Gericht | SG Cottbus 28. Kammer | Entscheidungsdatum | 20.06.2011 | |
---|---|---|---|---|
Aktenzeichen | S 28 R 860/09 | ECLI | ||
Dokumententyp | Urteil | Verfahrensgang | - | |
Normen | § 6 AAÜG, § 14 SGB 4, § 256a SGB 6, § 3 EStG |
Die von einem DDR-Zöllner erzielten Reinigungszuschläge und Verpflegungsgelder stellen kein Arbeitsentgelt i. S. d. § 14 SGB IV und § 6 AAÜG dar. Sie unterfallen weder nachehemaligem DDR-Recht noch nach dem am 1. August 1991 geltendem BRD-Recht, der Steuerpflicht.
I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Die Beteiligten haben einander außergerichtliche Kosten nicht zu erstatten.
Die Beteiligten streiten über die Berücksichtigung von Verpflegungsgeld und Sachbezug (kostenlose Verpflegung) sowie Reinigungszuschlages als Arbeitsentgelt, bei der Rentenberechnung zu Gunsten des Klägers (wobei die Höhe und Dauer dieser Bezüge unter den Beteiligten nicht im Streit steht), während dessen Zeit der Zugehörigkeit zu dem Sonderversorgungssystem der Zollverwaltung.
Von der Darstellung des Tatbestandes wird nach § 136 Absatz 2 SGG zum Teil abgesehen und weitgehend auf die Schriftsätze der Beteiligten verwiesen.
Der, 1943 geborene Kläger, ist in der streitgegenständlichen zeit Zöllner gewesen. Seine Zugehörigkeit zum Sonderversorgungssystem der Zöllner steht unter den Beteiligten nicht im Streit.
Er beantragte unter dem 2. Januar 2008 die Überprüfung seiner Feststellungsbescheide hinsichtlich der Berücksichtigung weiterer Entgelte.
Der Kläger ist der Auffassung, dass Verpflegungsgeld und Sachbezug (kostenlose Verpflegung) sowie Reinigungszuschlages als Arbeitsentgelt zu berücksichtigen sind.
Der Kläger beantragt sinngemäß,
1. den Bescheid vom 23. September 2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 3. November 2009 aufzuheben,
2. den Entgeltüberführungsbescheid der OFD Cottbus vom 8. August 2000 dahingehend abzuändern, dass als Arbeitsentgelt ebenso die Zahlung von Verpflegungsgeld sowie Sachbezug (kostenlose Verpflegung) für den Zeitraum vom 2. Januar 1974 bis 31. Januar 1977 in Höhe von monatlich 132,31 Mark der DDR und vom 1. Februar 1977 bis 31. Dezember 1990 in Höhe von monatlich 136,97 Mark der DDR,
sowie die Zahlung eines Reinigungszuschlags vom 2. Januar 1974 bis 31. Dezember 1990 in Höhe von monatlich 3,50 Mark der DDR,
berücksichtigt wird.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Die Beklagte verweist dabei inhaltlich im Wesentlichen auf den Inhalt der angefochtenen Bescheide.
Die Beteiligten erklärten im Termin vom 6. Juni 2011 ausdrückliche ihr Einverständnis mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung.
Wegen der Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakte, sowie auf die Verwaltungsakte der Beklagten Bezug genommen, die bei der Entscheidungsfindung Berücksichtigung gefunden haben.
I.
Die Kammer kann gemäß § 124 Absatz 2 Sozialgerichtsgesetz ohne mündliche Verhandlung entscheiden, weil die Beteiligten hierzu ihr Einverständnis erteilt haben.
II.
Die zulässige Klage hat in der Sache keinen Erfolg. Der Bescheid vom 30. Mai 2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 28. April 2009 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten. Der Entgeltüberführungsbescheid der OFD Cottbus vom 8. August 2000 ist ebenfalls rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten. Der Kläger hat keinen Anspruch auf die Berücksichtigung weiterer Arbeitsentgelte, oder dessen gleichgestellter Zahlungen. Entsprechend hat der Kläger keinen Anspruch auf die Abänderung der Bescheide nach § 44 des Zehnten Buches Sozialgesetzbuch (SGB X).
Nach § 44 SGB X ist ein rechtswidriger Verwaltungsakt zu Gunsten des Betroffenen abzuändern wenn und soweit in ihm das Recht unrichtig angewendet wird. Der Kläger hat keinen Anspruch auf eine entsprechende Änderung, da das Recht bei dem Erlass der Bescheide nicht unrichtig angewendet wurde.
Nach § 6 des Gesetzes zur Überführung der Ansprüche und Anwartschaften aus Zusatz- und Sonderversorgungssystemen des Beitrittsgebiets - Anspruchs- und Anwartschaftsüberführungs-gesetz - (AAÜG) ist den Pflichtbeitragszeiten nach dem AAÜG für jedes Kalenderjahr als Verdienst (§ 256a Abs. 2 Sechstes Buch Sozialgesetzbuch) das erzielte Arbeitsentgelt oder Arbeitseinkommen höchstens bis zur jeweiligen Beitragsbemessungsgrenze nach der Anlage 3 zugrunde zu legen. Unter den Beteiligten steht insofern nicht im Streit - und die Kammer schließt sich dem an -, dass die Berechnungen des Arbeitsentgeltes des Klägers, ausgenommen der mit der Klage noch verfolgten Punkten, rechtmäßig erfolgte.
Streitig ist damit allein die Rechtsfrage, ob die Zahlung von Verpflegungsgeld sowie Sachbezug (kostenlose Verpflegung) für den Zeitraum vom 2. Januar 1974 bis 31. Januar 1977 in Höhe von monatlich 132,31 Mark der DDR und vom 1. Februar 1977 bis 31. Dezember 1990 in Höhe von monatlich 136,97 Mark der DDR sowie die Zahlung eines Reinigungszuschlags vom 2. Januar 1974 bis 31. Dezember 1990 in Höhe von monatlich 3,50 Mark der DDR dem Begriff des Arbeitsentgeltes im Sinne des § 6 Absatz 1 S. 1 AAÜG zuzuordnen ist. Das AAÜG definiert den Begriff des Arbeitsentgeltes nicht selber. Der Hinweis in § 6 Absatz 1 S. 1 AAÜG auf § 256a Absatz 2 Sechstes Buch Sozialgesetzbuch – Gesetzliche Rentenversicherung – (SGB VI) bezieht sich schon aus seiner Stellung im Satz auf den Begriff „Verdienst“ und nicht auf die Begriffe Arbeitsentgelt, bzw. Arbeitseinkommen. § 256a SGB VI definiert selbst auch nur den Begriff des „Verdienstes“ und legt dessen Berechnung unter anderem die Begriffe „Arbeitsverdienst“ und „tatsächliche Einkünfte“ zugrunde. Es werden damit andere Begriffe als der des Arbeitsentgeltes des § 6 Absatz 1 S. 1 AAÜG verwendet. Daraus ergibt sich, dass der Gesetzgeber den Begriffen „Verdienst“ und „Arbeitsentgelt“ im § 6 Absatz 1 S. 1 AAÜG eigenständige Bedeutung bemisst. Die Definition des Begriffes Arbeitsentgelt hat daher aus anderen Rechtsquellen zu erfolgen. Nicht aber aus § 256a Absatz 2 SGB VI (so im Ergebnis auch BSG B 4 RS 4/06R).
Aus § 14 des Vierten Buches Sozialgesetzbuch – Gemeinsame Vorschriften für die Sozialversicherung – (SGB IV) ergibt sich die Definition des Begriffes „Arbeitsentgelt“. Nach § 1 Absatz 1 SGB IV, gilt dieses (unter anderem) für das Recht der Gesetzlichen Rentenversicherung. Aus § 4 AAÜG ergibt sich, dass die Zusatz- und Sonderversorgungssysteme des Beitrittgebietes (ehemalige DDR) in das Rentenrecht zu überführen sind. Das AAÜG ist somit besonderes Rentenrecht, mit der Folge, dass nach § 1 SGB IV das SGB IV als allgemeine Vorschrift anwendbar ist. Somit ergibt sich die Definition des Begriffes „Arbeitsentgelt“ im § 6 AAÜG aus § 14 SGB IV (so im Ergebnis auch BSG aaO). Nach der Systematik des Sozialgesetzbuches ist auch kein anderes Ergebnis denkbar. Insbesondere ist kein Sinn und Zweck ersichtlich, warum für das AAÜG die Definition des Terminus Technicus „Arbeitsentgelt“ nicht aus der Definition des § 14 SGB IV stammen sollte, sondern über den Umweg des Begriffes „Verdienst“ aus dem SGB VI.
Die hier streitgegenständlichen Zahlungen von Verpflegungsgeld (bzw. die kostenlose Bereitstellung von Verpflegung) und des Reinigungszuschlages, unterfallen jedoch nicht der Definition des Begriffes „Arbeitsentgelt“ des § 14 SGB IV.
Arbeitsentgelt sind demnach „alle laufenden oder einmaligen Leistungen aus einer Beschäftigung, gleichgültig ob ein Rechtsanspruch auf die Einnahme besteht, unter welchen Bedingungen oder in welcher Form sie geleistet werden und ob sie unmittelbar aus der Beschäftigung oder im Zusammenhang mit ihr erzielt werden“. Nach § 14 Absatz 1 S. 3 SGB IV gelten steuerfreie Aufwandsentschädigungen nicht als Arbeitsentgelt. Gemäß § 1 Arbeitsentgeltverordnung (ArEV) – erlassen aufgrund Verordnungsermächtigung in § 17 Absatz 1 Satz 1 Nummer 1 SGB IV – sind steuerfreie Einnahmen, laufende Zulagen, Zuschläge, Zuschüsse sowie ähnliche Einnahmen, die zusätzlich zu Löhnen und Gehältern gewährt werden, ebenfalls nicht dem Arbeitsentgelt zuzurechnen. Der Gesetzgeber hat damit zum Ausdruck gebracht, dass im Wesentlichen nur die steuerpflichtigen Einnahmen auch als Arbeitsentgelt im Sinne des § 14 SGB IV gelten sollen.
Sowohl der Reinigungszuschuss als auch das Verpflegungsgeld sind im Zuflusszeitpunkt steuerfrei gezahlt worden (vgl. Ordnung 1/86 vom 1. Januar 1986, Ziffer 4.4 und Ziffer 4.2). Diese Steuerfreiheit ergibt sich jedoch aus der Anwendung des in der ehemaligen DDR herrschenden Steuerrechts. Das BSG hat insofern entschieden, dass es auf das DDR Steuerrecht nicht ankommen kann, sondern allein auf die am 1. August 1991 maßgeblichen Steuerrechtsvorschriften (vgl. BSG aaO).
Nach Auffassung der Kammer ist eine Entscheidung darüber, auf welches Recht abzustellen ist im vorliegenden Fall nicht zwingend geboten, da bei der Geltung des DDR Steuerrechts die begehrten Zuschläge nicht rentenerhöhend zu berücksichtigen wären (vgl. oben) und bei der vom BSG bevorzugten Anwendung des EStG der BRD im Zeitpunkt des 1. August 1991 ebenfalls nicht. Nach dem EStG in der Fassung der Gültigkeit vom 28.06.1991 bis 31.12.1991, wären nach § 3 Nr. 4 lit. a und c EStG die hier geltend gemachten Zuschläge steuerfrei. Insofern ist dem BSG nämlich hinsichtlich der Anwendung des § 19 EStG hier (so) nicht zu folgen. Zunächst ist festzuhalten, dass das BSG nach Auffassung der Kammer, allein hinsichtlich der sog. „Jahresendprämie“ über deren Herleitung aus dem EStG entschieden hat. Eine Entscheidung über die hier streitgegenständlichen Zuschläge hingegen hat das BSG in seiner damaligen Entscheidung hingegen nicht (ausdrücklich) getroffen. Insofern mag es zutreffend sein, dass das BSG in seiner damaligen Entscheidung davon ausgegangen ist, dass die „Jahresendprämie“ sich nach § 19 Absatz 1 S. 1 und S. 2 EStG bemisst und nicht nach § 3 EStG, richtigerweise muss aber dann in jedem Einzelfall geprüft werden, ob die Steuerfreiheit des § 3 EStG der Besteuerung nach § 19 EStG entgegen steht. Die Vorschriften bilden insofern eine „Regel-Ausnahme-Konstellation“. § 19 EStG ordnet an, was regelmäßig besteuert wird, § 3 EStG zählt dann die Ausnahmen von dieser Besteuerung auf.
In Anbetracht der differierenden Begrifflichkeiten des DDR Sprach- und Rechtsgebrauches zum BRD Sprach- und Rechtsgebrauch hat dann bei der Anwendung der §§ 3 und 19 EStG keine strenge Wortlautauslegung statt zu finden, sondern eine Auslegung nach Sinn und Zweck. Dieses Erfordernis folgt nicht zuletzt sogar aus dem Wortlaut und dem Sinn und Zweck des Einigungsvertrages (Anlage II Kapitel VIII Sachgebiet H gesetzliche Rentenversicherung, Abschnitt III Ziffer 9. Buchstabe b) Ziffer 1).
Die „Zöllner der DDR“ sind demnach grundsätzlich § 3 Nr. 4 (Bundesgrenzschutz) zuzuordnen.
Im Falle des Verpflegungszuschlages ist dieser unter lit. c) zu subsumieren. Der insofern angeführte Verpflegungszuschuss und der Wert der unentgeltlich abgegebenen Verpflegung entsprechen den hier streitgegenständlichen Verpflegungszuschuss, bzw. deren unentgeltlichem Sachbezug (Verpflegung).
Im Falle des Reinigungszuschusses ist dieser mit der Reglung des lit. a) gleich zu setzen, da der Reinigungszuschuss die Überlassung der Dienstkleidung mit abdeckt.
Insofern erweist sich auch der streitgegenständliche Überführungsbescheid als rechtmäßig.
Die Bescheide erweisen sich demnach insgesamt als rechtmäßig. Im Übrigen wird nach § 136 Absatz 3 SGG auf die Bescheide der Beklagten verwiesen, deren Begründung sich die Kammer anschließt.
III.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG und folgt dem Ergebnis der Hauptsache.
IV.
Nach §§ 161 Absatz 2 i. V. m. § 160 Absatz 2 Nr. 1 SGG ist wegen der Vielzahl der Fälle und der damit einhergehenden grundsätzlichen Bedeutung die Sprungrevision zuzulassen.