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Zur Frage der Geltendmachung von Zinsen nach Rückforderung der Kapitalentschädigung


Metadaten

Gericht OLG Brandenburg 1. Strafsenat Entscheidungsdatum 23.05.2013
Aktenzeichen 1 Ws (Reha) 24/12 (OP) ECLI
Dokumententyp Beschluss Verfahrensgang -
Normen § 17 StrRehaG, § 16 Abs 2 StrRehaG, § 48 VwVfG BB, § 49a Abs 3 VwVfG BB, § 195 BGB, § 242 BGB

Leitsatz

Die rückwirkende Geltendmachung von Zinsen gemäß § 49a Abs. 3 Bbg VwVfG über einen Zeitraum von - wie hier - 14 Jahren verstößt gegen Treu und Glauben und ist lediglich für einen Zeitraum von drei Jahren (rückwirkend ab dem Rückforderungsbescheid) zulässig.

Tenor

Auf die Beschwerde des Betroffenen werden der Beschluss der Kammer für Rehabilitierungssachen des Landgerichts …. vom 8. August 2012 und der Bescheid des Präsidenten des Landgerichts ...vom 22. Dezember 2011 insoweit aufgehoben als in Bezug auf die Rückzahlung der Kapitalentschädigung bis zum 14. Mai 2006 Zinsansprüche geltend gemacht werden.

Die weitergehende Beschwerde des Betroffenen wird zurückgewiesen.

Kosten des Beschwerdeverfahrens werden nicht erhoben; die Staatskasse trägt 6/10 der notwendigen Auslagen des Betroffenen im gerichtlichen Verfahren.

Der Gegenstandswert wird auf 3.571,72 € festgesetzt.

Gründe

I.

Das Kreisgericht … verurteilte den Betroffenen am …. wegen Befehlsverweigerung zu einer Gefängnisstrafe von einem Jahr. Durch Beschluss des Landgerichts ...vom 17. Januar 1995 …. wurde dieses Urteil für rechtsstaatswidrig erklärt und aufgehoben. Die Kammer hat darüber hinaus festgestellt, dass der Betroffene in der Zeit vom ….bis… zu Unrecht Freiheitsentziehung erlitten hatte.

Am 11. März 1995 beantragte der Betroffene bei dem Landgericht ...eine Entschädigung für die erlittene Haftzeit.

Mit Bescheiden vom 26. Mai 1995 und 25. Februar 2000 - … - bewilligte der Präsident des Landgerichts ...dem Betroffenen eine Kapitalentschädigung in Höhe von insgesamt 7.800,00 DM. Ausweislich der Stellungnahmen des Bundesarchivs vom 28. Dezember 1994 und des Bundesbeauftragten für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik (BStU) vom 9. Januar 1995 lagen zum damaligen Zeitpunkt noch keine hinreichenden Erkenntnisse über Tätigkeit des Betroffenen als Informeller Mitarbeiter (IM) des Ministeriums für die Staatssicherheit (MfS) der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik vor.

Am 1. August 2007 beantragte der Betroffene des Weiteren bei dem Justizministerium des Landes …. die Zahlung einer besonderen Zuwendung für Haftopfer nach § 17a StrRehaG. Der Antrag wurde dem Präsidenten des Landgerichts ...weitergeleitet, wo er am 22. Oktober 2007 einging.

Mit Bescheid vom 12. Dezember 2007 … bewilligte der Präsident des Landgerichts ...dem Betroffenen beginnend ab dem 1. September 2007 eine monatliche besondere Zuwendung für Haftopfer nach § 17a StrRehaG in Höhe von 250,00 €. In dem Bescheid wurde der Betroffene unter anderem darauf hingewiesen, dass der Bewilligungsbescheid mit Wirkung für die Vergangenheit gelte; des Weiteren wurde der Betroffene darüber belehrt, dass die gezahlten Beträge dann zurückgefordert werden könnten und überdies verzinst werden müssten, wenn sich nachträglich das Vorliegen von Ausschließungsgründen nach § 16 Abs. 2 StrRehaG herausstellen sollte.

Die von dem Präsidenten des Landgerichts veranlasste Anfrage bei der Beauftragten für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen DDR ergab, dass der Betroffene in den Jahren 1962 bis 1966 inoffiziell für das Ministerium für Staatssicherheit der DDR tätig gewesen war. Wegen der Einzelheiten wird auf die Mitteilung der BStU vom 17. März 2009 verwiesen.

Infolge der durch die BStU vermittelten Erkenntnisse nahm der Präsident des Landgerichts ...seine Bescheide über die Gewährung der Kapitalentschädigung nach § 17 StrRehaG vom 26. Mai 1995 und 25. Februar 2000 sowie den Bewilligungsbescheid vom 12. Dezember 2007 über die Gewährung der monatlichen besonderen Zuwendung für Haftopfer nach § 17a StrRehaG mit Aufhebungsbescheid vom 15. Mai 2009 - …. - jeweils mit Wirkung für die Vergangenheit zurück. Zugleich wurde der Betroffene aufgefordert, die erhaltene Kapitalentschädigung in Höhe von insgesamt 3.988,08 € nebst Zinsen in Höhe von 3.224,07 € sowie die bislang geleisteten monatlichen Opferpensionszahlungen in Höhe von 5.000,00 € nebst Zinsen in Höhe von 314,14 € zurückzuzahlen. Der Betroffene hat diese Beträge innerhalb der in dem Bescheid festgesetzten Frist gezahlt. Der ihm durch Ergänzungsbescheid des Präsidenten des Landgerichts vom 17. Juni 2009 auferlegten Zinszahlungspflicht bzw. Zahlungsaufforderung für den Zeitraum vom Erlass des Rückforderungsbescheides bis zum Zahlungseingang am 4. bzw. 5. Juni 2009 in Höhe von insgesamt 33,51 € ist er ebenfalls nachgekommen.

Seinen am 26. Mai 2009 gegen die Bescheide des Präsidenten des Landgerichts vom 15. Mai 2009 und 17. Juni 2009 gestellten Antrag auf gerichtliche Entscheidung, in welchem er auch die Rückzahlung der von ihm gezahlten Erstattungen gefordert hatte, hatte die Kammer durch Beschluss vom 16. Juni 2010 - … - als unbegründet zurückgewiesen.

Auf seine hiergegen gerichtete Beschwerde hat der seinerzeit zuständige 2. Senat des Brandenburgischen Oberlandesgerichts durch Entscheidung vom 14. Juni 2011 - …- den Beschluss der Kammer vom 16. Juni 2010 aufgehoben, soweit der Antrag auf gerichtliche Entscheidung gegen den Bescheid vom 15. Mai 2009 hinsichtlich des Zinsausspruchs und gegen den Ergänzungsbescheid des Präsidenten des Landgerichts vom 17. Juni 2009 zurückgewiesen worden war. Außerdem hat es die entsprechenden Bescheide des Präsidenten des Landgerichts hinsichtlich der Verzinsung der Rückforderungsbeträge aufgehoben und den Präsidenten des Landgerichts verpflichtet, den Betroffenen hinsichtlich der (rückwirkenden) Verzinsung der erhobenen Rückforderungsbeträge neu zu bescheiden. Zur Begründung seiner Entscheidung hat der 2. Senat des Brandenburgischen Oberlandesgerichts im Wesentlichen ausgeführt, dass die Bescheide des Präsidenten des Landgerichts hinsichtlich der gegen den Betroffenen erhobenen Zinsforderungen rechtsfehlerhaft gewesen seien. Es sei nicht erkennbar, dass die Behörde das ihr in § 49a Abs. 3 Satz 2 Bbg VwVfG eingeräumte Ermessen erkannt habe.

Infolge der Entscheidung des Brandenburgischen Oberlandesgerichts vom 14. Juni 2011 (2 Ws-Reha 67/10) hat der Präsident des Landgerichts ...den Betroffenen erneut angehört und durch Bescheid vom 22. Dezember 2011 …. gegen ihn eine Zinsforderung in Höhe von insgesamt 3.571,72 € festgesetzt. Zur Begründung heißt es in dem Beschluss, dass der Betroffene die Gründe, die zur späteren Rücknahme der Bewilligungsbescheide geführt hätten, infolge des Verschweigens bzw. der fehlerhaften Angaben in seinen Anträgen auf Gewährung von Kapitalentschädigung und Opferpension zu vertreten habe. Aus der BStU-Auskunft vom 9. Januar 1995 hätten sich keine Anhaltspunkte für weitere Ermittlungen zu einer etwaigen Tätigkeit des Betroffenen für das Ministerium der Staatssicherheit der ehemaligen DDR ergeben. Der BStU habe die seinerzeit erschlossenen Unterlagen zur Verfügung gestellt, die der Bewilligung der Kapitalentschädigung nicht entgegengestanden hätten. Aus den seinerzeit archivierten Unterlagen sei noch nicht hervorgegangen, dass das MfS Anwerbungsgespräche mit dem Betroffenen beabsichtigt habe. Dass die Rückforderung der gewährten Ausgleichsleistungen erst sehr spät erfolgt sei, nämlich infolge der veränderten Erkenntnislage durch Mitteilung der BStU vom 17. März 2009, liege nicht im Verantwortungsbereich der Behörde.

Die Zinsforderung von 3.571, 72 € setzt sich nach dem Bescheid des Präsidenten des Landgerichts ...vom 22. Dezember 2011 (…) wie folgt zusammen: …

Zinsen Gesamt
Bes. Zuwendung
(Opferpension)

                



€ 333,18           

2. Kapitalentschädigung

                

Auszahlung

Verzinsungszeitraum

Zinsen

€ 3.655,74

23.06.1995-

24.08.1995

€ 44,17

        

25.08.1995-

14.12.1995

€ 72,91

        

15.12.1995-

18.04.1996

€ 75,54

        

19.04.1996-

31.12.1998

€ 543,32

        

01.01.1999-

31.12.2001

€ 681,15

        

01.01.2002-

03.04.2002

€ 53,19

        

04.04.2002-

31.12.2003

€ 191,40

        

01.01.2004-

15.05.2009

€ 1.375,92

€ 332,34

21.04.2000-

31.12,2001

€ 39,15

        

01.01.2002-

03.04.2002

€ 4,84

        

04.04.2002-

31.12.2003

€ 17,40

        

01.01.2004-

15.05.2009

€ 125,08

€ 3.988.08

16.05.2009 -

04.06.2009

€ 14.47

                                

Zinsen gesamt
Kapitalentschädigung

                


€ 3.238,54

Zinsen
insgesamt

                


€ 3.571,72

Gegen den ihm am 4. Januar 2012 zugestellten Bescheid hat der Betroffene mit seinem am 6. Februar 2012 (Montag) bei Gericht eingegangenen Schreiben mit Datum vom 1. Februar 2012 Antrag auf gerichtliche Entscheidung gestellt. Der Betroffene ist (weiterhin) der Auffassung, dass er die Gründe für die Rücknahme der Bewilligungsbescheide nicht zu vertreten habe. Ausschließungsgründe nach § 16 Abs. 2 StrRehaG würden nicht vorliegen; er sei nicht als Inoffizieller Mitarbeiter für das MfS tätig gewesen und beantragte insoweit die Einholung eines graphologischen Gutachtens sowie die Vernehmung eines ehemaligen Leutnants des Ministeriums für die Staatssicherheit der DDR. Da das Landgericht bereits zum Zeitpunkt der Beantragung der Ausgleichsleistungen Hinweise dafür gehabt habe, dass das MfS über seine Person einen Vorgang angelegt habe, hätte es weitere Aufklärungs- und Nachforschungsbemühungen unternehmen müssen. Dass aus sachfremden Beweggründen nicht alle Ermittlungsmöglichkeiten ausgeschöpft worden seien, liege im Verantwortungsbereich der Behörde.

Die Rehabilitierungskammer des Landgerichts ...hat mit Beschluss vom 8. August 2012 den Antrag des Betroffenen auf gerichtliche Entscheidung gegen den Bescheid des Präsidenten des Landgerichts ...vom 22. Dezember 2011 als unbegründet zurückgewiesen und den Anspruch auf Zahlung der geltend gemachten Zinsen auf § 49a Abs. 3 Satz 1 Bbg VwVfg gestützt; in dem Beschluss wird insbesondere ausgeführt, der Betroffene habe durch seine fehlerhaften Angaben über seine Tätigkeit als informeller Mitarbeiter des Ministeriums für die Staatssicherheit der ehemaligen DDR in den Anträgen auf Gewährung von Kapitalentschädigung vom 11. März 1995 und auf Zahlung einer so genannten Opferpension vom 1. August 2007 bzw. vom 8. Dezember 2007 die Rücknahme der entsprechenden Verwaltungsakte zu vertreten.

Gegen diese Entscheidung, die dem Betroffenen ausweislich der Zustellungsurkunde am 16. August 2012 zugestellt wurde, hat er mit Schreiben vom 10. September 2012, eingegangen bei Gericht am selben Tag, Beschwerde eingelegt und diese mit weiterem Schreiben vom 17. September 2012 begründet. Darin bringt der Betroffene abermals vor, dass er nicht informeller Mitarbeiter des ehemaligen Ministeriums für die Staatssicherheit der DDR gewesen war.

Der Generalstaatsanwalt des Landes Brandenburg zuletzt mit ausführlicher Stellungnahme vom 22. Februar 2013 beantragt, die Beschwerde als unbegründet zurückzuweisen und ausgeführt, dass Zinsansprüche insbesondere nicht verjährt seien und zudem die Einrede der Verjährung nicht erhoben worden sei.

II.

1. Die Beschwerde ist nach § 25 Abs. 1 Satz 4, 13 Abs. 1, 15 StrRehaG, § 306 StPO statthaft und form- und fristgerecht bei Gericht angebracht worden. Die Beschwerde hat teilweise Erfolg.

2. Gegenstand des Beschwerdeverfahrens ist der Beschluss der Rehabilitierungskammer des Landgerichts ...vom 8. August 2012, der den Bescheid des Präsidenten des Landgerichts ...vom 22. Dezember 2011 … über Zinsforderungen in Höhe von insgesamt 3.571,72 € bestätigt. Hinsichtlich der Rückforderung der Kapitalentschädigung und der Rückforderung der so genannten Opferpension sind die Bescheide des Präsidenten des Landgerichts ...vom 15. Mai 2009 … durch die Entscheidung des 2. Senats des Brandenburgischen Oberlandesgerichts als besonderer Senat für Rehabilitierungsverfahren vom 14. Juni 2012 (2 Ws (Reha) 67/10) in Rechtskraft erwachsen. Entsprechend kann der Beschwerdeführer im hiesigen Verfahren, in dem es nur noch um den Umfang der Zinspflicht geht, nicht mehr mit seinem Vorbringen gehört werden, dass die Voraussetzungen des § 16 Abs. 2 StrRehaG nicht vorgelegen hätten, weil er nicht Inoffizieller Mitarbeiter des Ministeriums für die Staatssicherheit der ehemaligen DDR gewesen sei.

3. Die Beschwerde gegen den Beschluss der Rehabilitierungskammer des Landgerichts ...vom 8. August 2012 ist teilweise begründet. Der angefochtene Beschluss ist insoweit aufzuheben, als Zinsen für die gewährte Kapitalentschädigung auch für den Zeitraum bis zum 14. Mai 2006 geltend gemacht werden; insoweit ist der Anspruch der Justizbehörde verwirkt.

Der Anspruch auf Verzinsung des zu erstattenden Betrages einer gewährten Kapitalentschädigung infolge der Rücknahme eine Verwaltungsaktes für die Vergangenheit ergibt sich aus § 49a Abs. 3 Bbg VwVfG. Bei dieser Norm handelt es sich um eine Ermessensvorschrift. Die von dem Präsidenten des Landgerichts ...getroffene Ermessensentscheidung hinsichtlich der umfänglichen rückwirkenden Geltendmachung von Zinsen erweist sich jedoch insoweit als ermessensfehlerhaft, als die lange Zeitspanne von 14 Jahren bei der Geltendmachung von Zinsansprüchen nicht hinreichend berücksichtigt worden ist. Die Justizbehörde hat zwar in die Abwägung eingestellt, dass der Betroffene in seinen Anträgen auf Kapitalentschädigung bzw. besondere Zuwendung für Haftopfer (Opferpension) die frühere Tätigkeit für das Ministerium für die Staatssicherheit verschwiegen bzw. falsche Angaben dazu gemacht hatte, jedoch hat sie nicht hinreichend den langen Zeitraum der geltend gemachten Zinsen von 14 Jahren berücksichtigt, der hier dazu führt, dass die Zinsforderung fast den Betrag der Hauptforderung erreicht.

Die unzureichende Berücksichtigung des langen Zeitraums von 14 Jahren und der damit einhergehende teilweise Ermessensausfall führt jedoch nicht zur Zurückverweisung der Sache an den Präsidenten des Landgerichts ...zur erneuten Bescheidung. Vielmehr liegt im vorliegenden Einzelfall eine Ermessensreduzierung auf Null vor, die es dem Senat erlaubt, über den Zinsanspruch abschließend zu entscheiden.

4. Die Geltendmachung von Zinsen für den Zeitraum vor dem 15. Mai 2006 ist unbillig.

Soweit der Präsident des Landgerichts ...in seine Ermessensentscheidung das Verschweigen der Tätigkeit für das Ministerium für die Staatssicherheit bzw. entsprechende fehlerhafte Angaben eingestellt hat, hat dies für den staatlichen Anspruch auf Rückzahlung der Kapitalentschädigung gem. § 48 Bbg VwVfG wie auch auf Rückzahlung der so genannten Opferpension für die Vergangenheit entscheidende Bedeutung, wobei auch hier Aspekte der Unbilligkeit bei der Ermessensausübung einzustellen sind (für das Häftlingshilfegesetz (52 Jahre) vgl. OVG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 8. November 2012, 11 A 1548/11, zit. n. juris, dort Rdnr. 38 ff.; für das Lastenausgleichsrecht (11 Jahre) vgl. BverwG, Urteil vom 20. Januar 1976, III C 21.75, Buchholz 427.3 § 335a LAG Nr. 57).

Im vorliegenden Fall geht es jedoch nicht (mehr) um die Rückzahlung der Hauptforderung (Kapitalentschädigung, Opferpension), sondern ausschließlich um die Berechtigung, darauf entfallende Zinsen geltend zu machen.

Hinsichtlich der Zinsen kann dem Umstand der fehlerhaften Angaben des Betroffenen bei Antragstellung indes nicht das gleiche Gewicht zukommen wie bei der Hauptforderung, insbesondere erscheint die rückwirkende unbegrenzte Geltendmachung von Zinsansprüchen unbillig. Denn in strafrechtlichen Rehabilitierungssachen haben die lange Bearbeitungszeit von Anfragen bei dem Bundesbeauftragten für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen DDR, die sich oft über viele Jahre hinziehende Archivierung von Aktenmassen und auch der von Zufälligkeiten abhängige Erkenntnisgewinn hinsichtlich einer so genannten IM-Tätigkeit weder der Betroffene noch die Justizbehörden zu vertreten. Die lange Archivierungszeit, vor allem die sich über Jahre hinziehende Bereitstellung von Akten des MfS hat ihren Grund vor allem in der unüberschaubaren Menge des Aktenmaterials, das über viele Jahre gesichtet, ausgewertet und archiviert werden musste. Noch heute ist die Behörde damit beschäftigt, geschredderte Akten wieder zusammenzufügen und lesbar zu machen. Von daher wird auch weiterhin mit neuen Erkenntnissen aus der Arbeit des Ministeriums für die Staatssicherheit der ehemaligen DDR zu rechnen sein. Es kommt hinzu, dass die Aktenlage in den ersten Jahren nach der Wiedervereinigung die Justizverwaltung nicht zu einer erneuten Anfrage bei dem BStU veranlasste, diese vielmehr oft von Zufälligkeiten abhängig war, die keiner der Beteiligten zu vertreten hatte.

Vor diesem Hintergrund widerspricht die rückwirkende Geltendmachung von Zinsen über einen Zeitraum von – wie hier 14 Jahren – Treu und Glauben.

Der Grundsatz von Treu und Glauben gilt als allgemeiner Rechtsgedanke auch im Verwaltungsrecht. Er wird aus § 242 BGB abgeleitet, der über seinen Wortlaut hinaus das allgemeine Gebot der Beachtung von Treu und Glauben im rechtlichen Verkehr als allgemeinen Maßstab enthält, unter dem das gesamte private und öffentliche Recht steht. Der genannte Grundsatz bedarf wegen seiner Allgemeinheit der Konkretisierung. Diese erfolgt durch Typisierung anhand von Fallgruppen (vgl. BVerwG, Urteil vom 11. Oktober 2012, 5 C 22/11, NJW 2013, 629; BVerwG, Urteil vom 23. November 1993, BVerwG 1 C 21.92; BVerwGE 95, 294, 298; BVerwG, Beschluss vom 30. April 2008, BVerwG 6 B 10.08, zit. n. juris, dort Rdnr. 7). Im Öffentlichen Recht spielt vornehmlich die unzulässige Ausübung von Rechten eine Rolle, die dann gegeben ist, wenn eine atypische Situation vorliegt, die die Geltendmachung eines an sich vorgesehenen Rechtes als missbräuchlich erscheinen lässt. Dabei ist für den Rechtsmissbrauch die Herbeiführung eines grob unbilligen Ergebnisses typisch (vgl. BVerwG, Urteil vom 11. Oktober 2012, 5 C 22/11, NJW 2013, 629; BVerwG, Urteil vom 23. November 1993, BVerwG 1 C 21.92; BVerwGE 95, 294, 299). Grob unbillig ist die rückwirkende Geltendmachung von Zinsen über einen viele Jahre umfassenden Zeitraum, den weder der Betroffene noch der Staat zu vertreten haben und im Ergebnis dazu führt, dass die Zinsforderung fast die Hauptforderung erreicht.

Die Verzinsungsregelung des § 49a Abs. 3 Bbg VwVfG verfolgt im öffentlichen Recht andere Zwecke als entsprechende Vorschriften im Zivilrecht, was schon daran liegt, dass Geldzuwendungen und deren Rückabwicklung andere Ziele verfolgen als beispielsweise Rückabwicklungen von Verträgen im Zivilrecht. Dem Zuwendungsgeber im öffentlichen Recht soll vor allem die Möglichkeit eröffnet werden, zumindest den Vorteil abzuschöpfen, den der Zuwendungsempfänger aus der unberechtigten Zahlung gezogen hat, etwa dadurch, dass er die Mittel zinsbringend eingesetzt hat (vgl. BVerwG, Urteil vom 27. April 2005, 8 C 5/04, Rdnr. 16, zit. n. juris; Hessischer Verwaltungsgerichtshof, Urteil vom 8. Dezember 2011, 8 A 909/11, Rdnr. 37, 44 ff., zit. n. juris; Thüringer OVG, Urteil vom 28. Juli 2011, 3 KO 1326/10, Rdnr. 45 f., zit. n. juris, jeweils m.w.N.). Damit liegt der Sinn der rückwirkenden Zinserhebung bei einer rückwirkenden Aufhebung eines rechtswidrigen begünstigenden Verwaltungsaktes in einer objektiven Vorteilsabschöpfung und nicht – wie beispielsweise im Zivilrecht – in einer Sanktion für ein schuldhaftes Verhalten (Verzug). Im vorliegenden Fall scheidet eine Gewinnabschöpfung aus. Schon aus dem Antrag des Betroffenen auf Gewährung von so genannter Opferpension ergibt sich, dass er mittellos ist. Dies lässt den Schluss zu, dass er die Kapitalentschädigung zum Bestreiten seines Lebensunterhalts genutzt und nicht etwa dazu, die Gelder zinsbringend anzulegen, zumal in den letzten Jahren der so genannten Niedrigzinsphase ohnehin durch Geldanlagen kaum ein nennenswerter Gewinn zu erwirtschaften war.

Es kommt hinzu, dass nach § 49a Abs. 3 Satz 1 Bbg VwVfg (anders als noch die Vorgängerregelung des § 44a Abs. 1 S. 1 BHO) die gesetzliche jährliche Verzinsung fünf Prozentpunkte über dem Basiszinssatz liegt. Damit liegt der Zinssatz deutlich höher als der Zinssatz, den der Betroffene auf dem freien Markt (außerhalb von Spekulationsgeschäften) hätte erzielen können. Damit würde die Geltendmachung von Zinsansprüchen über einen Zeitraum von 14 Jahren zu einer deutlichen Übervorteilung bzw. Besserstellung, wenn nicht gar Bereicherung des Fiskusses führen, was Billigkeitserwägungen zuwiderlaufen würde.

So sehr es als unbillig erscheint, zeitlich unbegrenzt Zinsansprüche geltend zu machen, wäre es auch unbillig, den Betroffenen gänzlich von dem Verzinsungsanspruch des Staates gem. § 49a Abs. 3 Bbg VwVfG freizustellen. Entsprechend schließt sich die Frage an, ab welchem Zeitpunkt die Geltendmachung von Zinsansprüchen im strafrechtlichen Rehabilitationsverfahren unbillig ist bzw. Grundsätze der Verwirkung dem entgegenstehen.

Das strafrechtliche Rehabilitierungsgesetz enthält hierzu keine Regelungen. Hinsichtlich der so genannten Opferpension verweist es gem. § 17a Abs. 6 StrRehaG auf das SGB I und SGB X, im Übrigen, d. h. hinsichtlich der Kapitalentschädigung, findet nach allgemeiner Auffassung mangels spezialgesetzlicher Regelungen das Verwaltungsverfahrensgesetz Anwendung. Beide Gesetzeswerke führen hier nicht weiter. § 49a Abs. 3 Bbg VwVfG enthält keine absolute Ausschlussfrist für die Geltendmachung von Zinsansprüchen. Einer grundsätzlichen Begrenzung der Geltendmachung von Zinsansprüchen steht entgegen, dass durchaus Fälle denkbar sind, in dem ein mit einer solchen Begrenzung einhergehender Schutz des Betroffenen nicht angemessen wäre, etwa bei Vermögensvorteilen die durch strafbare Handlungen erlangt wurden oder bei Gewinnerzielung durch unrechtmäßig erlangte Zuwendungen. Das Bundesverwaltungsgericht hat für die Fälle der Rücknahme rechtswidriger Veraltungsakte dem Zeitablauf allein keine eigenständige Bedeutung beigemessen, sondern ist davon ausgegangen, dass die verstrichene Zeit ein Beurteilungsfaktor neben anderen Umständen dafür sein kann, ob nach Treu und Glauben unter Berücksichtigung der Gesamtverhältnisse eine Rücknahme noch als rechtmäßig anzusehen ist (vgl. BVerwG, Beschluss vom 5. September 1972, BVerwG III B 67.72 zum LAG; BVerwG, Urteil vom 20. Januar 1976, BVerwG III C 21.75; vgl. auch E-VwVfG, BT-Drucks. 7/910, S. 71). Dasselbe muss erst recht für die Geltendmachung von Zinsen gelten.

Der Anspruch auf Verzinsung von Rückforderungsansprüchen ist infolge der rückwirkenden Aufhebung des rechtswidrigen Verwaltungsaktes zwar mit ihrer Entstehung, im vorliegenden Fall mit dem Zeitpunkt der Bewilligung und Auszahlung der Kapitalentschädigung im Jahr 1995 entstanden, die Besonderheiten des strafrechtlichen Rehabilitationsverfahrens, die oft jahrelangen Bearbeitungszeiten bei der BStU bzw. der späte und oft von Zufälligkeiten abhängige Erkenntnisgewinn, gebieten es jedoch aus Gründen der Billigkeit, diesen in zeitlicher Hinsicht zu beschränken.

Der Senat hält in Fällen wie dem Vorliegenden eine Beschränkung der rückwirkenden Zinspflicht für einen Zeitraum von drei Jahren für angemessen. Um zu einer handhabbaren und nach Treu und Glauben gerechtfertigten Verzinsungspflicht zu kommen, hat der Senat hierzu aus Gründen der Rechtssicherheit und des Vertrauensschutzes den Rechtsgedanken der Verjährung von Rückforderungsansprüchen herangezogen. In Anlehnung an die Verjährungsregelung des § 195 BGB beträgt die Ausschlussfrist für die rückwirkende Geltendmachung von Zinsansprüchen drei Jahre. Maßgeblicher Zeitpunkt für die Bestimmung der dreijährigen Ausschlussfrist für die Geltendmachung rückwirkender Zinsansprüche ist der Bescheid über die Rücknahme des rechtswidrigen Verwaltungsaktes, der im vorliegenden Fall auf den 15. Mai 2009 datiert. Denn mit diesem Verwaltungsakt wird zum Einen die Rückerstattungsforderung fällig (§ 49a Abs. 1 Bbg VwVfg), zum Anderen wird die Hemmung der Verjährung bewirkt (§ 53 Bbg VwVfg). Dies führt im vorliegenden Fall dazu, dass vor dem 15. Mai 2006 entstandene Zinsansprüche nach Treu und Glauben verwirkt sind.

Aus Billigkeitserwägungen können hier weder fehlerhafte Angaben des Betroffenen bei Beantragung der Kapitalentschädigung bzw. Opferpension noch die Kenntnis der Behörde von den Widerrufsgründen Einfluss auf die Ausschlussfrist hinsichtlich der rückwirkenden Geltendmachung von Zinsen haben. Denn zum Einen haben – wie oben dargelegt – weder der Beschwerdeführer noch der Beschwerdegegner die lange Dauer bis zur erneuten BStU-Anfrage im Jahr 2009 zu vertreten und zum Anderen verfolgen Geldzuwendungen und deren Rückabwicklung im öffentlichen Recht und insbesondere im strafrechtlichen Rehabilitierungsverfahren – wie oben erwähnt – andere Ziele als Rückabwicklungen im Zivilrecht. Im vorliegenden Fall würde der Verzicht auf eine Ausschlussfrist für Zinsen auf eine Sanktionierung des Verhaltens des Betroffenen hinauslaufen, was nicht mit Sinn und Zweck des strafrechtlichen Rehabilitierungsgesetzes zu vereinbaren ist (vgl. für Aspekte der Verjährung im Subventionsrecht BVerwG, Teilurteil vom 21. Oktober 2010, 3 C 4/10, Rdnr. 47, zit. n. juris; Falkenbach in: Bader/Ronellenfitsch, VwVfG, Beck Online-Kommentar, 16. Aufl., § 49a Rdnr. 36a).

Die Bewilligungsbescheide hinsichtlich der Kapitalentschädigung datieren vom 26. Mai 1995 und vom 25. Februar 2000, der Rücknahmebescheid datiert vom 15. Mai 2009. Mithin sind die bis zum 14. Mai 2006 entstandenen Zinsansprüche nach Treu und Glauben verwirkt.

III.

1. Kosten des Beschwerdeverfahrens werden nicht erhoben (§ 14 Abs. 1 StrRehaG). Die Entscheidung über die notwendigen Auslagen des Betroffenen ergibt sich aus §§ 14 Abs. 4, 25 Abs. 1 Satz 4 StrRehaG i.V.m. § 473 Abs. 4 StPO. Die Quotelung entspricht der Aufhebung der Zinsentscheidung.

2. Der Gegenstandswert beträgt 3.571,72 €. Der Gegenstandswert bestimmt sich in Beschwerdeverfahren, in denen wie hier (§ 14 Abs. 1 StrRehaG) Gerichtsgebühren unabhängig vom Ausgang des Verfahrens nicht erhoben werden, gemäß § 23 Abs. 2 Satz 1 RVG nach dem Interesse des Beschwerdeführers. Er ist nach billigem Ermessen zu bestimmen gemäß § 23 Abs. 3 Satz 2 RVG und durch den Wert des zu Grunde liegenden Verfahrens begrenzt gemäß § 23 Abs. 2 Satz 2 RVG. Es entspricht zwar allgemeinen Grundsätzen der der Wertberechnung (§ 43 GKG, § 18 Abs. 1 KostO), dass bei der Rückforderung geltend gemachte Zinsen außer Betracht bleiben. Dies kann jedoch dann nicht gelten, wenn die Frage der Zinslast – wie hier – ausschließlicher Gegenstand des Verfahrens bzw. der Entscheidung ist.