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Prozesskostenhilfe - Erfolgsaussichten - Erstattungsanspruch des nachrangig verpflichteten Trägers - Erfüllungsfiktion


Metadaten

Gericht LSG Berlin-Brandenburg 18. Senat Entscheidungsdatum 02.12.2011
Aktenzeichen L 18 AL 346/11 B PKH ECLI
Dokumententyp Beschluss Verfahrensgang -
Normen § 73a Abs 1 S 1 SGG, § 114 ZPO, § 121 Abs 2 ZPO, § 104 Abs 1 SGB 10, § 107 Abs 1 SGB 10

Tenor

Auf die Beschwerde der Klägerin wird der Beschluss des Sozialgerichts Berlin vom 10. November 2011 aufgehoben.

Der Klägerin wird für das Verfahren bei dem Sozialgericht Prozesskostenhilfe unter Beiordnung ihres Bevollmächtigten bewilligt.

Gründe

Die Beschwerde der Klägerin ist zulässig. Insbesondere ist sie nicht – wie das Sozialgericht (SG) in seiner Rechtsmittelbelehrung ausführt – nach § 172 Abs. 3 Nr. 1 Halbsatz 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) ausgeschlossen. Denn vorliegend liegt kein Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes vor. Auch ein Ausschluss nach § 172 Abs. 3 Nr. 2 SGG liegt ersichtlich nicht vor. Denn das SG hat hinreichende Erfolgsaussichten der Rechtsverfolgung – im Ergebnis zu Unrecht – verneint.

Die Beschwerde ist auch begründet. Der Klägerin ist für das erstinstanzliche Verfahren Prozesskostenhilfe (PKH) unter Beiordnung ihres Bevollmächtigten zu bewilligen. Die erhobene kombinierte Anfechtungs- und Leistungsklage hat bei der im PKH-Verfahren nur gebotenen summarischen Prüfung zumindest teilweise Aussicht auf Erfolg (vgl § 73a Abs. 1 Satz 1 SGG iVm §§ 114, 121 Abs. 2 Zivilprozessordnung – ZPO -).

Die Klägerin hat einen Anspruch auf teilweise Übernahme der außergerichtlichen Kosten des Widerspruchsverfahrens gegen den Insolvenzgeldbescheid der Beklagten vom 8. November 2010. Denn dem Widerspruch wird im Ergebnis teilweiser Erfolg iSv § 63 Abs. 1 Satz 1 Sozialgesetzbuch – Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz – (SGB X) beschieden sein. Die Beklagte durfte von dem der Klägerin dem Grunde nach – was zwischen den Beteiligten unstreitig ist – zustehenden Anspruch auf Insolvenzgeld (Insg) für die Zeit vom 1. Juni 2010 bis 31. Juli 2010 iHv 1.258,88 € nur einen Betrag iHv 707,60 € in Abzug bringen, um insoweit den Erstattungsanspruch des Jobcenters C-W (JC) für Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch – Grundsicherung für Arbeitsuchende – (SGB II) für denselben Zeitraum zu befriedigen. Der Insg-Anspruch der Klägerin gilt (nur) insoweit als erfüllt (vgl § 107 Abs. 1 SGB X), so dass die Klägerin die Zahlung von weiterem Insg iHv 76,28 € verlangen kann.

Nach § 107 Abs. 1 SGB X gilt der Anspruch des Berechtigten gegen den zur Leistung verpflichteten Leistungsträger als erfüllt, soweit ein Erstattungsanspruch besteht. Diese Erfüllungsfiktion tritt gegenüber dem Inhaber eines Anspruchs gegen einen Sozialleistungsträger demnach ein, wenn diesem im Hinblick auf die betreffende Sozialleistung gegen einen anderen Leistungsträger ein Erstattungsanspruch iS der §§ 102 bis 105  SGB X zusteht. Dadurch wird eine Verknüpfung zwischen den Ansprüchen des Berechtigten gegen einen Sozialleistungsträger und dem davon an sich unabhängigen Anspruch des vorleistenden Trägers auf Erstattung gegen den eigentlich verpflichteten Leistungsträger in der Weise hergestellt, dass der Anspruch des Berechtigten als erloschen gilt und damit Doppelleistungen aus öffentlichen Kassen vermieden werden (vgl BSG, Urteil vom 3. Dezember 2002 – B 2 U 12/02 R = SozR 3-5190 § 76 Nr 4 mwN).

Die Erfüllungsfiktion des § 107 Abs. 1 SGB X ist gegenüber dem von der Klägerin gegen die Beklagte geltend gemachten Anspruch auf Zahlung von weiterem Insg eingetreten, da iHv 707,60 € insoweit ein entsprechender Erstattungsanspruch des JC wegen der ua für diesen Zeitraum der Klägerin gewährten SGB II-Leistungen, die sich ausweislich des Bescheides vom 22. Juli 2010 auf 641,50 € (Juni 2010) bzw 641,43 € (Juli 2010) beliefen, gegenüber der Beklagten (bis zu dessen Erfüllung) bestand. Es spricht einiges dafür, dass sich dieser Erstattungsanspruch nach § 104 Abs. 1 SGB X richtet, wobei dies im Rahmen der hier vorzunehmenden summarischen Prüfung schon deshalb keiner abschließenden Beurteilung bedarf, weil auch bei einem Erstattungsanspruch nach Maßgabe von § 103 Abs. 1 Abs. 1 SGB X oder § 105 Abs. 1 SGB X die Erfüllungsfiktion des § 107 Abs. 1 SGB X greift.

Nach § 104 Abs. 1 SGB X ist, wenn – wie hier das JC - ein nachrangig verpflichteter Leistungsträger Sozialleistungen erbracht hat, ohne dass die Voraussetzungen von § 103 Abs. 1 SGB X vorliegen, der Leistungsträger erstattungspflichtig, gegen den der Berechtigte vorrangig einen Anspruch hat oder hatte, soweit dieser Leistungsträger nicht bereits selbst geleistet hat, bevor er von der Leistung des anderen Leistungsträgers Kenntnis erlangt hat (Satz 1). Nachrangig verpflichtet ist ein Leistungsträger, soweit dieser bei rechtzeitiger Erfüllung der Leistungspflicht eines anderen Leistungsträgers selbst nicht zur Leistung verpflichtet wäre (Satz 2). Erläuternd führt § 104 Abs. 1 Satz 3 SGB X zum Nachrangverhältnis aus, dass ein Erstattungsanspruch nicht besteht, soweit der nachrangige Leistungsträger seine Leistungen auch bei Leistung des vorrangig verpflichteten Leistungsträgers hätte erbringen müssen. § 104 SGB X geht also von nebeneinander bestehenden Leistungspflichten (mindestens) zweier Leistungsträger aus, wobei die Verpflichtung eines dieser Leistungsträger wegen System- oder Einzelanspruchssubsidiarität der Leistungspflicht des anderen nachgeht (vgl BSG aaO; BSGE 74, 36, 38 = SozR 3-1300 § 104 Nr 8, 12 mwN; BSG SozR 3-2600 § 13 Nr 2).

Das JC hat als grundsätzlich nachrangig verpflichteter Leistungsträger gegenüber der Klägerin in der Zeit vom 1. Juni 2010 bis 31. Juli 2010 Sozialleistungen in Form von Arbeitslosengeld II erbracht, und zwar aufgrund des Bewilligungsbescheides vom 22. Juli 2010, obwohl für diesen Zeitraum dem Grunde nach ein Leistungsanspruch der Klägerin gegenüber der Beklagten auf Insg iHv 1.258,88 € bestand. Die von § 104 Abs 1  SGB X vorausgesetzte Nachrangigkeit der Ansprüche eines Hilfebedürftigen gegenüber dem zuständigen SGB II-Träger ergibt sich aus der in § 9 Abs. 1 SGB II normierten Systemsubsidiarität der Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II. Danach ist (nur) hilfebedürftig, wer seinen Lebensunterhalt nicht aus eigenen Kräften und Mitteln sichern kann und die erforderliche Hilfe nicht von anderen, insbesondere von Angehörigen oder von Trägern anderer Sozialleistungen, erhält. In Höhe eines Betrages von 707,60 € hätte das JC SGB II-Leistungen an die Klägerin bei einer „rechtzeitigen“ (vgl § 104 Abs. 1 Satz 2 SGB X) Leistung der Beklagten nicht erbringen müssen.

Dies folgt daraus, dass es sich bei dem der Klägerin in dem in Rede stehenden Zeitraum zustehenden monatlichen Insg iHv 629,44 € bereits um eine Nettogröße (vgl § 185 Abs. 1 Sozialgesetzbuch – Arbeitsförderung – SGB III) handelt, so dass zur Bereinigung neben der Versicherungspauschale nur noch die Absetzung des Grundfreibetrags iHv 100,- € monatlich sowie des Erwerbstätigenfreibetrags – hier 105,88 € - (§ 11 Abs. 2 Satz 2 und Abs. 2 Satz 1 Nr 6 SGB II in der hier maßgebenden Fassung bis zum 31. Dezember 2010) in Betracht kommen, insgesamt 205,88 € monatlich (vgl zur Berechnung BSG, Urteil vom 13. Mai 2009 – B 4 AS 29/08 R – juris). Anzurechnen wäre danach ein monatliches Einkommen der Klägerin iHv 423,56 €.

Nach der horizontalen Berechnungsmethode ist zunächst der Bedarf der beiden Mitglieder der Bedarfsgemeinschaft zu ermitteln. Dieser belief sich nach Maßgabe des Bescheides vom 22. Juli 2010 bei der Klägerin im Juni bzw. Juli 2010 auf monatlich 641,50 bzw 641,43 € und bei der im Jahr 2003 geborenen Tochter auf 126,53 bzw 126,43 €. Die Errechnung des Bedarfs der Tochter erfolgt unter Berücksichtigung ihres Einkommens aus Kindergeld und Unterhalt (= monatlich 364,- €). Das Einkommen des minderjährigen Kindes steht nämlich anders als das des volljährigen Angehörigen der Bedarfsgemeinschaft nicht zur Verteilung in der Bedarfsgemeinschaft nach § 9 Abs. 2 Satz 3 SGB II an. Dieses ergibt sich aus § 9 Abs. 2 Sätze 1 und 2 SGB II iVm § 7 Abs. 3 Nr 3 und 4 SGB II in den hier anwendbaren Fassungen (vgl zum Ganzen und zur Berechnung BSG, Urteil vom 18. Juni 2008 – B 14 AS 55/07 R = SozR 4-4200 § 9 Nr 4).

Die Bedarfe der beiden Leistungsberechtigten im vorliegenden Fall standen danach innerhalb der Bedarfsgemeinschaft in einem Verhältnis von 83,53 % (Klägerin) zu 16,47 % (Tochter). Dieses ergibt einen Gesamtbedarf der Klägerin von 287,74 € (83,53 % von 344,47 €) für Juni 2010 und von 287,59 € (83,53 % von 344,30 €) für Juli 2010. Geleistet wurden aber vom JC an die Klägerin 641,50 € bzw 641,43 €. Die den tatsächlichen Bedarf übersteigenden Leistungen (353,76 € bzw 353,84 €) hätte das JC bei rechtzeitiger Leistung des Insg nicht erbringen müssen, woraus sich ein Erstattungsanspruch (nur) iHv 707,60 € errechnet.

Das JC kann daher nur einen Gesamterstattungsanspruch iHv 707,60 € gegenüber der Beklagten geltend machen mit der Folge, dass der Insg-Anspruch der Klägerin nur in dieser Höhe als erfüllt gilt. Die auf den von der Beklagten berücksichtigten Betrag von 783,88 € verbleibende Differenz (= 76,28 €) hat die Beklagte daher noch an die Klägerin auszukehren.

Im PKH-Beschwerdeverfahren sind Kosten kraft Gesetzes nicht zu erstatten (vgl. § 127 Abs. 4 ZPO).

Dieser Beschluss kann nicht mit der Beschwerde an das Bundessozialgericht angefochten werden (§ 177 SGG).