Gericht | OVG Berlin-Brandenburg 11. Senat | Entscheidungsdatum | 09.01.2015 | |
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Aktenzeichen | OVG 11 S 72.14 | ECLI | ||
Dokumententyp | Beschluss | Verfahrensgang | - | |
Normen | § 28 Abs 1 S 1 Nr 2 AufenthG, § 32 Abs 2 AufenthG, § 32 Abs 3 AufenthG, § 32 Abs4 AufenthG, § 123 VwGO, § 146 Abs 4 VwGO |
Die Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Berlin vom 21. November 2014 wird zurückgewiesen.
Die Kosten der Beschwerde trägt der Antragsteller mit Ausnahme der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen, die diese selbst trägt.
Der Wert des Beschwerdegegenstandes wird unter Änderung der erstinstanzlichen Streitwertfestsetzung auf 5.000 EUR festgesetzt.
Mit Beschluss vom 21. November 2014 hat das Verwaltungsgericht Berlin den Antrag des am 5. August 1997 geborenen türkischen Antragstellers, die Antragsgegnerin im Wege einstweiliger Anordnung zur Erteilung eines Visums zum Familiennachzug nach § 32 AufenthG und hilfsweise für die Teilnahme an einem Sprachkurs in Stuttgart nach § 16 Abs. 5 AufenthG zu verpflichten, abgelehnt.
Die rechtzeitig erhobene und begründete Beschwerde des Antragstellers hiergegen hat auf der Grundlage des nach § 146 Abs. 4 Satz 3 und 6 VwGO allein maßgeblichen Beschwerdevorbringens keinen Erfolg.
Soweit unter Ziffer 1. der Beschwerdebegründung, „um Wiederholungen zu vermeiden, … zunächst in vollem Umfang auf den Vortrag in erster Instanz verwiesen“ wird, genügt das nicht den Darlegungsanforderungen im Beschwerdeverfahren (§ 146 Abs. 4 Satz 3 und 6 VwGO).
Das Vorbringen unter Ziffer 2., das Verwaltungsgericht gehe fehlerhaft davon aus, mit dem Erlass der begehrten einstweiligen Anordnung werde die Hauptsache vorweggenommen, was „insbesondere hinsichtlich des Hilfsantrags“ nicht gegeben sei, weil zwar „die Notsituation in der Türkei“ durch die Erteilung eines Visums zur Teilnahme an einem Sprachkurs in Deutschland behoben werden könne, nicht aber gleichfalls über das Aufenthaltsrecht aufgrund Familiennachzugs entschieden wäre, führt nicht weiter. Würde dem Antragssteller das begehrte Visum erteilt, hätte er das Hauptsacheziel erreicht. Soweit er sich weiter dagegen wendet, dass das Verwaltungsgericht den Aufenthaltszweck als nicht glaubhaft gemacht angesehen hat, weil er keinen Sprachkurs gebucht habe, übersieht er, dass der angegriffene verwaltungsgerichtliche Beschluss die Erteilung eines Visums zu diesem Zweck auch mangels eines zuvor bei der Antragsgegnerin gestellten Antrags „zu diesem Zweck“ abgelehnt hat. Dieser selbstständig tragende Ablehnungsgrund wird mit der Beschwerdebegründung schon nicht, wie erforderlich, angegriffen oder in Zweifel gezogen. Für die (zumindest hilfsweise) Beantragung eines Visums beim Antragsgegner zum hiesigen Spracherwerb ist nach den Verwaltungsvorgängen und auch der Klageverfahrensakte VG 11 K 309.14 V zudem aber auch nichts ersichtlich. Dessen bedarf es jedoch schon deshalb, weil Aufenthaltserlaubnisse nach § 7 Abs. 1 Satz 2 AufenthG für einen bestimmten Zweck erteilt werden, so dass es sich bei unterschiedlichen Arten von Aufenthaltserlaubnissen, wie dies etwa für die in Kapitel 2 Abschnitt 3 bis 7 Aufenthaltsgesetz genannten Aufenthaltszwecke der Fall ist, um jeweils eigenständige Regelungsgegenstände handelt (sog. Trennungsprinzip, vgl. etwa BVerwG, Urteil vom 9. Juni 2009 - 1 C 11.08 -, juris Rz. 13 m.w.N.). Das ist für den Aufenthalt zur Teilnahme an einem Sprachkurs in Stuttgart nach § 16 Abs. 5 AufenthG (Kapitel 2 Abschnitt 3) im Verhältnis zum Aufenthalt zum Familiennachzug (Kapitel 2 Abschnitt 6) der Fall.
Der Antragsteller macht unter Ziffer 3. der Beschwerdebegründung ferner geltend, „im Rahmen der Ermessensentscheidung“ sei auch zu berücksichtigen, dass der Onkel des Antragstellers bereits im Juli 2013, d.h. noch vor Vollendung seines 16. Lebensjahres, unter Vorlage einer Vollmacht des Vaters „im Generalkonsulat“ einen Antrag auf Familiennachzug für ihn gestellt habe, dessen Annahme mit dem „falschen Vorwand“, der Vater müsse höchstpersönlich den Antrag stellen, verweigert worden sei. Auch dieser sei dann nach Einreise im Oktober 2013 mit der Begründung abgewiesen worden, eine Antragsannahme sei so kurz vor Weihnachten nicht möglich, er müsse einen neuen Termin im kommenden Jahr vereinbaren. Erst bei der Antragstellung des Vaters nach erneuter Einreise im Januar 2014 sei er dann auf die Altersgrenze des § 32 Abs. 2 AufenthG hingewiesen worden. Auch hierzu werde in Kürze eine eidesstattliche Versicherung nachgereicht.
Dieses Vorbringen rechtfertigt - unabhängig davon, dass die Erteilung eines Kindernachzugsvisums gemäß § 32 Abs. 1 AufenthG bzw. § 32 Abs. 2 AufenthG nicht im Ermessen der Antragsgegnerin steht - nicht deren Verpflichtung zur Erteilung eines solchen Visums im Wege einstweiliger Anordnung. Insofern ist zunächst darauf hinzuweisen, dass hiermit schon nicht hinreichend deutlich dargelegt wird, ob sich die angekündigte eidesstattliche Versicherung nur auf die zuletzt behaupteten Vorsprachen des Vaters im Oktober 2013 bzw. Januar 2014 bezieht oder zumindest auch auf die angebliche Antragstellung durch den Onkel des Antragstellers im Juli 2013. Auch wird nicht innerhalb der inzwischen am 2. Januar 2015 abgelaufenen Beschwerdebegründungsfrist substantiiert dargelegt, an welchem Tag und unter welchen Umständen (Terminsvereinbarung etc.) die Vorsprache des - zudem namentlich nicht benannten - Onkels stattgefunden habe, insbesondere auch ob der Antragsteller ihn hierbei begleitet hat, er hierbei die erforderlichen Antragsunterlagen vorgelegt hat und ob es einen schriftlichen Antrag gab, dessen Entgegennahme verweigert wurde.
Gegen eine (gescheiterte) Visumantragstellung bereits im Juli 2013 sprechen vorliegend zudem gewichtige Anhaltspunkte. Zunächst ist dies weder im Rahmen des bereits anwaltlich geführten Remonstrationsverfahrens noch zur Begründung des Klageverfahrens oder des erstinstanzlichen Antrags auf vorläufigen Rechtsschutz auch nur mit einem Wort erwähnt worden. Stattdessen wurden umfangreiche Ausführungen zur Nichterforderlichkeit der Beherrschung der deutschen Sprache durch den Antragsteller und zu einer positiven Integrationsprognose für ihn gemacht, obwohl es hierauf bei Antragstellung vor Vollendung des 16. Lebensjahres und einer „treuwidrigen Verhinderung“ durch die Antragsgegnerin überhaupt nicht angekommen wäre. Dagegen spricht im Übrigen auch der Vortrag des Antragstellers in seiner erstinstanzlichen Antragsschrift: Danach habe er seit dem bereits 11 Jahre zurückliegenden Wegzugs seines Vaters bei seiner Großmutter gelebt. Die Familie habe zunächst finanziell die nötigen Voraussetzungen schaffen müssen, bevor man den Antragsteller ebenfalls nach Stuttgart hätte bringen können. Zeitlich zusammengefallen sei zum Herbst 2013, dass die Familie mittlerweile in Stuttgart nicht nur ausreichenden Wohnraum zur Verfügung gehabt habe und ein ausreichendes Erwerbseinkommen erzielt habe, sondern auch, dass die den Antragsteller betreuende Großmutter unter immer größeren gesundheitlichen Problemen gelitten habe. Mit der Großmutter und dem Antragsteller habe daher der Vater vereinbart, dass der Antragsteller nach Stuttgart zur Familie kommen solle. Im Herbst 2013, als dieser Entschluss gefasst worden sein soll und die genannten Voraussetzungen erfüllt gewesen seien, hatte der Antragsteller das 16. Lebensjahr aber bereits vollendet. Schließlich sprechen hiergegen auch die „Bemerkungen“ im Fragebogen für den Kindernachzug für „Kinder über 16 Jahre“ (Bl. 21 des Remonstrationsvorgangs der Antragsgegnerin). Dort ist ausgeführt: „Ast hatte zuvor einen Termin beim GK, C1 Zertifikat hätte gefehlt und daher wurde keine Annahme gemacht und Ast wollte Antrag zurück. Onkel von Ast gab am Schalter an, dass C1 sehr aufwendig ist und bat um Annahme ohne C1. Es soll für Onkel sehr schwierig sein sich um den Neffen zu kümmern, weil er Familie und Kinder hat. Vater hätte in D. Rechtsanwalt eingeschaltet und es soll ein Brief vor 10 Tagen an das Konsulat geschickt worden sein.“ Demnach wird zwar eine Vorsprache im Rahmen eines Termins bestätigt, jedoch war hierbei das Fehlen des „C1 Zertifikats“ beanstandet und der (Visums)Antrag dann auf entsprechendes Verlangen zurückgegeben worden. Ein solches Zertifikat über die „Beherrschung der deutschen Sprache“ ist jedoch nur für Personen erforderlich, die das 16. Lebensjahr vollendet haben. Demnach müsste der Antragsteller im Zeitpunkt dieser Vorsprache bereits 16 Jahre alt gewesen sein. Hierfür könnte im Übrigen auch der Umstand sprechen, dass der Visumsantrag ursprünglich das Datum „21.01.2014“ trug und dieses sodann nach Streichung durch „19.02.2014“ ersetzt wurde. Zudem ist auf dem Visumsantrag handschriftlich aufgeführt: „0533 6009875 E...“, worauf dann eine Unterschrift folgt. Dabei handelt es sich um den Onkel des Antragstellers. Auch die auf ihn ausgestellte Vollmacht des Vaters im Verwaltungsvorgang datiert erst vom 31. Oktober 2013. Für einen Nachzugsantrag schon im Juli 2013 ist auch nach den vorliegenden Verwaltungsvorgängen nichts ersichtlich.
Bei dieser Sachlage bestünden selbst bei Nachreichung einer eidesstattlichen Versicherung des Onkels über eine durch das Generalkonsulat in Istanbul verhinderte Visumsantragstellung schon im Juli 2013 gewichtige Zweifel an der Richtigkeit dieser Darstellung, die der Aufklärung im Hauptsacheverfahren vorbehalten bleiben müssten und im vorliegenden Verfahren auf Erlass einer einstweiligen Anordnung die damit verbundene Vorwegnahme der Hauptsache nicht zu rechtfertigen vermögen.
Soweit die Beschwerde unter Ziffer 5. auf Integrationsmöglichkeiten in Großstadtbereichen, insbesondere in Stuttgart, mit einem erheblichen (türkischen) Ausländeranteil, eine dortige anfängliche Verständigung in seiner türkischen Muttersprache auch ohne Deutschkenntnisse und Unterstützungsmöglichkeiten in seiner hier gut integrierten Familie sowie auf die vom Verwaltungsgericht nicht berücksichtigte „integrative Wirkung der Art. 7, Art. 9 ARB 1/80“ verweist, verkennt das die zutreffenden Ausführungen im verwaltungsgerichtlichen Beschluss, wonach es gemäß § 32 Abs. 2 AufenthG auf die Gewährleistung hiesiger Integration des minderjährigen Kindes „aufgrund seiner bisherigen Ausbildung und Lebensverhältnisse“ ankommt.
Auch das Vorliegen eines - ausnahmsweise mittels einstweiliger Anordnung unter Vorwegnahme der Hauptsache durchsetzbaren - Familiennachzugsanspruchs gemäß § 32 Abs. 4 AufenthG „zur Vermeidung einer besonderen Härte“ ist - abgesehen davon, dass im vorläufigen Rechtsschutzverfahren nur ein Anspruch „gemäß § 32 Abs. 1, 2 AufenthG“ beantragt wurde und wird (s. auch den Antrag im Beschwerdeverfahren) - mit der Beschwerde nicht hinreichend dargelegt. Angeblich fehlender Krankenversicherungsschutz in der Türkei wegen des Wohnsitzes seines sorgeberechtigten Vaters in Deutschland (Ziffer 6. des Beschwerdevorbringens) reicht hierfür schon mangels Darlegung aktuell drohender schwerwiegender und behandlungsbedürftiger Gesundheitsgefahren für den Antragsteller und Unmöglichkeit der Kostenübernahme durch seinen Vater nicht, zumal das Verwaltungsgericht zutreffend darauf hinweist, dass ein Krankenversicherungsschutz im Falle der Richtigkeit des Vorbringens bereits seit Ausreise des Vaters im Jahre 2004 nicht bestanden hätte. Hinsichtlich der angeblich fehlenden Betreuungsalternativen für den Antragsteller in der Türkei (Ziffer 7. des Beschwerdevorbringens) verweist das Verwaltungsgericht zutreffend u.a. auf den angesichts seines fortgeschrittenen Alters - in ca. einem halben Jahr wird dieser volljährig - nur noch geringen Betreuungsbedarf.
Ein Anspruch auf Familienzusammenführung gemäß § 28 AufenthG i.V.m. Art. 6 GG und Art. 8 EMRK im Hinblick darauf, dass die jetzige Ehefrau seines Vaters die deutsche Staatsangehörigkeit besitzt - Ziffer 8. der Beschwerdebegründung -, besteht für den Antragsteller schon deshalb nicht, weil er nicht deren Kind ist (vgl. § 28 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AufenthG). Für eine insoweit angeblich bestehende unzulässige Benachteiligung deutscher Staatsangehöriger unter Berücksichtigung der Familiennachzugsrichtlinie fehlt es schon an entsprechenden Darlegungen. Auch für ein von der Ehefrau des Vaters abgeleitetes unionsrechtliches Aufenthaltsrecht ist nichts ersichtlich (vgl. BVerwG, Urteil vom 4. September 2012 - 10 C 12.12 -, Rz. 11 m.w.N.).
Soweit die Beschwerde schließlich pauschal auf die Voraussetzungen „aus türkisch-europäischen Abkommen“ und dabei auf das Urteil des EuGH vom 10. Juli 2014 – C-138/13 (Dogan) verweist, wonach es der Stillhalteklausel des Zusatzprotokolls des Assoziationsratsbeschlusses widerspreche, den Ehegattennachzug in § 30 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AufenthG vom Vorliegen deutscher Sprachkenntnisse abhängig zu machen, was auch für den Kindernachzug gelten müsse, wird schon nicht dargelegt, inwieweit hinsichtlich der Regelung in § 32 Abs. 2 AufenthG gegen die genannte Stillhalteklausel verstoßen worden sein sollte. Jedenfalls besteht auch insoweit keine Veranlassung, im Wege einstweiliger Anordnung ausnahmsweise die Hauptsache vorwegzunehmen.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 47 Abs. 1, § 53 Abs. 2 Nr. 1, § 52 Abs. 1 und 63 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 GKG.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO, § 68 Abs. 1 Satz 5 i.V.m. § 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).