Gericht | LArbG Berlin-Brandenburg 17. Kammer | Entscheidungsdatum | 19.01.2011 | |
---|---|---|---|---|
Aktenzeichen | 17 Sa 2300/10 | ECLI | ||
Dokumententyp | Urteil | Verfahrensgang | - | |
Normen | § 1b BetrAVG, § 30f BetrAVG |
Die Einschränkung der Unverfallbarkeit einer Versorgungsanwartschaft nach § 30 f BetrAVG führt nicht zu einer europarechtswidrigen Altersdiskriminierung
I. Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Berlin vom 21.07.2010 - 37 Ca 23153/09 - wird auf ihre Kosten zurückgewiesen.
II. Die Revision der Klägerin wird zugelassen.
Die Parteien streiten darüber, ob der Klägerin eine unverfallbare Anwartschaft auf eine betriebliche Altersversorgung zusteht.
Die am …… 1980 geborene Klägerin war bei der Beklagten seit dem 24. Juni 1999 bis zum 31. Dezember 2009 tätig. Die Beklagte erbrachte für die Klägerin während des Arbeitsverhältnisses Beiträge zur betrieblichen Altersversorgung. Sie lehnte es im Hinblick auf § 30 f Abs. 2 BetrAVG ab, der Klägerin eine Unverfallbarkeit der diesbezüglichen Anwartschaft zu bestätigen.
Mit ihrer Klage hat die Klägerin die Feststellung einer unverfallbaren Anwartschaft begehrt. Sie hat die Auffassung vertreten, § 30 f Abs. 2 BetrAVG führe zu einer nicht gerechtfertigten Diskriminierung wegen ihres Alters. Die Beklagte hat demgegenüber die gesetzliche Altersgrenze für eine unverfallbare Anwartschaft auf Leistungen der betrieblichen Altersversorgung für zulässig gehalten.
Das Arbeitsgericht hat die Klage durch ein am 21. Juli 2010 verkündetes Urteil abgewiesen. Die Klägerin erfülle die gesetzlichen Voraussetzungen für eine unverfallbare Anwartschaft auf betriebliche Altersversorgung nicht; eine verbotene Altersdiskriminierung liege nicht vor. Wegen der Einzelheiten der Begründung wird auf die Entscheidungsgründe des angefochtenen Urteils verwiesen.
Gegen dieses ihr am 8. Oktober 2010 zugestellte Urteil richtet sich die am 29. Oktober 2010 eingelegte Berufung der Klägerin, die sie mit einem am 30. November 2010 beim Landesarbeitsgericht eingegangenen Schriftsatz begründet hat.
Die Klägerin ist weiterhin unter Wiederholung ihres erstinstanzlichen Vorbringens der Auffassung, § 30 f Abs. 2 BetrAVG sei wegen einer verbotenen Altersdiskriminierung unwirksam, weshalb ihre Anwartschaft auf Leistungen der betrieblichen Altersversorgung unverfallbar sei.
Die Klägerin beantragt,
unter Änderung des Urteils des Arbeitsgerichts Berlin vom 21. Juli 2010 – 37 Ca 23153/09 - festzustellen, dass sie eine unverfallbare Anwartschaft auf Gewährung einer betrieblichen Altersversorgung zur Versorgungskonto-Nr. …… erworben hat.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie hält die Berufung für unzulässig, weil sich die Klägerin in der Berufungsbegründungsschrift nicht ausreichend mit dem angefochtenen Urteil auseinandergesetzt habe. Im Übrigen verteidigt die Beklagte das angefochtene Urteil mit Rechtsausführungen.
Wegen der Einzelheiten des Vorbringens der Parteien in der Berufungsinstanz wird auf den Inhalt der zwischen ihnen gewechselten Schriftsätze vom 29. November 2010 und 7. Januar 2011 Bezug genommen.
Die Berufung hat keinen Erfolg.
I.
Die Berufung ist zulässig. Sie wurde form- und fristgerecht eingelegt und begründet (§§ 66 Abs. 1, 64 Abs. 6 ArbGG, 520 Abs. 3 ZPO). Die Berufungsbegründungsschrift enthält eine noch ausreichende Auseinandersetzung mit dem angefochtenen Urteil. Das Arbeitsgericht hatte bei Leistungen der betrieblichen Altersversorgung eine Differenzierung wegen des Alters der Arbeitnehmer im Grundsatz für zulässig gehalten, während die Klägerin insoweit jede Altersdiskriminierung für unvereinbar mit europäischen Rechtsnormen hält. Die Angriffe der Klägerin lassen dabei eine sachliche Überprüfung des angefochtenen Urteils durch das Berufungsgericht zu.
II.
Die Berufung ist unbegründet.
Die während des Arbeitsverhältnisses mit der Beklagten erworbene Anwartschaft der Klägerin auf Leistungen der betrieblichen Altersversorgung ist nicht unverfallbar. Das Arbeitsgericht hat die Klage daher zu Recht abgewiesen.
1. Die Klägerin kann ihre Klage nicht mit Erfolg auf § 1 b Abs. 1 i.V.m. § 30 f Abs. 2 BetrAVG stützen. Sie hatte bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses das 30. Lebensjahr noch nicht vollendet; auch bestand die Versorgungszusage gerechnet ab dem 1. Januar 2009 noch keine fünf Jahre. Die gesetzlichen Voraussetzungen für eine Unverfallbarkeit der Anwartschaft liegen danach, was von der Klägerin nicht in Abrede gestellt wird, nicht vor.
2. Die Anwendung des § 1 b Abs. 1 i.V.m. § 30 f Abs. 2 BetrAVG führt entgegen der Auffassung der Klägerin nicht zu einer europarechtswidrigen Altersdiskriminierung. Zwar wird die Klägerin wegen ihres Alters in Bezug auf die Unverfallbarkeit ihrer Anwartschaft auf Leistungen der betrieblichen Altersversorgung anders behandelt als Arbeitnehmer in vergleichbarer Lage, die bei der Beendigung des Arbeitsverhältnisses das 30. Lebensjahr bereits vollendet haben. Diese Ungleichbehandlung ist verstößt jedoch nicht gegen Art. 6 der Richtlinie 2000/78/EG.
a) Nach Art. 6 Abs. 1 Satz 1 der Richtlinie 2000/78/EG können Mitgliedstaaten ungeachtet des Art. 2 Abs. 2 der Richtlinie vorsehen, dass Ungleichbehandlungen wegen des Alters keine Diskriminierung darstellen, sofern sie objektiv und angemessen sind und im Rahmen des nationalen Rechts durch ein legitimes Ziel, worunter insbesondere rechtmäßige Ziele aus den Bereichen Beschäftigungspolitik, Arbeitsmarkt und berufliche Bildung zu verstehen sind, gerechtfertigt sind und die Mittel zur Erreichung dieses Ziels angemessen und erforderlich sind. Was die Versorgung im Alter angeht, enthält Art. 6 Abs. 2 der Richtlinie eine Spezialregelung, wonach die Mitgliedsstaaten ungeachtet des Art. 2 Abs. 2 der Richtlinie vorsehen können, dass bei den betrieblichen Systemen der sozialen Sicherung die Festsetzung von Altersgrenzen als Voraussetzung für die Mitgliedschaft oder den Bezug von Altersrente oder von Leistungen bei Invalidität einschließlich der Festsetzung unterschiedlicher Altersgrenzen im Rahmen dieser Systeme für bestimmte Beschäftigte oder Gruppen bzw. Kategorien von Beschäftigten und die Verwendung im Rahmen dieser Systeme von Alterskriterien für versicherungsmathematische Berechnungen keine Diskriminierungen wegen des Alters darstellt, solange dies nicht zu Diskriminierungen wegen des Geschlechts führt.
b) Was die Systeme der betrieblichen Altersversorgung angeht, sind die Mitgliedsstaaten danach bei der Umsetzung in nationales Recht nicht verpflichtet, die Voraussetzungen des Art. 6 Abs. 1 der Richtlinie 2000/78/EG einzuhalten. Die Festsetzung von Altersgrenzen in den betrieblichen Systemen der sozialen Sicherheit ist damit europarechtlich in der Regel zulässig (BAG, Urteil vom 11. August 2009 – 3 AZR 23/08 – AP Nr. 139 zu Art. 9 GG). Im Übrigen stellt die Förderung der betrieblichen Altersversorgung ein legitimes Ziel dar, weil sie Rentner in die Lage versetzt, sich ohne staatliche Unterstützung selbst zu versorgen. Die Einschränkung der Unverfallbarkeit von Versorgungsanwartschaften stellt ein angemessenes und erforderliches Mittel zur Erreichung des genannten Zieles dar. Würden Versorgungsanwartschaften stets unverfallbar sein, könnten sich Arbeitgeber, die ggf. sehr kleine Anwartschaften über einen sehr langen Zeitraum verwalten müssten, veranlasst sehen, Leistungen der betrieblichen Altersversorgung nicht mehr zuzusagen. Die durch § 30 f Abs. 2 BetrAVG erfolgte Einschränkung der Unverfallbarkeit ist auch unter Berücksichtigung der Interessen des Arbeitnehmers, erworbenen Anwartschaften bei einer Beendigung des Arbeitsverhältnisses zu behalten, angemessen. Sie betrifft lediglich junge Arbeitnehmer, denen bis zum Erreichen des Rentenalters ein langer Zeitraum bleibt, um den Verlust der Anwartschaft auszugleichen. Die Einschränkung der Unverfallbarkeit ist auch zur Erreichung des Ziels erforderlich, weil nur eine Altersgrenze den Arbeitgeber davor bewahren kann, geringe Anwartschaften über einen langen Zeitraum verwalten zu müssen. Die Berufungskammer schließt sich insoweit der Rechtsprechung des Landesarbeitsgerichts Köln (Urteil vom 18. Januar 2008 – 11 Sa 1077/07) und des Landesarbeitsgerichts Hamburg (Urteil vom 19. Januar 2010 – 4 Sa 40/09) an.
III.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.
Die Berufungskammer hat die Revision der Klägerin gemäß § 72 Abs. 1 Nr. 1 ArbGG zugelassen.