Gericht | OLG Brandenburg 4. Senat für Familiensachen | Entscheidungsdatum | 16.09.2011 | |
---|---|---|---|---|
Aktenzeichen | 13 UF 167/11 | ECLI | ||
Dokumententyp | Beschluss | Verfahrensgang | - | |
Normen |
Auf die Beschwerde der Beschwerdeführerin wird der Beschluss des Amtsgerichts
- Familiengericht - Nauen vom 11. August 2011 - 19 F 72/11 - aufgehoben.
Der Antrag der Staatsanwaltschaft Potsdam auf Anordnung der Ergänzungspflegschaft mit dem Wirkungskreis: Entscheidung über die Ausübung des Zeugnisverweigerungsrechts im Ermittlungsverfahren gegen den Ehemann der Kindesmutter S… K…, …, wegen des Verdachtes des sexuellen Missbrauchs des Kindes (Az.: der Staatsanwaltschaft Potsdam: 476 Js 35214/11), Entbindung der Ärzte von der beruflichen Schweigepflicht, wird zurückgewiesen.
Gerichtskosten für das Beschwerdeverfahren werden nicht erhoben.
Gegenstandswert: 3.000,00 €.
I.
Die Kindesmutter ist die leibliche Mutter des am ….12.2000 geborenen Kindes A… S… und des am ….12.2004 geborenen Kindes L… K…. Der Ehemann der Kindesmutter, S… K…, ist nicht der Vater des Kindes A… S… und für das Kind auch nicht sorgeberechtigt.
Die Kindesmutter hat unter dem 11.07.2011 Strafanzeige gegen S… K… wegen sexuellen Missbrauchs von Kindern (§ 176 StGB) gestellt und als geschädigte Person auch das Kind A… S… angegeben. Wegen der Einzelheiten des Vorwurfs wird auf den Inhalt der Strafanzeige vom 11.07.2011 (Bl. 3 - 19 d.A.) verwiesen. Zudem erstattete die Kindesmutter gegen S… K… auch Strafanzeige wegen des Verdachts des sexuellen Missbrauchs an dem Kind L… K….
Die Staatsanwaltschaft Potsdam hat mit Verfügung vom 29.07.2011 ein Ermittlungsverfahren gegen S… K… wegen des Verdachtes eines Vergehens nach §§ 176, 223 StGB zum Nachteil des Kindes A… S… eingeleitet. Zudem hat es angenommen, zur Sicherung des Beweises sei die Vernehmung der Kinder L… K… und A… S…. erforderlich. Da nicht auszuschließen sei, dass die minderjährigen Kinder wegen mangelnder Verstandesreife von der Bedeutung des Rechtes, die Aussage verweigern zu können, keine genügenden Vorstellungen hätten, und die gesetzlichen Vertreter über die Ausübung des Weigerungsrechtes gemäß § 52 Abs. 2 i.V.m. § 81 c Abs. 3 StPO nicht entscheiden könnten, da sich das Verfahren gegen einen von ihnen richte, hat sie gegenüber dem Amtsgericht - Familiengericht - Nauen unter dem 03.08.2011 beantragt, auch für das Kind A… S… gemäß § 1909 BGB einen Ergänzungspfleger mit dem Wirkungskreis Entscheidung über die Ausübung des Zeugnisverweigerungsrechts, Entbindung der Ärzte von der beruflichen Schweigepflicht zu bestellen.
Das Amtsgericht - Familiengericht - Nauen hat mit dem angefochtenen Beschluss der Rechtspflegerin vom 11.08.2011 antragsgemäß entschieden und das beteiligte Jugendamt zum Ergänzungspfleger bestellt. Die Ergänzungspflegschaft umfasst die Wirkungskreise: Entscheidung über die Ausübung des Zeugnisverweigerungsrechts im Ermittlungsverfahren gegen den Ehemann der Kindesmutter S… K…, …, wegen des Verdachtes des sexuellen Missbrauchs des Kindes (Staatsanwaltschaft Potsdam 476 Js 35214/11), Entbindung der Ärzte von der beruflichen Schweigepflicht. Die Entscheidung hat es im Wesentlichen damit begründet, dass die Kindesmutter, die mit dem Beschuldigten verheiratet sei, wegen des sich daraus ergebenden Interessenkonfliktes gemäß § 52 Abs. 2 Satz 2 i.V.m. § 81 c Abs. 3 StPO analog gehindert sei, in dem oben genannten Wirkungskreis Entscheidungen zu treffen.
Gegen diese Entscheidung richtet sich die fristgerecht eingelegte Beschwerde der Kindesmutter.
II.
Die Beschwerde ist zulässig und begründet.
1.
Das Rechtsmittel ist zulässig. Bei der Einrichtung einer Ergänzungspflegschaft handelt es sich um eine Kindschaftssache im Sinne von § 153 Nr. 5 FamFG, die insoweit eine Endentscheidung darstellt und der Beschwerde gemäß §§ 58 ff. FamFG unterliegt. Das Rechtsmittel ist statthaft und wurde auch frist- und formgerecht eingelegt sowie begründet (§§ 63, 64 FamFG). Die erforderliche Beschwerdeberechtigung (§ 59 FamFG) ist ebenfalls gegeben. Die Statthaftigkeit des Rechtsmittels ergibt sich daraus, dass es sich bei der Anordnung einer Ergänzungspflegschaft gemäß § 1909 Abs. 1 Satz 2 BGB um einen Eingriff in das elterliche Sorgerecht der Kindesmutter handelt. Nach dem Inhalt der Akten steht dieses Sorgerecht hinsichtlich des Kindes A… der Kindesmutter, nicht aber ihrem Ehemann S… K… zu.
2.
Die Beschwerde ist auch begründet. Die Voraussetzungen für die Anordnung einer Ergänzungspflegschaft liegen nicht vor.
Zwar hat über die Ausübung des fraglichen Zeugnisverweigerungsrechts bei einem minderjährigen Kind mit mangelnder Verstandesreife gemäß § 81 c Abs. 3 Satz 2 StPO der gesetzliche Vertreter zu entscheiden - hier allein die Kindesmutter -, diese ist aber nicht nach § 52 Abs. 2 Satz 2 StPO in Verbindung mit der vorbezeichneten Vorschrift von der Entscheidungsbefugnis ausgeschlossen. Im Einzelnen:
Eine Ergänzungspflegschaft für Minderjährige kann nur angeordnet werden, soweit der Inhaber der elterlichen Sorge an deren Ausübung tatsächlich oder rechtlich verhindert ist (§ 1909 Abs. 1 BGB).
Diese Voraussetzung liegt hier nicht vor. Sie kann insbesondere nicht aus § 52 Abs. 2 StPO hergeleitet werden. Gemäß § 52 Abs. 2 Satz 1 StPO dürfen Minderjährige, die wegen mangelnder Verstandesreife von der Bedeutung des Zeugnisverweigerungsrechts keine genügende Vorstellung haben, nur vernommen werden, wenn sie zur Aussage bereit sind und auch ihr gesetzlicher Vertreter der Vernehmung zustimmt. Zwar kann dieser, wenn er selbst Beschuldigter ist, wegen § 52 Abs. 2 Satz 2 StPO über die Ausübung des Zeugnisverweigerungsrechts nicht entscheiden mit der Folge, dass diesbezüglich die Anordnung von Ergänzungspflegschaft in Betracht kommen kann. Indessen enthebt dies das Amtsgericht - Familiengericht - nicht von der vorrangigen Prüfung, ob das Kind überhaupt aussagebereit ist; denn fehlt es hieran, ist für die Anordnung der Ergänzungspflegschaft von vornherein kein Raum (vgl. Saarländisches OLG NJW 2011, 2306; OLG Bremen NJW-RR 2011, 154). Den Akten lässt sich nicht entnehmen, dass das Amtsgericht - Familiengericht - Nauen seine Ermittlungen in diese Richtung erstreckt hätte.
Darauf kommt es aber hier letztlich nicht an, da kein Fall der rechtlichen Verhinderung der Beschwerdeführerin im Sinne des § 52 Abs. 2 Satz 2 StPO gegeben ist. Der gesetzliche Vertreter darf über die Ausübung des Zeugnisverweigerungsrechts des Minderjährigen dann nicht entscheiden, wenn er selbst Beschuldigter ist. Das gleiche gilt für den nicht beschuldigten Elternteil, wenn die gesetzliche Vertretung beiden Elternteilen zusteht.
Davon ausgehend liegt kein Fall der rechtlichen Verhinderung der Kindesmutter vor.
Gegen die Kindesmutter wird nach Mitteilung der Staatsanwaltschaft Potsdam vom 08.09.2011 (476 Js 35214/11) nicht ermittelt, sie ist also nicht Beschuldigte. Des Weiteren steht der Kindesmutter die elterliche Sorge für das Kind A… S… zu, ihr Ehemann S… K…, ist für das Kind A… S… nicht sorgeberechtigt. Mithin liegt die Voraussetzung einer rechtlichen Verhinderung der Kindesmutter nach § 52 Abs. 2 Satz 2 2. HS StPO nicht vor.
Allerdings ist umstritten, ob die Vorschrift des § 52 Abs. 2 Satz 2 StPO gleichwohl auf einen solchen Sachverhalt - der nicht beschuldigte Elternteil ist alleinsorgeberechtigt - entsprechend angewendet werden kann. Eine Entscheidung des Bundesgerichtshofs zu dieser Rechtsfrage liegt hierzu bislang nicht vor. Zum Teil wird eine analoge Anwendung des § 52 Abs. 2 Satz 2 StPO auf einen solchen Fall unter Hinweis auf die vergleichbare Interessenlage befürwortet, von anderen Auffassungen wird dies unter Hinweis auf den eindeutigen Wortlaut des § 52 Abs. 2 Satz 3 StPO abgelehnt (zum Meinungsstand vgl. OLG Nürnberg, MDR 2010, 996).
Der Senat schließt sich der Auffassung an, dass für die vorliegende Fallgestaltung eine auszufüllende „Regelungslücke“ nicht besteht und folgt insoweit dem OLG Nürnberg (a.a.O.). Bereits der eindeutige Wortlaut des § 52 Abs. 2 Satz 3 StPO ist gegen eine solche analoge Anwendbarkeit anzuführen.
Nur vorsorglich wird darauf hingewiesen, dass in Fällen wie dem vorliegenden, falls der alleinvertretungsberechtigte Elternteil sein Sorgerecht durch eine dem Kindeswohl widersprechende Entscheidung missbrauchen sollte, das Sorgerecht teilweise gemäß § 1666 BGB entzogen und dann insoweit Ergänzungspflegschaft angeordnet werden kann.
Mithin ist eine rechtliche Verhinderung der beschwerdeführenden Kindesmutter nicht gegeben, so dass eine Ergänzungspflegschaft ohne vorherigen teilweisen Eingriff in das Recht der elterlichen Sorge nicht angeordnet werden durfte. Der Beschluss des Amtsgerichts - Familiengericht - Nauen vom 11.08.2011 ist deshalb aufzuheben und der Antrag der Staatsanwaltschaft Potsdam auf Anordnung der Ergänzungspflegschaft abzuweisen.
Die Kostenregelung beruht auf § 81 FamFG, die Festsetzung des Verfahrenswerts auf § 40 FamGKG.