Gericht | VG Cottbus 5. Kammer | Entscheidungsdatum | 06.12.2012 | |
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Aktenzeichen | 5 K 196/08 | ECLI | ||
Dokumententyp | Urteil | Verfahrensgang | - | |
Normen | § 104 Abs 1 SGB 10, § 25a Abs 2 S 1 BVG, § 4 Abs 2 GemFinAusglG BB, § 6 Abs 1 OEG |
Das Verfahren wird eingestellt, soweit die Beteiligten den Rechtsstreit in der Hauptsache für erledigt erklärt haben und soweit der Kläger die Klage zurückgenommen hat.
Der Beklagte wird verurteilt, für den Zeitraum vom März 2007 bis einschließlich Dezember 2009 59.411,33 Euro nebst Zinsen in Höhe von 5 % Punkten über dem Basiszinssatz pro Jahr ab Rechtshängigkeit an den Kläger zu zahlen.
Die Kosten des Verfahrens tragen der Kläger zu 1/6 und der Beklagte zu 5/6.
Gegen Sicherheitsleistung in Höhe des zu vollstreckenden Betrages ist das Urteil für den Kläger vorläufig vollstreckbar. Für den Beklagten ist das Urteil wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Kläger kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des sich aus dem Kostenfestsetzungsbeschluss ergebenden Betrages abwenden, wenn nicht der Beklagte zuvor Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Der Kläger begehrt von dem Beklagten Kostenerstattung im Hilfefall der Frau K.
Die am ... 1984 geborene K. wurde als Kind Opfer eines jahrelangen sexuellen Missbrauchs durch ihren Stiefvater, der deshalb ebenso wie die leibliche Mutter zu mehrjährigen Haftstrafen verurteilt wurde. Basierend auf dem Gutachten der Frau Dipl. Psychologin S. vom 29. Mai 2000 erkannte der Beklagte mit Bescheid vom 17. Juli 2000 das Vorliegen einer auf dem Missbrauch beruhenden Gesundheitsstörung in Form einer Posttraumatischen Belastungsstörung (PTBS) mit wechselnder Begleitsymptomatik und einer hieraus resultierenden Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) von 70 % an und stellte fest, dass Frau K. ab dem 1. Januar 1998 deshalb Anspruch auf Beschädigtenversorgung nach dem Opferentschädigungsgesetz (OEG) hat. Mit Bescheiden vom 13. und 14. März 2003 und vom 29. Dezember 2003 bewilligte der Beklagte u. a. die Übernahme der Kosten ihrer Unterbringung im Betreuten Wohnen und der Werkstattkosten im Berufsbildungs- bzw. Arbeitsbereich gemäß §§ 26, 27 d des Bundesversorgungsgesetzes (BVG).
Schädigungsunabhängig leidet Frau K. zudem an einer leichten Intelligenzminderung.
Im Rahmen einer erneuten Begutachtung am 5. November 2005 attestierte die Chefärztin der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie des Kreiskrankenhauses P. in P. Frau Dr. K., dass trotz des mittlerweile chronischen Verlaufs der PTBS eine verminderte Intensität der Symptomatik festzustellen sei. Von der Gesamt-MdE in Höhe von 70 % entfalle hierauf ein Anteil von 50 %. Der erhöhte Betreuungsbedarf der Betroffenen, die zu dieser Zeit eine eigene Wohnung bewohnte, resultiere überwiegend aus der schädigungsunabhängig vorliegenden Intelligenzminderung, aufgrund derer Frau K. auch lediglich in der Lage sei, einer Tätigkeit in einer Behindertenwerkstatt nachzugehen.
Daraufhin setzte der Beklagte, nachdem er gegenüber Frau K. eine schädigungsbedingte MdE von nunmehr nur noch 50% festgestellt und seine Hilfen an sie eingestellt hatte, den Kläger mit Schreiben vom 29. Januar 2007 und vom 31. Januar 2007 in Kenntnis, dass für die im Rahmen der Kriegsopferfürsorge geleisteten Hilfen (Hilfe zum Lebensunterhalt/Betreuungskosten sowie Werkstattkosten im Arbeitsbereich) nach Aktenlage die Zuständigkeit des Beklagten nicht mehr gegeben sei und ein Kostenerstattungsanspruch nach § 102 des Sozialgesetzbuches (SGB) X geltend gemacht werde. Zur Begründung nahm er Bezug auf das Gutachten vom 5. November 2005.
Mit Bescheid vom 11. April 2007 gewährte nunmehr der Kläger Frau K. mit Wirkung ab dem 8. März 2007 Eingliederungshilfe gemäß §§ 53 Abs. 1, 54 SGB XII hinsichtlich ihrer vollstationären Unterbringung in den ... Anstalten, Wohnstätte D. einschließlich des Barbetrages gemäß § 35 Abs. 2 SGB XII und einmaliger Leistungen im Bedarfsfall. Dies teilte er mit Schreiben vom 20. April 2007 dem Beklagten mit und beantragte gleichzeitig die Erstattung der Kosten der Eingliederungshilfe und die Übernahme des Hilfefalles in die Zuständigkeit des Beklagten. Zur Begründung verwies er darauf, dass ausweislich des Gutachtens der Fachärztin für Psychiatrie/Psychotherapie Frau Dipl. Med. H. und der Diplompsychologin Frau Hb. vom 30. Januar 2007 nicht die leichte Intelligenzminderung, sondern die durch den sexuellen Missbrauch hervorgerufene seelische Behinderung der Frau K. hauptsächlich den Hilfebedarf bestimme. Der Beklagte lehnte dies mit Schreiben vom 25. April 2007 ab, da allein wegen der geistigen Behinderung Frau K. Eingliederungshilfe erforderlich sei. Mit Bescheid vom 19. Juni 2007 gewährte der Kläger Frau K. ab dem 1. Juni 2007 die Übernahme der Kosten ihrer Beschäftigung in der Behindertenwerkstatt.
Am 28. Februar 2008 hat der Kläger die vorliegende Klage erhoben.
Er ist der Auffassung, gegen den Beklagten einen Erstattungsanspruch gemäß § 104 Abs. 1 SGB X zu haben, da er als nachrangig verpflichteter Leistungsträger Sozialleistungen erbracht habe, obwohl ein Leistungsanspruch vorrangig gegenüber dem Beklagten bestanden habe. Dabei diente die von ihm geleistete Hilfe ebenso der Eingliederung der Behinderten wie die in den Zuständigkeitsbereich des Beklagten fallenden Leistungen der Kriegsopferfürsorge, so dass vom Vorliegen gleichartiger Leistungen auszugehen sei. Im Hinblick auf ihre infolge des erlittenen Missbrauchs eingetretene gesundheitliche Schädigung werde Frau K. vom persönlichen Geltungsbereich des OEG erfasst. Zwischen der Schädigung und dem Eingliederungshilfebedarf bestehe auch nach wie vor der erforderliche, gemäß § 25 a Abs. 2 Satz 1 BVG gesetzlich vermutete Kausalzusammenhang. Ausweislich der fachärztlichen Stellungnahme vom 30. Januar 2007 sei nicht die leichte Intelligenzminderung bestimmend für den Hilfebedarf der Frau K., sondern deren schwere seelische Behinderung, aufgrund derer sie der dauerhaften und verlässlichen Fürsorge bedürfe, um die psychischen Folgen der schweren Traumatisierung zu mildern. Immer wieder müsse Frau K. wegen ihrer seelischen Behinderung stationär behandelt werden, diese sei nach wie vor dominierend und präge das Leben der Betroffenen. Dies bestätigten auch die vorliegenden weiteren Unterlagen insbesondere der die Betroffene behandelnden Klinik sowie der betreuenden Einrichtung. Das Gutachten vom 5. November 2005 sei dagegen bereits zum Zeitpunkt der Aufnahme der Frau K. in die vollstationäre Betreuung im März 2007 nicht mehr aktuell gewesen. Die von der Gutachterin beschriebene positiv veränderte Situation der Betroffenen habe sich bis zu ihrer Aufnahme in die ... Anstalten völlig geändert. Im Jahr 2006 habe Frau K. mehrfach wegen Unruhe, Aggressivität, Suizidgedanken und Albträumen stationär behandelt werden müssen, bis sie schließlich dauerhaft vollstationär untergebracht worden sei. Allein eine leichte Intelligenzminderung sei jedoch in aller Regel nicht Grund für eine stationäre Unterbringung. Diese basiere vorliegend vielmehr auf der auf die schwere Traumatisierung zurückzuführenden schweren Symptomatik. Auch im weiteren Verlauf seien immer wieder depressive Phasen, Rückzugs- und Weglauftendenzen und Selbstverletzungen der Frau K. beschrieben worden. Nach alledem stehe deren psychische Situation im Vordergrund.
Seinen ursprünglich auf einen Betrag in Höhe von insgesamt 120.119,14 Euro bezifferten Klageantrag hat der Kläger hinsichtlich der Jahre 2010 und 2011 zurückgenommen. Hinsichtlich des ursprünglich darüber hinaus gestellten Antrages auf Übernahme des Hilfefalles in die Zuständigkeit des Beklagten ab Rechtskraft des Urteils haben die Beteiligten in der mündlichen Verhandlung vom 14. Dezember 2011 den Rechtsstreit in der Hauptsache für erledigt erklärt.
Der Kläger beantragt nunmehr,
den Beklagten zu verurteilen, für den Zeitraum von März 2007 bis einschließlich Dezember 2009 59.411,33 Euro nebst Zinsen in Höhe von 5 %-Punkten über dem Basiszinssatz pro Jahr ab Rechtshängigkeit an ihn zu zahlen.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Er ist der Auffassung, dass die leichte Intelligenzminderung der Frau K. vorrangig deren Betreuungsbedarf bedinge. Das Gutachten vom 5. November 2005 führe aus, dass die Betroffene aufgrund ihrer Einschränkungen in der Übersichtsfähigkeit, der Umstellungsfähigkeit, der rechnerischen Fähigkeiten, des logischen Denkens und des Ursachefolgedenkens in ihrer Lebensführung deutlich beeinträchtigt sei. Diese Einschränkungen seien jedoch nicht Folge des sexuellen Missbrauches und nicht Ausdruck der PTBS. Auch in der Ausübung besonderer Berufe sei Frau K. nicht durch die Schädigungsfolge gehindert. Vielmehr sei sie aufgrund ihrer Intelligenzminderung lediglich in der Lage, in einer Behindertenwerkstatt einer Tätigkeit nachzugehen. Auch ohne die Schädigung hätte sie daher keinen anderen Bildungs- und Ausbildungsweg beschreiten können. Nach dem Gutachten könne von einer Gleichwertigkeit der Schädigungsfolge und der schädigungsunabhängigen Intelligenzminderung nicht mehr ausgegangen werden, was auch durch die beigezogenen Klinikberichte bestätigt werde. Die geltend gemachten Aufwendungen seien zudem durch die Überführung zweckgebundener Mittel nach § 4 Abs. 2 des Brandenburgischen Finanzausgleichsgesetzes (BbgFAG) vom 29. Juni 2004 i. d. F. vom 6. Dezember 2006 bereits ausgeglichen worden.
Wegen der weiteren Einzelheiten und des Vorbringens der Beteiligten im Übrigen wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der beigezogenen Verwaltungsvorgänge des Klägers (11 Hefte) und des Beklagten (vier Hefte) ergänzend Bezug genommen.
Soweit die Beteiligten den Rechtsstreit in der Hauptsache übereinstimmend für erledigt erklärt haben bzw. der Kläger seinen Antrag zurückgenommen hat, ist das Verfahren einzustellen, § 92 Abs. 3 Satz 1 der Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO).
Soweit der Kläger seinen hier statthaften Leistungsantrag aufrechthält, hat die Klage Erfolg.
1.) Anspruchsgrundlage der geltend gemachten Kostenerstattung ist § 104 Abs. 1 Satz 1 des Zehnten Buches des Sozialgesetzbuches (SGB X). Hiernach ist, wenn ein nachrangig verpflichteter Leistungsträger Sozialleistungen erbracht hat, ohne dass die Voraussetzungen des § 103 Abs. 1 vorliegen, der Leistungsträger erstattungspflichtig, gegen den der Berechtigte vorrangig einen Anspruch hat oder hatte. Nachrangig verpflichtet ist ein Leistungsträger, soweit dieser bei rechtzeitiger Erfüllung der Leistungsverpflichtung eines anderen Leistungsträgers selbst nicht zur Leistung verpflichtet gewesen wäre, § 104 Abs. 1 Satz 2 SGB X.
So liegen die Dinge hier.
Der Kläger hat entsprechend seiner Zuständigkeit gemäß § 97 Abs. 1 und 3 SGB XII i. V. m. § 2 Abs. 1 AG-SGB XII als örtlicher Träger der Sozialhilfe im hier streitgegenständlichen Zeitraum an die betroffene Hilfeempfängerin Sozialhilfe in Form von Eingliederungshilfe für behinderte Menschen gemäß §§ 53 ff. SGB XII geleistet. Sozialhilfe wird jedoch gemäß § 2 Abs. 1 SGB XII nur nachrangig geleistet, nämlich u.a. wenn der Betroffene die erforderlichen Leistungen von Trägern anderer Sozialleistungen nicht erhält.
Hier hatte die Hilfeempfängerin jedoch vorrangig Anspruch auf Leistungen nach dem Opferentschädigungsgesetz (OEG) gegen den gemäß § 6 Abs. 1 Satz 1 OEG i. V. m. § 1 Abs. 1 Satz 1 der Versorgungsverwaltungszuständigkeitsverordnung (VersVwZV) vom 11. August 2006 hierfür zuständigen Beklagten. Denn der Hilfebedarf der Frau K. bestand maßgeblich aufgrund der von ihr erlittenen Schädigung.
Gemäß § 1 Abs. 1 Satz 1 OEG hat Anspruch auf Versorgung u.a., wer infolge eines vorsätzlichen rechtswidrigen tätlichen Angriffs auf seine Person eine gesundheitliche Schädigung erlitten hat. Dies ist hier mit dem von der Betroffenen erlittenen sexuellen Missbrauch der Fall, aus dem eine psychische Erkrankung in Form einer PTBS resultierte. Daher hat sie ausweislich der Verweisung des Opferentschädigungsgesetzes auf die Vorschriften des Bundesversorgungsgesetzes (BVG) gemäß §§ 25 ff BVG Anspruch auf Fürsorgeleistungen nach diesem Gesetz, soweit sie, was hier der Fall ist, nicht in der Lage ist, ihren Bedarf aus den übrigen Leistungen nach dem Bundesversorgungsgesetz und dem sonstigen Einkommen und Vermögen zu decken.
Die durch den Missbrauch erlittene PTBS ist auch ursächlich für die im streitgegenständlichen Zeitraum erfolgte stationäre Unterbringung und die Aufnahme der Betroffenen in eine Behindertenwerkstatt. Gemäß § 25 a Abs. 2 Satz 1 BVG wird ein Zusammenhang zwischen der Schädigung und der Notwendigkeit der Leistung vermutet, sofern nicht das Gegenteil offenkundig oder nachgewiesen ist. Entgegen der Auffassung des Beklagten lassen die vorliegenden Unterlagen jedoch nicht den Schluss zu, dass der Hilfebedarf hier nicht aus der Schädigung, sondern aus der schädigungsunabhängig bestehenden leichten Intelligenzminderung resultierte.
Das von dem Beklagten insoweit in Bezug genommene psychiatrische Gutachten von Frau Dr. K. vom 5. November 2005 ist nicht geeignet, die gesetzliche Vermutung zu widerlegen. Zum einen wurde es zeitlich deutlich vor dem hier in Rede stehenden Zeitraum, in dem eine Verschlechterung eintrat, erstellt. Zudem beschreibt und bewertet es offenkundig eine stabilisierte Lebenssituation der Betroffenen, die jedoch nur vorübergehender Natur war. Frau K. ist zunächst, im Zeitraum von 1998 bis 2002, dreimal in der Klinik für Psychiatrie, Psychotherapie und Psychosomatik der R. Kliniken GmbH stationär und Ende 2004 teilstationär in der Tagesklinik psychiatrisch sowie von 2002 bis 2004 ambulant psychologisch behandelt worden. Nachdem sie zunächst bei einer Pflegefamilie und dann im Betreuten Wohnen gelebt hatte, bezog sie im Jahr 2004 eine eigene Wohnung. Im Jahr 2006 musste sie in der Zeit vom 3. Februar bis zum 7. März, vom 13. März bis zum 28. April, vom 12. bis zum 23. Mai und vom 3. November bis zum 22. Dezember jedoch erneut in den R. Kliniken stationär behandelt werden. Hintergrund waren zunehmende Suizidgedanken, eine Überforderung im häuslichen Umfeld, Selbstverletzungen sowie das Auftreten von psychomotorischer Unruhe sowie von Albträumen und Ängsten. Aus den hierzu vorliegenden Behandlungsberichten der Klinik ergibt sich ein eindeutiger Bezug zu der von Frau K. durch den Missbrauch erfahrenen Traumatisierung, zusätzlich zu der PTBS wird eine (depressive) Anpassungsstörung diagnostiziert. Im Zuge der Therapien wurde immer wieder auch die Wohnsituation der Betroffenen thematisiert, im Ergebnis erfolgte im März 2007 schließlich eine Wiederaufnahme der vollstationären Unterbringung und Betreuung, die seit dem bis heute fortgesetzt wird. Diese Zäsur veränderte damit den realen Betreuungsbedarf der Betroffenen erheblich, der im Gutachten vom 5. November 2005 noch mit „Einkäufe erledigen, sich um die Ordnung in der Wohnung kümmern, Behördenangelegenheiten übernehmen usw.“ beschrieben wurde. Anhaltspunkte für stark depressive Züge oder eine Suizidalität, wie sie in den Klinikberichten aus dem Jahr 2006 als Auslöser der stationären Aufnahmen beschrieben werden, konnte die Gutachterin zum Zeitpunkt der Begutachtung nicht verzeichnen. Insofern ist davon auszugehen, dass das Gutachten zur Bewertung des für den hier verfahrensgegenständlichen Zeitraum festzustellenden Betreuungs- und Hilfebedarf keine belastbare Aussage treffen kann.
Schließlich führt die Gutachterin selbst aus, dass die Prognose der Erkrankung noch unklar und es offen sei, wie sich die zunächst abgeschwächte Symptomatik weiter entwickeln werde, dass aufgrund der Schwere und Dauer der Traumatisierung aber eher von einem längeren Fortbestehen der Erkrankung auszugehen sei. Auch insofern überzeugt es nicht, wenn sich der Beklagte nach wie vor einzig auf dieses Gutachten stützt, während die Gutachterin selbst eine Nachbegutachtung empfohlen hat.
Auch aus den im Übrigen vorliegenden Unterlagen ergeben sich keine Anhaltspunkte dafür, dass der Hilfebedarf der Betroffenen ausschließlich oder überwiegend aus ihrer geistigen Behinderung resultiert.
Vielmehr bestätigt zwar auch die fachärztliche Stellungnahme vom 30. Januar 2007 das Vorliegen einer geistigen Behinderung in Form einer leichten Intelligenzminderung, aufgrund derer Frau K. im Erwerb lebenspraktischer Fertigkeiten deutlich eingeschränkt sei. Die Fachärztinnen stellen aber gleichzeitig ausdrücklich fest, dass die seelische Behinderung vordergründig sei und den Hilfebedarf hauptsächlich bestimme. Aufgrund ihrer schweren seelischen Behinderung bedürfe die Betroffene der dauerhaften und verlässlichen Fürsorge, um die psychischen Folgen der schweren Traumatisierung zu mildern. Bisherige Versuche der Verselbständigung hätten sie überfordert. Sie benötige intensive Unterstützung beim Aufbau und Erhalt positiver sozialer Beziehungen, bei der Erweiterung ihrer Konfliktfähigkeit und bei der Regulation ihrer massiven psychischen Spannungen ebenso wie beim Erkennen, wann eine Klinikaufnahme angezeigt sei. Die ganztägige Erreichbarkeit eines kontinuierlichen Betreuungspersonals sei erforderlich.
Auch die vorliegenden Entwicklungsberichte der betreuenden Einrichtung vom 8. November 2007 und vom 28. Februar 2008 führen zwar auf, dass Frau K. auch im lebenspraktischen Bereich eingeschränkt sei und bei zahlreichen Verrichtungen der Anleitung, Kontrolle und Motivation oder gar der Übernahme bedürfe. Die individuelle Basisversorgung bewältige sie aber ebenso wie die Gestaltung ihrer Freizeit und die Anforderungen an Kommunikation sowie Orientierung in zeitlicher Hinsicht und vertrauter Umgebung weitgehend selbständig. Ein vollstationärer Betreuungsbedarf wird insofern allein bezogen auf die geistige Behinderung der Betroffenen nicht offenkundig. Demgegenüber lassen die beschriebenen Schwierigkeiten bei der Gestaltung sozialer Beziehungen und der Bewältigung psychischer Probleme deutlich erkennen, dass Frau K. insoweit und also schädigungsbedingt der umfassenden und intensiven Betreuung bedarf. Nicht nur hat sie im Bereich der Sozialanpassung, insbesondere bei der Steuerung des Nähe-Distanz-Verhaltens und der Gestaltung einer partnerschaftlichen Beziehung große Schwierigkeiten, die nach Einschätzung der Einrichtung auf den erlittenen Missbrauch innerhalb der Familie zurückzuführen sind. Darüber hinaus treten immer wieder Phasen massiver Spannungen und Ängste auf, in denen sie niedergeschlagen und depressiv und daraus folgend stark zuwendungsbedürftig ist und der umfassenden heilpädagogischen Begleitung bedarf. Zudem treten in diesen Phasen akustische Halluzinationen und zeitweise suizidale Impulse auf. In der Einrichtung wurde beobachtet, dass die Anwesenheit anderer Menschen in diesen Phasen deutlich entlastend wirkt, weshalb die Betroffene auch in Zukunft die Präsenz der Betreuer benötigen wird. Nach Einschätzung der Einrichtung bedarf Frau K. im gesamten Bereich der psychischen und emotionalen Entwicklung einer umfassenden Hilfestellung und Anleitung. Hinzu kommt, dass sich im Falle psychischer Anspannung Überforderungstendenzen und Antriebsarmut auch hinsichtlich der an sich verfügbaren lebenspraktischen Fähigkeiten zeigen, so dass auch insoweit ein erhöhter Betreuungsbedarf maßgeblich aus der seelischen Erkrankung resultiert.
Ebenso wird im ersten Hilfeplangespräch des Klägers mit den betreuenden Einrichtungen und der Betroffenen am 11. März 2008 festgestellt, dass Frau K. nicht in der Lage sei, mit einer geringeren Betreuungsdichte außerhalb des vollstationären Rahmens zurechtzukommen. Zu stark seien bei ihr die durch das Trauma bestehenden Einschränkungen in der alltäglichen Lebensführung, was insbesondere die Gestaltung zwischenmenschlicher Beziehungen betreffe, in denen ihr ein normales Nähe-Distanz-Verhältnis nicht möglich sei. Hauptschwerpunkt der momentanen pädagogischen Begleitung liege in der Abmilderung der aus dem Missbrauch hervorgegangenen seelischen Schäden, daneben brauche sie Unterstützung im Aufbau zwischenmenschlicher Beziehungen und bei der Stärkung ihres Selbstwertgefühls und damit ihres Vertrauens anderen gegenüber.
Auch in den Jahren 2007 bis 2009 musste Frau K. wiederholt wegen ihrer psychischen Probleme stationär in den R. Kliniken behandelt werden; ein von ihr im Jahr 2009 unternommener Versuch, selbständig zu leben, scheiterte aufgrund der seelischen Behinderung. Erkennbar prägen nach alledem die psychischen Auswirkungen der von der Betroffenen erlittenen Schädigung ganz maßgeblich deren Hilfebedarf.
Dies gilt im Hinblick auf die Spezifik der vorliegenden seelischen Erkrankung auch hinsichtlich der Tätigkeit der Betroffenen in einer Behindertenwerkstatt. Auch insoweit ist weder nachgewiesen noch offenkundig, dass der entsprechende Hilfebedarf maßgeblich aus der geistigen Behinderung resultiert. Ungeachtet der bei den einzelnen Verrichtungen notwendigen Hilfeleistungen ist nach den obigen Feststellungen vielmehr im Gegenteil davon auszugehen, dass die grundsätzliche Entscheidung, Frau K. in einer Behindertenwerkstatt zu betreuen und am Arbeitsleben teilhaben zu lassen, auf deren seelischer Behinderung basiert. Denn die beschriebenen psycho-sozialen Schwierigkeiten insbesondere bei der Gestaltung zwischenmenschlicher Beziehungen sind ebenso wenig wie die emotionalen Probleme – Ängste, Spannungen, depressive Verstimmung, Suizidalität – auf den Wohn- und Freizeitbereich der Betroffenen beschränkt, sondern prägen und beeinträchtigen auch ihren Arbeitsalltag, der deshalb außerhalb des geschützten und betreuten Rahmens einer Behindertenwerkstatt nicht vorstellbar ist. Maßgeblich ist insoweit auf das Überwiegen der seelischen Beeinträchtigungen abzustellen; dass daneben im Rahmen der konkreten Arbeitsausübung auch der geistigen Behinderung Rechnung getragen werden muss, steht dem nicht entgegen.
Der Erstattungsanspruch wurde durch den Kläger auch rechtzeitig im Sinne des § 111 SGB X angemeldet.
2.) Der nach alledem bestehende Anspruch auf Kostenerstattung ist entgegen dem Vorbringen des Beklagten nicht bereits durch die Überführung zweckgebundener Mittel nach § 4 Abs. 2 BbgFAG vom 29. Juni 2004 i. d. F. vom 6. Dezember 2006 erfüllt worden. Ungeachtet der Frage, ob im Hinblick auf die fehlende Konnexität der überführten Mittel (vgl. hierzu Brandenburgisches Landesverfassungsgericht, Urteil vom 15. Dezember 2008 – 66/07 -, zitiert nach juris, dort Rdn. 33) insoweit überhaupt von einer Kostenerstattung ausgegangen werden kann, erfasst die Regelung nicht den vorliegenden Hilfefall. Denn die in § 4 Abs. 2 Satz 1 BbgFAG bestimmte Erhöhung der Finanzausgleichsmasse ab dem Jahr 2007 erfolgte im Hinblick auf die in § 2 Abs. 1 AG-SGB XII bestimmte Zuständigkeit des örtlichen Trägers der Sozialhilfe nach dem SGB XII. Die Mittelüberführung sollte also dem finanziellen Ausgleich der Sozialhilfeleistungen dienen, die der Landesgesetzgeber in Ausübung seiner ihm durch § 97 Abs. 2 Satz 1 SGB XII zukommenden Regelungsbefugnis neu in die sachliche Zuständigkeit der örtlichen Träger übertragen hat. Der hier vorliegende Hilfefall unterfiel nach dem oben Gesagten jedoch der originären Zuständigkeit des Beklagten gemäß § 6 Abs. 1 Satz 1 OEG i. V. m. § 1 Abs. 1 Satz 1 VersVwZV.
3.) Der Zinsanspruch folgt aus analoger Anwendung der §§ 291, 288 Abs. 1 des Bürgerlichen Gesetzbuches.
4.) Die Kostenentscheidung ergibt sich aus §§ 154 Abs. 1, 155 Abs. 2, 161 Abs. 2 Satz 1 VwGO, wobei es, soweit die Beteiligten den Rechtsstreit in der Hauptsache übereinstimmend für erledigt erklärten haben, billigem Ermessen entspricht, dem Beklagten die Kosten aufzuerlegen. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 VwGO i. V. m. §§ 708 Nr. 11, 711 der Zivilprozessordnung.