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Entscheidung 1 AR (SA Z) 16/19


Metadaten

Gericht OLG Brandenburg 1. Zivilsenat Entscheidungsdatum 21.06.2019
Aktenzeichen 1 AR (SA Z) 16/19 ECLI ECLI:DE:OLGBB:2019:0621.1AR.SA.Z16.19.00
Dokumententyp Beschluss Verfahrensgang -
Normen

Tenor

Zuständig ist das Amtsgericht Cottbus.

Gründe

I.

Mit Schreiben vom 9. Januar 2019 beantragte das Finanzamt … unter Bezugnahme auf ausstehende Lohn- und Umsatzsteuerzahlungen für die Zeit vom … Juni 2018 bis zum … November 2018 beim Amtsgericht Cottbus die Eröffnung eines Insolvenzverfahrens über das Vermögen der Schuldnerin. Dabei gab es die Anschrift der Zweigniederlassung der Schuldnerin in W… an. Da sich der Sitz der Schuldnerin ausweislich ihrer Eintragung im Handelsregister des Amtsgerichts Charlottenburg in Berlin befindet, wies das Amtsgericht Cottbus den Gläubiger mit Verfügung vom 16. Januar 2018 darauf hin, dass weiterer Sachvortrag zur örtlichen Zuständigkeit des angerufenen Gerichts erforderlich sei, und bat um Mitteilung, ob eine Verweisung des Verfahrens beantragt werde. Nachdem der Gläubiger daraufhin die Verweisung des Verfahrens beantragt hatte, veranlasste das Amtsgericht Cottbus die Anhörung der Schuldnerin zu dem Insolvenz- und dem Verweisungsantrag, die keine Stellungnahme abgab.

Daraufhin hat sich das Amtsgericht Cottbus mit Beschluss vom 4. März 2019 für örtlich unzuständig erklärt und das Verfahren an das Amtsgericht Charlottenburg verwiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, dass sich der Sitz der Schuldnerin und damit auch der Mittelpunkt ihrer wirtschaftlichen Tätigkeit in dessen Zuständigkeitsbereich befinde.

Das um Übernahme ersuchte Amtsgericht Charlottenburg hat den Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens zugelassen, die Schuldnerin erneut angehört und mit Beschluss vom 23. April 2019 einen Sachverständigen mit der Erstellung eines Gutachtens zur Aufklärung eines Eröffnungsgrundes und einer kostendeckenden Insolvenzmasse beauftragt. Nachdem der Sachverständige mit Schreiben vom 26. April 2019 und 27. Mai 2019 darauf hingewiesen hatte, dass eine Inaugenscheinnahme des Gesellschaftssitzes keine Hinweise auf die Schuldnerin oder ihre Geschäftsführerin ergeben habe, jedoch an ihrer Zweigstelle in W… ein laufender Geschäftsbetrieb mit drei Mitarbeitern festgestellt worden sei, hat sich das Amtsgericht Charlottenburg durch Beschluss vom 31. Mai 2019 ebenfalls für örtlich unzuständig erklärt und die Sache dem Brandenburgischen Oberlandesgericht zur Bestimmung des zuständigen Gerichts vorgelegt.

II.

1. Der Zuständigkeitsstreit ist gemäß § 4 InsO in Verbindung mit § 36 Abs. 1 Nr. 6, Abs. 2 ZPO durch das Brandenburgische Oberlandesgericht zu entscheiden, weil das zunächst höhere gemeinschaftliche Gericht der Bundesgerichtshof ist und das zum Bezirk des Brandenburgischen Oberlandesgerichts gehörende Amtsgericht Cottbus zuerst mit der Sache befasst war.

2. Die Voraussetzungen für eine Zuständigkeitsbestimmung nach § 4 InsO in Verbindung mit § 36 Abs. 1 Nr. 6 ZPO liegen vor. Sowohl das Amtsgericht Cottbus als auch das Amtsgericht Charlottenburg haben sich im Sinne von § 36 Abs. 1 Nr. 6 ZPO rechtskräftig für unzuständig erklärt; ersteres durch den Verweisungsbeschluss vom 4. März 2019 und letzteres durch den Vorlagebeschluss vom 31. Mai 2019. Beide Entscheidungen genügen den Anforderungen, die an das Merkmal „rechtskräftig“ im Sinne des § 36 Abs. 1 Nr. 6 ZPO zu stellen sind, weil es dafür allein darauf ankommt, dass eine den Verfahrensbeteiligten bekanntgemachte beiderseitige Kompetenzleugnung vorliegt (statt vieler: Senat, NJW 2004, 780; Zöller/Schultzky, ZPO, 32. Auflage, §36 Rn. 35).

3. Örtlich zuständig ist das Amtsgericht Cottbus, in dessen Bezirk der Mittelpunkt der selbständigen wirtschaftlichen Tätigkeit der Schuldnerin liegt, § 3 Abs. 1 Satz 2 InsO.

Eine Zuständigkeit des Amtsgerichts Charlottenburg besteht hingegen nicht. Sie ergibt sich insbesondere nicht aus § 3 Abs. 1 Satz 1 InsO, auch wenn der satzungsgemäß festgelegte und im Handelsregister eingetragene Sitz der Schuldnerin im Zuständigkeitsbereich dieses Gerichts liegt. Die beiden ausschließlichen Gerichtsstände des § 3 Abs. 1 InsO stehen zueinander in einem Rangverhältnis dergestalt, dass die Voraussetzungen des § 3 Abs. 1 Satz 2 InsO stets vorrangig zu prüfen sind (Schmidt/Stephan, InsO, 19. Auflage, § 3 Rn. 3; Andres/Leithaus/Andres, InsO, 4. Auflage, § 3 Rn. 2); die Schulden sollen möglichst an dem Ort abgewickelt werden, an dem sie entstanden sind (Münchener Kommentar/Ganter/Bruns, InsO, 4. Auflage, § 3 Rn. 4). Aus den Feststellungen des Sachverständigen ergibt sich, dass die Schuldnerin an ihrem Sitz keine geschäftliche Tätigkeit ausübt und auch im Übrigen nicht erreichbar ist, während an ihrer Zweigstelle in W… nicht nur eine Hinweistafel und ein Briefkasten existieren, sondern offensichtlich ein laufender Geschäftsbetrieb unterhalten wird.

Eine Zuständigkeit des Amtsgerichts Charlottenburg folgt auch nicht aus der grundsätzlich gegebenen Bindungswirkung des Verweisungsbeschlusses nach § 4 InsO in Verbindung mit § 281 Abs. 2 Satz 4 ZPO. Diese entfällt ausnahmsweise infolge der Verletzung höherrangigen (Verfassungs-) Rechts, namentlich bei der ungenügenden Gewährung rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 GG) oder bei objektiv willkürlicher Entziehung des gesetzlichen Richters (Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG). Im Interesse einer baldigen Klärung und Vermeidung wechselseitiger (Rück-) Verweisungen ist die Willkürschwelle dabei hoch anzusetzen. Einfache Rechtsfehler, wie etwa das Übersehen einer die Zuständigkeit begründenden Rechtsnorm, rechtfertigen die Annahme einer objektiv willkürlichen Verweisung grundsätzlich nicht. Hinzukommen muss vielmehr, dass die Verweisung offenbar gesetzwidrig oder grob rechtsfehlerhaft ist, also gleichsam jeder Grundlage entbehrt (BGH, NJW-RR 2011, 1364 Rn. 9; Senat, NJW 2006, 3444, 3445; eingehend ferner Tombrink, NJW 2003, 2364 m.w.N.).

Diesen Anforderungen an eine Bindungswirkung hält der Verweisungsbeschluss des Amtsgerichts Cottbus nicht stand. Auch wenn der Amtsermittlungsgrundsatz des § 5 Abs. 1 Satz 1 InsO im Zulässigkeitsbereich nur in Ausnahmefällen zum Tragen kommt (Uhlenbruck/Pape, InsO, 14. Auflage, § 5 Rn. 8), hat das mit der Sache befasste Insolvenzgericht die zur Begründung der örtlichen Zuständigkeit vorgetragenen Umstände zu würdigen und gegebenenfalls von Amts wegen den Sachverhalt weiter aufzuklären. Erst wenn danach ein Gerichtsstand bei ihm nicht eröffnet ist, kann es seine örtliche Unzuständigkeit aussprechen; anderenfalls entbehrt der Verweisungsbeschluss jeder gesetzlichen Grundlage und muss deshalb als willkürlich betrachtet werden (BGH, NJW 2006, 847 Rn. 13). Das Amtsgericht Cottbus hat entgegen der mit Verfügung vom 16. Januar 2019 erfolgten Feststellung der Erforderlichkeit weiteren Sachvortrags zur örtlichen Zuständigkeit, der weder durch den Gläubiger noch durch die Schuldnerin erfolgt ist, keine Ermittlungen bezüglich einer eigenen, vorrangigen Zuständigkeit nach § 3 Abs. 1 Satz 2 InsO angestellt, obwohl aufgrund der Angaben des antragstellenden Finanzamtes eine wirtschaftliche Tätigkeit der Schuldnerin jedenfalls auch in seinem Zuständigkeitsbereich nahelag. Da allein die Eintragung der Schuldnerin im Handelsregister keinen Schluss auf eine wirtschaftliche Betätigung zulässt, sondern für die vorrangig durchzuführende Bestimmung des Mittelpunktes der selbständigen wirtschaftlichen Tätigkeit die Beurteilung der tatsächlichen Verhältnisse, insbesondere die Existenz von Geschäftsräumen, ausschlaggebend ist (vgl. LG Hamburg, ZinsO 2000, 118; Uhlenbruck/Pape, InsO, 15. Auflage, § 3 Rn. 4; Andres/Leithaus/Andres, InsO, 4. Auflage, § 3 Rn. 6), entbehrt eine solche unter Außerachtlassung entsprechender Hinweise auf einen anderweitigen wirtschaftlichen Mittelpunkt erfolgte Verweisung jeglicher Grundlage (vgl. Münchener Kommentar/Ganter/Bruns, InsO, 4. Auflage, § 3 Rn. 28a; Schmidt/Stephan, InsO, 19. Auflage, § 3 Rn. 16; Nerlich/Römermann/Becker, InsO, 38. EL, § 3 Rn. 49).