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Ausbildungsförderung; Prozesskostenhilfe; Erfolgsaussichten; Beschwerde; Besuch eines Oberstufenzentrums zur Erlangung der allgemeinen Hochschulreife; Änderung zu Ungunsten der Auszubildenden; Aufnahme der Ausbildung; Erkrankung; Abbruch der Ausbildung; (Weiter-) Gewährung der Ausbildungsförderung trotz Erkrankung; offener Ausgang des Klageverfahrens


Metadaten

Gericht OVG Berlin-Brandenburg 6. Senat Entscheidungsdatum 25.02.2014
Aktenzeichen OVG 6 M 84.13 ECLI
Dokumententyp Beschluss Verfahrensgang -
Normen § 166 VwGO, § 114 ZPO, § 121 ZPO, § 15 Abs 1 BAföG, § 15 Abs 2a BAföG, § 53 S 1 Nr 2 BAföG, § 53 S 3 BAföG, § 50 Abs 1 S 1 SGB 10

Leitsatz

Die Frage, ob § 15 Abs. 2a BAföG direkt oder analog auf Fälle anzuwenden ist, in denen der Auszubildende bereits zu Beginn der Ausbildung erkrankt war, ist in der Rechtsprechung bislang nicht geklärt und ergibt sich auch nicht ohne weiteres aus dem Gesetz. Der Ausgang eines Klageverfahrens, in dem sich diese Frage stellt, ist daher offen.

Tenor

Der Beschluss des Verwaltungsgerichts Berlin vom 10. September 2013 wird geändert. Der Klägerin wird Prozesskostenhilfe für den ersten Rechtszug bewilligt und ihr Rechtsanwalt ... aus Berlin beigeordnet.

Gründe

I.

Die Klägerin absolvierte eine einjährige Ausbildung an der Fachoberschule des Oberstufenzentrums Logistik, Touristik, Immobilien, Steuern zur Erlangung der Fachhochschulreife bis zum 18. Juni 2012. Sie war für eine weitere einjährige Schulausbildung der Berufsoberschule des genannten Oberstufenzentrums mit dem Ziel der Erlangung der allgemeinen Hochschulreife ab dem 6. August 2012 eingeschrieben. Die Schulausbildung ab August 2012 trat sie jedoch infolge einer Erkrankung, die sie durch Vorlage eines ärztlichen Attestes vom 3. September 2012 belegt hat, nicht an, sondern brach sie zum 14. September 2012 ab. Der Beklagte hob daraufhin den BAföG-Bewilligungsbescheid auf und forderte die der Klägerin für den Zeitraum Juli bis Oktober 2012 gewährte Ausbildungsförderung in Höhe von insgesamt 2.288 Euro zurück. Das Verwaltungsgericht hat hinreichende Erfolgsaussichten der hiergegen gerichteten Klage verneint und mit dieser Begründung die Bewilligung von Prozesskostenhilfe versagt.

II.

Die hiergegen gerichtete Beschwerde ist zulässig und begründet. Die Klägerin hat nach § 166 VwGO in Verbindung mit § 114 und § 121 der Zivilprozessordnung - ZPO - einen Anspruch auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe und Beiordnung ihres Rechtsanwalts für das erstinstanzliche Verfahren.

Rechtsgrundlage für den klagegegenständlichen Änderungs- und Erstattungsbescheid ist § 53 Satz 1 Nr. 2 in Verbindung mit Satz 3, Halbsatz 2 BAföG in Verbindung mit § 50 Abs. 1 Satz 1 SGB X. Ob dieser Bescheid rechtmäßig ist, hängt maßgeblich davon ab, ob sich ein für die Leistung der Ausbildungsförderung maßgeblicher Umstand nach Bewilligung zu Ungunsten der Klägerin geändert hat. Dies ist nach gegenwärtiger Aktenlage offen.

Gemäß § 15 Abs. 1 BAföG wird Ausbildungsförderung vom Beginn des Monats an geleistet, in dem die Ausbildung aufgenommen wird. Das Verwaltungsgericht ist der Auffassung, die Klägerin habe die Ausbildung nicht aufgenommen, weil sie noch vor deren Beginn erkrankt sei. Das erscheint nachvollziehbar. Fraglich ist allerdings, ob der Klägerin die Regelung des § 15 Abs. 2a BAföG, sei es in direkter, sei es in analoger Anwendung zugutekommt. Danach wird Ausbildungsförderung auch geleistet, solange die Auszubildenden infolge von Erkrankung oder Schwangerschaft gehindert sind, die Ausbildung durchzuführen, nicht jedoch über das Ende des dritten Kalendermonats hinaus. Das Verwaltungsgericht hat dies verneint. Es ist der Auffassung, die Vorschrift setze zu ihrer Anwendbarkeit voraus, dass die Ausbildung zuvor im Sinne des § 15 Abs. 1 BAföG aufgenommen worden sei. Aus Sicht des Senats ist diese Rechtsfrage vorliegend jedoch nicht ohne weiteres eindeutig zu beantworten. In der Rechtsprechung ist diese Frage bislang nicht geklärt. Ihre Beantwortung ergibt sich nicht ohne weiteres aus dem Gesetz. Es mag Einiges für die Sichtweise des Verwaltungsgerichts sprechen. Gleichwohl steht der Wortlaut des § 15 Abs. 2a BAföG einer Anwendbarkeit auf den vorliegenden Sachverhalt nicht entgegen. Zudem fragt sich, ob man mit der Ansicht des Verwaltungsgerichts nicht in Wertungswidersprüche gerät, denen durch eine entsprechende Auslegung der Norm Rechnung zu tragen ist. Nach Auffassung des Verwaltungsgerichts würde die Klägerin einen Anspruch auf Ausbildungsförderung zumindest für drei Monate haben, wenn sie am Beginn der Ausbildung wenigstens für eine Unterrichtsstunde in der Schule erschienen, dann aber für mehrere Monate erkrankt wäre und die Ausbildung abgebrochen hätte. Wendet man den Standpunkt des Verwaltungsgerichts konsequent an, wäre Ausbildungsförderung auch anteilig etwa für den Fall zurückzuerstatten, dass ein Betroffener zu Beginn der Ausbildung erkrankt ist, diese dann aber nach der Erkrankung fortsetzt bzw. aufnimmt. In diesem Fall wäre Ausbildungsförderung für den Zeitraum der Erkrankung zu erstatten, weil der Anspruch auf Ausbildungsförderung erst ab Aufnahme der Ausbildung beginnt, die hier erst nach dem Ende der Erkrankung läge. Ob diese Konstellationen vor dem Hintergrund der Gesetzeslage tatsächlich unterschiedlich zu behandeln sind, bedarf eingehender Prüfung, so dass ein möglicher Erfolg der Klägerin im Klageverfahren nicht ausgeschlossen werden kann.

Ungeachtet der Frage des Anspruchs auf Ausbildungsförderung erscheint weiter klärungsbedürftig, ob eine Rückforderung unter dem Gesichtspunkt des Vertrauensschutzes ausscheidet. Das Verwaltungsgericht hat dies verneint mit der Begründung, die Klägerin sei offenkundig schon vor dem Schulbeginn am 6. August 2012 erkrankt gewesen, ihr seien daher schon früh die von ihr letztlich als Abbruchgrund geltend gemachten gesundheitlichen Umstände bekannt gewesen. Hiergegen wendet die Beschwerde zu Recht ein, die Schlussfolgerung des Verwaltungsgerichts sei spekulativ. Ab welchem Zeitpunkt die Klägerin erkrankt war und ob für sie die Dauer und Schwere der Erkrankung bei Beginn der Ausbildung am 6. August 2012 oder zu einem späteren Zeitpunkt absehbar waren, lässt sich den Akten nicht entnehmen. Der Sachverhalt bedarf hierzu der Klärung.

Vor diesem Hintergrund bietet die beabsichtigte Rechtsverfolgung im Verfahren der ersten Instanz hinreichende Aussicht auf Erfolg und erscheint nicht mutwillig. Die Klägerin ist nach ihren persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen auch nicht in der Lage, die Kosten der Prozessführung aufzubringen.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).