Gericht | LArbG Berlin-Brandenburg 18. Kammer | Entscheidungsdatum | 25.10.2012 | |
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Aktenzeichen | 18 Sa 1021/12 | ECLI | ||
Dokumententyp | Urteil | Verfahrensgang | - | |
Normen | § 6 Abs 5 ArbZG |
Nachtarbeitszuschlag 25 Prozent
I. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Berlin vom 26. April 2012 - 42 Ca 17814/11 - wird auf ihre Kosten zurückgewiesen.
II. Die Revision wird zugelassen.
Die Parteien streiten über einen gesetzlichen Ausgleich für geleistete Nachtarbeit.
Die Beklagte ist ein hundertprozentiges Tochterunternehmen der DBA. GmbH. Sie erbringt Serviceleistungen für Zugreisende in den von ihrer Muttergesellschaft betriebenen Nachtreisezügen („City Night Line“) und Autozügen. Die Beklagte wurde im Mai 2001 gegründet und übernahm zum 1. Juli 2002 den Teilbetrieb Nachtreiseverkehr des Geschäftsbereichs Service im Zug (SiZ) der M. AG im Wege eines Betriebsübergangs. Derzeit unterhält die Beklagte vier Niederlassungen in Berlin, Dortmund, Hamburg und München. Sie beschäftigt ca. 45 Mitarbeiter im stationären Dienst sowie - saisonabhängig - ca. 500 Arbeitnehmer im Fahrdienst.
Der Kläger ist seit 05. Januar 1987 bei der Beklagten bzw. deren Rechtsvorgängerin zuletzt als Servicechef mit Zugführerfunktion tätig. Auf den Arbeitsvertrag vom zweiten 20. Dezember 1986 sowie den Änderungsvertrag aus dem Jahre 2003 (Bl. 6, 7 der Akte) wird Bezug genommen. Im Änderungsvertrag aus dem Jahre 2003 ist bestimmt, dass der Kläger Vergütung nach TG 8 SiZ/Ost zzgl. Umsatzprovision erhält. Der Kläger ist Mitglied der Eisenbahn- und Verkehrsgewerkschaft (EVG)., die durch Fusion der Verkehrsgewerkschaft GDBA und der Gewerkschaft Transnet entstanden ist.
Die Beklagte und die Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten (NGG) schlossen am 28. Juni 2002 eine beiderseits unterschriebene und als „Ergebnis der Verhandlungen zur Überleitung der Arbeitsverhältnisse der Arbeitnehmer/innen der M. AG SiZ Nachtverkehr zur DB ERS GmbH“ bezeichnete Vereinbarung. Diese hat auszugsweise folgenden Wortlaut:
„- Gültigkeit von Tarifverträgen
Für alle Mitarbeiter der M. AG, die zum 01. Juli 2002 oder später auf die DB ERS übergehen sowie die Mitarbeiter die bei der DB ERS beschäftigt sind, kommen ab dem 1. Juli 2002 die folgenden für den Geschäftsbereich SiZ der M. AG am 30. Juni 2002 geltenden Tarifverträge zur Anwendung.
1. Manteltarifvertrag vom 27. Juni 1997 … (MTV)
2. Entgelttarifvertrag vom 27. Juni 1997 mit Tarifentgelten am 1. Juli 2001 …
3. Ergänzungstarifvertrag über spezifische Regelungen für die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer des Geschäftsbereiches SiZ West vom 27. Juni 1997 … (ErgTV SiZ/West)
4. Ergänzungstarifvertrag über spezifische Regelungen für die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer des Geschäftsbereiches SiZ Ost vom 27. Juni 1997 inkl. Protokollnotiz vom 2. November 2001 … (ErgTV SiZ/Ost)
…
Die Laufzeit der Vereinbarung endet am 30. Juni 2004. Dennoch ist es das Ziel der Vertragsparteien, in Verhandlungen bis zum 31. Dezember 2002 eine einfache Struktur in einem einheitlichen Tarifvertrag zu schaffen, …
Das vorbezeichnete Verhandlungsergebnis gilt ab dem 1. Juli 2002 zwischen den Parteien mit Tarifqualität.“
Der MTV regelt u. a. Folgendes:
„§ 5
Zuschlagspflichtige Tätigkeiten
…
3. Sonn-, Feiertags- und Nachtarbeit – Zuschläge
…
Die Entlohnung der Sonn-, Feiertags- und Nachtarbeit richtet sich ausschließlich nach den Bestimmungen dieses Tarifvertrages. Soweit tariflich eine Öffnungsklausel vorhanden ist, kann einzelvertraglich vom Tarifvertrag nach dem Günstigkeitsprinzip abgewichen werden.
…
5. Nachtarbeit
Die Arbeit in der Zeit zwischen 22:00 Uhr und 06:00 Uhr gilt als Nachtarbeit.
Im regelmäßigen Schichtdienst beschäftigte Arbeitnehmer/innen erhalten für Nachtarbeit 15 % Zuschlag zum Tarifentgelt je Arbeitsstunde in dieser Zeit.“
Der ErgTV SiZ/Ost lautet auszugsweise:
„§ 1
Geltungsbereich
a) Räumlich
Für die neuen Bundesländer, einschließlich Berlin (Ost)
…
§ 2
Anwendung des Tarifvertrages
Nachfolgende Regelungen ersetzen, ergänzen oder verändern die entsprechenden Regelungsgegenstände in dem jeweils gültigen M. Entgelttarifvertrag und M. Manteltarifvertrag. Die nachfolgenden Vorschriften haben Tarifvorrang.
§ 3
Regelungsgegenstände
…
4. Zuschlagspflichtige Tätigkeiten
…
4.3 Nachtarbeit
Die Arbeit in der Zeit zwischen 22:00 Uhr und 06:00 Uhr gilt als Nachtarbeit. Stationär beschäftigte Arbeitnehmer/innen erhalten für Nachtarbeit 15 % Zuschlag zum Tarifentgelt je Arbeitsstunde in dieser Zeit.“
In ErgTV SiZ/West finden sich u. a. folgende Regelungen:
„§ 1
Geltungsbereich
a) Räumlich:
Für die alten Bundesländer, einschließlich Berlin (West)
…
§ 2
Anwendung des Tarifvertrages
Nachfolgende Regelungen ersetzen, ergänzen oder verändern die entsprechenden Regelungsgegenstände in dem jeweils gültigen M. Entgelttarifvertrag und in dem jeweils gültigen M. Manteltarifvertrag. Die nachfolgenden Vorschriften haben Tarifvorrang.
§ 3
Regelungsgegenstände
3.1 Arbeitszeit
…
3.1.2 Die Arbeitszeit beginnt und endet an dem Platz, an dem sich der Arbeitnehmer vor Aufnahme und/oder nach Beendigung der Arbeit einzufinden hat.
Die Arbeitszeit des Fahrpersonals umfasst dabei alle Stunden, auch angebrochene und ist mit dem Betriebsrat, unterteilt nach
a) Fahrzeit
b) Vorbereitungszeit
c) Aufräumzeit
d) Arbeitsbereitschaft
zu vereinbaren. …
3.2 Pausanrechnung für das gewerbliche Fahrpersonal
Der Abzug von Pausen von der Arbeitszeit richtet sich nach der Länge der Dienstschicht, und zwar:
Bis zu fünf Stunden 59 Minuten Arbeitszeit
kein Abzug,
bis 7 Stunden 59 Minuten Arbeitszeit
12 Min.,
bis 9 Stunden 59 Minuten Arbeitszeit
30 Min.,
ab 10 Stunden Arbeitszeit
60 Min. Pausenabzug.
Während der Pausen darf der Arbeitnehmer nicht zur Arbeitsleistung herangezogen werden.
Bei der Ermittlung der Länge der Dienstschicht sind folgende Zeiten nicht mitzurechnen:
a) Unterbrechung der Tagesschicht
b) Arbeitsbereitschaft
c) Arbeitszeiten zwischen 20.00 Uhr und 06.00 Uhr.
…
3.9. Nachtarbeit
3.9.1. Die Arbeit in der Zeit zwischen 22.00 Uhr und 06.00 Uhr gilt als Nachtarbeit. Stationär beschäftigte Arbeitnehmer erhalten für Nachtarbeit 15 % Zuschlag zum Tariflohn/Tarifgehalt je Arbeitsstunde in dieser Zeit.
…
15.3 Entgeltregelung für Mitarbeiter des Fahrdienstes
Für die Fahrdienstmitarbeiter/innen im Tagservice werden die Tarifgruppen zu einem Gemischtlohnsystem modifiziert.
Der Stundenlohn der entsprechenden Tarifgruppe ist das stündliche Mindesteinkommen. Das Mindesteinkommen setzt sich aus dem Grundlohn und einer Umsatzgarantie zusammen. Die Umsatzgarantie beträgt einheitlich in allen Tarifgruppen 7,45 DM (Stand 01.07.1997).
…
Zusätzlich zum Grundlohn erhalten Fahrdienstmitarbeiter im Tagservice 11,34 % vom erzielten Brutto-Umsatz aus dem Verkauf von Speisen und Getränken bei einem Mehrwertsteuersatz von 15 %.
Mitarbeiter im Nachtreiseverkehr erhalten den Stundenlohn der entsprechenden Tarifgruppe in die sie eingruppiert sind und zusätzlich 11,34 % vom Brutto-Umsatz aus dem Verkauf von Speisen und Getränken bei einem Mehrwertsteuersatz von 15 % und 1,5 % vom Endpreis der benutzten Bett- und Liegekarten.“
Am 23. Februar 2010 schloss die Beklagte mit der Tarifgemeinschaft Transnet/GDBA eine „Tarifvereinbarung zur Umsetzung der Ost-West-Anpassung für den Bereich der DB European Railservice GmbH“. In dieser heißt es unter anderem:
„§ 1
Allgemeines
Zur Vereinheitlichung der Arbeitsbedingungen innerhalb der DB ERS GmbH, insbesondere zur Umsetzung der Anpassung Ost/West in Zeit und Geld, vereinbaren die Tarifvertragsparteien nachfolgende Regelungen.
…
§ 4
Nichtanwendung tariflicher Regelungen
Der ErgTV Ost M. vom 27. Juni 1997 … und die Monatsentgelttabelle Ost (…) finden ab 1. Januar 2010 keine Anwendung mehr. Ab diesem Zeitpunkt gilt der ErgTV West M. vom 27. Juni 1997.
…
§ 6
Gültigkeit und Dauer
Diese Vereinbarung tritt mit Wirkung vom 1. Januar 2010 in Kraft und mit Zweckerfüllung außer Kraft.“
Am 29. Februar 2012 vereinbarten der Arbeitgeber- und Wirtschaftsverband der Mobilitäts- und Verkehrsdienstleiter e. V. (Agv MoVe) - dem die Beklagte angehört - und die NGG „Eckpunkte zu den Tarifverhandlungen zu Nachtzuschlägen für die Arbeitnehmer der DB European Railservice GmbH (DB ERS).“ Am 12. März 2012 schlossen beide eine „Tarifvereinbarung 2012 über die Höhe der Nachtzuschläge und zur Entgeltrunde für die Arbeitnehmer der DB European Railservice GmbH“ (TV 2012). Nach deren Ziff. 1 wird dem Fahrpersonal mit Wirkung zum 1. März 2012 für Zeiten zwischen 23:00 Uhr und 06:00 Uhr ein Nachtzuschlag gewährt. Dieser beträgt ab dem 1. März 2012 9 %, ab dem 1. Januar 2013 17 % und ab dem 1. Januar 2014 25 %. Ferner ist geregelt, dass die bisherige tarifliche Pausenregelung für die Zeit von 20:00 Uhr bis 06:00 Uhr unverändert bestehen bleibt. Teil des TV 2012 sind zudem die diesem als Anlage beigefügten und ab dem 1. Januar 2012 gültigen Entgelttabellen.
Die Beklagte wendet die von ihr geschlossenen Tarifverträge ohne Rücksicht auf die Gewerkschaftszugehörigkeit auf alle bei ihr beschäftigten Arbeitnehmer an. Der Kläger erhielt bis Dezember 2009 eine der Entgelttabelle Ost entsprechende Stundenvergütung. Diese belief sich in der Zeit von Januar bis August 2008 auf 11,12 € brutto sowie in der Zeit von September 2008 bis Dezember 2009 auf 11,63 € brutto. Ab Januar 2010 bis März 2011 belief sich der Stundenlohn des Klägers auf 12,60 € brutto sowie ab April 2011 auf 12,92 € brutto.
Die Lage der Arbeitszeit der im Fahrdienst beschäftigten Mitarbeiter der Beklagten richtet sich nach den Verkehrszeiten der von der Beklagten betreuten und bewirtschafteten Züge. Die Dienstzeiten beschränken sich nicht auf die Nachtzeit. Die stationär beschäftigten Mitarbeiter sind ausschließlich wechselschichtig in der Nachtzeit tätig. Der Kläger leistet an mindestens 48 Tagen im Jahr Nachtarbeit im Sinne des § 2 ArbZG. Von Januar 2008 bis Juli 2011 war der Kläger in folgendem Umfang zwischen 23:00 Uhr und 06:00 Uhr tätig:
Januar 2008 bis August 2008:
311,25 Stunden
September 2008 bis Dezember 2009:
731,17 Stunden
Januar 2010 bis Dezember 2010 :
681,67 Stunden
April 2011 bis Juli 2011:
296,93 Stunden
Mit seiner der Beklagten am 02. Dezember 2011 zugestellten Klage und vom 21. November 2011 begehrt der Kläger - soweit für die Berufung noch von Interesse - einen Ausgleich für die in der Zeit vom 01. Januar 2008 bis 31. Juli 2011 geleisteten Nachtarbeitsstunden. Ferner begehrt er für die Zeit ab August 2011 die Feststellung, dass die Beklagte verpflichtet ist, für Nachtarbeitsstunden einen angemessenen Ausgleich nach § 6 Abs. 5 ArbZG wahlweise durch Zahlung eines Zuschlags in Höhe von 25 % des Tariflohns oder durch einen bezahlten freien Arbeitstag für jeweils 32 geleistete Nachtarbeitsstunden zu gewähren.
Der Kläger hat vorgetragen, weder der ErgTV SiZ/Ost noch der ErgTV SiZ/West enthielten einen stillschweigenden Ausgleich für die vom Fahrpersonal geleisteten Nachtarbeitsstunden. Ein solcher ergebe sich auch nicht aus der Pausenregelung in § 3 Ziff. 3.2 Satz 3 c) ErgTV SiZ/West. Diese begründe keinen Vorteil, da schon zuvor Pausen bezahlt worden seien. Der Umsatz- und der Bettenprovision komme ebenfalls keine Ausgleichsfunktion für die Nachtarbeit zu. Diese würden unabhängig vom Umfang der Nachtarbeit von der Beklagten gezahlt. Der danach zu gewährende Ausgleich gemäß § 6 Abs. 5 ArbZG sei mit 25 % des Tariflohns angemessen. Maßgeblich sei, dass die gesundheitliche Belastung bei einem dauerhaften Einsatz in der Nachtarbeit höher sei. Zudem sei der Umfang der Arbeitsbereitschaft auf den einzelnen Zügen sehr unterschiedlich und lediglich dem Betriebsablauf geschuldet.
Der Kläger hat beantragt,
1. die Beklagte zu verurteilen, wahlweise an ihn Nachtarbeitszuschläge für die Zeit vom 01. Januar 2008 bis zum 31. Juli 2011 in Höhe von 7.377,80 € brutto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz auf 7342, -€ brutto ab 12. Oktober 20122 und auf 35,60 € brutto ab Rechtshängigkeit zu zahlen oder dem Kläger 79 bezahlte freie Tage zu gewähren,
2. festzustellen, dass die Beklagte verpflichtet ist, an den Kläger ab 01. August 2011 für die von ihm geleistete Nachtarbeit wahlweise einen Nachtarbeitszuschlag in Höhe von 25 % des Tariflohns für jede zwischen 23:00 Uhr und 06:00 Uhr geleistete Arbeitsstunde zu zahlen oder dem Kläger für jeweils 32 zwischen 23:00 Uhr und 06:00 Uhr geleistete Arbeitsstunden einen bezahlten freien Tag zu gewähren.
Die Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie hat die Meinung vertreten, der ErgTV SiZ/West sei ab dem 01. Januar 2010 auf das Arbeitsverhältnis des Klägers anwendbar und enthalte in § 3 Ziff. 3.2 Satz 3 c) eine stillschweigende Ausgleichsregelung für Nachtarbeit. Hierdurch erhielten die Arbeitnehmer eine Arbeitszeitverkürzung bei vollem Lohnausgleich. Auch die Bettenprovision - aufgrund derer die Mitarbeiter durchschnittlich 150,- € im Monat erhielten - sowie die Regelung bei der Beteiligung am Umsatz für den Verkauf von Speisen und Getränken für die Mitarbeiter im Nachtreiseverkehr stelle einen stillschweigenden Ausgleich dar. Soweit für die Zeit vor dem 01. Januar 2010 für die Nachtarbeit ein gesetzlicher Ausgleich zu zahlen sei, sei ein Betrag in Höhe von 10 % des Tariflohns angemessen. Bei der Bemessung müsse § 3 Ziff. 4.3 ErgTV SiZ/Ost sowie der Umfang der Arbeitsbereitschaft während der Nachtzeit berücksichtigt werden. Auch könne der mit § 6 Abs. 5 ArbZG verfolgte Zweck, Nachtarbeit zu vermeiden oder zu reduzieren, wegen des Geschäftszwecks der Beklagten nicht erreicht werden.
Durch Urteil vom 26. April 2012 hat das Arbeitsgericht die Beklagte verurteilt, wahlweise an den Kläger Nachtarbeitszuschläge für die Zeit vom 01. Januar 2008 bis zum 31. Juli 2011 in Höhe von 6.274,63 € brutto nebst Zinsen zu zahlen oder dem Kläger 64,91 freie Tage zu gewähren. Dem Klageantrag zu 2) hat es für die Zeit vom 01. August 2011 bis zum 29. Februar 2012 stattgegeben. Die weitergehende Klage hat es abgewiesen. Zur Begründung hat das Arbeitsgericht im Wesentlichen ausgeführt, dass dem Kläger für die Zeit vom 1. Januar 2008 bis zum 29. Februar 2012 der begehrte Ausgleich nach § 6 Abs. 5 ArbZG zustehe. Der ErgTV SiZ/Ost enthalte - wie das Bundesarbeitsgericht mit Urteil vom 18. Mai 2011 (- 10 AZR 369/10 -) festgestellt habe - keinen stillschweigenden Ausgleich für die Nachtarbeit. Gleiches gelte für den ErgTV SiZ/West. Die Entgeltregelung in § 3 Ziff. 15.3 ErgTV SiZ/West lasse keine relevante Differenzierung zwischen Mitarbeitern im Nachtdienst und außerhalb desselben erkennen. Sowohl die Mitarbeiter im Nachtreiseverkehr als auch die im Tagservice erhielten eine Umsatzprovision. Dass mit der Bettenprovision gerade die besonderen Belastungen der Nachtarbeit ausgeglichen werden sollten, sei ebenfalls nicht ersichtlich. Gleiches gelte für die Pausenanrechnung in § 3 Ziff. 3.2 Satz 3 c) ErgTV SiZ/West. Aus dem Zusammenhang mit § 3 Ziff. 3.9.1 ErgTV SiZ/West ergebe sich, dass nach dem Willen der Tarifvertragsparteien für Nachtarbeit im Fahrdienst weder eine zusätzliche Vergütung, noch ein bezahlter Freizeitausgleich gewährt werden sollte. Dies folge auch daraus, dass die für die Pausenanrechnung maßgeblichen Zeiten nicht mit der tariflichen Nachtarbeit in § 3 Ziff. 3.9.1 ErgTV SiZ/West identisch sei. Hinsichtlich der Höhe hat das Arbeitsgericht unter Verweis auf die Entscheidung des LAG Berlin-Brandenburg vom 19. August 2011 (- 10 Sa 1450/11 -) einen Zuschlag von 25 % des Tariflohns für angemessen gehalten. Der Anspruch sei nicht nach § 16 MTV oder nach § 8 ErgTV SiZ/Ost verfallen. Denn der Anwendungsbereich beider Tarifnormen erfasse nicht den gesetzlichen Anspruch nach § 6 Abs. 5 ArbZG. Dem Kläger stehe allerdings der begehrte Anspruch nur bis Ende Februar 2012 zu. Für die Zeit danach gelte für den Kläger die tarifliche Regelung aus dem Eckpunktepapier vom 29. Februar 2012. Wegen der weiteren Einzelheiten der Begründung wird die Gründe der angefochtenen Entscheidung (Bl. 92 - 97 d. A.) Bezug genommen.
Gegen das ihr am 08. Mai 2012 zugestellte Urteil hat die Beklagte mit am 01. Juni 2012 bei dem Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg eingegangenem Schriftsatz Berufung eingelegt und diese nach Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist bis zum 08. August 2012 mit am 07. August 2012 beim Landesarbeitsgericht eingegangenem Schriftsatz begründet.
Die Beklagte vertritt unter Wiederholung und Vertiefung ihres erstinstanzlichen Vortrags weiter die Auffassung, dass der ErgTV SiZ/West eine stillschweigende Ausgleichsregelung für Nachtarbeit enthalte. Die Pausenregelung in § 3 Ziff. 3.2 Satz 3 c) ErgTV SiZ/West führe zu einem finanziellen Vorteil der Nachtarbeitnehmer von rechnerisch etwa 12,5 % des Tariflohns. Da die Schichtzeit von 20:00 Uhr bis 06:00 Uhr morgens bei der für die Berechnung des Pausenabzugs maßgeblichen Länge der Dienstzeit unberücksichtigt bleibe, würden Mitarbeiter, deren Arbeitszeit in diesen Zeitraum falle, begünstigt. § 5 Ziff. 3 Satz 3 MTV stehe der Annahme einer stillschweigenden Ausgleichsregelung nicht entgegen, da sowohl der ErgTV SiZ/West als auch der ErgTV SiZ/Ost ausdrückliche Regelungen zu Nachtarbeitszuschlägen enthalten. Zudem beziehe sich die Bestimmung nur auf die Entlohnung, nicht jedoch auf einen sonstigen Ausgleich. Auch aus dem TV 2012 ergäben sich hinreichende Anhaltspunkte für einen Willen der Tarifvertragsparteien die mit der Nachtarbeit verbundenen Belastungen durch die Pausenregelung auszugleichen. Die klarstellende Regelung in Ziff. I. Nr. 5 TV 2012 sei nur deshalb notwendig gewesen, weil die Pausenbezahlung einen Ausgleich darstelle. Dass die Vergünstigung für Fahrdienstmitarbeiter im Nachtreiseverkehr durch die Pausenregelung letztlich geringer sei als für stationär beschäftigte Mitarbeiter, sei zulässig. Denn die Nachtarbeit bestehe in erheblichem Umfang nur aus Arbeitsbereitschaft. Diese werde in voller Höhe mit dem tariflichen Stundenentgelt vergütet. Zudem erhielten die Arbeitnehmer auch Vergütung für die Ruhenszeiten und die Tätigkeitsunterbrechungen. Soweit dem Kläger ein gesetzlicher Anspruch auf Ausgleich zustehe, sei dieser lediglich in Höhe von 10 % des Tariflohns angemessen. Dabei sei zu berücksichtigen, dass nach dem TV 2012 der tarifliche Ausgleich zunächst nur 9 % des Tariflohns betrage. Bei der DB Fernverkehr AG und der DB Regio AG sei lediglich ein Ausgleich von 1,28 € pro Stunde tariflich vorgesehen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Vorbringens der Beklagten in der Berufungsinstanz wird auf ihren Berufungsbegründungsschriftsatz vom 07. August 2012 nebst Anlagen verwiesen.
Die Beklagte und Berufungsklägerin beantragt,
das Urteils des Arbeitsgerichts Berlin vom 26. April 2012 (- 42 Ca 17814/11 -) teilweise abzuändern und die Klage abzuweisen soweit
a) die Beklagte wahlweise zur Zahlung von Nachtarbeitszuschlägen i.H.v. 5078,17 € brutto oder zur Gewährung von 52,53 bezahlten freien Tagen verurteilt worden ist, und soweit das Arbeitsgericht Berlin die Verpflichtung der Beklagten festgestellt hat, an den Kläger ab dem 01. August 2011 bis zum 29. Februar 2012 für die von ihm geleistete Nachtarbeit wahlweise einen Nachtarbeitszuschlag in Höhe von 25% des Tariflohns für jede zwischen 23:00 und 6:00 Uhr geleistete Arbeitsstunde zu zahlen oder dem Kläger für jeweils 32 zwischen 23:00 Uhr und 6:00 Uhr geleistete Arbeitsstunden einen bezahlten freien Tag zu gewähren;
hilfsweise
das Urteils des Arbeitsgerichts Berlin vom 26. April 2012 (- 42 Ca 17814/11 -) teilweise abzuändern und die Klage abzuweisen soweit
a) die Beklagte wahlweise zur Zahlung von Nachtarbeitszuschlägen i.H.v. 3837,44 € brutto oder zur Gewährung von 39,69 bezahlten freien Tagen verurteilt worden ist;
b) soweit das Arbeitsgericht Berlin die Verpflichtung der Beklagten festgestellt hat, an den Kläger ab dem 01. August 2011 bis zum 29. Februar 2012 für die von ihm geleistete Nachtarbeit wahlweise einen Nachtarbeitszuschlag in Höhe von mehr als 10 % des Tariflohns für jede zwischen 23.00 und 6.00 Uhr geleistete Arbeitsstunde zu zahlen oder dem Kläger für jeweils 32 zwischen 23.00 Uhr und 6.00 Uhr geleistete Arbeitsstunden mehr als 0,4 bezahlte freie Tage zu gewähren.
Der Kläger und Berufungsbeklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Er verteidigt die angefochtene Entscheidung und tritt den Ausführungen des Klägers in der Berufungsinstanz entgegen.
Wegen der Einzelheiten des Vorbringens des Klägers in der Berufungsinstanz wird auf seinen Berufungsbeantwortungsschriftsatz vom 08. Oktober 2012 verwiesen.
I.
Die Berufung ist zulässig.
Sie ist gemäß den §§ 8 Abs. 2, 64 Abs. 1 und 2 b ArbGG statthaft und frist- und formgerecht i.S.d. §§ 66 Abs. 1, 64 Abs. 6 ArbGG, 519, 520 ZPO eingelegt und begründet worden.
II.
Die Berufung der Beklagten hat in der Sache jedoch keinen Erfolg.
Die Beklagte ist nach § 6 Abs. 5 ArbZG verpflichtet, für die Zeit vom 01. Januar 2008 bis zum 31. Juli 2011 wahlweise an den Kläger Nachtarbeitszuschläge in Höhe von insgesamt 6.274,63 € brutto nebst Zinsen zu zahlen oder dem Kläger 64,91 bezahlte freie Tage zu gewähren. Ferner ist die Beklagte dem Kläger für jede in der Zeit vom 01. August 2011 bis zum 29. Februar 2012 zwischen 23:00 Uhr und 06:00 Uhr geleistete Arbeitsstunde wahlweise einen Nachtarbeitszuschlag in Höhe von 25 % des Tariflohns zu zahlen oder ihm für jeweils 32 zwischen 23:00 Uhr und 06:00 Uhr geleistete Arbeitsstunden einen bezahlten freien Tag zu gewähren.
1. Nach § 6 Abs. 5 ArbZG hat der Arbeitgeber, soweit eine tarifliche Ausgleichsregelung nicht besteht, dem Nachtarbeitnehmer für die während der Nachtzeit geleisteten Arbeitsstunden eine angemessene Zahl bezahlter freier Tage oder einen angemessenen Zuschlag auf das ihm hierfür zustehende Bruttoarbeitsentgelt zu gewähren. Der Arbeitgeber kann wählen, ob er den Ausgleichsanspruch des § 6 Abs. 5 ArbZG durch Zahlung von Geld, durch bezahlte Freistellung oder durch eine Kombination von beidem erfüllt (BAG 18. Mai 2011 - 10 AZR 369/10 - NZA-RR 2011, 581; 1. Februar 2006 - 5 AZR 422/04 - NZA 2006, 494). Die gesetzlich begründete Wahlschuld (§ 262 BGB) konkretisiert sich auf eine der geschuldeten Leistungen erst dann, wenn der Schuldner das ihm zustehende Wahlrecht nach Maßgabe der gesetzlichen Bestimmungen ausübt (BAG 5. September 2002 - 9 AZR 202/01 - BAGE 102, 309).
a) Der Kläger ist Nachtarbeitnehmer im Sinne von § 2 Abs. 5 Nr. 2 i. V. m. § 2 Abs. 3 und Abs. 4 ArbZG. Er leistet an mindestens 48 Tagen im Kalenderjahr Arbeit, die mehr als zwei Stunden der Nachtzeit von 23:00 Uhr bis 06:00 Uhr umfasst.
b) Eine tarifvertragliche Ausgleichsregelung für die Zeit bis einschließlich 29. Februar 2012 bestand nicht.
aa) § 6 Abs. 5 ArbZG überlässt die Ausgestaltung des Ausgleichs für Nachtarbeit wegen der größeren Sachnähe den Tarifvertragsparteien und schafft nur subsidiär einen gesetzlichen Anspruch (BAG 26. April 2005 - 1 ABR 1/04 - BAGE 114, 272; 18. Mai 2011 - 10 AZR 369/10 - NZA-RR 2011, 581). Die Tarifvertragsparteien sind grundsätzlich frei darin, wie sie den Ausgleich regeln. Um den gesetzlichen Anspruch nach § 6 Abs. 5 ArbZG zu ersetzen, muss die tarifliche Regelung eine Kompensation für die mit der Nachtarbeit verbundenen Belastungen vorsehen. Dies folgt aus dem Wortsinn des Begriffs „Ausgleichsregelung“ und entspricht Sinn und Zweck des dem Gesundheitsschutz dienenden § 6 Abs. 5 ArbZG. Der tarifliche Ausgleich kann nicht nur ausdrücklich, sondern auch stillschweigend geregelt sein. Den allgemeinen tariflichen Arbeitsbedingungen kann eine stillschweigende Ausgleichsregelung aber nur entnommen werden, wenn entweder der Tarifvertrag selbst entsprechende Hinweise enthält oder sich dafür aus der Tarifgeschichte oder aus Besonderheiten des Geltungsbereichs Anhaltspunkte ergeben (BAG 18. Mai 2011 - 10 AZR 369/10 - NZA-RR 2011, 581; 26. April 2005 - 1 ABR 1/04 - NZA 2005, 884).
bb) Das Bundesarbeitsgericht hat mit Urteil vom 18. Mai 2011 (- 10 AZR 369/10 - NZA-RR 2011, 581) entschieden, dass weder der MTV noch der ErgTV SiZ/Ost vom 27. Juni 1997 einen Ausgleich für die im Fahrdienst geleistete Nachtarbeit vorsehen. Mangels tariflicher Regelung steht dem Kläger daher für die Zeit vom 1. Januar 2008 bis 31. Dezember 2009 der gesetzliche Anspruch nach § 6 Abs. 5 ArbZG gegen die Beklagte zu.
cc) Dies gilt auch für die Zeit vom 01. Januar 2010 bis zum 29. Februar 2012.
(1) Der ErgTV SiZ/West enthält entgegen der Auffassung der Beklagten keine tarifvertragliche Ausgleichsregelung für Nachtarbeit (vgl. LAG Hamburg 10. Oktober 2012 - H 6 Sa 35/12 -; LAG Berlin-Brandenburg 25. Oktober 2012 – 25 Sa 950/12, 25 Sa 1010/12 -). Es kann daher unentschieden dahinstehen, ob und auf welcher Grundlage dieses Tarifwerk auf das Arbeitsverhältnis des Klägers zur Anwendung gelangt.
(a) Nach § 5 Ziff. 5 Satz 2 MTV erhalten lediglich Beschäftigte im regelmäßigen Schichtdienst und nach § 3 Ziff. 3.9.1 ErgTV SiZ/West die bei der Beklagten stationär Beschäftigten für Nachtarbeit 15 % Zuschlag. Für den Fahrdienst ist ein Nachtzuschlag nicht ausdrücklich geregelt.
(b) Ausreichende Hinweise darauf, dass Belastungen durch Nachtarbeit im Fahrdienst durch die Pausenregelung in § 3 Ziff. 3.2 Satz 3 c) ErgTV SiZ/West ausgeglichen werden sollten, bestehen nicht.
(aa) Diese ergeben sich nicht aus dem Inhalt der Regelung.
§ 3 Ziff. 3.2 Satz 3 c) ErgTV SiZ/West sieht vor, dass bei der Ermittlung der Länge der Dienstschicht Arbeitszeiten zwischen 20:00 Uhr und 06:00 Uhr nicht mitzurechnen sind. Die Länge der Dienstschicht ist maßgeblich für die Länge der von der Arbeitszeit abgezogenen und damit nicht vergüteten Pause (§ 3 Ziff. 3.2 Satz 1 ErgTV SiZ/West). Die tarifliche Regelung hat zur Folge, dass bei Einsätzen zwischen 20:00 Uhr und 06:00 Uhr tendenziell weniger Pausenzeiten von der bezahlten Arbeitszeit des Fahrpersonals abgezogen werden, obwohl die Pausenzeiten nach § 4 ArbZG tatsächlich gewährt werden und das Fahrpersonal während dieser Zeit keine Arbeitsleitungen – auch keine Arbeitsbereitschaft – erbringt.
Der Geltungsbereich von § 3 Ziff. 3.2 Satz 3 c) ErgTV SiZ/West umfasst zwar sowohl den tariflichen als auch den gesetzlichen Nachtarbeitszeitraum; er deckt sich jedoch nicht vollständig mit diesem. Nach § 3 Ziff. 3.9.1 ErgTV SiZ/West gilt die Zeit zwischen 22:00 Uhr 06:00 Uhr als Nachtarbeit. Für die gesetzliche Nachtarbeit ist die Zeit von 23:00 Uhr bis 06:00 Uhr maßgebend (§ 2 Abs. 3 ArbZG). Beide Regelungen beziehen sich damit auf einen späteren Zeitpunkt. Dies hat zur Folge, dass zumindest partiell auch Arbeitnehmer, die noch keine Nachtarbeit im Sinne des Tarifvertrags oder des Gesetzes leisten, von dem verminderten Pausenabzug profitieren. Eine teilweise Begünstigung auch von Arbeitnehmern, die keine Nachtarbeit leisten, ist ein Indiz dafür, dass mit dieser Regelung gerade nicht die besonderen Belastungen der Nachtarbeit ausgeglichen werden sollen.
Hinzu kommt, dass auch die Wirkungsweise des § 3 Ziff. 3.2 Satz 3 c) ErgTV SiZ/West bestätigt, dass die Tarifvertragsparteien damit keinen stillschweigenden Ausgleich für die Belastungen der Nachtarbeit vereinbart haben. Die für die Arbeitnehmer günstige Wirkung der Norm hängt maßgeblich davon ab, wann ihre Schicht beginnt und wann sie endet. Der Ausgleich, der durch eine „bezahlte Pause“ für jede geleistete tarifliche Nachtarbeitsstunde gewährt werden würde, wäre bei gleichlangen Schichten umso geringer, umso mehr Nachtarbeit anfällt. Besonders hoch wäre der Ausgleich - bezogen auf die einzelne geleistete Nachtarbeitsstunde - wenn der größte Teil der Schicht auf die Zeit vor 22:00 Uhr oder nach 6:00 Uhr fällt. Dies verdeutlicht eine Beispielsrechnung. So erhält z.B. ein Arbeitnehmer bei einem Dienstschichtbeginn um 20:30 Uhr und einem Schichtende um 07:30 Uhr eine Pause von 45 Minuten (§ 4 Satz 1 ArbZG). Da nach § 3 Ziff. 3.2 Satz 1 und 3 c) ErgTV SiZ/West allerdings kein Pausenabzug von der bezahlten Arbeitszeit vorzunehmen ist, erhielte er für seine insgesamt acht tariflichen Nachtarbeitsstunden jeweils 5,625 bezahlte Minuten als „Ausgleich“. Würde die Dienstschicht erst um 24:00 Uhr beginnen und um 11:00 Uhr enden, erfolgt für die 45minütige Pause nach § 4 ArbZG ebenfalls kein Zeitabzug, da die sechs Stunden tariflicher Nachtarbeit (24:00 Uhr bis 6:00 Uhr) bei der Länge der Dienstschicht nicht zu berücksichtigen sind. In diesem Fall betrüge der „Ausgleich“ trotz geringerer Nachtarbeit für jede geleistete Nachtarbeitsstunde schon 7,5 Minuten. Ein Mitarbeiter, dessen Schicht von 13:15 Uhr bis 00:15 Uhr dauert und eine Pause von 45 Minuten nach § 4 Satz 1 ArbZG erhält, für die nach § 3 Ziff. 3.2 Satz 1 und 3 c) ErgTV SiZ/West kein Pausenabzug vorzunehmen ist, erhielte einen „Ausgleich“ für jede der insgesamt nur 2,25 geleisteten Nachtarbeitstunden von sogar 20 bezahlten Minuten.
Dies zeigt, dass bei gleichlangen Schichten der „Ausgleich“ für jede einzelne Nachtarbeitsstunde umso höher wäre, je geringer der Anteil an der Nachtarbeit in einer Schicht ist. Ein derartiger Effekt lässt nicht die Annahme zu, dass mit § 3 Ziff. 3.2 Satz 3 c) ErgTV SiZ/West eine stillschweigende tarifliche Kompensation für die mit der Nachtarbeit verbundenen zusätzlichen Belastungen vereinbart werden sollte.
(bb) Auch die tarifliche Systematik bietet hierfür keine Anhaltspunkte. Inhaltlich weist der Regelungsgegenstand „Pausen“ nämlich keinen direkten Bezug zum Regelungsgegenstand „Nachtarbeit“ auf. Dass die Tarifvertragsparteien beide Regelungen als zwei unterschiedliche Themenbereiche angesehen haben, ergibt sich auch daraus, dass § 3 Ziff. 3.9 ErgTV SiZ/West Vorschriften zur „Nachtarbeit“ enthält, diese aber keinen Hinweis auf die Pausenregelung beinhalten (vgl. LAG Hamburg 10. Oktober 2012 - H 6 Sa 35/12 -).
(cc) Aus Ziff I Nr. 5 TV 2012 ergibt sich entgegen der Auffassung der Beklagten nichts anderes.
Diese Bestimmung lässt nämlich nicht den Schluss zu, dass die tarifliche Pausenregelung des § 3 Ziff. 3.2 ErgTV SiZ/West einen stillschweigenden Ausgleich für die Nachtarbeit beinhaltet. Hätte es sich um einen solchen gehandelt, wäre es sinnwidrig gewesen, diesen bei der Vereinbarung ausdrücklicher Nachtzuschläge unverändert aufrecht zu erhalten. Dies gilt jedenfalls ab dem Zeitpunkt, ab dem nach Ziff. II Nr. 2 TV 2012 die stationär beschäftigten Arbeitnehmer ebenfalls die in Ziff. 1 geregelten Nachtzuschläge erhalten. Damit haben die Tarifvertragsparteien ihren Regelungswillen zum Ausdruck gebracht, dass ab dem 1. Januar 2014 die stationär beschäftigten Arbeitnehmer nach den gleichen Maßstäben für die Nachtarbeit vergütet werden sollen wie die Mitarbeiter im Fahrdienst. Eine Beibehaltung der Pausenregelung für Mitarbeiter im Fahrdienst als (weitergehender) stillschweigender Nachtarbeitszuschlag stünde dem entgegen (LAG Hamburg 10. Oktober 2012 - H 6 Sa 35/12 -).
(c) Auch die besonderen Regelungen zur Beteiligung der Mitarbeiter im Nachtreiseverkehr am Bruttoumsatz aus dem Verkauf von Speisen und Getränken sowie am Endpreis der benutzten Bett- und Liegekarten (§ 3 Ziff. 15.3 ErgTV SiZ/West) stellen keine stillschweigende Ausgleichsregelung für die Belastung der Nachtarbeit dar.
Nach den tariflichen Bestimmungen müssen Mitarbeiter im Tagservice zunächst die ihnen gewährte Garantieprovision verdienen, bevor sich erzielte Umsätze vergütungserhöhend auswirken. Demgegenüber erhalten Mitarbeiter im Nachtreiseverkehr alle erzielten Umsatzbeteiligungen zusätzlich. Außerdem haben sie die Möglichkeit, eine Bettenprovision in Höhe von 1,5 % vom Endpreis der benutzten Bett- und Liegekarten zu verdienen.
Die Regelungen knüpfen jedoch ausschließlich an den Verkaufserfolg der Mitarbeiter an. Dass die Tarifvertragsparteien hiermit einen Ausgleich für die mit der Nachtarbeit verbundenen Belastungen schaffen wollten, lässt sich dem Tarifvertrag nicht entnehmen (ebenso LAG Hamburg 10. Oktober 2012 - H 6 Sa 35/12 -). Die Regelungen gehören zu den Bestimmungen, die das tariflich vorgesehene Gemischtlohnsystem aus Grundvergütung und Umsatzbeteiligung betreffen. Die Rahmenbedingungen für die Erwirtschaftung von Umsatzprovisionen im Tagservice und im Nachtreiseverkehr sind unterschiedlich. In der Nacht kaufen Kunden erfahrungsgemäß weniger Speisen und Getränke. Mit der tariflichen Regelung wollten die Tarifvertragsparteien ersichtlich nur diese unterschiedlichen Rahmenbedingungen für die Erzielung von Umsätzen ausgleichen. (LAG Hamburg 10. Oktober 2012 - H 6 Sa 35/12 -).
(d) Gegen einen stillschweigenden Ausgleich der Nachtarbeit spricht auch der tarifliche Regelungszusammenhang. § 5 Ziff. 3 Satz 3 MTV gibt zusammen mit der weiteren tariflichen Bestimmung zur Zahlung eines Nachtarbeitszuschlages im stationären Dienst der Beklagten einen Hinweis darauf, dass nach dem Willen der Tarifvertragsparteien für Nachtarbeit im Fahrdienst weder eine zusätzliche Vergütung - in welcher Form auch immer - noch ein bezahlter Freizeitausgleich gewährt werden sollte (vgl. BAG 18. Mai 2011 - 10 AZR 369/10 - NZA-RR 2011, 581).
(vgl. zum Ganzen LAG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 25. Oktober 2012 – 25 Sa 950/12, 25 Sa 1010/12 -)
2. Der dem Kläger für die in der Zeit vom 01. Januar 2008 bis zum 29. Februar 2012 geleistete Nachtarbeit gemäß § 6 Abs. 5 ArbzG zu gewährende angemessene Ausgleich besteht nach Auffassung der erkennenden Berufungskammer darin, dass ihm wahlweise ein Zuschlag in Höhe von 25 % des Tariflohns zu zahlen oder ihm ein bezahlter freier Tag für jeweils 32 zwischen 23:00 Uhr und 06:00 Uhr geleistete Arbeitsstunden zu gewähren ist (ebenso LAG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 19. August 2011 - 10 Sa 145/11 - LAG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 25. Oktober 2012 – 25 Sa 950/12, 25 Sa 1010/12 -).
a) Ein solcher Ausgleich ist vorliegend angemessen.
aa) Die Frage, ob eine Leistung „angemessen“ ist, richtet sich regelmäßig nach der Gegenleistung, für die sie bestimmt ist. Auch wenn der Zweck der Ausgleichsleistung die mit der Nachtarbeit für die Arbeitnehmer verbundenen Nachteile ausgleichen soll, können die Umstände des Einzelfalls nicht außer Acht gelassen werden (BAG 5. September 2002 - 9 AZR 202/01 - NZA 2003, 563). Dabei ist nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts regelmäßig von einem als angemessen anzusehenden Prozentsatz von 25 % auszugehen (BAG 27. Mai 2003 - 9 AZR 180/02 - AP ArbZG § 6 Nr. 5; 1. Februar 2006 - 5 AZR 422/04 - NZA 2006, 494; 11. Februar 2009 - 5 AZR 148/08 - AuA 2009, 486). Ein geringerer Ausgleich ist erforderlich, wenn in die Nachtarbeit Arbeitsbereitschaft fällt (BAG 11. Februar 2009 - 5 AZR 148/08 - AuA 2009, 486) oder wenn der mit dem Zuschlag verfolgte Zweck, Nachtarbeit einzuschränken, nicht erreicht werden kann (BAG 31. August 2005 - 5 AZR 545/04 - NZA 2006, 324). Umgekehrt kann ein höherer Prozentsatz gerechtfertigt sein, wenn der Arbeitnehmer dauernd in der Nacht eingesetzt wird (BAG 27. Mai 2003 - 9 AZR 180/02- AP ArbZG § 6 Nr. 5). Außerdem soll der Nachtarbeitszuschlag in einem gewissen Umfang den Arbeitnehmer für die erschwerte Teilhabe am sozialen Leben entschädigen (BAG 5. September 2002 - 9 AZR 202/01 - NZA 2003, 563).
bb) Bei Anwendung dieser Grundsätze ist im Streitfall ein Zuschlag von 25 % der tariflichen Vergütung des Klägers für jede zwischen 23:00 Uhr 06:00 Uhr von ihm geleistete Arbeitsstunde angemessen.
(1) Aufgrund des dauerhaften Einsatzes des Klägers in den Nachtstunden wäre grundsätzlich eine Erhöhung des regelmäßig als angemessen anzusehenden Prozentsatzes von 25 sachgerecht. Denn eine dauerhaft während der Nacht zu leistende Arbeit ist gesundheitlich belastender als eine nur an einzelnen Tagen oder einzelnen Wochen in kürzeren Wechseln zur Tagschicht zu leistende Arbeit (vgl. zu diesem Argument nur BAG 27. Mai 2003 - 9 AZR 180/02 - AP Nr. 5 zu § 6 ArbZG). Nach arbeitswissenschaftlichen Erkenntnissen sollte die Anzahl der aufeinander folgenden Nachtschichten möglichst gering gehalten werden (vgl. Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin, Leitfaden zur Einführung und Gestaltung von Nacht- und Schichtarbeit, 9. Aufl. Januar 2005, S. 12). Auch ist die Teilhabe am sozialen Leben für dauernd in der Nacht Beschäftigte deutlich stärker beeinträchtigt, so dass sie deshalb ebenfalls besonders zu entschädigen sind (LAG Berlin-Brandenburg 19. August 2011 - 10 Sa 1450/11 -; LAG Hamburg 10. Oktober 2012 - H 6 Sa 35/12 -).
(2) Andererseits ist zu berücksichtigen, dass in die Nachtarbeit des Klägers ein nicht geringer Anteil von Arbeitsbereitschaft - in der Regel mindestens 30 % - fällt und auch der vom Gesetzgeber angeführte Zweck, Nachtarbeit durch Verteuerung unattraktiv zu machen, vorliegend nicht zum Tragen kommt, denn angesichts des Betriebszwecks ist Nachtarbeit für die Beklagte unvermeidbar.
Diese Aspekte wären anspruchsmindernd zu berücksichtigen.
(3) Demgegenüber ist dem Verweis der Beklagten, auf die tariflichen Ausgleichsleistungen in den Tarifverträgen anderer Konzernunternehmen, nach Auffassung der erkennenden Berufungskammer nicht zu folgen.
Zwar können die im Wirtschaftszweig des Arbeitgebers bestehenden Tarifverträge eine Orientierung hinsichtlich der Angemessenheit bieten (vgl. BAG 27. Mai 2003 - 9 AZR 180/02 - AP ArbZG § 6 Nr. 5). Zwingend ist dies jedoch nicht (BAG 18. Mai 2011 - 10 AZR 369/10 - NZA-RR 2011, 581). Die von der Beklagten vorgelegten Tarifverträge gelten für andere Unternehmen mit einem anderen Unternehmenszweck. Es ist auch nicht ersichtlich, dass bei den von diesen Bestimmungen erfassten Mitarbeitern dauerhaft und regelmäßig Nachtarbeit anfällt.
(4) Maßgeblich war vielmehr zu berücksichtigen, dass die Beklagte selbst mit der NGG den TV 2012 abgeschlossen hat, der ab dem 1. März 2012 einen in zwei Stufen bis zum 1. Januar 2014 auf 25 % ansteigenden Nachtzuschlag vorsieht. Diese Regelung verdeutlicht, dass die Tarifvertragsparteien letztlich einen Nachtzuschlag von 25 % für angemessen halten. Soweit für die Zeit vor dem 1. Januar 2014 ein geringerer Zuschlag vereinbart wurde, dürfte dies der durch die Zahlung des Zuschlags verursachten wirtschaftlichen Belastung der Beklagten geschuldet sein.
(vgl. zum Ganzen LAG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 25. Oktober 2012 – 25 Sa 950/12, 25 Sa 1010/12 -)
b) Grundsätzlich kann der Arbeitgeber wählen, ob er den Ausgleichsanspruch des § 6 Abs. 5 ArbZG durch Zahlung von Geld, durch bezahlte Freistellung oder durch eine Kombination von beidem erfüllt (BAG 1. Februar 2006 - 5 AZR 422/04 -). Die gesetzlich begründete Wahlschuld (§ 262 BGB) konkretisiert sich auf eine der geschuldeten Leistungen erst dann, wenn der Schuldner das ihm zustehende Wahlrecht nach Maßgabe der gesetzlichen Bestimmungen ausübt (BAG 5. September 2002 - 9 AZR 202/01). Vorliegend hat die Beklagte von ihrem Wahlrecht noch keinen Gebrauch gemacht.
3. Die Anzahl der im Zeitraum vom 01. Januar 2008 bis 31. Juli 2011 vom Kläger geleisteten Nachtarbeitsstunden ist zwischen den Parteien unstreitig. Daraus ergibt sich folgende Berechnung:
Januar 2008 bis August 2008:
311,25 Nachtarbeitsstunden x 11,12 € x 25 % =
865,28 €
September 2008 bis Dezember 2009:
731,17 Nachtarbeitsstunden x 11,63 € x 25 % =
2.125,88 €
Januar 2010 bis Dezember 2010 :
681,67 Nachtarbeitsstunden x 12,60 € x x25 % =
2.147,26 €
April 2011 bis Juli 2011:
296,93 Nachtarbeitsstunden x 12,92 € x 25 % =
959,08 €
Dies ergibt die Summe von
6.274,63 €
Da die Angemessenheit im Sinne von § 6 Abs. 5 ArbZG grundsätzlich nach einem einheitlichen Maßstab zu beurteilen ist (BAG 1. Februar 2006 - 5 AZR 422/04 - NZA 2006, 494; LAG Berlin-Brandenburg 19. August 2011 - 10 Sa 1450/11 -), kann der Kläger bei einem Acht-Stunden-Tag für je 32 in der Nacht zischen 23:00 Uhr und 06:00 Uhr geleisteten Stunden einen bezahlten freien Tag beanspruchen. Bei insgesamt 2.077,25 Nachtarbeitsstunden stehen dem Kläger daher insgesamt 64,91 Tage als Ausgleich für die Zeit von Januar 2008 bis Juli 2011 zu.
4. Der Anspruch des Klägers ist nicht nach § 16 MTV oder nach § 8 ErgTV SiZ/Ost verfallen. Der Anwendungsbereich beider Tarifnormen erfasst den gesetzlichen Anspruch aus § 6 Abs. 5 ArbZG nicht (BAG 18. Mai 2011 - 10 AZR 369/10 - NZA-RR 2011, 581).
5. Der Zinsanspruch auf die Geldleistung folgt aus §§ 291, 288 Abs. 1 Satz 2 BGB.
Nach alledem war die Berufung der Beklagten mit der Kostenfolge des § 97 ZPO zurückzuweisen.
III.
Die Revision war für die Beklagte gemäß § 72 Abs. 2 Nr. 1 ArbGG wegen grundsätzlicher Bedeutung zuzulassen.