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Insolvenzgeld - Nachfrist - Durchsetzung von Lohnansprüchen - Verschulden des Prozessbevollmächtigten


Metadaten

Gericht LSG Berlin-Brandenburg 18. Senat Entscheidungsdatum 14.03.2012
Aktenzeichen L 18 AL 340/09 ECLI
Dokumententyp Urteil Verfahrensgang -
Normen § 183 Abs 1 S 1 SGB 3, § 324 Abs 3 S 2 SGB 3, § 324 Abs 3 S 3 SGB 3, § 21 Abs 1 S 2 SGB 10

Tenor

Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Cottbus vom 6. November 2009 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

Der Kläger war ab 15. Januar 2003 bei der B e.K. (B), Inhaber: A N (N) als Eisenflechter beschäftigt. Nachdem sich Lohnrückstände ergeben hatten, beauftragte der Kläger am 31. März 2003 unter Inanspruchnahme einer Deckungszusage seiner Rechtsschutzversicherung vom 19. März 2003 die auch im vorliegenden Verfahren auftretenden Prozessbevollmächtigten mit der Durchsetzung seiner arbeitsrechtlichen Ansprüche. Ausweislich der Arbeitsbescheinigung vom 16. Mai 2003 erhielt der Kläger zum 31. Januar 2003 die Kündigung, nach den Angaben des Klägers ist dieser bis 14. März 2003 beschäftigt worden. Am 26. September 2003 meldete N ihr Gewerbe ab („vollständige Aufgabe“). Nachdem zunächst mit Beschluss des Amtsgerichtes (AG) Düsseldorf vom 2. April 2004 - 514 IN 30/03 - der Antrag einer Gläubigerin auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen der B mangels Masse abgewiesen war, eröffnete das AG Düsseldorf auf einen am 30. Januar 2006 gestellten Antrag der N mit Beschluss vom 5. April 2006 - 504 IN 32/06 - das Insolvenzverfahren.

Mit Schriftsatz vom 31. Dezember 2006 ließ der Kläger gegen N beim Arbeitsgericht Düsseldorf Klage (AZ: 4 Ca 16/07) mit dem Antrag erheben, die Beklagte zur Zahlung von 6.042,50 € brutto abzüglich gezahlter 1.295,- € netto sowie weiterer 1.450,- € netto zu verurteilen. Mit der Klageerwiderung vom 17. Januar 2007 erhielt der Kläger Kenntnis von der Eröffnung des Insolvenzverfahrens und beantragte am 25. Januar 2007 Insolvenzgeld (Insg). Die Beklagte lehnte den Antrag des Klägers mit Bescheid vom 9. Februar 2007 ab und führte aus: Der Kläger habe nicht innerhalb von zwei Monaten nach dem Insolvenztag vom 2. April 2004 Insg beantragt. Um die Durchsetzung seiner Ansprüche aus dem Jahr 2003 habe er sich nicht mit der erforderlichen Sorgfalt bemüht. Durch Vollstreckungsversuche hätte er von dem Insolvenzereignis Kenntnis erlangen können. Mit dem Widerspruch machte der Kläger geltend: Zwar sei unabhängig davon, ob auf den 2. April 2004 oder den 5. April 2006 als Insolvenzereignis abzustellen sei, die Ausschlussfrist des § 324 Abs. 3 Satz 1 Sozialgesetzbuch -Arbeitsförderung - (SGB III) verstrichen. Er habe jedoch umgehend nach seiner Kenntnisnahme vom Insolvenzereignis den Insg-Antrag gestellt. Die Fristversäumung sei unverschuldet. Mit der Beauftragung der Prozessbevollmächtigten zur Erhebung einer Lohnklage, die nach der Ermittlung des Arbeitgebers innerhalb der gesetzlichen Verjährungsfrist erhoben worden sei, sowie diversen Vorsprachen bei den Prozessbevollmächtigten, bei denen sich der Kläger wiederholt nach dem Stand der Angelegenheit erkundigt habe, habe er die ihm zuzumutende Sorgfaltspflicht vollständig eingehalten. Seine Prozessbevollmächtigten seien auch nicht verpflichtet gewesen, eine Insolvenz außerhalb des arbeitsgerichtlichen Verfahrens zu ermitteln, da sie aufgrund des beschränkten Deckungsschutzes der Rechtsschutzversicherung nur mit der Durchsetzung der arbeitsrechtlichen Ansprüche betraut worden seien. Die Beklagte wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 21. März 2007 zurück. Mit Beschluss des AG Düsseldorf vom 11. September 2007 - 504 IN 32/06 - wurde das Insolvenzverfahren über das Vermögen der N mangels zu verteilender Masse ohne Schlussverteilung aufgehoben.

Im Klageverfahren hat der Kläger auf Anfrage des Sozialgerichts (SG) mit Schriftsatz vom 17. Juli 2007 mitgeteilt, dass es für eine Lohnklage in 2003 oder 2004 keine objektiven Hinderungsgründe gegeben habe. Das SG Cottbus hat die Klage mit Gerichtsbescheid vom 6. November 2009 abgewiesen. Zur Begründung ist ausgeführt: Die Klage sei unbegründet. Der Kläger habe keinen Anspruch gegen die Beklagte auf Gewährung von Insg, denn er habe seinen Antrag entgegen § 324 Abs. 3 Satz 1 SGB III nicht binnen zwei Monaten ab Eintritt des Insolvenzereignisses gestellt. Zwar werde nach § 324 Abs. 3 Satz 2 SGB III Insg auch bei Fristversäumnis geleistet, wenn der Antrag innerhalb von zwei Monaten nach Wegfall des Hinderungsgrundes gestellt werde, sofern der Arbeitnehmer die Frist aus von ihm nicht zu vertretenden Gründen versäumt habe. Der Kläger habe jedoch nicht nachgewiesen, dass er aus von ihm nicht zu vertretenden Gründen an einer rechtzeitigen Antragstellung gehindert gewesen sei. Wenn er frühzeitiger seine Lohnansprüche verfolgt hätte, so hätte er auch den Insg-Antrag früher stellen können. Aufgrund der Beendigung des Arbeitsverhältnisses habe kein Grund für ihn zur Zurückhaltung bestanden. Die nicht rechtzeitige Stellung des Insg-Antrags habe der Kläger auch zu vertreten. Dabei könne offen bleiben, ob ihm ein etwaiges Verschulden seiner Prozessbevollmächtigten zuzurechnen wäre. Denn der Kläger habe sich in eigener Person nicht mit der erforderlichen Sorgfalt um die Durchsetzung seiner Ansprüche bemüht (vgl. § 324 Abs. 3 Satz 3 SGB III). Er hätte sich nicht mit der Klageerhebung „vertrösten“ lassen dürfen und entweder die Prozessbevollmächtigten zu umgehenden Klageerhebung anweisen, einen anderen Prozessbevollmächtigten wählen oder selbst Klage vor dem Arbeitsgericht erheben müssen.

Im Berufungsverfahren trägt der Kläger vor: Sowohl seine Prozessbevollmächtigten wie auch er selbst hätten keinen Argwohn gehabt, dass N offenbar bereits im Jahre 2003 zahlungsunfähig gewesen sei. Selbst wenn die Klageschrift zeitnah beim Arbeitsgericht eingereicht worden wäre, hätten die Zahlungsansprüche gegen N nicht durchgesetzt werden können. Er habe seine Prozessbevollmächtigten mehrfach zur Klageerhebung aufgefordert und habe auch aufgrund seiner Unerfahrenheit, seiner eingeschränkten Deutschkenntnisse und seines zu den Prozessbevollmächtigten bestehenden Vertrauensverhältnisses nicht selbst die Lohnklage erheben müssen.

Der Kläger beantragt,

die Beklagte in Änderung des Gerichtsbescheides des Sozialgerichts Cottbus vom 6. November 2009 und unter Aufhebung des Bescheides vom 9. Februar 2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 21. März 2007 zu verurteilen, ihm für die Zeit vom 15. Januar 2003 bis 14. März 2003 Insolvenzausfallgeld in Höhe von 6.042,50 € brutto abzüglich gezahlter 1.295,- € netto sowie weitere 1.450,- € netto zu zahlen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie verteidigt den angegriffenen Gerichtsbescheid.

Wegen des Sach- und Streitstandes im Übrigen wird auf die zum Verfahren eingereichten Schriftsätze der Beteiligten nebst Anlagen Bezug genommen.

Die den Kläger und B betreffenden Verwaltungsakten der Beklagten sowie die Gerichtsakten haben vorgelegen und sind Gegenstand der Beratung gewesen.

Entscheidungsgründe

Die Berufung des Klägers, über die der Senat im Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung gemäß § 124 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) entscheiden konnte, ist unbegründet.

Der Kläger hat für den Zeitraum vom 15. Januar 2003 bis 14. März 2003 keinen Anspruch auf Insg, weil er seinen entsprechenden Leistungsantrag verspätet gestellt hat.

Nach § 183 Abs. 1 Satz 1 SGB III in der hier anzuwendenden Fassung des Gesetzes zur Reform der arbeitsmarktpolitischen Instrumente (Job-AQTIV-Gesetz) vom 10. Dezember 2001 (BGBl I S. 3443) haben Arbeitnehmer Anspruch auf Insg, wenn sie im Inland beschäftigt waren und bei 1. Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen ihres Arbeitgebers, 2. Abweisung des Antrages auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens mangels Masse oder 3. vollständiger Beendigung der Betriebstätigkeit im Inland, wenn ein Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens nicht gestellt worden ist und ein Insolvenzverfahren offensichtlich mangels Masse nicht in Betracht kommt (Insolvenzereignis), für die vorausgehenden drei Monate des Arbeitsverhältnisses noch Ansprüche auf Arbeitsentgelt haben. Abweichend von der Regelung in § 324 Abs. 1 Satz 1 SGB III ist Insg innerhalb einer Ausschlussfrist von zwei Monaten nach dem Insolvenzereignis zu beantragen (vgl. § 324 Abs. 3 Satz 1 SGB III).

Es kann offen bleiben kann, ob ggfs. bereits die vollständige Aufgabe der Betriebstätigkeit im September 2003 bzw. die Abweisung des (ersten) Insolvenzantrags mangels Masse am 2. April 2004 oder erst die Eröffnung des Insolvenzverfahrens mit Beschluss vom 5. April 2006 das den Lauf der Frist des § 324 Abs. 3 Satz 1 SGB III in Gang setzende Insolvenzereignis darstellt. Diese Ausschlussfrist war in jedem Fall bereits bei Stellung des Insg-Antrags am 25. Januar 2007 abgelaufen.

Dem Kläger kommt auch nicht die in § 324 Abs. 3 Satz 2 SGB III vorgesehene Nachfrist zugute. Dort ist bestimmt, dass Insg auch geleistet wird, wenn der Arbeitnehmer die Frist aus Gründen versäumt, die er nicht zu vertreten hat und der Antrag innerhalb von zwei Monaten nach Wegfall des Hinderungsgrundes gestellt wird. Allerdings hat der Arbeitnehmer nach § 324 Abs. 3 Satz 3 SGB III die Fristversäumnis zu vertreten, wenn er sich nicht mit der gebotenen Sorgfalt um die Durchsetzung seiner Ansprüche bemüht hat. Die unverschuldete Unkenntnis von einem Insolvenzereignis führt also nur dann zur Eröffnung einer weiteren Antragsfrist, wenn sich der Arbeitnehmer um die Durchsetzung seiner rückständigen Lohnansprüche bemüht hat. Daran fehlt es hier. Der Kläger hat letztlich nichts unternommen, um die von ihm geltend gemachten Lohnansprüche gegen N auch durchzusetzen. Dabei bestand hierfür durchaus Anlass, weil die Betriebstätigkeit jedenfalls zum 26. September 2003 vollständig eingestellt worden war. Der Kläger hatte zwar seine Prozessbevollmächtigten bereits am 31. März 2003 mit der Durchsetzung seiner arbeitsrechtlichen Ansprüche beauftragt. Sodann geschah aber für insgesamt etwa dreieinhalb Jahre nichts Wesentliches, obwohl der gebotenen Klageerhebung nach Ermittlung der Arbeitgeberin und der Deckungszusage der Rechtsschutzversicherung - wie vom Kläger mit Schriftsatz vom 17. Juli 2007 ausdrücklich eingeräumt worden ist - objektiv nichts im Wege stand. Dieses Verhalten entspricht nicht der nach § 324 Abs. 3 Satz 3 SGB III gebotenen Sorgfalt. Nachdem der Kläger aus dem Betrieb ausgeschieden war, war „energisches“ Handeln gefordert (vgl. BSG, Urteil vom 30. April 1996 - 10 RAr 8/94 -, juris). Dabei kommt es für die Frage des „Bemühens“ nicht darauf an, ob dadurch eine Kenntnis des Insolvenzfalles erlangt worden wäre. Kausalität ist in diesem Zusammenhang gerade nicht erforderlich (vgl. BSG aaO). Ein Arbeitnehmer hat in diesem Zusammenhang jede Fahrlässigkeit zu vertreten und muss auch nach § 21 Abs. 1 Satz 2 Sozialgesetzbuch – Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz - (SGB X) im Rahmen eines erteilten Auftrages das Verschulden eines Vertreters gegen sich gelten lassen (vgl. BSG, Urteil vom 29. Oktober 1992 - 10 RAr 14/91 = SozR 3-4100 § 141e Nr. 2; Eicher/Schlegel, SGB III, Stand Dezember 2007, § 324 Rn. 54). Entscheidend ist, ob der Betroffene die schuldhaft handelnde Person ausdrücklich zu seinem Vertreter bestellt hat und die Vornahme der fristwahrenden Handlung bzw. das für die Fristversäumnis ursächliche Verhalten in deren Aufgabenbereich fällt. Für die Fristversäumnis ursächliches Verhalten war hier nicht das Nichtverfolgen des Insg-Anspruchs gewesen, sondern das überaus zögerliche Verfolgen der Arbeitsentgeltansprüche des Klägers gegen seine ehemalige Arbeitgeberin durch seine Prozessbevollmächtigten. Es entspricht einem allgemeinen Rechtsgedanken, dass sich niemand einer Verantwortung, die ihm im Außenverhältnis obliegt, dadurch entledigen kann, dass er eigene Aufgaben einem Anderen zur Erledigung überträgt (vgl. BSG, Urteil vom 29. Oktober 1992, aaO). Folglich ist dem Kläger vorzuwerfen, dass er sich - vertreten durch die Prozessbevollmächtigten - nicht mit der erforderlichen Sorgfalt um die Durchsetzung seiner Ansprüche bemüht hat. Es kommt deshalb nicht darauf an, ob der Kläger seine Prozessbevollmächtigten ordnungsgemäß beaufsichtigt hat oder ob diese irgendwelche Pflichten in Bezug auf die Durchsetzung des Insg-Anspruchs hatten. Insofern liegt der Fall hier anders, als in den Fällen, in denen der nur arbeitsrechtlich beauftragte Anwalt Kenntnis vom Insolvenzereignis hat und insolvenzrechtlich nichts unternimmt (vgl. BSG, Urteil vom 29. Oktober 1992, aaO).

Schließlich scheitert die Zurechnung des Verschuldens der Prozessbevollmächtigten auch nicht an europarechtlichen Vorgaben. Der Europäische Gerichtshof (EuGH) hat in seinem Urteil vom 18. September 2003 - C- 125/01 = SozR 4-4300 § 324 Nr. 1 die Vereinbarkeit einer Ausschlussfrist mit der Richtlinie des Rates zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedsstaaten über den Schutz der Arbeitnehmer bei Zahlungsunfähigkeit des Arbeitgebers (80/987/EWG) vom 20. Oktober 1980 bestätigt, wenn die Ausschlussfrist, binnen deren ein Arbeitnehmer nach nationalem Recht einen Antrag auf Zahlung von Insolvenzgeld nach Maßgabe dieser Richtlinie stellen muss, so ausgestaltet ist, dass die betreffende Frist nicht weniger günstig ist als bei gleichartigen innerstaatlichen Anträgen (Grundsatz der Gleichwertigkeit) und nicht so ausgestaltet ist, dass sie die Ausübung der von der Gemeinschaftsrechtsordnung eingeräumten Rechte praktisch unmöglich macht (Grundsatz der Effektivität). Wegen der in § 324 Abs. 3 Satz 2 SGB III eingeräumten Nachfrist erfüllt § 324 Abs. 3 Satz 1 SGB III die beiden europarechtlichen Vorgaben der Gleichwertigkeit und Effektivität (vgl. BSG, Beschluss vom 17. Oktober 2007 - B 11a AL 75/07 B -, juris; LSG Chemnitz, Urteil vom 17. April 2007 - L 1 AL 282/04 -, juris). Aufgrund des subjektiven Fahrlässigkeitsmaßstabs werden auch keine überhöhten Anforderungen an das Vertretenmüssen gestellt. Anhaltspunkte dafür, dass aus dem europarechtlichen Grundsatz der Effektivität dem Kläger im hier vorliegenden Einzelfall gleichwohl trotz sorgfaltswidrigen Verfolgens seiner Ansprüche im Wege einer europarechtskonformen Auslegung eine Nachfrist einzuräumen wäre, hat der Kläger weder vorgetragen noch sind diese sonst ersichtlich.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe für eine Zulassung der Revision gemäß § 160 Abs. 2 Nrn. 1 oder 2 SGG liegen nicht vor.