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Beiladung; Verrichtungen


Metadaten

Gericht LSG Berlin-Brandenburg 27. Senat Entscheidungsdatum 22.06.2011
Aktenzeichen L 27 P 109/08 ECLI
Dokumententyp Urteil Verfahrensgang -
Normen § 75 SGG, § 14 SGB 11, § 15 SGB 11, § 37 SGB 11

Tenor

Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Potsdam vom 9. Juli 2008 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten des Berufungsverfahrens sind nicht zu erstatten.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

Die Beteiligten streiten über die Gewährung von Leistungen der Pflegestufe I aus der gesetzlichen Pflegeversicherung ab 1. September 2005.

Die 1960 geborene Klägerin hatte bis zum 31. März 1995 Pflegegeld nach § 69 Bundessozialhilfegesetz und vom 1. April 1995 an als Besitzstandsleistung gemäß Art. 51 Pflege-Versicherungsgesetz (PflegeVG) bezogen. Die Kreisverwaltung T / Sozialamt beabsichtigte, diese Leistungen vom 1. Januar 2005 bis zum Abschluss der Prüfung, ob die Anspruchsvoraussetzungen weiterhin vorliegen, vorläufig einzustellen. Hierzu hielt sie ein aktuelles Gutachten des MDK für erforderlich. Im Anhörungsschreiben wurde die Klägerin deshalb aufgefordert, einen Antrag auf Pflegegeld bei ihrer Pflegekasse zu stellen.

Auf den entsprechenden Antrag der Klägerin holte die Beklagte das MDK-Gutachten der Pflegefachkraft Z vom 28. Februar 2005 ein, die einen Zeitaufwand in der Grundpflege von 0 Minuten täglich ermittelte. Mit Bescheid vom 29. März 2005 lehnte die Beklagte den Antrag ab. Hiergegen erhob die Klägerin keinen Rechtsbehelf.

Die Kreisverwaltung T / Sozialamt stellte die Besitzstandsleistung ab 1. Januar 2005 mit Bescheid vom 20. Dezember 2004 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 11. Mai 2005 vorläufig, mit Bescheid vom 25. April 2005 endgültig ein.

Die Klägerin wiederholte am 16. September 2005 den Antrag auf Pflegegeld. Auf der Grundlage des durch die Pflegefachkraft Sch erstellten MDK-Gutachtens vom 25. Oktober 2005, die den Zeitaufwand in der Grundpflege auf 16 Minuten täglich eingeschätzt hatte, lehnte die Beklagte den Antrag mit Bescheid vom 7. November 2005 ab. Den daraufhin erhobenen Widerspruch wies sie nach Einholung einer gutachterlichen Stellungnahme nach Aktenlage mit Widerspruchbescheid vom 28. September 2006 zurück.

Mit ihrer vor dem Sozialgericht Potsdam erhobenen Klage hat die Klägerin Pflegegeld nach der Pflegestufe I begehrt. Das Sozialgericht hat den Befundbericht des die Klägerin behandelnden Facharztes für Allgemeinmedizin Dr. B vom 9. Mai 2007 eingeholt. Mit Urteil vom 9. Juli 2008 hat es die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat es insbesondere ausgeführt, dass die Klägerin nicht erheblich pflegebedürftig sei. Bei ihr sei im Bereich der Grundpflege ein Pflegebedarf von 16 Minuten täglich festgestellt worden. Die Versorgung des Anus praeter infolge Neigung zur Entzündung und starken Hautreizungen, verbunden mit Blutungen, sei nicht der Grundpflege, sondern der medizinischen Behandlungspflege zuzurechnen. Die Notwendigkeit des Wechselns des Anus praeter-Beutels sowie die Hilfe bei der Ganzkörperwäsche seien in dem MDK-Gutachten vom 25. Oktober 2005 ausreichend berücksichtigt und zeitlich gewürdigt worden.

Die Klägerin hat gegen diese Entscheidung Berufung eingelegt.

Der Senat hat Beweis erhoben durch Einholung eines Pflegegutachtens des Arztes Dr. S vom 17. August 2009, der eine erhebliche Pflegebedürftigkeit der Klägerin verneint hat.

Gegen den Einstellungsbescheid der Kreisverwaltung T / Sozialamt vom 25. April 2005 hat die Klägerin mit Schreiben vom 16. Dezember 2010 Widerspruch eingelegt, der mit Widerspruchsbescheid vom 12. Januar 2011 als unzulässig zurückgewiesen worden ist. Hiergegen hat sie Klage bei dem Sozialgericht Potsdam erhoben.

Die Klägerin trägt vor, dass bei Problemen ihrer multiplen chronischen Erkrankungen die Notwendigkeit externer Hilfe weder vorhersehbar noch zeitlich in täglichen Minuten zu benennen sei. Allein durch falsche Nahrungsaufnahme könne dies von einigen Stunden bis zu zwei oder drei Tagen erforderlich sein. Diese Komplikationen mit starken Schmerzen, der Notwendigkeit von Arztbesuchen und der Problematik des erheblichen Aufwandes bei der Darmentleerung und der anschließenden Säuberung habe sie durchschnittlich mindestens einmal pro Woche. Sie sei hierbei in großem Umfang auf fremde Hilfe angewiesen. Den Pflegeaufwand im Monat schätze sie auf 70 bis 80 Stunden. Hierin seien die Zeiten für Nachsorge und Reinigungsarbeiten nicht enthalten.

Ferner ist sie der Ansicht, dass die Beklagte mit der Kreisverwaltung T / Sozialamt als Trägerin der Sozialhilfe die Zuständigkeit hätte erörtern müssen. Die Thematik der Besitzstandsleistungen sei nicht hinreichend gewürdigt worden. Eine Beiladung des Landkreises T erscheine jedenfalls sachdienlich.

Die Klägerin beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Potsdam vom 9. Juli 2008 aufzuheben und die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 7. November 2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 28. September 2006 zu verpflichten, ihr ab dem 1. September 2005 Pflegegeld der Pflegestufe I zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält die Entscheidung des Sozialgerichts für zutreffend.

Dem Senat haben die Verwaltungsvorgänge der Beklagten vorgelegen. Diese waren Gegen-stand der mündlichen Verhandlung. Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird Bezug genommen auf die Schriftsätze, das Protokoll und die Verwaltungsvorgänge der Beklagten.

Entscheidungsgründe

Zulässiger Streitgegenstand des Berufungsverfahrens ist der von der Klägerin geltend gemachte Anspruch auf Pflegegeld aus der gesetzlichen Pflegeversicherung. Allein hierauf haben sich sowohl der Klageantrag als auch die Entscheidung im erstinstanzlichen Verfahren bezogen.

Die von der Klägerin angeregte Beiladung des Landkreises T ist weder erforderlich noch sachdienlich. Denn die Frage, ob die Kreisverwaltung T / Sozialamt als Trägerin der Sozialhilfe das der Klägerin als Besitzstandsleistung gewährte Pflegegeld nach § 69 BSHG einstellen durfte oder ob die Klägerin weiterhin den sozialhilferechtlichen Anspruch auf diese Leistung hat, entfaltet keinerlei Auswirkungen auf die vorliegend zu treffende Entscheidung über den Pflegegeldanspruch der gesetzlichen Pflegeversicherung. Eine Beildung ist auch nicht dadurch geboten, dass nach Art. 51 Abs. 4 PflegeVG in der seit dem 1. Januar 2005 geltenden Fassung die Besitzstandsleistung durch die Leistung eines Pflegegeldes nach dem Sozialgesetzbuch, Elftes Buch (SGB XI) gemindert wird, da die Klägerin mit dem Landkreis T um die Gewährung der Besitzstandsleistung lediglich dem Grunde nach streitet.

Die Berufung der Klägerin ist zulässig, aber unbegründet.

Zu Recht hat das Sozialgericht die Klage mit seinem Urteil vom 9. Juli 2008 abgewiesen. Der Ablehnungsbescheid der Beklagten vom 7. November 2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 28. September 2006 ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten. Denn sie hat keinen Anspruch auf Pflegegeld nach der Pflegestufe I ab 1. September 2005.

Der geltend gemachte Anspruch setzt nach § 37 Abs. 1 Sätze 1 bis 3 SGB XI u. a. voraus, dass der Anspruchsteller pflegebedürftig ist und mindestens der Pflegestufe I zugeordnet werden kann. Pflegebedürftigkeit liegt hierbei nach § 14 Abs. 1 SGB XI vor, wenn der Betroffene wegen einer körperlichen, geistigen oder seelischen Krankheit oder Behinderung für die gewöhnlichen und regelmäßig wiederkehrenden Verrichtungen im Ablauf des täglichen Lebens auf Dauer, voraussichtlich für mindestens sechs Monate, in erheblichem oder höherem Maße der Hilfe bedarf, die nach § 14 Abs. 3 SGB XI in der Unterstützung, in der teilweisen oder vollständigen Übernahme der Verrichtungen im Ablauf des täglichen Lebens oder in der Beaufsichtigung oder Anleitung mit dem Ziel der eigenständigen Übernahme dieser Verrichtungen besteht. Als gewöhnliche und regelmäßig wiederkehrende Verrichtungen im vorgenannten Sinne gelten nach § 14 Abs. 4 SGB XI im Bereich der Körperpflege, der neben den Bereichen der Ernährung und der Mobilität zur Grundpflege gehört das Waschen, Duschen, Baden, die Zahnpflege, das Kämmen, Rasieren und die Darm- oder Blasenentleerung, im Bereich der Ernährung das mundgerechte Zubereiten oder die Aufnahme der Nahrung, im Bereich der Mobilität das selbständige Aufstehen und Zu-Bett-Gehen, An- und Auskleiden, Gehen, Stehen, Treppensteigen oder das Verlassen und Wiederaufsuchen der Wohnung sowie im Bereich der hauswirtschaftlichen Versorgung das Einkaufen, Kochen, Reinigen der Wohnung, Spülen, Wechseln und Waschen der Wäsche und Kleidung oder das Beheizen.

Die Zuordnung zur Pflegestufe I setzt nach § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 SGB XI voraus, dass der Betroffene bei der Körperpflege, der Ernährung oder der Mobilität für wenigstens zwei Verrichtungen aus einem oder mehreren Bereichen mindestens einmal täglich der Hilfe bedarf und zusätzlich mehrfach in der Woche Hilfen bei der hauswirtschaftlichen Versorgung benötigt. Der Zeitaufwand, den ein Familienangehöriger oder eine andere nicht als Pflegekraft ausgebildete Pflegeperson für die erforderlichen Leistungen der Grundpflege und hauswirtschaftlichen Versorgung benötigt, muss hierbei wöchentlich im Tagesdurchschnitt mindestens 90 Minuten betragen, wobei auf die Grundpflege mehr als 45 Minuten entfallen müssen.

Diese Voraussetzungen sind im Fall der Klägerin für den streitgegenständlichen Zeitraum nicht erfüllt. Denn entgegen ihrer Auffassung lässt sich nicht feststellen, dass ihr Grundpflegebedarf wöchentlich im Tagesdurchschnitt mehr als 45 Minuten betrug.

Aus dem MDK-Gutachten vom 25. Oktober 2005 ergibt sich überzeugend, dass im Bereich der Körperpflege (§ 14 Abs. 4 Nr. 1 SGB XI) ein Zeitbedarf von insgesamt 12 Minuten bestand: Die Klägerin benötigte unterstützende Hilfe bei der Ganzkörperwäsche von täglich 8 Minuten sowie bei dem dreimal wöchentlich anfallenden Wechsel und der Entleerung des Stomabeutels von durchschnittlich 4 Minuten pro Tag. Ferner war im Bereich der Ernährung (§ 14 Abs. 4 Nr. 2 SGB XI) Hilfe bei der mundgerechten Zubereitung der Nahrung von täglich 4 Minuten erforderlich.

Nach den Feststellungen des gerichtlichen Sachverständigen Dr. S in dessen Gutachten 17. August 2009, denen der Senat sich anschließt, hat sich der Umfang des Hilfebedarfs seit Oktober 2005 geändert, jedoch ohne dass der Grundpflegebedarf täglich auf mehr als 45 Minuten gestiegen ist: Bei dem Wechseln der Stomaplatten ist keine unterstützende Hilfe mehr erforderlich. Auch kann die Klägerin die mundgerechte Zubereitung der Nahrung ohne Unterstützung mundgerecht zubereiten. Demgegenüber sind zweimal wöchentlich Hilfen beim Haarewaschen und –trocknen von durchschnittlich 3 Minuten pro Tag sowie beim Anziehen und Ausziehen von Schuhen und Strümpfen von 5 Minuten pro Tag erforderlich geworden. Diese Einschätzung ist überzeugend, da die Klägerin unter osteoporitsichen Beschwerden der Schulter-, Hüft- und Kniegelenke nach langjähriger Cortisonthearpie leidet und sich wegen des künstlichen Darmausgangs nicht richtig bücken kann.

Auch das Vorbringen der Klägerin im Berufungsverfahren rechtfertigt keine abweichende Entscheidung: Der Umstand, dass sie – wie sie vorträgt – bei auftretenden Problemen, etwa durch falsche Nahrungsaufnahme, der externen Hilfe von einigen Stunden bis zu mehreren Tagen bedarf und in dieser Zeit oft wegen starker Schmerzen fast handlungsunfähig sei, kann einen Anspruch auf Pflegegeld nicht begründen. Denn nach § 14 Abs. 1 SGB XI ist allein auf den Hilfebedarf für die gewöhnlichen und regelmäßig wiederkehrenden Verrichtungen im Ablauf des täglichen Lebens abzustellen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG und folgt dem Ergebnis in der Hauptsache.

Die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision (§ 160 Abs. 2 SGG) sind nicht erfüllt.