Toolbar-Menü
 
Sie sind hier: Gerichtsentscheidungen Einrichtung der Hilfe für behinderte Menschen - häusliche Krankenpflegeleistungen...

Einrichtung der Hilfe für behinderte Menschen - häusliche Krankenpflegeleistungen - Medikamentengabe - medizinische Behandlungspflege


Metadaten

Gericht LSG Berlin-Brandenburg 1. Senat Entscheidungsdatum 20.09.2013
Aktenzeichen L 1 KR 90/12 ECLI
Dokumententyp Urteil Verfahrensgang -
Normen § 13 Abs 3 SGB 5, § 37 SGB 5, § 43 SGB 11, § 43a SGB 11, § 75 Abs 2 SGB 12

Tenor

Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Neuruppin vom 31. Januar 2012 wird zurückgewiesen.

Kosten sind nicht zu erstatten.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

Im Streit ist, ob die Beklagte den Kläger von den Kosten häuslicher Krankenpflegeleistungen freizustellen hat.

Der 1955 geborene Kläger lebt in einer Einrichtung der Hilfe für behinderte Menschen. Träger dieser Einrichtung ist die Beigeladene zu 2). Der Kläger ist pflegebedürftig. Er erhält Leistungen entsprechend der Pflegestufe 2 des Elften Buches Sozialgesetzbuch (SGB XI). Nach § 2 Nr. 7.5 Satz 3 des Wohn- und Betreuungsvertrages wird eine „medizinische Versorgung im Sinne von medizinischer Behandlungspflege nach dem Fünften Buch Sozialgesetzbuch (SGB V) ausdrücklich nicht erbracht.“

Am 02. Januar 2009 und am 04. Januar 2010 stellte der Kläger jeweils unter Vorlage einer Verordnung der Drs. B vom 29. Dezember 2008 und um 30. Dezember 2009 einen „Antrag auf Genehmigung häuslicher Krankenpflege.“ Notwendig sei dreimal täglich an sieben Tagen in der Woche eine Medikamentengabe. Die Ärzte gaben als verordnungsrelevante Diagnosen an: Debilität (F70.9G), Anfallsleiden (R56.8G), geistige Retardierung (F79.9G) und Schizophrenie (F20.9). Die Pflege wurde und wird von der S-V Pflegegesellschaft durchgeführt. Der Kläger hat vorgetragen, dass die Pflegegesellschaft mit ihm eine mündliche Stundungsvereinbarung getroffen habe. Zahlungen seien deshalb bisher nicht erfolgt.

Mit den Bescheiden vom 14. Januar 2009 und vom 02. Februar 2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 14. Juli 2010 lehnte die Beklagte diese Anträge ab. Häusliche Krankenpflege zu Lasten der Gesetzlichen Krankenversicherung könne nicht erbracht werden, wenn der Versicherte in einer vollstationären Einrichtung untergebracht sei. Im Übrigen trage ihre Pflegekasse nach § 43a SGB XI „zur Abgeltung der in § 43 Abs. 2 SGB XI genannten Aufwendungen 10 v. H. des nach § 75 Abs. 3 des Zwölften Buches Sozialgesetzbuch (SGB XII) vereinbarten Heimentgelts.“ Bei den in § 43 Abs. 2 SGB XI genannten Aufwendungen handele es sich auch um Leistungen der medizinischen Behandlungspflege. Der Einrichtungsträger sei deshalb verpflichtet, die unstreitig notwendige Medikamentengabe in der Einrichtung sicher zu stellen.

Hiergegen hat der Kläger am 28. Juli 2010 Klage erhoben. Er hat vortragen, dass es sich bei der Einrichtung, in der er lebe, um einen „geeigneten Ort“ im Sinne von § 37 SGB V handele. Es könne auch nicht darauf verwiesen werden, dass diese Einrichtung die begehrte Leistung erbringen müsse. Dies sei nach § 2 Ziffer 7.5 Satz 2 des Wohn- und Betreuungsvertrages ausgeschlossen.

Das Sozialgericht Neuruppin hat die Klage mit Urteil vom 31. Januar 2012 abgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, dass es keiner Entscheidung bedürfe, ob und unter welchen Voraussetzungen stationäre Einrichtungen für behinderte Menschen „geeignete Orte“ im Sinne des § 37 Abs. 1 und 2 SGB V seien. Denn im vorliegenden Fall seien nicht Maßnahmen der qualifizierten Behandlungspflege im Streit, sondern lediglich einfachste Maßnahmen der Behandlungspflege. Jedenfalls diese einfachsten Maßnahmen seien durch das pauschalierte Heimentgelt abgegolten. Die Einrichtung, in der der Kläger untergebracht sei, sei eine solche nach § 71 Abs. 4 SGB XI. Die zuständige Pflegekasse übernähme deshalb zur Abgeltung der in § 43 Abs. 2 SGB XI genannten Aufwendungen pauschaliert Leistungen nach § 43a SGB XI. Abgegolten seien damit die in § 43 Abs. 2 SGB XI genannten Aufwendungen, mithin pflegerische Aufwendungen, Aufwendung für die soziale Betreuung und für die medizinische Behandlungspflege. Die Aufwendungen der einfachen Behandlungspflege seien danach nicht den Krankenkassen, sondern auf Dauer den Pflegekassen zugeordnet, die ihrerseits durch die pauschalierte Abgeltung gemäß § 43a SGB XI von der Leistungserbringung frei würden. Der Einrichtungsträger, die Beigeladene zu 2), habe sich zudem gegenüber dem Träger der Sozialhilfe durch die Vereinbarung nach § 75 Abs. 3 SGB XII verpflichtet, als Maßnahmeleistung „bei Bedarf: pflegerische Maßnahmen im Rahmen des § 43a SGB XI“ zu erbringen. Die Übernahme dieser Leistungsverpflichtung sei auch im Sinne der Übernahme von Maßnahmen der einfachen medizinischen Behandlungspflege und somit vorliegend auch der begehrten Medikamentengabe auszulegen, weil es sich hierbei um eine der einfachsten Maßnahmen der medizinischen Behandlungspflege handele.

Dieser Verpflichtung der Beigeladenen zu 2) stehe auch nicht § 2 Ziffer 7.5 Satz 2 des Wohn- und Betreuungsvertrages entgegen. Soweit dieser bestimme, dass „medizinische Versorgung im Sinne von medizinischer Behandlungspflege nach dem SGB V ausdrücklich nicht erbracht“ werde, weiche er zum Nachteil des Klägers von den Vorschriften des Sozialgesetzbuches ab und sei insoweit teilnichtig (§ 32 Erstes Buch Sozialgesetzbuch <SGB I>). Die Beigeladene zu 2) sei auch unter Zugrundelegung ihrer personellen Ausstattung, wie sich aus der Anlage 2 der zwischen ihr und der Beigeladenen zu 1), dem zuständigen Sozialhilfeträger, geschlossenen Vereinbarung nach § 75 Abs. 3 SGB XII ergäbe, in der Lage, entsprechende Leistungen zu erbringen.

Gegen das dem Kläger am 07. Februar 2012 zugestellte Urteil richtet sich seine Berufung vom 06. März 2012. Zur Begründung trägt er vor, dass das Sozialgericht rechtsirrig davon ausgegangen sei, dass einfachste Maßnahmen der Behandlungspflege durch das pauschalierte Entgelt nach § 43a SGB XI abgegolten seien. Mit dieser Pauschale würden lediglich Leistungen nach dem SGB XI, nicht jedoch Leistungen der häuslichen Krankenpflege nach dem SGB V abgegolten. Das Sozialgericht verkenne auch, „dass es mit der dort verfolgten Argumentation zu einer Systemverschiebung komme, wenn der Sozialhilfeträger für Leistungen nach dem SGB V zuständig sein (und) insbesondere hierfür Zahlungen leisten soll(e).“ Die Auslegung der Vereinbarung nach § 75 Abs. 3 SGB XII durch das Sozialgericht gehe fehl. In Verbindung mit § 2 Ziffer 7.5. Satz 2 des Wohn- und Betreuungsvertrages werde deutlich, dass mit dieser Regelung gerade keine medizinische Behandlungspflege gemeint sei, sondern lediglich pflegebedingte Aufwendungen oder Aufwendungen der sozialen Betreuung. Das erstinstanzliche Urteil gehe auch insofern von einer falschen Grundlage aus, als dass die personelle Ausstattung des Beigeladenen zu 2) behandlungsfähige Maßnahmen nicht zulasse.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Neuruppin vom 31. Januar 2012 und die Bescheide der Beklagten vom 14. Januar 2009 und vom 02. Februar 2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 14. Juli 2010 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihn von den Kosten der in der Zeit vom 01. Januar 2009 bis zum 31. Dezember 2010 erbrachten Leistungen der häuslichen Krankenpflege in Form der Medikamentengabe (3x täglich/7x wöchentlich) freizustellen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Die Beigeladenen haben keine Anträge gestellt.

Das Sozialgericht Neuruppin hat mit Beschluss vom 19. August 2010 (S 9 KR 76/10 ER) den Antrag des Klägers, die Beklagte einstweilen zu verpflichten, die Kosten der geltend gemachte häuslichen Krankenpflege zu übernehmen, bzw. ihn von diesen Kosten freizustellen, abgelehnt. Der Senat hat die hiergegen gerichtete Beschwerde mit Beschluss vom 3. November 2010 (L 1 KR 285/10 B ER) mangels Anordnungsanspruchs zurückgewiesen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die zwischen den Beteiligten gewechselten Schriftsätze, den sonstigen Inhalt der Gerichtsakte, auf die Gerichtsakte des Sozialgerichts Neuruppin mit dem Aktenzeichen S 9 KR 76/10 ER (L 1 KR 285/10 B ER) und auf die Verwaltungsakte der Beklagten, die dem Senat vorgelegen haben und die Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind, verwiesen.

Entscheidungsgründe

Die zulässige Berufung ist unbegründet. Das Sozialgericht Neuruppin hat die Klage zu Recht abgewiesen. Die Bescheide der Beklagten vom 14. Januar 2009 und vom 02. Februar 2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 14. Juli 2010 sind rechtmäßig und verletzen den Kläger nicht in seinen Rechten. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Freistellung von den Kosten der in der Zeit vom 01. Januar 2009 bis zum 31. Dezember 2010 erbrachten Leistungen der häuslichen Krankenpflege.

Als Anspruchsgrundlage des Begehrens des Klägers, von den Kosten der in Anspruch genommenen häuslichen Krankenpflege freigestellt zu werden, kommt lediglich § 13 Abs. 3 Satz 1 SGB V in Betracht. Konnte die Krankenkasse eine unaufschiebbare Leistung nicht rechtzeitig erbringen (Alternative 1) oder hat sie eine Leistung zu Unrecht abgelehnt und sind dadurch dem Versicherten für die selbstbeschaffte Leistung Kosten entstanden (Alternative 2), sind nach § 13 Abs. 3 Satz 1 SGB V diese von der Krankenkasse in der entstandenen Höhe zu erstatten, soweit die Leistung notwendig war. Diese auf die Erstattung vom Versicherten bereits gezahlter Kosten zugeschnittenen Bestimmungen sind bei Vorliegen der sonstigen Voraussetzungen entsprechend anzuwenden, wenn die Verpflichtung bereits entstanden ist, der Versicherte aber, wie im vorliegenden Fall, noch nicht gezahlt hat. Statt einer Erstattung kann er dann die Bezahlung seiner Schuld durch den Versicherungsträger verlangen (Urteile des Bundessozialgerichts [BSG] vom 10. Februar 2000 – B 3 KR 26/99 R – und vom 17. Juni 2010 – B 3 KR 7/09 R –, zitiert nach juris). Dieser Freistellungsanspruch reicht jedoch nicht weiter, als ein entsprechender Sachleistungsanspruch des Versicherten gegen seine Krankenkasse. Er setzt daher im Regelfall voraus, dass die selbstbeschaffte Leistung zu den Leistungen gehört, welche die Krankenkasse allgemein in Natur als Sach- oder Dienstleistung (§ 2 Abs. 2 Satz 1 SGB V) zu erbringen haben (Urteile des BSG vom 14. Dezember 2006 – B 1 KR 8/06 R und vom 26. September 2006 – B 1 KR 3/06 R –, zitiert nach juris).

Als Rechtsgrundlage des geltend gemachten Sachleistungsanspruchs auf häusliche Krankenpflege in Form der Medikamentengabe in der Zeit vom 01. Januar 2009 bis zum 31. Dezember 2010 kommt lediglich § 37 Abs. 2 Satz 1 SGB V in der Fassung des Gesetzes zur Stärkung des Wettbewerbes in der gesetzlichen Krankenversicherung – GKV – Wettbewerbstärkungsgesetz – GKV-WSG vom 26. März 2007 (BGBl I. S. 378) in Betracht. Danach erhalten Versicherte in ihrem Haushalt, ihrer Familie oder sonst an einem geeigneten Ort, insbesondere in betreuten Wohnformen, Schulen und Kindergärten, bei besonders hohem Pflegebedarf auch in Werkstätten für behinderte Menschen als häusliche Krankenpflege Behandlungspflege, wenn diese zur Sicherung des Ziels der ärztlichen Behandlung erforderlich ist.

Im vorliegenden Fall hatte der Kläger keinen derartigen Anspruch gegen die beklagte Krankenkasse, weil die Beigeladene zu 2) als Einrichtungsträger verpflichtet war, dem Kläger seine Medikamente siebenmal in der Woche und dreimal täglich zu verabreichen. Die Beigeladene zu 2) ist für diese Leistungen auch nach § 43a SGB XI in Verbindung mit § 43 Abs. 2 SGB XI pauschal vergütet worden. Der Senat sieht insoweit von einer Darstellung der Entscheidungsgründe ab und verweist auf die Gründe der angefochtenen Entscheidung des Sozialgerichts (§ 153 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz <SGG>) und auf die in dem vorangegangenen Einstweiligen Rechtsschutzverfahren ergangenen Beschlüsse des Sozialgerichts Neuruppin vom 02. August 2010 (S 9 KR 76/10 ER) und des Senats vom 03. November 2010 (L 1 KR 285/10 B ER).

Das Berufungsvorbringen kann der Berufung nicht zum Erfolg verhelfen. Soweit der Kläger vorträgt, mit dem „pauschalierten Entgelt“ nach § 43a SGB XI würden lediglich Leistungen nach SGB XI, jedoch nicht Leistungen der häuslichen Krankenpflege nach dem SGB V ausgeschlossen, folgt dem der Senat nicht. Nach § 43a SGB XI übernimmt die Pflegekasse für Pflegebedürftige in einer vollstationären Einrichtung der Hilfe für behinderte Menschen, in der die Teilhabe am Arbeitsleben und am Leben in der Gemeinschaft, die schulische Ausbildung oder die Erziehung behinderter Menschen im Vordergrund des Einrichtungszwecks stehen, zur Abgeltung der in § 43 Abs. 2 genannten Aufwendungen zehn vom Hundert des nach § 75 Abs. 3 SGB XII vereinbarten Heimentgelts. In § 43 Abs. 2 Satz 1 SGB XI werden u. a. Leistungen der medizinischen Behandlungspflege in die Leistungspflicht der Pflegekasse einbezogen. Durch das GKV-WSG vom 26. März 2007 wurden die Aufwendungen für die Behandlungspflege nicht den Krankenkassen, sondern auf Dauer der Pflegekasse zugewiesen. Die Krankenkassen sollten dafür „im Gegenzug“ ihre Präventions- und Rehabilitationsleistungen zur Vermeidung von Pflegebedürftigkeit verbessern (Leitherer im Kassler Kommentar zum Sozialversicherungsrecht <Std.: 77.EL. 2013>, § 43 SGB XI RdNr. 23, m. w. Nachw.). Die vom Kläger beanstandete „Systemverschiebung“ war vom Gesetzgeber gewollt, allerdings nicht, wie der Kläger meint, zu Lasten des Sozialhilfeträgers, sondern zu Lasten der Pflegeversicherung. Bei der Medikamentengabe handelt es sich auch um eine Leistung der sogenannten medizinischen Behandlungspflege. Dies ergibt sich aus der Richtlinie des gemeinsamen Bundesausschusses über die Verordnung von häuslicher Krankenpflege vom 17. September 2009 (veröffentlicht im Bundesanzeiger 09. Februar 2010) in Kraft getreten am 10. Februar 2010. Nach der Nr. 26 der Anlage zu diesen Richtlinien – Leistungsverzeichnis verordnungsfähiger Maßnahmen der häuslichen Krankenpflege – ist die Medikamentengabe den Leitungen der Behandlungsfähige zugeordnet. Diese Richtlinie gilt zwar nur für einen Teilzeitraum des hier streitbefangenen Zeitraumes, sie dient aber insoweit auch als Auslegungshilfe für den Zeitraum vor Inkrafttreten dieser Richtlinie.

Soweit der Kläger vorträgt, dass das Sozialgericht irrig angenommen habe, dass die personelle Ausstattung des Beigeladenen zu 2) Maßnahmen wie die Medikamentengabe nicht zulasse, vermag auch dieser Einwand der Berufung nicht zum Erfolg zu verhelfen. Die Beigeladene zu 2) ist vertraglich zur Leistungserbringung verpflichtet. Erbringt sie diese Leistung nicht, macht sie sich gegebenenfalls schadenersatzpflichtig. Gegebenenfalls müssen aufsichtsrechtliche Maßnahmen eingeleitet werden.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision nach § 160 Abs. 2 Nr. 1 und Nr. 2 liegen nicht vor.