Gericht | VG Potsdam 6. Kammer | Entscheidungsdatum | 23.01.2014 | |
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Aktenzeichen | 6 L 17/14.A | ECLI | ||
Dokumententyp | Beschluss | Verfahrensgang | - | |
Normen |
Der Eilrechtsschutzantrag des Antragstellers wird abgelehnt.
Der Antragsteller trägt die Kosten des gerichtskostenfreien
Verfahrens.
1.
Der gem. § 80 Abs. 5 Satz 1 i.V.m. Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 VwGO i.V.m. § 75 AsylVfG statthafte und innerhalb der einwöchigen Antragsfrist des § 34a Abs. 2 Satz 1 AsylVfG (i.d.F. des Gesetzes zur Umsetzung der Richtlinie 2011/95/EU vom 28. August 2013, BGBl. I S. 3474) – der maßgebliche Bescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 27. Dezember 2013 ist am 6. Januar 2014 zugestellt, der vorliegende Eilrechtsschutzantrag am 13. Januar 2014 angebracht worden – gestellte Eilrechtsschutzantrag bleibt in der Sache ohne Erfolg. Im Rahmen der in Verfahren nach § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO gebotenen Abwägung zwischen dem privaten Interesse des Antragstellers an einem Verbleib in Deutschland bis zum Abschluss des Klageverfahren und dem öffentlichen Interesse an einem Vollzug der auf § 34a Abs. 1 AsylVfG gestützten Abschiebungsanordnung im genannten Bundesamtsbescheid überwiegt letzteres. Denn der auf §§ 27a, 34a AsylVfG gestützte Bescheid vom 27. Dezember 2013 dürfte sich als rechtmäßig erweisen.
a) Italien ist nach Maßgabe des insoweit gem. Art. 49 Abs. 2 Satz 2 der Verordnung (EU) 604/2011 („Dublin III-VO“) anwendbaren Zuständigkeitsregimes der Verordnung (EG) 343/2003 („Dublin II-VO“) für die Prüfung des Asylantrages des Antragstellers zuständig. Auf die zutreffende Begründung des angegriffenen Bundesamtsbescheides vom 27. Dezember 2013 wird Bezug genommen.
b) Dem Eintritt der Zuständigkeitsfiktion nach Art. 20 Abs. 1 lit. b (2. Alt) Dublin II-VO steht weder entgegen, dass der Antragsteller seinen Asylantrag in Deutschland bereits am 30. November 2012 gestellt, das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge aber erst am 28. November 2013 in Italien um Wiederaufnahme des Antragstellers ersucht hat, noch der Umstand, dass der Antragsteller sich inzwischen illegal nach Schweden begeben und dort im November 2013 unter abweichenden Personalangaben erneut ein Asylgesuch angebracht hat.
aa) Für die Frage der Zuständigkeit im Asylverfahren ist hinsichtlich des vor dem 1. Januar 2014 angebrachten Asylantrages des Antragstellers nicht die Drei-Monats-Frist nach Art. 17 Abs. 1 Dublin II-VO unmittelbar oder analog anwendbar. Nach dieser Vorschrift kann ein Mitgliedstaat in den Fällen, in dem ein Asylantrag gestellt worden ist, er aber einen anderen Mitgliedstaat für die Prüfung des Antrages als zuständig erachtet, spätestens innerhalb von drei Monaten nach Einreichung des Antrags den anderen Mitgliedstaat ersuchen, den Asylbewerber aufzunehmen. Die Vorschrift ist nicht auf das Wiederaufnahmeverfahren anwendbar. Denn die Fristregelung des Art. 17 Abs. 1 Dublin II-VO betrifft allein die erstmalige Aufnahme eines Asylbewerbers, nicht aber seine Wiederaufnahme, nachdem er schon andernorts – wie vorliegend der Antragsteller in Italien – einen Asylantrag gestellt hat und sich hieraus die anderweitige Zuständigkeit bereits ergibt (VG Potsdam, Urteil vom 5. Februar 2013 - VG 6 K 2512/12.A -). Der gegenteiligen Ansicht stehen systematische Überlegungen entgegen. In den Regelungen der Art. 16 bis 20 Dublin II-VO ist das Wiederaufnahmeverfahren (Art. 20 a.a.O.) deutlich von dem (Erst-) Aufnahmeverfahren nach Art. 16 bis 19 Dublin II-VO abgesetzt: Das Aufnahmeverfahren gemäß Art. 16 bis 19 Dublin II-VO ist dadurch gekennzeichnet, dass ein Mitgliedstaat, in dem ein Asylantrag gestellt wird, einen anderen Mitgliedstaat für zuständig erachtet. In diesem Fall kann der Mitgliedstaat, in dem ein Asylantrag (erstmals) gestellt wurde, den anderen für zuständig erachteten Mitgliedstaat ersuchen, den Asylbewerber aufzunehmen (Art. 17 Abs. 1 Dublin II-VO). Dies hat sobald wie möglich, jedenfalls innerhalb einer Frist von drei Monaten nach Einreichung des Asylantrages zu erfolgen. Nach Art. 4 Abs. 2 Dublin II-VO gilt dieser Antrag als gestellt, wenn den zuständigen Behörden des ersuchenden Mitgliedstaates ein vom Antragsteller eingereichtes Formblatt oder ein behördliches Protokoll zugegangen ist. Die Frist beginnt danach in der Bundesrepublik Deutschland spätestens mit der Asylantragstellung i.S.v. § 23 AsylVfG zu laufen. Wird das Gesuch um Aufnahme nicht innerhalb der Frist von drei Monaten unterbreitet, so ist der Mitgliedstaat, in dem der Asylantrag gestellt wurde, für die Prüfung des Asylantrages zuständig geworden. Diese Zuständigkeitsfiktion im Aufnahmeverfahren tritt jedoch nur ein, wenn der Asylsuchende nicht bereits – wie hier – in einem anderen Mitgliedstaat ein Asylgesuch gestellt hat. Dieser Fall wird nämlich gesondert im Wiederaufnahmeverfahren geregelt. Dieses wird u. a. eingeleitet, wenn sich der Antragsteller während der Prüfung seines Antrages im zuständigen Mitgliedstaat unerlaubt im Hoheitsgebiet eines anderen Mitgliedstaates aufhält (vgl. Art. 16 Abs. 1 lit. c Dublin II-VO). Das Wiederaufnahmeersuchen ist daher nicht an eine Frist seitens des ersuchenden Mitgliedstaates gebunden. Vielmehr geht Art. 20 Abs. 1 lit. c Dublin II-VO gerade umgekehrt davon aus, dass der ersuchte Mitgliedstaat die Wiederaufnahme des Asylbewerbers akzeptiert, wenn er nicht innerhalb der Frist von einem Monat bzw. der verkürzten Frist von zwei Wochen keine Antwort erteilt. Anders als nach Art. 17 Abs. 1 Dublin II-VO (im Aufnahmeverfahren) wird dadurch automatisch die Zuständigkeit des ersuchten Mitgliedstaats fingiert (vgl. VG Augsburg, Gerichtsbescheid vom 9. Mai 2011 - Au 3 K 10.30468 -; zit. nach juris, Rn. 23). Art. 20 Dublin II-VO enthält erkennbar eine Vollregelung für das Wiederaufnahmeverfahren, indem es im Wesentlichen eigene Regelungen vorhält und nur punktuell auf einige, nicht aber alle Regelungen der Art. 4, 16 und 27 Dublin II-VO verweist. Es spricht daher alles dafür, von einem vollständigen und nicht ergänzungsbedürftigen Regelungskomplex auszugehen (vgl. ebenso i. E. VG Oldenburg, Beschluss vom 26. Januar 2011 - 3 B 150/11 -; VG Stade, Urteil vom 16. Oktober 2012 - 6 A 2049/12 -; beides zit. nach juris; Funcke-Kaiser, GK AsylVfG, Stand: Juni 2010; § 27 a Rn. 271).
Soweit die seit dem 1. Januar 2014 anzuwendende Dublin III-VO (Verordnung [EU] 604/2013 vom 26. Juni 2013; ABl. EU L 180/31) eine zweimonatige Antragsfrist für die Stellung eines Wiederaufnahmegesuchs bei Vorliegen eines Eurodac-Treffers, im Übrigen aber höchstens von drei Monaten vorsieht (Art. 23 Abs. 2 Dublin III-VO), ist dies für den vorliegenden Fall irrelevant, da sich hier die Zuständigkeitsbestimmung nach Art. 49 Abs. 2 Satz 2 Dublin III-VO bestimmt, also nach Maßgabe der Dublin II-VO.
bb) Die zwischenzeitliche illegale Weiterreise des Antragstellers nach Schweden, die anlässlich seiner polizeilichen Überprüfung am 23. November 2013 festgestellt worden ist, führt deshalb nicht zur Zuständigkeit Deutschlands für das Asylverfahren des Antragstellers, weil die Verpflichtung des als zuständig erkannten Mitgliedstaates – hier Italiens – gemäß Art. 4 Abs. 5 Satz 2 Dublin II-VO (nur) entfallen wäre, wenn der Antragsteller zwischenzeitlich die Hoheitsgebiete der Mitgliedstaaten für mindestens drei Monate verlassen oder in einem anderen Mitgliedstaat eine Aufenthaltserlaubnis erhalten hätte.
c) Die hiergegen im vorliegenden Eilrechtsschutzverfahren unter Übernahme zahlreicher Textpassagen aus anderwärtigen Unterlagen geltend gemachten Einwände des Antragstellers verfangen nicht. Der Antragsteller hatte im Verwaltungsverfahren angegeben, aus Italien nach Deutschland weitergereist zu sein, nachdem er sich seit seiner Ankunft auf Lampedusa und dem Transfer nach Mailand mehr als ein Jahr lang dort aufgehalten habe. Dann sei er zur Weiterreise aufgefordert worden; irgendein konkretes Vorkommnis oder einen bestimmten Umstand, weshalb es ihm nicht mehr zumutbar gewesen sei, in Italien den Ausgang seines Asylverfahrens abzuwarten, hat er nicht angeführt.
Angesichts dessen erschließt sich nicht, weshalb Deutschland entgegen dem Postulat in Art. 3 Abs. 1 Satz 2 Dublin III-VO, wonach ein innerhalb der Europäischen Union angebrachter Asylantrag nur von einem einzigen Mitgliedstaat geprüft wird, zuständig sein sollte.
Der Antragsteller hat schon nicht vorgebracht, dass und inwieweit er sich zur Durchsetzung seiner vermeintlichen Rechte Gehör bei den zuständigen italienischen Stellen verschafft, sich ggf. auch um gerichtliche Hilfe und evt. um anwaltliche Unterstützung bemüht hat, wie es ihm in Deutschland offensichtlich mühelos möglich ist.
Die von der Antragstellerbevollmächtigten in Bezug auf Art. 3 Abs. 2 Dublin II-VO bzw. Art. 17 Abs. 1 Dublin III-VO wie in zahlreichen anderen Verfahren auch im vorliegenden Verfahren sinngemäß vorgetragene Ermessensreduzierung auf Null liegt ersichtlich nicht vor. Mit Blick auf die Entscheidungen des EGMR (vom 2. April 2013, Nr. 27725/10; ZAR 2013, 336; und vom 18. Juni 2013, Nr. 53825/11; ZAR 2013, 338) sowie des Oberverwaltungsgerichts Berlin-Brandenburg (vom 25. September 2013, OVG 3 S 68.13; und vom 17. Juni 2013, OVG 7 S 33.13; juris), auf die sämtlich Bezug genommen wird, kann von den durch die Antragstellerbevollmächtigte pauschal behaupteten systemischen Mängeln des italienischen Asylverfahrens in dieser Allgemeinheit nicht ausgegangen werden.
Der Antragsteller hat keinen subjektiven, öffentlich-rechtlichen Anspruch darauf, dass Deutschland gem. Art. 3 Abs. 2 Dublin II-VO bzw. jetzt nach Art. 17 Abs. 1 Dublin III-VO nach freiem Ermessen von der dort vorgesehen Möglichkeit eines Selbsteintritts in sein Asylverfahren Gebrauch macht (vgl. EuGH, Urteil vom 14. November 2013 - Rs. C-4/11 -, juris); eine Überstellung in den nach den Kriterien des hier weiter maßgeblichen Kapitels III der Dublin II-Verordnung ermittelten zuständigen Mitgliedstaat – hier nach Italien – scheidet lediglich dann aus, wenn diese Überstellung den Betreffenden der tatsächlichen Gefahr aussetzte, einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung i.S.v. Art. 4 GRCh unterworfen zu sein (so bereits EuGH, Urteil vom 21. Dezember 2011 - Rs. C-411/10 und C-493/10 - [zit. nach juris]). Dabei stehen einer Überstellung im Rahmen des Dublin II-Systems nicht schon (irgend)eine Verletzung von EU-Recht, vereinzelte Verstöße gegen sonstige Grundrechte sowie anderweitige Missstände unterhalb der Schwelle „systemischer Mängel“ entgegen (vgl. Thym, Zulässigkeit von Dublin-Überstellungen nach Italien, ZAR 2013, S. 331, unter Bezugnahme u.a. auf EGMR, Beschluss vom 2. April 2014 - Nr. 27725/10 -, ZAR 2013, 336), sondern einzig außergewöhnlich zwingende humanitäre Gründe, wie es in Art. 15 Dublin II-Verordnung bereits angelegt ist. Solche außergewöhnlich zwingenden Gründe hat der Antragsteller für seine Situation nicht vorgebracht, geschweige denn glaubhaft gemacht, und sind bei ihm auch sonst in Bezug auf Italien nicht erkennbar. Er lässt nicht nachvollziehen, dass und inwieweit er eine besondere Schutzbedürftigkeit aufweist, die für ihn ein höheres Maß an Fürsorge begründet als es in Italien Asylantragstellern bei zumutbarer Eigenanstrengung gemeinhin zuteil wird.
Es ist nicht nachvollziehbar, was aus den zum Beleg des Gegenteils zitierten anderweitigen gerichtlichen Entscheidungen hinsichtlich der konkreten Umstände des Antragstellers folgen soll.
2. Die Kostenfolgen beruhen auf §§ 154 Abs. 1 VwGO; 83b AsylVfG.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 80 AsylVfG).