Gericht | FG Berlin-Brandenburg 1. Senat | Entscheidungsdatum | 19.05.2010 | |
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Aktenzeichen | 1 K 2014/06 | ECLI | ||
Dokumententyp | Urteil | Verfahrensgang | - | |
Normen | § 226 AO, § 35 InsO, § 96 Abs 1 Nr 1 InsO |
Die Klage wird abgewiesen.
Die Revision zum Bundesfinanzhof wird zugelassen.
Die Kosten des Verfahrens werden dem Kläger auferlegt.
Mit Beschluss des Amtsgerichts M vom 01.09.2000 (Az.: 3.1 IN 262/00) wurde das Insolvenzverfahren über das Vermögen des Klägers eröffnet. Mit Schreiben vom 12.11.2004 an den Kläger wies der Insolvenzverwalter A darauf hin, der Kläger habe im Zuständigkeitsbereich des Finanzamts O nach der Eröffnung des Insolvenzverfahrens am 05.08.2004 einen neuen Geschäftsbetrieb aufgenommen und sei selbstständig tätig. Zur Vermeidung von Masseverbindlichkeiten gemäß § 55 Insolvenzordnung -InsO- gebe er, der Insolvenzverwalter, den Neugeschäftsbetrieb aus der Insolvenzmasse vorbehaltlos frei. Von dieser Freigabe sei lediglich der Anspruch des Neuerwerbs ausgeschlossen, soweit es sich dabei um den Gewinn des Unternehmens nach Ertragsteuern handle.
Der Beklagte verrechnete ein Umsatzsteuerguthaben des Klägers aus der Umsatzsteuer-Voranmeldung September 2005 vom 10.11.2005 in Höhe von 2 247,93 € mit Insolvenzforderungen (Lohnsteuer November/Dezember 1999 und März 2000). Hierüber erging am 30.03.2006 ein Abrechnungsbescheid, in dem festgestellt wurde, dass der Erstattungsanspruch aus der Umsatzsteuer-Voranmeldung vom 10.11.2005 in Höhe von 1 988,94 € auf Insolvenzforderung Lohnsteuer Dezember 1999, in Höhe von 0,31 € auf Insolvenzforderung Lohnsteuer November 1999 und in Höhe von 258,78 € auf Insolvenzforderung Lohnsteuer März 2000 umgebucht worden sei.
Mit dem hiergegen gerichteten Einspruch machte der Kläger geltend, dass die Verrechnung von Vorsteuererstattungsansprüchen aus jüngerer Zeit gegen Altforderungen aus der Zeit vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens nach § 96 Abs. 1 Nr. 1 InsO unzulässig sei. Zum Zeitpunkt der Eröffnung des Insolvenzverfahrens im Jahr 2000 seien die zur Aufrechnung/Umbuchung gestellten Lohn- und Umsatzsteueransprüche des Klägers bereits entstanden gewesen. Die Vorsteuererstattungsansprüche seien dagegen erst weit nach der Eröffnung des Insolvenzverfahrens entstanden. Es sei höchst streitig, ob - entgegen dem Wortlaut des § 96 Abs. 1 Nr. 1 InsO - eine Spaltung des Schuldnervermögens in die Insolvenzmasse einerseits und insolvenzfreies Vermögen andererseits mit jeweils anderen Rechtsfolgen vorgenommen werden könne. Die weitaus herrschende Meinung in Rechtsprechung und Literatur verneine dies bereits mit der Begründung, eine erst nach Verfahrenseröffnung entstehende Aufrechnungslage sei nicht schutzwürdig, da der aufrechnende Gläubiger bis zur Eröffnung des Verfahrens nur auf seine Quotenerwartung habe vertrauen dürfen und eine nachträgliche Aufwertung seiner Insolvenzforderung in Widerspruch zu dem tragenden insolvenzrechtlichen Prinzip der Gläubigergleichbehandlung stehen würde. Es handle sich bei dem jetzigen Gewerbebetrieb des Klägers auch nicht um „neues“, insolvenzfreies Vermögen im Sinne des § 96 Abs. 1 Nr. 4 InsO. Es sei ihm vom Insolvenzverwalter lediglich gestattet worden, als Lebensgrundlage und um der Masse etwaige pfändbare Überschüsse zuführen zu können, das Gewerbe weiterhin zu betreiben. Eine Aufspaltung in zwei verschiedenen Vermögensmassen sei rein willkürlich und durch nichts gerechtfertigt.
Der Beklagte wies den Einspruch mit Einspruchsentscheidung vom 13.10.2006 als unbegründet zurück, da der vom Kläger geltend gemachte Erstattungsanspruch durch Aufrechnung erloschen sei. Ein Aufrechnungsverbot habe nicht bestanden. Insbesondere könne § 96 Abs. 1 Nr. 1 InsO nicht greifen, denn die dort angesprochenen Sachverhalte bezögen sich nicht auf insolvenzfreies Vermögen. Im Streitfall habe der Insolvenzverwalter jedoch den Neugeschäftsbetrieb zum 12.11.2004 aus der Insolvenzmasse freigegeben. Die Anwendung des § 96 Abs. 1 Nr. 1 AO setze voraus, dass der Anspruch bei Insolvenzeröffnung bereits begründet sei, sodass die Forderung des Gemeinschuldners in die Insolvenzmasse falle und allen Gläubigern zu Gute komme. Das Finanzamt könne daher ohne Weiteres Erstattungsansprüche, die zum insolvenzfreien Vermögen gehörten, mit vor Insolvenzeröffnung entstandenen Steuerforderungen aufrechnen. Dieses Vorgehen widerspreche weder dem Zweck des Insolvenzverfahrens noch benachteilige es andere Gläubiger. Im Gegenteil: Es komme allen Gläubigern zu Gute, weil eine mögliche Quote nun auf weniger Verbindlichkeiten Anwendung finde. Ebenso könne § 96 Abs. 1 Nr. 4 InsO nicht greifen, denn das Finanzamt schulde nichts zur Insolvenzmasse.
Zur Begründung der Klage macht der Kläger weiterhin geltend, dass die Freigabe des „Neugeschäftsbetriebs“ lediglich zur Vermeidung von Masseverbindlichkeiten erfolgt sei. Ausdrücklich ausgeschlossen von der Freigabe sei der Anspruch des Neuerwerbs gewesen, soweit es sich um den Gewinn nach Ertragsteuern gehandelt habe. Dieser Gewinn sei - soweit die Pfändungsfreigrenze überschritten worden sei - dem Insolvenzverwalter zum Zweck der gleichmäßigen Befriedigung der Insolvenzgläubiger zuzuführen. Damit sei die Verrechnung neuer Steuerguthaben mit alten Steuerverbindlichkeiten nicht zulässig gewesen. Sie würde in krasser Weise dem Sinn und Zweck eines Insolvenzverfahrens widersprechen, indem sie den Beklagten gegenüber anderen Gläubigern in nicht gerechtfertigter Weise bevorzugen würde.
Der Kläger beantragt,
den Abrechnungsbescheid zur Umsatzsteuer September 2005 vom 30.03.2006 unter Aufhebung der Einspruchsentscheidung vom 13.10.2006 dahingehend zu ändern, dass ein Auszahlungsanspruch zu seinen Gunsten in Höhe von 2 247,93 € festgestellt wird.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Er verweist darauf, dass der Vortrag des Klägers nicht geeignet sei, die Richtigkeit des Abrechnungsbescheids in Frage zu stellen und hält an der bereits in der Einspruchsentscheidung vertretenen Rechtsauffassung fest.
Der Hinweis, dass die Freigabe des Neugeschäftsbetriebs nur zur Vermeidung von Masseverbindlichkeiten erfolgt sei, führe zu keiner anderen Beurteilung. Immerhin werde in dem Schreiben vom 12.11.2004 ausgeführt, dass der Neugeschäftsbetrieb vorbehaltlos freigegeben werde. Der nachfolgende Absatz vermöge daher lediglich interne Beziehungen zwischen Insolvenzverwalter und Insolvenzschuldner zu regeln. Im vorliegenden Fall sei außerdem mit einem Umsatzsteuerüberschuss (Umsatzsteuer = Verkehrsteuer) verrechnet worden, welcher mit einem Gewinn nach Ertragsteuern nichts gemein habe.
Dem Gericht hat bei seiner Entscheidung ein Band der vom Beklagten geführten Rechtsbehelfsakten zur Steuernummer … vorgelegen.
Die Klage ist unbegründet. Der angefochtene Abrechnungsbescheid vom 30.03.2006 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten, da der Beklagte zutreffend davon ausgegangen ist, dass der Erstattungsanspruch des Klägers aus der Umsatzsteuer September 2005 durch wirksame Aufrechnung erloschen ist (§ 100 Abs. 1 Satz 1 Finanzgerichtsordnung -FGO-).
Gemäß § 226 Abgabenordnung -AO- gelten für die Aufrechnung mit Ansprüchen aus dem Steuerschuldverhältnis sowie für die Aufrechnung gegen diese Ansprüche die Vorschriften des bürgerlichen Rechts sinngemäß, soweit nichts anderes bestimmt ist. Die Aufrechnung bestimmt sich mithin nach §§ 387 ff. Bürgerliches Gesetzbuch -BGB- sowie für den Fall des Insolvenzverfahrens nach den §§ 94 bis 96 InsO.
Nach § 387 BGB kann der Schuldner seine Forderung gegen die Forderung des anderen Teiles aufrechnen, sobald er die ihm gebührende Leistung fordern und die ihm obliegende Leistung bewirken kann, sofern die gegenseitigen Forderungen auf Leistungen gerichtet sind, die ihrem Gegenstand nach gleichartig sind. Eine Aufrechnung von Ansprüchen aus dem Steuerschuldverhältnis setzt daher voraus, dass die Forderung des Aufrechnenden, mit der aufgerechnet werden soll (sog. „Gegenforderung“), entstanden und auch fällig ist. Eine wirksame Aufrechnung setzt ferner voraus, dass die Forderung des Aufrechnungsgegners, gegen die aufgerechnet werden soll (sog. „Hauptforderung“), bereits entstanden und schon erfüllbar ist. Die Hauptforderung muss aber noch nicht fällig sein (vgl. BFH-Urteil vom 13.01.2000 VII R 91/98, BStBl II 2000, 246).
Der Beklagte hat unstreitig nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens die Aufrechnung gegenüber dem Kläger erklärt. Die Voraussetzungen für eine Aufrechnung nach § 387 BGB (Gleichartigkeit und Gegenseitigkeit) lagen vor.
Es bestand auch kein Aufrechnungsverbot.
Die Aufrechnung ist im Streitfall nicht gemäß § 96 Abs. 1 Nr. 1 InsO unzulässig. Nach dieser Vorschrift ist die Aufrechnung unzulässig, wenn ein Insolvenzgläubiger erst nach der Eröffnung des Insolvenzverfahrens etwas zur Insolvenzmasse schuldig geworden ist. Im Streitfall würde dies voraussetzen, dass es sich bei dem Erstattungsanspruch des Klägers aus der Umsatzsteuer-Voranmeldung September 2005 um einen Anspruch handelt, der gemäß § 35 InsO in der bis zum 30.06.2007 geltenden Fassung -a.F.- von der Insolvenzmasse umfasst wird. Zur Insolvenzmasse gehört nach § 35 InsO a.F. das gesamte Vermögen, das dem Schuldner zur Zeit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens gehört und das er während des Verfahrens erlangt. Ein etwaiger Neuerwerb des Schuldners ist daher grundsätzlich in die Insolvenzmasse einbezogen, was insbesondere bei selbstständig Tätigen - wie vorliegend dem Kläger - zu Schwierigkeiten führt, weil zunächst sämtliche Einkünfte ohne Abzug für betriebliche Aufwendungen oder persönlichen Bedarf als Neuerwerb Teil der Masse werden (vgl. Lüdtke in Schmidt: Hamburger Kommentar zum Insolvenzrecht, 2. Auflage 2007, § 35 Rdnr. 58 m.w.N.). Auch eine nach der Eröffnung des Insolvenzverfahrens vom Schuldner erworbene Forderung gehört mithin zur Insolvenzmasse. Das gilt insbesondere auch für Steuererstattungs- und Steuervergütungsansprüche, bei denen gemäß § 46 Abs. 1 AO der Vorbehalt des § 36 Abs. 1 InsO von vornherein nicht eingreifen kann (BFH-Urteil vom 15.12.2009 VII R 18/09, BFH/NV 2010, 1044).
Der Insolvenzverwalter ist jedoch berechtigt, bestimmte Massegegenstände freizugeben. Nach § 35 Abs. 2 InsO in der ab 01.07.2007 geltenden Fassung (Art. 6 des Gesetzes zur Vereinfachung des Insolvenzrechts, BGBl I 2007, 509) hat der Insolvenzverwalter, wenn der Schuldner eine selbstständige Tätigkeit ausübt oder beabsichtigt, demnächst eine solche Tätigkeit auszuüben, gegenüber dem Schuldner zu erklären, ob Vermögen aus dieser selbstständigen Tätigkeit zur Insolvenzmasse gehören soll und ob Ansprüche aus dieser Tätigkeit im Insolvenzverfahren geltend gemacht werden können. Gibt der Insolvenzverwalter nicht die Erklärung ab, dass Vermögen aus jener Tätigkeit des Schuldners nicht zur Insolvenzmasse gehören soll (sog. Freigabe), das betreffende Vermögen also vom Insolvenzbeschlag frei sein soll, fallen die vom Schuldner durch die betreffende Tätigkeit neu erworbenen Forderungen in die Insolvenzmasse. § 96 Abs. 1 Nr. 1 InsO steht dann einer Aufrechnung mit den vorinsolvenzlichen Schulden des Insolvenzschuldners entgegen.
Hiervon ausgehend hat der BFH mit Urteil vom 15.12.2009 (VII R 18/09, BFH/NV 2010, 1044) entschieden, dass ein vom Schuldner während des Insolvenzverfahrens im Zusammenhang mit einer freiberuflichen Tätigkeit erlangter Umsatzsteuervergütungsanspruch in die Insolvenzmasse fällt, wenn er nicht vom Insolvenzverwalter freigegeben worden ist. Zwar war in dem vom BFH zu entscheidenden Fall - wie auch vorliegend - § 35 Abs. 2 InsO noch nicht anzuwenden, weil er erst ab dem 01.07.2007 gilt (Art. 6 des Gesetzes zur Vereinfachung des Insolvenzverfahrens, BGBl I 2007, 509). Der BFH hat jedoch ausdrücklich darauf hingewiesen, dass auch das bis dahin geltende Insolvenzrecht das (im Wesentlichen richterrechtlich entwickelte) Institut der Freigabe kannte (vgl. BGH-Urteil vom 01.02.2007 IX ZR 178/05, HFR 2008, 77). Die sog. „echte“ Freigabe entlässt einen Massegegenstand aus dem Haftungsverbund und gibt dem Schuldner die Verfügungsbefugnis zurück. Sie hat konstitutive Wirkung. Ihr Zweck ist die Befreiung der Masse von Masseverbindlichkeiten gemäß § 55 InsO, die der Gegenstand verursacht. Eine echte Freigabe wird angenommen, wenn ein Vermögensgegenstand entweder keinen Vermögenswert repräsentiert oder wenn die Kosten der Verwaltung und Verwertung den voraussichtlichen Verwertungserlös übersteigen werden (Andres/Leithaus, 1. Auflage 2006, InsO § 35 Rz. 8; Uhlenbrock, 12. Auflage 2003, InsO § 35 Rz. 23 m.w.N.). Daneben gibt es auch eine modifizierte Freigabe, die mit der Vereinbarung verbunden ist, dass der Schuldner die Erlöse aus dem freigegebenen Gegenstand an die Masse abführen muss (vgl. Lüdtke in Schmidt: Hamburger Kommentar zum Insolvenzrecht, 2. Auflage 2007, § 35 Rdnr. 60 und 62 m.w.N.).
Im Streitfall ist eine Freigabe des „Neugeschäftsbetriebs“ durch den Insolvenzverwalter erfolgt. Die Freigabe eines zur Masse gehörenden bzw. künftig in diese fallenden Vermögensgegenstandes und dessen Überführung in das insolvenzfreie Vermögen des Schuldners setzt eine Willenserklärung des Insolvenzverwalters voraus, aus welcher sich unmissverständlich dessen Wille zu einem dauernden Verzicht auf die Massezugehörigkeit ergibt (BFH-Urteil vom 15.12.2009 VII R 18/09, BFH/NV 2010, 1044 unter Hinweis auf das BGH-Urteil vom 07.12.2006 IX ZR 161/04, NJW-RR Zivilrecht 2007, 845). Die Freigabe ist nur dann unwirksam, wenn sie offensichtlich dem Insolvenzzweck, eine gleichmäßige Befriedigung aller Gläubiger herbeizuführen, zuwiderläuft und wenn dies unter allen in Betracht kommenden Gesichtspunkten für einen verständigen Menschen offensichtlich ist (Graf-Schlicker/Kexel, 2. Auflage 2010, InsO § 35 Rz. 19 m.w.N.). Vorliegend ist durch das Schreiben des Insolvenzverwalters vom 12.11.2004 an den Kläger ausdrücklich eine vorbehaltlose Freigabe des Neugeschäftsbetriebs erfolgt. Von der Freigabe ausgeschlossen wurde lediglich der Anspruch des Neuerwerbs, „soweit es sich um den Gewinn Ihres Unternehmens nach Ertragsteuern handelt“. Diese Einschränkung lässt sich nach Auffassung des Senats nur dahingehend verstehen, dass in die Insolvenzmasse nur das fallen sollte, was - nach Abzug aller Steuern einschließlich der Umsatzsteuer - an Gewinn verbleibt. Der Gewinn war auch nur insoweit abzuführen, als es sich um pfändbare Beträge gehandelt hat. Dies ergibt sich insbesondere aus dem in der mündlichen Verhandlung vorgelegten Schreiben der Rechtsanwälte A & Sozien vom 15.10.2009, mit welchem dem Kläger eine aktualisierte Einkommensübersicht übersandt worden war.
Durchgreifende Bedenken gegen die Wirksamkeit der Freigabe ergeben sich für Senat nicht. Zwar könnte sich vorliegend die Frage stellen, ob tatsächlich eine „echte“ Freigabe mit der Folge vorlag, dass der Neubetrieb insgesamt aus dem Insolvenzbeschlag gelöst wurde, da die Freigabeerklärung insoweit beschränkt war, als der Neuerwerb, soweit es sich um den Gewinn des Unternehmens nach Ertragsteuern handelte, nicht von der Freigabe umfasst sein sollte, und damit der Insolvenzmasse der wirtschaftliche Wert des „Gegenstandes“ gewissermaßen erhalten bleiben sollte (vgl. zur Unterscheidung zwischen „echter“ und „modifizierter“ Freigabe auch das Urteil des FG Rheinland-Pfalz vom 06.12.2006 1 K 1950/05, EFG 2007, 328). Gegen eine solche Auslegung spricht jedoch die ausdrücklich „vorbehaltlose“ Freigabe durch den Insolvenzverwalter. Die Abführungsverpflichtung hinsichtlich des Gewinns nach Ertragsteuern stellt demgegenüber im Interesse der Altgläubiger lediglich sicher, dass dem Insolvenzschuldner aus seiner neuen Tätigkeit im Ergebnis nur das verbleiben soll, was nicht von den Pfändungsschutzbestimmungen erfasst wird.
Die Einkünfte, die ein selbstständig tätiger Schuldner nach der Insolvenzeröffnung erzielt, gehören gemäß § 35 InsO als Neuerwerb zwar in vollem Umfang ohne Abzug beruflich bedingter Ausgaben zur Insolvenzmasse, andererseits besteht jedoch die Gefahr, dass die Masse mit den damit zusammenhängenden Verbindlichkeiten belastet wird. Falls der Insolvenzverwalter von der Freigabe keinen Gebrauch macht und die Fortführung der gewerblichen Tätigkeit durch den Insolvenzschuldner duldet, werden die durch den Neuerwerb begründeten Verbindlichkeiten zu Masseverbindlichkeiten, da insoweit eine Verwaltungshandlung nach § 55 Nr. 1 InsO vorliegt. Dabei setzt sich der Insolvenzverwalter dem Haftungsrisiko des § 60 InsO aus, da der Erhalt der Masse vor dem Zugriff der Neugläubiger und die berechtigten Interessen der „Altgläubiger“ gefährdet sind. Das berechtigte Interesse der Gläubiger, aus der Masse eine Befriedigung ihrer Ansprüche zu erhalten und deshalb möglichst die Entstehung von Verbindlichkeiten zu vermeiden, die das zur Verteilung zur Verfügung stehende Vermögen schmälern, hat jedoch im Rahmen der insolvenzrechtlichen Abwicklung unbedingten Vorrang (siehe hierzu Urteil des FG München vom 29.05.2008 14 K 3613/06, EFG 2008, 1484, Revision anhängig XI R 30/08). Auch im Streitfall würde daher die Gefahr bestanden haben, dass die aus der weiteren selbstständigen Tätigkeit des Klägers begründeten Verbindlichkeiten die Insolvenzmasse verpflichten und belasten. Es gibt auch keine Anhaltspunkte dafür, dass der Insolvenzverwalter der Masse mit der Freigabe des „Neugeschäftsbetriebs“ etwaige Vermögensgegenstände oder Betriebsmittel entzogen hätte. Vielmehr deutet zunächst bereits die Verwendung des Begriffs „Neugeschäftsbetrieb“ in der Freigabeerklärung darauf hin, dass nicht die Vermögensgegenstände des alten Betriebs freigegeben wurden. Der Prozessbevollmächtigte des Klägers hat hierzu im Rahmen der mündlichen Verhandlung auch ausgeführt, dass seines Wissens sämtliche Vermögensgegenstände (Fahrzeuge, Baumaschinen) des alten Geschäftsbetriebs des Klägers im Rahmen des Insolvenzverfahrens verwertet worden seien. Er hat ferner klargestellt, dass der Kläger selbst keine eigenen Bauleistungen mehr ausführe, sondern sich eher auf dem Geschäftsfeld der Vermittlung bzw. Leitung von Baumaßnahmen betätige, wofür außerdem der Umstand spricht, dass das Unternehmen in der Gewerbeanmeldung nunmehr nicht mehr mit „Holz- und Bautenschutz“, sondern mit „Vermittlung von Baudienstleistungen, Erstellung von Angeboten“ bezeichnet ist, mithin die Nutzung der Vermögensgegenstände des alten Betriebs entbehrlich ist.
Dem Kläger ist zuzugestehen, dass durch die Aufrechnung des Beklagten gegen seinen Umsatzsteuervergütungsanspruch der Masse auch etwas entzogen wird, weil diese - indirekt über den dadurch verringerten Gewinn nach Ertragsteuern - ggf. nur über einen entsprechend geringeren Neuerwerb verfügen kann. Andererseits hat der Beklagte zutreffend darauf hingewiesen, dass durch den Wegfall der Altforderungen des Finanzamts ggf. auch wieder mehr Verteilungsmasse für die übrigen Gläubiger verbleibt. Durch die Freigabe sollten außerdem ersichtlich etwaige Umsatzsteuerschulden des Klägers aus dem Neugeschäftsbetrieb nicht die Masse belasten. Dies spricht dafür, dass auch etwaige Umsatzsteuervergütungsansprüche nicht unmittelbar der Masse zu Gute kommen können. Wenn diese aber nicht in die Insolvenzmasse fallen, steht die Vorschrift des § 96 Abs. 1 Nr. 1 InsO der Aufrechnung nicht entgegen (vgl. hierzu auch FG Thüringen, Urteil vom 10.04.2008 1 K 757/07, EFG 2008, 1485, Revision beim BFH anhängig: VII R 35/08; und Niedersächsisches FG, Urteil vom 16.10.2009 16 K 250/09, EFG 2010, 311; in beiden Entscheidungen wurde die Aufrechnung von Umsatzsteuererstattungsansprüchen des Neuunternehmens des sich in der Wohlverhaltensphase befindlichen Insolvenzschuldners mit Umsatzsteuerschulden des insolventen Altunternehmens bejaht).
In diese Richtung weist auch die neuere Rechtsprechung des BFH, nach der Umsatzsteuerschulden, die daraus resultieren, dass der Schuldner während des Insolvenzverfahrens eine neue Erwerbstätigkeit aufnimmt, indem er durch seine Arbeit und mit Hilfe von nach § 811 Nr. 5 ZPO unpfändbaren Gegenständen steuerpflichtige Leistungen erbringt, nicht nach § 55 Abs. 1 Nr. 1 InsO zu den Masseschulden zählen (BFH-Urteil vom 07.04.2005 V R 5/04, BStBl II 2005, 848). Im Gegenzug dürften aber auch Umsatzsteuervergütungsansprüche aus dem Neugeschäftsbetrieb - und sei es mittelbar durch eine Abführungsverpflichtung hinsichtlich des pfändbaren Teils des Gewinns - nicht der Masse zu Gute kommen. Allerdings konnte der BFH mit Urteil vom 15.12.2009 (VII R 18/09, BFH/NV 2010, 1044) in einem Fall, in dem keine Freigabe erfolgt war, die Frage, ob Steuererstattungsansprüche, die der Schuldner aus einer ohne Nutzung oder Verwertung zur Insolvenzmasse gehörender Vermögensgegenstände betriebenen Tätigkeit erworben hat, vom Finanzamt mit Masseverbindlichkeiten verrechnet werden könnten, ausdrücklich unerörtert lassen, da das Finanzamt in dem zu entscheidenden Fall eine solche Verrechnung nicht vorgenommen hatte.
Die Revision ist gemäß § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO zugelassen worden, da das Gericht der Frage der Verrechnung von Steuererstattungsansprüchen mit Masseverbindlichkeiten im Fall der Freigabe eines Neugeschäftsbetriebs grundsätzliche Bedeutung beimisst.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO.