Gericht | LSG Berlin-Brandenburg 1. Senat | Entscheidungsdatum | 31.01.2013 | |
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Aktenzeichen | L 24 KA 98/10 | ECLI | ||
Dokumententyp | Urteil | Verfahrensgang | - | |
Normen | § 24 ZO-Ärzte |
Das Urteil des Sozialgerichts Potsdam vom 15. September 2010 und der Beschluss des Beklagten vom 12. Mai 2009 werden aufgehoben. Der Beklagte wird verpflichtet, über den Widerspruch der Klägerin gegen den Beschluss des Zulassungsausschusses für Ärzte bei der Kassenärztlichen Vereinigung Brandenburg vom 17. September 2008 unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts erneut zu entscheiden.
Der Beklagte hat die Kosten des gesamten Rechtsstreits zu tragen, mit Ausnahme der Kosten der Beigeladenen, die diese selbst trägt.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Die Klägerin begehrt die Ermächtigung zur Erbringung von vertragsärztlichen Leistungen an einem weiteren Ort außerhalb ihres Vertragsarztsitzes (Zweigpraxis).
Die Klägerin ist seit dem 01. April 2002 als Fachärztin für Augenheilkunde zugelassen. Ihr Vertragsarztsitz ist in J im Planungsbereich W (Sachsen-Anhalt).
Am 12. Februar 2007 beantragte sie bei dem Zulassungsausschuss für Ärzte bei der Kassenärztlichen Vereinigung Brandenburg die Genehmigung einer vertragsärztlichen Tätigkeit an einem weiteren Ort, in B L, im Planungsbereich E-E (Brandenburg). Als vorgesehene Sprechstunde in der Zweigpraxis gab sie Montagnachmittag von 16:00 Uhr bis 19:00 Uhr und mittwochs von 10:00 Uhr bis 16:00 Uhr an.
Der Zulassungsausschuss bei der Kassenärztlichen Vereinigung Sachsen-Anhalt teilte mit Schreiben vom 28. März 2007 mit, dass die Klägerin mit einer Fallzahl von knapp 1000 Fällen pro Quartal die durchschnittliche Fallzahl der Augenärzte (durchschnittliche Fälle pro Augenarzt) noch nicht erreicht habe. Seiner Ansicht könne daher durch eine Steigerung der Fallzahlen eine Verbesserung der Versorgungssituation am Ort der Niederlassung erfolgen. Eine positive Stellungnahme zu dem Antrag der Klägerin könne er deshalb nicht abgeben.
Die Kassenärztliche Vereinigung Sachsen-Anhalt teilte mit Schreiben vom 30. Mai 2007 mit, dass bei einer Genehmigung der Nebenbetriebsstätte für die Klägerin in B L Patienten aus W zwangsläufig eine vorhandene Ausweichmöglichkeit in J genommen würde. Sie könne deshalb ebenfalls eine positive Stellungnahme zu dem Antrag der Klägerin nicht abgeben.
Mit Schreiben vom 28. August 2007 modifizierte die Klägerin daraufhin ihren Antrag dahingehend, dass sie nunmehr noch eine Ermächtigung für eine Tätigkeit in einem Umfang von 4 Stunden am Mittwochnachmittag begehre.
Der Zulassungsausschuss bei der Kassenärztlichen Vereinigung Sachsen-Anhalt und die Kassenärztliche Vereinigung Sachsen-Anhalt teilten daraufhin mit Schreiben vom 11. Oktober 2007 und 10. Oktober 2007 mit, dass sie nach nochmaliger eingehender Beratung nunmehr der Auffassung seien, dass die Ermächtigung für eine Nebenbetriebsstätte in B L genehmigt werden sollte. Der entsprechende Beschluss sollte allerdings die Nebenbestimmungen enthalten, dass die Sprechstunden am Vertragsarztsitz nicht weniger als 20 Stunden in der Woche betragen dürften und dass die Vertragsarzttätigkeit in der Zweigpraxis auf 4 Stunden an einem Tag in der Woche begrenzt werde.
Die Beigeladene teilte mit Schreiben vom 30. November 2007 mit, dass im Planungsbereich E-E derzeit 5 Augenärzte niedergelassen seien. Eine weitere Zulassung für den Ort B L werde am 26. September 2007 zum 01. Juli 2008 ausgesprochen. Hier werde der seit Juni 2006 unbesetzte Praxis-Sitz weitergeführt. Aufgrund der erteilten Zulassung werde der Planungsbereich erneut für Zulassungen von Fachärzten für Augenheilkunde gesperrt. Die Versorgung der Bevölkerung im Planungsbereich mit augenärztlichen Leistungen sei daher ausreichend gewährleistet. Sie empfehle daher, den Antrag der Klägerin abzulehnen.
Der Zulassungsausschuss für Ärzte für das Land Brandenburg lehnte daraufhin den Antrag der Klägerin mit Beschluss vom 17. September 2008 ab. Zur Begründung führte er im wesentlichen aus, dass er unter Berücksichtigung des Ergebnisses der Bedarfsprüfung durch die Beigeladene zu der Auffassung gelangt sei, dass nicht zu erkennen sei, dass die Führung einer Zweigpraxis in B L zu einer Verbesserung der Versorgung der Versicherten führe. Auch unter Beachtung der im Planungsbereich E-E bestehenden Wartezeiten für Terminvergaben für augenärztliche Untersuchungen von bis zu 3 Monaten, sei eine Ermächtigung für eine Zweigpraxis in B L nicht gerechtfertigt, da in Notfällen von den Augenarztpraxen jederzeit kurzfristig Behandlungstermine vergeben würden.
Hiergegen legte die Klägerin Widerspruch ein. Zur Begründung führte sie aus, dass Wartezeiten von bis zu 3 Monaten nicht akzeptabel seien. Es sei ihr auch wichtig, gerade in B L eine Zweigpraxis zu errichten. Sie unterhalte dort schon jetzt eine genehmigte privatärztliche Zweigpraxis. Ihr sei deshalb bekannt, dass die augenärztliche Versorgung in B L einer Verbesserung bedürfe; sie könne dort ultraschalldiagnostische Leistungen anbieten, die vom niedergelassenen Vertragsarzt nicht erbracht würden.
Die Beigeladene nahm mit Schreiben vom 01. April 2009 hierzu Stellung. Der Planungsbereich E-E sei ausreichend mit Fachärzten für Augenheilkunde versorgt. Der Landesausschuss der Ärzte und Krankenkassen habe den Planbereich E-E für weitere Zulassungen von Augenärzten gesperrt. Im Versorgungsbereich des Altkreises B L seien zwei Augenärzte niedergelassen. Das Leistungsspektrum dieser Augenarztpraxen umfasse die konservative Augenheilkunde als Basisversorgung, aber auch operative Therapien der Glaukome, Katarakte und der Erkrankung der Netzhaut. Von den weiteren im Planungsbereich E-E niedergelassenen Augenärzten lägen ihr übereinstimmende negative Stellungnahmen zum Widerspruch der Klägerin vor. Die in der Widerspruchsbegründung aufgeführten Wartezeiten könnten nicht bestätigt werden. Die augenärztliche Versorgung der Patienten in B L sei quantitativ und qualitativ ausreichend sichergestellt und eine Verbesserung der Versorgung durch die Erteilung einer Zweigpraxis-Ermächtigung sei nicht zu erwarten.
Mit Beschluss vom 12. Mai 2009 wies der Beklagte den Widerspruch der Klägerin zurück. Durch die Genehmigung der von der Klägerin begehrten Zweigpraxis sei keine Verbesserung der Versorgung im Sinne von § 24 Abs. 3 Satz 1 der Zulassungsverordnung für Vertragsärzte (Ärzte-ZV) am Ort der beabsichtigten Zweigpraxis nicht zu erwarten sei. Unter Verbesserung der Versorgung in diesem Sinne sei nicht jede zusätzliche vertragsärztliche Tätigkeit zu verstehen. Sofern – wie im vorliegenden Fall – nur eine quantitative Verbesserung in Frage komme, sei nur dann von einer Versorgungsverbesserung auszugehen, wenn durch die Zweigpraxis einem lokalen quantitativen Versorgungsbedarf in Teilen eines Planungsbereichs begegnen werden könne (und müsse). Hiervon sei nicht auszugehen. So hänge die Beurteilung des Versorgungsbedarfs nicht unbedingt davon ab, ob der Planungsbereich nach den Regelungen der Bedarfsplanung wegen Überversorgung gesperrt sei oder nicht. Gleichwohl könnten die der Bedarfsplanung zugrunde liegenden Messzahlen Hinweise dafür geben, ob quantitative Defizite in der vertragsärztlichen Versorgung vorlägen. Er vertrete die Auffassung, dass der Bedarf an augenärztlichen Leistungen der ca. 12.000 Einwohner von B L von den in B L zugelassenen Augenärzten voll abgedeckt werde.
Dies werde auch durch die von der Beigeladenen im Schreiben vom 01. April 2009 mitgeteilten Fallzahlen deutlich. Der niedergelassene Augenarzt in B L habe in den Quartalen III. und IV/2008 einen Fallzahldurchschnitt von 1508 gegenüber dem Fallzahldurchschnitt aller im Planungsbereich zugelassenen Augenärzte von 1899 und einem Fallzahldurchschnitt der Fachgruppe im Bezirk der Beigeladenen von 1601 in den Quartalen III/2007 bis II/2008 aufgewiesen. Eine zusätzliche Tätigkeit der Klägerin in B L würde danach nicht zu einer Verbesserung der Versorgung im vorgenannten Sinne führen, zumal nicht feststellbar sei, dass im engeren Versorgungsbereich B L ein Versorgungsdefizit drohe. Die von der Klägerin geltend gemachten Wartezeiten könnten, selbst wenn sie vorlägen, dieses Ergebnis nicht in Frage stellen.
Gegen den ihr am 06. Juni 2009 zugestellten Beschluss hat die Klägerin am 29. Juni 2009 Klage erhoben. Im Wesentlichen hat sie sich auf das Urteil des Bundessozialgerichts vom 28. Oktober 2009 – B 6 KA 42/08 R – Bezug genommen. Ihrer Auffassung nach dürften danach bedarfsplanerische Überlegungen in die Entscheidung über die Ermächtigung zur Erbringung von vertragsärztlichen Leistungen an einem weiteren Ort außerhalb des Vertragsarztsitzes nach § 24 Abs. 3 Ärzte-ZV nicht einfließen, selbst wenn dadurch der Gesichtspunkt der Bedarfsplanung unterlaufen würde. Dass der Planungsbereich in dem der Zweigpraxissitz begehrt werde, gesperrt sei, sei ebenfalls unschädlich, weil ein gesonderter Versorgungsbedarf nicht Voraussetzung für die Genehmigung einer Zweigpraxis sei. Die Argumentation des Beklagten, es würde kein Bedarf bestehen, sei daher rechtlich unerheblich.
Das Sozialgericht Potsdam hat die Klage mit Urteil vom 15. September 2010 abgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, dass die Klägerin zu Recht vorgetragen habe, dass die Erteilung der Zweigpraxisgenehmigung nach § 24 Abs. 3 Satz 1 Ärzte-ZV nicht zwingend das Bestehen einer ausgleichsbedürftigen Versorgungslücke voraussetze. Zu prüfen sei ausschließlich, ob mit Aufnahme der Tätigkeit der Klägerin in der Zweigpraxis quantitativ oder qualitativ am Ort der Zweigniederlassung – und nicht im Planungsbereich E-E – eine Versorgungsverbesserung gegeben sei. Diese Voraussetzung sei nicht erfüllt. Eine qualitative Verbesserung der Versorgung scheide im vorliegenden Fall, weil die Klägerin nicht ein Leistungsspektrum anbiete, welches über das Leistungsspektrum der niedergelassenen Vertragsärzte hinausgehe. Auch eine quantitative Verbesserung der Versorgungssituation sei nicht zu erwarten. Grundsätzlich sei nicht jede quantitative Veränderung tatsächlich eine Versorgungsverbesserung. Die Versorgungsverbesserung könne nur bejaht werden, wenn damit eine Verkürzung der Wartezeiten zu erreichen wäre oder aber Sprechstunden in den Abendstunden oder am Wochenende angeboten würden.
Welches Ausmaß eine Verbesserung haben müsse ist in jedem Einzelfall zu entscheiden. Im vorliegenden Fall komme das Gericht zu der Auffassung, dass mit der von der Klägerin angestrebten Tätigkeit in der Zweigpraxis keine wesentliche Verkürzung der Wartezeiten in B L verbunden sei. Dies zeige sich zum einen bereits aus dem Umfang der begehrten Sprechstundenzeit in der Zweigpraxis von 4 Stunden am Mittwochnachmittag.
Gegen das der Klägerin am 12. Oktober 2010 zugestellte Urteil richtet sich ihre Berufung vom 11. November 2010 mit der sie im Wesentlichen ihr bisheriges Vorbringen wiederholt und vertieft.
Die Klägerin beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Potsdam vom 15. September 2010 aufzuheben und den Beklagten unter Aufhebung seines Beschlusses vom 12. Mai 2009 zu verpflichten, über den Widerspruch der Klägerin gegen den Beschluss des Zulassungsausschusses vom 17. September 2008 unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts neu zu entscheiden.
Der Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Er verteidigt die angefochtene Entscheidung. Das Sozialgericht Potsdam habe mit überzeugender Begründung die Klage abgewiesen und sich dabei zu Recht darauf gestützt, dass die für die Ermächtigung zum Betrieb einer Zweigpraxis erforderliche Verbesserung der Versorgung im Sinne von § 24 Abs. 3 der Ärzte-ZV am geplanten Zweigpraxissitz in B L nicht eintreten werde. Mit den geplanten 4 Stunden Sprechzeit am Mittwochnachmittag könne eine Versorgungsverbesserung am Zweigpraxissitz weder in qualitativer noch in quantitativer Hinsicht erreicht werden. Soweit sich die Berufung auf angeblich erhebliche Wartezeiten am beantragten Vertragsarztpraxis in B L berufe, entbehre dieser Vortrag jeder Grundlage. Der niedergelassene Vertragsarzt in B L verfüge über freie Kapazitäten.
Die Beigeladene hat keinen Antrag gestellt.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die zwischen den Beteiligten gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen, den sonstigen Inhalt der Gerichtsakte und auf die Verwaltungsakte des Beklagten Bezug genommen.
Der Senat konnte durch den Berichterstatter ohne mündliche Verhandlung (§§ 155 Abs. 4 und 124 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) entscheiden, weil die Beteiligten sich mit dieser Verfahrensweise einverstanden erklärt haben.
Die zulässige Berufung ist begründet. Das Sozialgericht Potsdam hat die Klage zu Unrecht abgewiesen. Der Beschluss des Beklagten vom 12. Mai 2009 ist rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten. Der Beklagte hat die Voraussetzungen für einen Anspruch auf Ermächtigung zur Erbringung von vertragsärztlichen Leistungen an einem weiteren Ort außerhalb des Vertragsarztsitzes nach § 24 Abs. 3 Ärzte-ZV nicht rechtsfehlerfrei verneint. Der Beklagte war daher zu verpflichten, über den Widerspruch der Klägerin gegen den Beschluss des Zulassungsausschusses vom 17. September 2008 unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts neu zu entscheiden.
Der Anwendungsbereich des § 24 Abs. 3 Ärzte-ZV ist eröffnet, weil die Klägerin mit Vertragsarztsitz in Sachsen Anhalt eine Zweigpraxis in B L (Brandenburg) und damit in einem anderen Zulassungsbezirk betreiben will.
Die Entscheidung des Beklagten leidet nicht unter einem von Amts wegen zu berücksichtigenden Verfahrensfehler. Insbesondere ist die erforderliche Anhörung des Zulassungsausschusses bei der Kassenärztlichen Vereinigung Sachsen Anhalt und der Beigeladenen erfolgt.
Die Voraussetzungen des § 24 Abs. 3 Satz 1 Nummer 1 Ärzte-ZV hat der Beklagte nicht beurteilungsfehlerfrei verneint. Dabei hat der Senat § 24 Ärzte-ZV in der Fassung ab dem 1. Januar 2012 anzuwenden. Nach den Grundsätzen des intertemporalen Prozessrechtes ist in Verpflichtungssachen stets die Rechtslage zum Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung zugrunde zu legen, so weit sich aus dem materiellen Recht im Einzelnen nichts anderes ergibt. Eine Änderung ist allerdings nur hinsichtlich der Voraussetzung des § 24 Abs. 3 Satz 1 Nummer 2 Ärzte-ZV eingetreten.
Nach § 24 Abs. 3 Satz 1 Ärzte-ZV sind vertragsärztliche Tätigkeiten außerhalb des Vertragsarztsitzes an weiteren Orten zulässig, wenn und soweit
1. dies die Versorgung der Versicherten an den weiteren Orten verbessert und
2. die ordnungsgemäße Versorgung der Versicherten am Ort des Vertragsarztsitzes nicht beeinträchtigt wird; geringfügige Beeinträchtigungen für die Versorgung am Ort des Vertragsarztsitzes sind unbeachtlich, wenn sie durch die Verbesserung der Versorgung an dem weiteren Ort aufgewogen werden.
Bei der Prüfung beider kumulativer Voraussetzungen steht den Zulassungsgremien ein Beurteilungsspielraum zu, so dass die Entscheidung insoweit nur einer beschränkten gerichtlichen Nachprüfung unterliegen (vgl. Urteil des Bundessozialgerichts <BSG> vom 9. Februar 2011 – B 6 KA 3/10 R -, für Nr. 1 und Urteil vom selben Tag - B 6 KA 7/10 R -, für Nr. 2). Insoweit folgt der Senat der Rechtsprechung des BSG, wonach die Beurteilung einer Versorgungsverbesserung nicht anders zu bewerten ist als die Feststellung der Voraussetzungen für eine Sonderbedarfszulassung oder die Eröffnung einer Zweigpraxis nach altem Recht. Die zur Entscheidung berufenen Zulassungsgremien bei den kassenärztlichen Vereinigungen haben hierbei eine Vielzahl von Versorgungs- und regionalstrukturellen Aspekten zu berücksichtigen und in ihrem Zusammenspiel zu gewichten und gegeneinander abzuwägen. Es handelt sich letztlich um eine wertende Entscheidung unter Abwägung aller relevanten Gesichtspunkte darüber, welche Vor- und Nachteile der beabsichtigten Versorgung durch die Zweigpraxis ausschlaggebend sind. Die gerichtliche Überprüfung beschränkt sich darauf, ob die erforderlichen Tatsachenermittlungen angestellt worden sind und die hieraus gezogenen Schlussfolgerungen vertretbar sind. Sind diese Anforderungen an die ordnungsgemäße und rechtsfehlerfreie Ausübung des Beurteilungsspielraums erfüllt, so ist dem Gericht eine weitere inhaltliche Prüfung versagt. Im Falle eines Beurteilungsspielraums sind die Gerichte nicht berechtigt, ihre Entscheidungen an die Stelle der angefochtenen Entscheidung der zuständigen Verwaltungsträger zu setzen (vgl. hierzu insgesamt Urteil des BSG vom 9. Februar 2011 – B 6 KA 3/10 R –, RdNr. 22 bei Juris).
Die neuere Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) zu den Anforderungen an die Annahme eines gerichtlich nur eingeschränkt überprüfbaren Beurteilungsspielraums der Verwaltung (insbesondere Beschluss vom 31. Mai 2011 - 1 BvR 857/07 - ) gibt keinen Anlass zu einer anderen Bewertung. Das BVerfG hat die Möglichkeit bestätigt, dass das materielle Recht in verfassungsrechtlich unbedenklicher Weise das Entscheidungsverhalten nicht vollständig determinieren kann und der Verwaltung einen Einschätzungs- und Auswahlspielraum belässt. Es hat jedoch – auch gestützt auf Art. 19 Abs. 4 GG – gefordert, dass sich dies ausdrücklich aus dem Gesetz ergeben oder durch Auslegung hinreichend deutlich zu ermitteln sein muss (a. a. O. RdNr. 74 bei Juris). Zwar fehlt es für die Entscheidung des Berufungsausschusses über den Antrag auf Ermächtigung nach § 24 Abs. 3 Ärzte-ZV an einer ausdrücklichen gesetzlichen Regelung zur Einräumung eines Beurteilungsspielraums. Diese ist jedoch durch Auslegung hinreichend deutlich zu ermitteln. Die Anordnung einer Entscheidung des Zulassungsausschusses durch den Gesetzgeber in Ansehung der bereits bestehenden Rechtsprechung zum Bestehen eines Beurteilungsspielraums (bereits zur Zweigpraxis Urteil des BSG vom 20. Dezember 1995 – 6 RKa 55/94 - ) ohne anderweitige Regelung spricht für die Annahme eines Beurteilungsspielraums. Die Verbesserung der Versorgung ist aus den in der vorgenannten Rechtsprechung des BSG herausgearbeiteten Gründen eine fachlich zu bewertende Frage, für die die mit Ärzten- und Kassenvertretern besetzten Zulassungsgremien qualifiziert sind. Bestätigt wird dieser Charakter des Gremiums durch die Bestimmung des § 41 Abs. 2 Ärzte-ZV, wonach Zulassungs- und Berufungsausschuss (§ 45 Abs. 3 Ärzte-ZV) nur in vollständiger Besetzung entscheiden können.
Die Ermittlungen der zuständigen Zulassungsgremien müssen sich auf alle Voraussetzungen zur Feststellung einer Versorgungsverbesserung beziehen. Dabei ist nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts nicht auf bedarfsplanerische Gesichtspunkte abzustellen, sondern allein auf die tatsächliche Versorgung an dem weiteren Ort im Sinne des § 24 Abs. 3 Ärzte-ZV (Urteil des BSG vom 28. Oktober 2009 – B 6 KA 42/08 R -, RdNr. 52 bei Juris). Der Begriff des Ortes ist insoweit – ebenso wie ansonsten in § 24 Ärzte-ZV – nicht als Bezug auf die Gebietskörperschaft zu sehen, in der die Zweigpraxis eröffnet werden soll. Vielmehr bezeichnet der Ort der Niederlassung im Sinne des § 24 Abs. 1 Ärzte-ZV nicht die politische Gemeinde, in der sich die Praxis befindet, sondern deren konkrete Anschrift. Der weitere Ort ist daher nach Auffassung des Senats der konkrete Sitz der beabsichtigten Zweigpraxis.
Der Frage der Definition des Begriffes des Orts kommt jedoch letztlich keine Bedeutung zu. Entscheidend ist vielmehr, dass eine Verbesserung der Versorgung der Versicherten im Einzugsbereich der Zweigpraxis (weiterer Ort) unter Berücksichtigung der denselben Einzugsbereich erfassenden vorhandenen Angebote zu ermitteln ist. Auch wenn man den weiteren Ort im Sinne des § 24 Abs. 3 Satz 1 Ärzte-ZV als politische Gemeinde verstehen wollte, wäre die Frage der Versorgungsverbesserung nicht ausschließlich anhand der Angebote in dieser Gemeinde zu beantworten. Inwieweit Angebote außerhalb der Gemeinde für die Versicherten zumutbar erreichbar sind, ist eine im Einzelfall in die Beurteilung einzustellende Frage. Neben dem konkreten Zeitaufwand für den Weg kann dabei auch die Anzahl der Versicherten, denen die Inanspruchnahme externer Ärzte durch die Eröffnung der Zweigpraxis erspart bleibt, in die durchzuführende Abwägung Eingang finden. Eine Betrachtung der Versorgungssituation vor Ort unter Hinwegdenken der medizinischen Infrastruktur außerhalb der Gemeinde- oder Stadtgrenzen, scheidet hingegen aus.
Eine Verbesserung der Versorgung an dem weiteren Ort kommt nach der Rechtsprechung des BSG (Urteil vom 28. Oktober 2009 – B 6 KA 42/08 R - und Urteile vom 9. Februar 2011 – B 6 KA 49/09 R -, - B 6 KA 3/10 R – und - B 6 KA 7/10 R -) in drei Fällen in Betracht:
1. Im Fall einer bestehenden Unterversorgung am weiteren Ort liegt offenkundig und nach allen vertretenen Auffassungen eine Verbesserung durch die Eröffnung einer Zweigpraxis vor (vgl. BSG, Urteil des BSG vom 28. Oktober 2009 – B 6 KA 42/08 R -, RdNr. 47 bei Juris mit Nachweisen aus dem Schrifttum). Da der Bereich der Versorgungsverbesserung nicht an strikte Bedarfsplangesichtspunkte gebunden ist, kommt es insoweit nicht auf den rechnerisch ermittelten Versorgungsgrad, sondern auf das Bestehen einer tatsächlichen Unterversorgung an (vgl. Urteil des BSG vom 9. Februar 2011 – B 6 KA 3/10 R -).
2. Als weiterer Fall kommt unter bestimmten Umständen die Verbesserung der quantitativen vertragsärztlichen Versorgung der Versicherten an dem weiteren Ort in Betracht (Urteil des BSG vom 28. Oktober 2009 – B 6 KA 42/08 R -, a. a. O., RdNr. 51 bei Juris). Insoweit könnte insbesondere die Reduktion von vorhandenen Wartezeiten zu berücksichtigen sein. Auch besondere organisatorische Vorkehrungen wie etwa das Angebot von Abend- und Wochenendsprechstunden können eine solche quantitative Verbesserung darstellen (BSG a. a. O. RdNr. 52). Die Feststellung eines solchen Angebots im Rahmen der beabsichtigten Zweigpraxis führt aber noch nicht zwingend zur Bejahung einer verbesserten Versorgung. Vielmehr handelt es sich insoweit um abwägungsrelevante Elemente bei der Ausübung des Beurteilungsspielraums der zur Entscheidung berufenen Zulassungsgremien. Auch das BSG hat gerade insoweit den Beurteilungsspielraum als eröffnet angesehen und als Grenzen genannt, dass einerseits kaum spürbare Veränderungen kaum ausreichten, die beabsichtigte Förderung der Zweigpraxistätigkeit aber durch zu hoch gespannte Anforderungen nicht verfehlt werden dürfte (a. a. O. RdNr. 53).
3. Der praxisrelevanteste Fall einer Versorgungsverbesserung liegt in einer qualitativen Verbesserung der Versorgung der Versicherten vor Ort. Insoweit hat das BSG etwa in den Konstellationen weitergehender Abrechnungsgenehmigung des hinzutretenden Arztes oder des Angebots eines differenzierteren Leistungsspektrums eine Versorgungsverbesserung in Betracht gezogen. Ebenso wurde dies erwogen, wenn der hinzutretende Arzt eine besondere Untersuchungs- oder Behandlungsmethode anbietet, die etwa besonders schonend ist oder bessere Diagnose Ergebnisse liefert (Urteil des BSG vom 28. Oktober 2009 – B 6 KA 42/08 R -, RdNr. 52 bei Juris). Inwieweit der Fall einer qualitativen Ausweitung des vertragsärztlichen Angebots tatsächlich zu einer Versorgungsverbesserung führt, hängt im Einzelfall auch von der Frage ab, ob die Anwesenheitszeiten am Ort der Zweigpraxis eine kontinuierliche Versorgung zulassen, soweit das ärztliche Fachgebiet des Vertragsarztes eine solche erfordert (vgl. Urteil des BSG vom 9. Februar 2011 – B 6 KA 3/10 R -).
Auch bei den vorgenannten Kriterien für eine qualitative Versorgungsverbesserung handelt es sich um Elemente innerhalb der durchzuführenden Abwägung.
Bei Anwendung dieses Maßstabs hat der Beklagte das Vorliegen einer Verbesserung der Versorgung am beantragten Ort der Zweigpraxis in B L nicht beurteilungsfehlerfrei verneint. Gegenstand der gerichtlichen Überprüfung ist dabei maßgeblich die in der Begründung des angefochtenen Beschlusses wiedergegebene Abwägungsentscheidung (vgl. zur Bedeutung der Begründung bei Bestehen eines Beurteilungsspielraums Urteil des BSG vom 17. Dezember 2009 – B 3 P 3/08 R -, RdNr. 69 bei Juris).
Der Beklagte ist insoweit bereits von einem falschen rechtlichen Maßstab ausgegangen. Ausweislich Seite 5 des angefochtenen Beschlusses hat der Beklagte seiner Entscheidung zu Grunde gelegt, dass unter „Verbesserung der Versorgung“ im Sinne von § 24 Abs. 3 Ärzte-ZV nicht jede zusätzliche vertragsärztliche Tätigkeit zu verstehen sei. Eine Verbesserung liege, sofern, wie im vorliegenden Fall, nur eine qualitative Verbesserung in Frage komme, nur dann vor, wenn damit ein lokaler quantitativer Versorgungsbedarf in Teilen eines Planungsbereiches begegnet werden könne und müsse. Die der Bedarfsplanung zugrunde liegenden Messzahlen könnten Hinweise dafür geben, ob quantitative Defizite in der vertragsärztlichen Versorgung vorlägen. Bei diesem Maßstab hat er eine „ausreichende Versorgung“ der Patienten in B L festgestellt. Eine zusätzliche Tätigkeit der Klägerin in B L würde danach nicht zu einer Verbesserung der Versorgung im Sinne von § 24 Abs. 3 Ärzte-ZV führen, zumal nicht feststellbar sei, dass im engeren Versorgungsbereich B L ein Versorgungsdefizit drohe.
Der Beklagte hat damit den Prüfungsmaßstab hinsichtlich der Voraussetzung „Verbesserung der Versorgung“ im Sinne von § 24 Abs. 3 Ärzte-ZV in unzulässiger Weise in quantitativer Hinsicht auf eine Verbesserung der Versorgung im bedarfsplanerischen Sinne verkürzt und hierbei eine tatsächliche Unterversorgung zum Maßstab im Sinne einer notwendigen Voraussetzung der begehrten Ermächtigung gemacht. Ein entsprechender Versorgungsbedarf ist aber nicht die einzig mögliche und auch nicht ausschließliche Voraussetzung der begehrten Ermächtigung (s. o.). Dass es sich insoweit nicht nur um sprachliche Ungenauigkeiten handelt, hat der Beklagte durch die Verteidigung dieses von ihm angewandten Maßstabes im gerichtlichen Verfahren bestätigt.
Gebotene und naheliegende Feststellungen, hinsichtlich der von der Klägerin bereits im Verwaltungsverfahren vorgetragenen erheblichen Wartezeiten in B L für eine augenärztliche Untersuchung hat der Beklagte indes nicht getroffen. Eine Auseinandersetzung mit diesem Vortrag erfolgt in dem angefochten Beschluss jedenfalls nicht. Der Beklagte hat hierzu in dem angefochtenen Beschluss lediglich ausgeführt, dass die geltend gemachten Wartezeiten, selbst wenn sie vorlägen, dieses Ergebnis nicht in Frage stellen könnten. Eine Begründung wird insoweit nicht gegeben. Der Beklagte den Vortrag der Klägerin insoweit im Übrigen bestritten. Ausgehend von der Rechtsaufassung des Beklagten, dass Wartezeiten bei der Prüfung der Verbesserung der Versorgung ohne Bedeutung seien, fehlt insoweit eine Bewertung im Rahmen der Gründe und eine Abwägung mit allen anderen Auswirkungen der begehrten Zweigpraxiseröffnung, zu denen auch die Sprechstunde am Mittwochnachmittag zu rechnen ist.
Die entsprechenden Feststellungen nachzuholen und zu bewerten ist bei Vorliegen eines Beurteilungsspielraums nicht Aufgabe des Gerichts. Auf die eigenständigen Erwägungen des Sozialgerichts kommt es daher nicht an. Die erforderliche Neubeurteilung kann der Beklagte nur im Rahmen einer neuen Entscheidung in der gesetzlich vorgesehenen Besetzung nachholen, weil diese Entscheidung dem Berufungsausschuss als durch seine Besetzung fachlich qualifiziertes Gremium zugewiesen ist. Das BSG hat die Annahme eines Beurteilungsspielraums für die Zulassungsgremien auch mit der Einordnung dieser als sektorspezifische, gruppenplural gebildete Gremien begründet (Urteil des BSG vom 23. Juni 2010 - B 6 KA 22/09 R -, RdNr. 18 bei Juris). Im Berufungsausschuss sind gerade die Vertreter von Ärzten und Krankenkassen als Beisitzer vertreten (§ 97 Abs. 2 Satz 1 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch). Es reicht nach Auffassung des Senats für eine Neuentscheidung nicht aus, dass der Beklagte vertreten durch seinen Vorsitzenden im gerichtlichen Verfahren ergänzend vorträgt und sich etwa weitere tatsächliche Angaben der Beigeladenen zu 1 zu Eigen macht. Es kommt daher nicht darauf an, ob die beschränkte Öffnungszeit der beabsichtigten Zweigpraxis letztlich dem klägerischen Antrag entgegengehalten werden kann. Auch die Dauer der Öffnung der Zweigpraxis hat das BSG als ein Element im Rahmen der Ausübung der Beurteilung angesehen und die Bewertung gerade als in Abhängigkeit von der Versorgungslage stehend angesehen (Urteil vom 9. Februar 2011 – B 6 KA 3/10 R -, RdNr. 28, 29 bei Juris).
Der Beschluss des Beklagten war daher aufzuheben.
Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 197a Abs. 1 Satz 1 SGG, 154 Abs. 1, 3 und 162 Abs. 3 Verwaltungsgerichtsordnung.
Gründe für die Zulassung der Revision nach § 160 Abs. 2 Nr. 1 und 2 SGG liegen nicht vor.