlich nicht vorgesehen sei.

Dem Gericht hat bei seiner Entscheidung neben der Streitakte die von der Beklagten geführte Verwaltungsakte (Ausdruck aus der elektronischen Akte) vorgelegen, auf deren Inhalt ergänzend Bezug genommen wird.

Entscheidungsgründe

Das Gericht war an einer Entscheidung nicht gehindert, obwohl der Kläger nicht erschienen ist. Er ist mit der ordnungsgemäßen Ladung darauf hingewiesen worden, dass auch ohne ihn verhandelt und entschieden werden kann (§ 91 Abs. 2 Finanzgerichtsordnung [FGO]).

Die Klage ist begründet.

Der Bescheid der Beklagten vom 15. Januar 2014 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 19. Mai 2014 ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten (§ 101 FGO). Dieser hat einen Anspruch auf die beantragte Entnahme des Altersvorsorge-Eigenheimbetrages für die Tilgung eines Darlehens, das für den nachträglichen Anbau eines Wintergartens aufgenommen wurde.

Hierbei handelt es sich, wie zwischen den Beteiligten unstreitig ist, um nachträgliche Herstellungskosten. Diese werden entgegen der Auffassung der Beklagten hier von der Regelung des § 92 a EStG erfasst.

Da es bei Verpflichtungsklagen auf Erlass eines gebundenen Verwaltungsaktes grundsätzlich auf die im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung vor dem Finanzgericht bestehende Sach- und Rechtslage und damit auch auf die zu diesem Zeitpunkt gültige Fassung des EStG ankommt (vgl. BFH-Urteil vom 6. April 2016 X R 29/14, BFH/NV 2016, 1541 m.w.N.), ist § 92 a EStG vorliegend in der aktuellen - ab 2014 geltenden - Fassung maßgeblich. In dieser ist u.a. geregelt, dass der Zulageberechtigte das in einem Altersvorsorgevertrag gebildete und geförderte Kapital in vollem Umfang oder, wenn das verbleibende geförderte Restkapital mindestens 3 000 € beträgt, teilweise bis zum Beginn der Auszahlungsphase unmittelbar für die Anschaffung oder Herstellung einer Wohnung oder zur Tilgung eines zu diesem Zweck aufgenommenen Darlehens verwenden kann (Altersvorsorge-Eigenheimbetrag), wenn das dafür entnommene Kapital mindestens 3 000 € beträgt (§ 92 a Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 EStG).

Diese Voraussetzungen sind vorliegend erfüllt, denn der Kläger hat das streitbefangene Darlehen zum Zweck der (nachträglichen) Herstellung einer Wohnung aufgenommen.

Die Definition des Tatbestands „Anschaffung oder Herstellung einer Wohnung“ in § 92 a EStG ist nach den allgemeinen einkommensteuerrechtlichen Grundsätzen zu beurteilen, für die § 255 Abs. 1 und Abs. 2 Handelsgesetzbuch (HGB) von Bedeutung sind (vgl. BFH-Urteil vom 6. April 2016 X R 29/14, BFH/NV 2016, 1541). Gemäß § 255 Abs. 2 HGB sind Herstellungskosten die Aufwendungen, die durch den Verbrauch von Gütern und die Inanspruchnahme von Diensten für die Herstellung eines Vermögensgegenstands, seine Erweiterung oder für eine über seinen ursprünglichen Zustand hinausgehende wesentliche Verbesserung entstehen.

Dabei liegt die Erweiterung eines Gebäudes vor, wenn durch eine Baumaßnahme seine nutzbare Fläche vergrößert, seine Substanz vermehrt wird oder wenn bisher nicht vorhandene Bestandteile eingebaut werden. Für die Annahme nachträglicher Herstellungskosten ist hierbei nicht erforderlich, dass das Gebäude wesentlich erweitert wird, auch eine nur geringfügige Vergrößerung der nutzbaren Fläche reicht aus (vgl. BFH-Urteil vom 15. Mai 2013 IX R 36/12, Bundessteuerblatt [BStBl] II 2013, 732 m.w.N.; Blümich/Ehmke, a.a.O., § 6 EStG Rn. 390, Stand Juli 2016 m.w.N.)

Die vorliegend vorgenommene Erweiterung des Wohnraums durch Anbau des Wintergartens wird folglich als nachträgliche Herstellung von der genannten Regelung erfasst.

Anhaltspunkte dafür, dass im Rahmen der Regelungen zur Altersvorsorgezulage von einem abweichenden, engeren Herstellungsbegriff auszugehen wäre, sind nach Auffassung des erkennenden Senats nicht ersichtlich. Auch die von der Beklagten zitierte Kommentarstelle Blümich/Lindberg (a.a.O., § 92 a EStG Rn. 4) enthält hierzu – wie vom Kläger zu Recht moniert – keine Begründung.

Außerdem ist zu berücksichtigen, dass die ab 2014 geltende Änderung der Vorschrift des § 92 a EStG mit dem Ziel verfasst wurde, die förderunschädliche Verwendung zu erweitern (vgl. auch Schmidt/Wacker, EStG, 36. Aufl. 2017, § 92 a EStG Rn. 1). Ferner wird in der entsprechenden Gesetzesbegründung ausgeführt, dass die Gesetzesänderung dazu dient, eine jederzeitige Kapitalentnahme für selbst genutztes Wohnungseigentum in der Ansparphase zu ermöglichen (BT-Drucksache 17/12219 S. 2).

Der Senat hat die Revision gemäß § 115 Abs. 2 Nr. 2 FGO zugelassen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO.

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 151 FGO in Verbindung mit §§ 708 Nr. 10, 711 Zivilprozessordnung (ZPO).