Gericht | LG Frankfurt (Oder) 41. Kammer für Rehabilitierungssachen | Entscheidungsdatum | 22.10.2018 | |
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Aktenzeichen | 41 BRH 14/17 | ECLI | ECLI:DE:LGFRANK:2018:1022.41BRH14.17.00 | |
Dokumententyp | Beschluss | Verfahrensgang | - | |
Normen |
Auf Antrag des Betroffenen vom 19.05.2017 wird seine Einweisung in das Durchgangsheim B.. F…. vom 03.07.1975 bis zum 21.07.1975 für rechtsstaatswidrig erklärt und aufgehoben.
Der Betroffene hat vom 03.07.1975 bis zum 21.07.1975 zu Unrecht eine Freiheitsentziehung erlitten.
Dem Betroffenen steht gemäß § 6 Abs. 1 StrRehaG dem Grunde nach ein Anspruch auf Erstattung etwaiger gezahlter Kosten und Auslagen des Unterbringungs-verfahrens im Verhältnis von 2,- Mark/DDR zu 0,51 € zu.
Der weitergehende Rehabilitierungsantrag des Betroffenen hinsichtlich seiner darüberhinausgehenden Unterbringungen in den Kinderheimen in S…, H…. und E..... sowie in dem Jugendwohnheim B... F…. im Zeitraum von 1968 bis 1979 wird zurückgewiesen.
Kosten des Rehabilitierungsverfahrens werden nicht erhoben; außergerichtliche Kosten und Auslagen werden nicht erstattet.
I.
Der Betroffene verlangt die Rehabilitierung wegen seiner Unterbringung in verschiedenen Kinderheimen in den Jahren 1968 bis 1976/77 bzw. bis 1979 und beruft sich u.a. auf ein von seiner Mutter vor dem Landgericht F…. unter dem AZ: 41 BRH 65/98 betriebenes und durch Beschluss vom 10.10.2000 beendetes Rehabilitierungsverfahren.
Mutter des Betroffenen ist die am 27.03.1943 geborene und im Jahre 2004 verstorbene B…. L…, geb. D.., geschiedene B… (im weiteren Mutter bzw. Kindesmutter).
Die Kammer hat Kopien aus der Akte BA II, 1 2.2.2.- 17725: Jugendamt-Jugendhilfeakten der zu dem Betroffenen und seiner Mutter (teilweise mit „B….“ benannt) enthaltenen Vorgänge sowie der aus dem Bereich Jugendhilfe überlieferten Verfügungen und Beschlüsse zu dem Betroffenen von der Stadt F…………………….., Stadtarchiv, beigezogen. Mitgeteilt wurden weiter die Meldedaten des Betroffenen:
22.12.1964 F……………… (Anschrift der Großmutter)
04.01.1977 E…………..…., Kinderheim F………………,
20.09.1977 B.. F…………………, ………………
22.10.1979 F………………….., ……………………….
Den übersandten Unterlagen ist zu entnehmen, dass der Betroffene „ungünstigen Familienverhältnissen“ entstammt, bereits seine Mutter wegen Verhaltensauffälligkeiten und Schulbummelei der Jugendhilfe bekannt und auf der Grundlage einer mit deren Eltern getroffenen Erziehungsvereinbarung vom 25.08.1958 bis zum 30.12.1960 in Jugendwerkhöfen war und in der Zeit vom 08.04.1963 bis zum 07.07.1964 sich wegen Einbruchdiebstahls in Strafhaft befand.
Da sich die Kindesmutter nicht um den Betroffenen kümmerte, wuchs er die ersten Lebensjahre im Kinderdauerheim/ Säuglingsheim F...., auf.
Im Jahre 1965 (möglichweise auch schon im Dezember 1964) wurde er dann von seinen Großeltern (Vater der Mutter und dessen 2. Ehefrau / Stiefmutter seiner Mutter) aufgenommen. Der Großvater verstarb am 26.12.1966. Der Betroffene verblieb zunächst weiter bei seiner Großmutter und wurde von dieser versorgt und betreut.
Unter dem 04.04.1967 beantragte die Staatsanwaltschaft gegen die Kindesmutter die Durchführung eines Verfahrens zur Arbeitserziehung (Az.: KI 78/67) und führte zur Begründung u.a. aus:
„Das Kind der Frau B… befindet sich seit der Geburt im Haushalt ihrer Mutter. Sie hat sich bisher weder um die Erziehung ihres Sohnes gekümmert noch irgendwelche Unterhaltsbeiträge an die Mutter geleistet, so daß die Mutter bereits beim Referat Jugendhilfe vorsprechen mußte. Seit dem 1.1.1967 ist Frau B…. auch mit der Miete im Rückstand.“
Das Verfahren wurde vor dem Kreisgericht F…. durchgeführt und endete durch Urteil vom 27.4.1967 (Az.: AB 3/67) mit einer Verurteilung zur Arbeitserziehung wegen Verstoßes gegen § 3 Abs. 2 der VO über die Aufenthaltsbeschränkung. Auf Seite 3 der Urteilsgründe heißt es:
„Die Bürgerin B…. ist Mutter eines fünfjährigen Kindes. Um dieses Kind hat sie sich – außer in ihrer Ehe – kaum gekümmert. Sie überließ es ihrer Stiefmutter, ohne sich am Unterhalt für dieses Kind zu beteiligen.“
Die Strafe wurde in der Zeit vom 30.5.1967 bis zum 13.5.1969 durch Freiheitsentzug vollstreckt.
Ausweislich eines Aktenvermerkes in der Jugendhilfeakte vom 22.07.1969 erschien die Großmutter des Betroffenen (im Weiteren: Großmutter) bei der Jugendhilfebehörde und erklärte, dass die Kindsmutter sich seit der Geburt nicht um ihren Sohn gekümmert habe und sie dies nun aus gesundheitlichen Gründen auch nicht mehr könne. Wörtlich heißt es dort:
„Aktenvermerk:
Heute sprach Frau D…, wohnhaft F... in unserer Dienststelle vor.
Frau D… hat seit der Geburt das Enkelkind H… D…, geb. am 1.11.62 in ihrem Haushalt gewohnt. Die Kindsmutter hat sich noch nie um dieses Kind gekümmert. Frau D. ist nicht mehr bereit und in der Lage das Kind weiter zu behalten. Sie fühlt sich dieser Aufgabe nicht mehr gewachsen.
Die Mutter wurde im Mai des Jhrs. aus der Arbeitserziehung entlassen und wohnt im gleichen Haushalt mit ein. Seitdem sie wieder zu Hause ist, führt sie ihren schlechten Lebenswandel weiter fort. Sie wurde arbeitsmäßig als Serviererin in der HOG K……. eingegliedert. Der Betrieb hat schon vorgesprochen, weil sie wieder Fehlschichten hier hatte. Jede Nacht treibt sich die Kindsmutter nur mit Männern herum und führt einen denkbar schlechten Lebenswandel. Aus ihren bisherigen Haftstrafen hat sie noch keinerlei Lehren gezogen. Der Junge wird jetzt eingeschult. Die Mutter hat für die Einschulung noch keinerlei Anschaffungen getätigt. Auch die Aufforderungen der Schule wurden nicht erfüllt. Frau D… fühlt sich ebenfalls nicht mehr verantwortlich, da die Mutter ja zu Hause ist und hat ebenfalls nichts für die Einschulung getan. Frau D. ist der Meinung, daß das Kind sofort in die Heimerziehung eingewiesen werden muß.
Die Abt. Inneres erhielt schon Kenntnis. Sofort eine Aussprache mit der Kindesmutter bei der Abt. Inneres ansetzen.“
Unter dem Datum des 07.08.1969 weist die Jugendhilfeakte den folgenden Vermerk aus:
„…
Am heutigen Tage führte der Jugendfürsorger H. K…..im Haushalt der Großmutter Frau G…. D…., F.... einen Hausbesuch durch, um Fragen der Einweisung des Enkels H…. D. zu klären.
H…. D….. geb. am 1.11.1962 lebte seit Geburt im Kinderdauerheim in F….. Von hier holten ihn sich die Großeltern in ihren Haushalt. Seine Mutter Frau B… B… war in Arbeitserziehung. Sie kümmerte sich in Vergangenheit und auch jetzt nach ihrer Entlassung, nicht um ihren Sohn. Sie überlies es der Oma.
Frau B. hat keinerlei Bindungen zum Sohn H…...
Mehr noch, es ist nicht einmal der Frau D…… bekannt, wo sich ihre Tochter, die Kindesmutter gegenwärtig in F…. aufhält.
Frau B…. befolgte weder unsere Vorladungen, noch die der Abt. Inneres. Gegenwärtig soll sie in der HOG K….. als Serviererin arbeiten. Auch hier pflegt sie viele Bekanntschaften, erfuhren wir vom Objektleiter K…….. Mit ihrer Arbeit ist man nicht immer zu frieden.
Am 26.12.66 ist der Großvater verstorben und die Großmutter behielt allein den Jungen. Er wurde sehr verwöhnt und inzwischen verschlechterte sich der Gesundheitszustand der Großmutter. Obwohl H. tagsüber den Kindergarten in der ……gasse besucht, ist Frau D. nicht mehr seiner Erziehung und Betreuung gewachsen.
Eine Beurteilung vom Kindergarten haben wir angefordert.
Wie wir weiter erfuhren ist seine Einschulung für die ... OS vorgesehen.
Da die Mutter keinerlei Bindungen zum Sohn H…… hat, so vertritt die Oma die Ansicht, die weitere Erziehung des Jungen wäre in einem Kinderheim besser gesichert.
Erst über die Verbindung Heim zur Mutter, ist einmal die Rückführung des Jungen zur Mutter möglich.
Frau D. arbeitet im Fernmeldeamt ….. Frau B…. soll sich auch in der …str. aufhalten. Dort wurde sie beobachtet.“
Unter dem Datum des 11.08.1969 findet die Abschrift eines Vermerkes der Leiterin des Ev. Kindergartens St. …, ….. …., F……
„Charakteristik: H… D….
H…. D….. besucht seit Januar 1967 unseren Kindergarten. Er fügte sich schnell in die Gemeinschaft ein, da er vorher keinen Spielgefährten hatte.
Seine Großmutter, Frau D…., hat versucht die fehlende Mutterliebe dadurch zu ersetzen, indem sie ihm jeden Wunsch erfüllte. Dadurch ist er sehr verwöhnt.
Charakterlich gesehen, ist H…. gutmütig, aber auch unberechenbar. In den letzten Wochen tritt dieses besonders in Erscheinung. Er reagiert auch nicht mehr auf Ermahnungen. Seine geistige Entwicklung entspricht nicht seinem Alter, eine längere Konzentration fällt ihm schwer.
Frau Dr. S….. (Jugendärztin) ist der Meinung, es ein Jahr mit ihm in der Allgemeinbildenden Schule zu versuchen. Eine andere Umwelt ist eventuell dabei von Vorteil.
….., den 8.8.69 gez. Unterschrift Leiterin …..
……………………………….
Mit Verfügung des Rates der Stadt F….. – Jugendhilfe - vom 14.08.1969 wurde der Betroffene vorläufig in das Kinderheim in S….. eingewiesen (Bl. 4f. GA).
Die Einweisung wird damit begründet, dass der Großvater des Betroffenen verstorben, die Großmutter zwischenzeitlich selbst erkrankt ist und die Kindsmutter sich in keiner Weise um den Betroffenen kümmert. Zum Zeitpunkt der Einweisung sei der Aufenthalt der Kindsmutter im Übrigen sogar unbekannt gewesen. Die Großmutter sei mit der Heimeinweisung einverstanden.
Mit Beschluss des Rates der Stadt F…, Jugendhilfeausschuss, vom 13.11.1969 - Az.: HE 011161 Wie/Ste/IV; Beschl.-Reg.-Nr. 50/69) – wurde dann die Heimerziehung des Betroffenen angeordnet (Bl. 13f. und BA). Zur Begründung heißt es:
„In seinen ersten Lebensjahren lebte H….. im Kinderdauerheim. Vom 3. Lebensjahr ab übernahmen die Großeltern die Erziehung und Betreuung des Kindes. Die Kindesmutter hat sich bisher nicht im erforderlichen Maße um die Erziehung ihres Jungen gekümmert, sondern selbst in ungeordneten Verhältnissen gelebt.
Auch nach der Heimeinweisung sind bisher keine ernsthaften Bemühungen der Kindesmutter zur Normalisierung ihrer eigenen Verhältnisse zu verzeichnen.
Dem Antrag der Großmutter, die wegen Krankheit und ihres Alters, der verantwortungsvollen Aufgabe der Erziehung und Betreuung nicht mehr gewachsen war, wurde zum Wohl des Kindes entsprochen.
Die Mutter H….. muß durch eine positive Einstellung zum Leben und zur Arbeit, verbunden mit dem Bemühen um einen guten Kontakt zum Sohn, beweisen, daß es ihr um eine geregelte Zukunft im Sinne unseres Arbeiter- und Bauernstaates ernst ist.“
Unter dem Datum des 31.03.1970 findet sich ein Vermerk, wonach sich die Kindesmutter über die Behandlung ihres Sohnes im Kinderheim S…. beklagte.
Er werde dort nicht richtig gewaschen, sei erkältet und schmutzig in den Weihnachtsurlaub entlassen worden. Die übrigen Kinder im Kinderheim tränken trotz eines Alters von 10-12 Jahren bereits Alkohol und es sei ferner zu Misshandlungen ihres Sohnes gekommen.
Es findet sich ferner ein Vermerk vom 09.04.1970, in dem sich die Großmutter des Betroffenen massiv für ihren Enkel einsetzt. Sie wolle ihn wegen der Missstände aus dem Kinderheim haben und „mache den ganzen Betrieb rebellisch.“
Unter dem 27.04.1970 findet sich ein Schreiben des Rates der Stadt F…, in dem Missstände eingeräumt und Besserung in Aussicht gestellte wurde. In der Folgezeit wurde die Aufhebung der Heimunterbringung und Rückführung des Betroffenen in den Haushalt seiner Mutter geprüft. Nach einer Beurlaubung in den Sommerferien zur Mutter bzw. Großmutter wurde er zunächst in das Hilfsschulheim in H… verlegt und besuchte dort die 1. Klasse.
Letztlich wurde mit Beschluss des Rates der Stadt F… – Jugendhilfe - vom 01.10.1970 auf Antrag der Kindesmutter die Anordnung der Heimerziehung für den Betroffenen gemäß Beschluss vom 13.11.1969 (Az.: D. 01162 Wei + Ste/II Beschl.-Reg.-Nr. 50/69) aufgehoben (Bl. 6, 8 GA). Zur Begründung wurde ausgeführt, dass die Kindesmutter als Sachbearbeiterin beim Wasserstraßenamt beschäftigt sei und dort gute Arbeit leiste. Zwar sei ihr Wohnraum noch beengt, aber bis zur Lösung der Wohnungsfrage sei die Großmutter bereit, den Betroffenen aufzunehmen.
Die Entlassung des Betroffenen erfolgte Ende Oktober 1970.
Am 16.04.1971 bezog die Kindesmutter des Betroffenen eine größere Wohnung in der …straße …. in F….. . Den Betroffenen nahm sie in diesem Haushalt auf.
Am 01.06.1971 stellt das Referat Jugendhilfe in einem Schreiben an das Wasserstraßenamt E….. fest, dass gegenwärtig eine Tätigkeit der Jugendhilfe in Bezug auf den Betroffenen nicht erforderlich sei.
Am 25.09.1974 wurde die Kindesmutter durch das Kreisgericht F.... zur Bewährung verurteilt (221-338-74). Ausweislich einer noch vorhandenen Registereintragung war gegen diese ein Ermittlungsverfahren wegen Staatsverleumdung gemäß § 220 StGB/DDR geführt worden. Der konkrete Sachverhalt konnte nicht aufgeklärt werden; die Strafakten liegen nicht mehr vor. Die Bewährung wurde später widerrufen und die Freiheitsstrafe in dem Zeitraum vom 29.04.1975 bis zum 28.12.1975 vollstreckt.
Mit Verfügung des Rates der Stadt F… vom 20.05.1975 (Az.: HE 01 0962/III, Bl. 3 GA) wurde der Betroffene zur Sicherung der Entziehung und Entwicklung des Minderjährigen gem. § 50 Familiengesetzbuch / DDR i.V.m. § 22 Abs. 1 Jugendhilfe-VO vorläufig in das Kinderheim „F…“ in E…. eingewiesen und zur Begründung ausgeführt, dass die Kindesmutter seit dem 29.04.1975 erneut im Strafvollzug ist, die 68jährige Großmutter „nicht mehr bereit und in der Lage (ist), mit dem schwierigen Jungen fertig zu werden“, der Betroffene massiv die Schule (Sonderschule) bummelt, auch schon Diebstahlshandlungen im Selbstbedienungsladen begangen hat, sich von der Großmutter nichts mehr sagen lässt und sich insgesamt eine Verwahrlosung abzeichnet.
Sodann wurde er (wohl) in das Kinderheim „F…“ in E…. eingewiesen.
Mit Beschluss des Rates der Stadt F… vom 02.06.1975 - Az.: HE 010962 Beschl.Reg.Nr. 20/75 – (Bl. 9 ff GA) wurde die Heimerziehung angeordnet und festgelegt, dass diese in einem Sonderschulheim zu erfolgen hat. Zur Begründung wird ausgeführt:
„ Der Minderjährige ist außerhalb der Ehe der Mutter geboren. Die Mutter wurde am 29.4.1975 inhaftiert. Aus diesem Grund war die sofortige Heimunterbringung des Jungen erforderlich. …
Seine Einschulung erfolgte am 01.09.1969 in S…. Er konnte Forderungen des Lehrplanes von Anfang an nicht gerecht werden.
1970 erfolgte die Begutachtung durch Herrn Professor V…., der eine Debilität feststellte. 1970 wurde H….. in die Schule nach Frankfurt (Oder) überwiesen. Auf Antrag der Mutter wurde die damals angeordnete Heimerziehung aufgehoben. Die Mutter kümmerte sich jedoch kaum um den Jungen, da sie ausschließlich ihren eigenen Interessen nachging. Sie verbüßt z.Z. eine Haftstrafe wegen asozialer Lebensweise. Großmutter war um eine ordnungsgemäße des Jungen bemüht. Die Versorgung des Jungen erfolgte fast ausschließlich durch sie. Die Mutter trug kaum dazu bei, dass er ein Kleidungsstück bekam. Mit zunehmendem Alter setzten Schwierigkeiten in der Erziehung des Jungen ein, denen durch die 68jährige Großmutter nicht mehr begegnet werden konnte. H…… schwänzte ständig die Schule. Er pflegte sehr schlechten Umgang, so dass es auch bereits zu Diebstahlshandlungen in Kaufhallen kam. Stundenlang trieb er sich an der O…. umher und trieb Unfug. Es zeichneten sich Verwahrlosungserscheinungen größeren Ausmaßes ab. Er ging in seinen Handlung soweit, dass er der Großmutter Schläge anbot. Diese sieht sich außer Stande, den Jungen weiterhin zu betreuen, da sie den erzieherischen Aufgaben nicht mehr gewachsen ist….“
Ausweislich des Beschlussverteilers wurde der Betroffene dem Kinderheim „F….“ in E… zugewiesen.
In der Zeit vom 03.07. bis 21.07.1975 war der Betroffene im Durchgangsheim B.. F… untergebracht. Danach wurde er wieder in das Kinderheim in E…. zurückverlegt. Unterlagen hierüber befinden sich nicht in den Akten.
Mit Urteil des Kreisgerichts F… vom 06.04.1976 wurde die Kindesmutter erneut zu Arbeitserziehung sowie staatlicher Kontroll- und Erziehungsaufsicht verurteilt (AZ: 221-62-76). Ausweislich der noch vorhandenen Registereintragung war gegen diese Anklage wegen Verstoßes gegen § 249 StGB erhoben worden. Im Übrigen konnte der abgeurteilte Sachverhalt nicht aufgeklärt werden; die Strafakten liegen nicht mehr vor.
Die Strafe wurde vom 21.02.1976 bis zum 15.06.1977 vollstreckt.
Am 20.09.1977 wurde der Betroffene in das Jugendwohnheim B.. F…, …., verlegt und am 21.10.1979 entlassen.
Die Kindesmutter beantragte in dem Verfahren 42 BRH 65/98 vor dem hiesigen Landgericht ihre Rehabilitierung betreffend die Verurteilungen durch das Kreisgericht F…. vom 27.04.1967 zur Arbeitserziehung (AZ: KI 78/67) sowie vom 25.09.1974 (AZ: 221-338-74) und 06.04.1976 (AZ: 221-62-76). Die Staatsanwaltschaft F….. stimmte der Aufhebung des Strafurteils vom 27.04.1967 zu, lehnte aber einer Rehabilitierung wegen der Verurteilung vom 25.09.1974 und 06.04.1976 mangels Vorlage von Rehabilitierungsgründen ab. Hierauf hin schloss sich die Kindesmutter der Stellungnahme der Staatsanwaltschaft an. Mit Beschluss vom 10.10.2000 wurde hieraufhin das Urteil des Kreisgerichts vom 27.04.1967 gemäß § 1 Abs. 1 StrRehaG für rechtsstaatswidrig erklärt und, soweit die Kindesmutter betroffen war, aufgehoben. Zugleich wurde festgestellt, dass die von ihr zu Unrecht erlittene Freiheitsentziehung vom 30.05.1967 bis zum 13.05.1969 angedauert hat.
Der Betroffene macht mit seinem Rehabilitierungsantrag geltend, seine Heimunterbringungen seien rechtsstaatswidrig gewesen und hätten sachfremden Zwecken gedient. Diese seien nur erfolgt, weil seine Mutter aus politischen Gründen inhaftiert gewesen sei. Dies ergebe sich beispielsweise aus folgender Formulierung:
„Die Mutter H….. muss durch eine positive Einstellung zum Leben und zur Arbeit, verbunden mit dem Bemühen um einen guten Kontakt zum Sohn beweisen, dass es ihr um eine geregelte Zukunft im Sinne unseres Arbeiter- und Bauernstaates ernst ist.“
Man habe von seiner Mutter verlangt, dass sie ihn im Sinne des sozialistischen Menschenbildes erziehe. Mit der Verurteilung aus dem Jahr 1967 hätten die DDR-Gerichte zeigen wollen, dass sie seine Mutter des Betroffenen als besondere Gegnerin des Systems betrachteten.
Zudem zeige sich dies auch darin, dass seine Mutter staatlichen Vorladungen keine Folge geleistet habe.
Die Staatsanwaltschaft F… beantragt,
den Antrag zurückzuweisen.
Ein Fall politischer Verfolgung lasse sich nicht feststellen. Ursächlich für die Unterbringung in den Kinderheimen sei vielmehr die Nichtausübung der mütterlichen Sorge gewesen.
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten wird auf die verfahrensgegenständliche Rehabilitierungsakte einschließlich „Beiheft eingereichte Unterlagen des Stadtarchivs F…..“ und die Rehabilitierungsakte betreffend B…. L…, AZ: 42BRH 65/98, verwiesen.
II.
Der zulässige Rehabilitierungsantrag ist nur hinsichtlich der Einweisung des Betroffenen in das Durchgangsheim B... F….. vom 03.07.1975 bis zum 21.07.1975 begründet. Soweit er darüber hinaus auch die Rehabilitierung für die Zeiträume seiner Unterbringungen in den Kinderheimen in S…, H….. und E…. sowie in dem Jugendhaus B.. F… beantragt hat, bleibt dies ohne Erfolg.
Einweisung und Aufenthalt des Betroffenen bis zu seinem 3. Lebensjahr (bis 1965) im Säuglingsheim in F…., …, waren indes nicht Gegenstand des Verfahrens. Der Rehabilitierungsantrag des Betroffenen bezieht sich ausdrücklich auf die Unterbringungen ab 1968.
1.
Soweit der Betroffene vom 03.07.1975 bis zum 21.07.1975 in dem Durchgangsheim B.. F… war, liegen die gesetzlichen Voraussetzungen für eine Rehabilitierung des Betroffenen gemäß §§ 2 Abs. 1 Satz 1 und 2, 1 Abs. 1 des Strafrechtlichen Rehabilitierungsgesetzes (StrRehaG) vor, weil die Einweisung bzw. Unterbringung jedenfalls aus sonstigen sachfremden Zwecken erfolgte. Dass der Betroffene im o.g Zeitraum im Durchgangsheim B.. F…. untergebracht war, steht aufgrund des vom Landkreis M…-O….. (Kreisarchiv) ausgestellten Nachweises über die DDR-Heimaufenthalte des Betroffenen fest. Danach befindet sich im Belegungsbuch des Durchgangsheims B... F… (Archiv-Signatur: KA MOL, 2.13, Nr. 3, Band 2/1) eine Eintragung zu einem dortigen Aufenthalt des Betroffenen für den Zeitraum vom 03.07.1975 bis 21.07.1975; am 21.07.1975 ist der Betroffene wieder in das Kinderheim „F…. “ E… zurückverlegt worden.
a)
Behördliche Entscheidungen der ehemaligen DDR über eine Heimunterbringung unterliegen der strafrechtlichen Rehabilitierung, wenn sie der politischen Verfolgung bzw. sonst sachfremden Zwecken gedient haben oder die angeordneten Rechtsfolgen in einem groben Missverhältnis zu dem zu Grunde liegenden Anlass stehen (§ 2 Abs. 1, § 1 Abs. 1 StrRehaG). Dabei bedarf der Gesichtspunkt des freiheitsentziehenden Charakters einer solchen Maßnahme nach der obergerichtlichen Rechtsprechung keiner gesonderten Überprüfung, denn hierfür streitet gemäß § 2 Abs. 1 Satz 2 StrRehaG eine gesetzliche Vermutung (OLG Brandenburg, Beschluss vom 27.03.2012, 2 Ws (Reha) 28/11, Rz. 7).
b)
Unter Zugrundelegung der zwischenzeitlich gesicherten Erkenntnisse über das Durchgangsheim B... F... liegen der dortigen Unterbringung des Antragstellers sachfremde Gründe zugrunde.
aa) Der in § 2 Abs. 1 Satz 2 StrRehaG verwendete Begriff der sachfremden Zwecke ist lediglich eine Konkretisierung des Begriffes der Rechtsstaatswidrigkeit (Bruns/Schröder/Tappert, StrRehaG, Rz. 30). Sachfremd ist der Zweck, der deutlich von den Zwecken abweicht, die von einer freiheitlichen rechtsstaatlichen Ordnung als zur Rechtfertigung einer Unterbringung anerkannt sind (KG Berlin, Beschluss vom 18.01.2017, 4 Ws 120-122/15 REHA).
In einer freiheitlichen rechtsstaatlichen Ordnung erfolgt die Unterbringung in einem Kinderheim zum Schutz und zur Sicherstellung der Entwicklungsmöglichkeiten des Kindes oder des Jugendlichen, weil diese infolge entweder ungünstiger Familienverhältnisse oder nach dem Versterben der Eltern und mangels zur Aufnahme bereiter Verwandter auf die Hilfe der staatlichen Gemeinschaft angewiesen sind. Auch nach dem Recht der DDR sollte die Anordnung der Heimerziehung allein erzieherischen Zwecken und dem Kindeswohl dienen (OLG Naumburg, Beschluss vom 29.09.2017, 2 Ws (Reh) 17/17 – Rz. 11 mit Verweis auf Wapler in: Beauftragter der Bundesregierung für die Neuen Bundesländer, Expertisen Aufarbeitung der Heimerziehung in der DDR, S. 97). Ein sachfremder Zweck ist im Umkehrschluss dann anzunehmen, wenn mit der Einweisung Menschenrechte verletzt und das Kindeswohl gefährdet wurden (OLG Naumburg, aaO.). Denn der rechtsstaatlich sachgerechte Grund, eine Anlass für behördliches Einschreiten bietende Kindeswohlgefährdung abzustellen, wird nur durch eine andere Form der Kindeswohlgefährdung ersetzt (Wasmuth, ZOV 2015, 126, 128).
Bei der Bestimmung des Maßstabes, ob ein sachfremder Zweck vorliegt, sind nicht allein die rechtlichen Gründe, d.h. die gesetzlichen Vorschriften, die der Einweisung zugrunde liegen maßgeblich, sondern auch der damit verfolgte Zweck. Dabei sind auch die tatsächlichen Zustände zu berücksichtigen (OLG Naumburg, aaO., mit Verweis auf Wasmuth in ZOV 2017, 1). Dies steht auch im Einklang mit den Regelungen des StrRehaG. So knüpft § 2 Abs. 2 StrRehaG, wonach Leben unter haftähnlichen Bedingungen oder Zwangsarbeit unter haftähnlichen Bedingungen der Freiheitsentziehung gleichgestellt werden, an einen reinen faktischen Zustand an und nicht an die Beweggründe für die behördliche Entscheidung (OLG Naumburg, aaO., mit Verweis auf Mützel in ZOV 2017, 64, 66).
Auch der Gesetzgeber intendierte die Rehabilitierung bestimmter Formen rechts-staatswidriger Freiheitsbeschränkungen (Gesetzesbegr. BT-Drs. 12/4994, S. 53).
bb) Nach den vorliegenden wissenschaftlichen Erkenntnissen waren die in den Durchgangsheimen, Spezialheimen und Jugendwerkhöfen herrschenden Zustände und Verfahren generell nicht geeignet, dem Kindeswohl zu dienen, sondern maßgeblich darauf ausgerichtet, die Persönlichkeit der eingewiesenen Kinder und Jugendlichen zu brechen, um aus ihnen Persönlichkeiten nach den ideologischen Vorstellungen des SED-Regimes zu formen. Zu diesem Zwecke wurden schwere Menschenrechtsverletzungen planmäßig eingesetzt (vgl. u. a. OLG Naumburg, aaO.).
Die Durchgangsheime – wie auch das in B... F….. - fügten sich den wissenschaftlichen Erkenntnissen zufolge in das Heimsystem der DDR ein und waren ebenso wie die Spezialheime auf die Zerstörung der Persönlichkeit der Betroffenen ausgerichtet und von Freiheitsbeschränkungen, Menschenrechtsverletzungen, Fremdbestimmung, entwürdigenden Strafen, Verweigerung von Bildungs- und Entwicklungs-chancen geprägt und dienten nicht dem Kindeswohl und der Unterstützung der Entwicklung der Persönlichkeit der Betroffenen.
Dass die in Durchgangsheimen untergebrachten Kinder und Jugendlichen unter haftähnlichen, unmenschlichen und unzumutbaren Verhältnissen gelebt haben und dies von staatlichen Stellen auch so getragen wurde, ergibt sich aus den baulichen Verhältnissen und den zahlreichen Rechts- und Ordnungsvorschriften, nach denen das Durchgangsheim organisiert war.
Wapler (a.a.O:, S. 85) weist zu Recht darauf hin, dass schon die speziellen Vorschriften für die Durchgangsheime darauf ausgerichtet waren, den Alltag der Kinder und Jugendlichen streng zu reglementieren und permanent zu kontrollieren und der Eindruck von Einrichtungen erweckt wird, in denen schwerkriminelle Menschen festgehalten werden.
So war nach der auf der Grundlage der „Anordnung über die Bildungs- und Erziehungsarbeit in den Heimen der Jugendhilfe – Heimordnung-„ vom 01.09.1969 (GBl. II, S. 555) ergangen "Anweisung über die Bildungs- und Erziehungsarbeit in den Durchgangseinrichtungen der Jugendhilfe vom 15.09.1970" nebst Anlage zur Isolierung besonders schwieriger Kinder oder Jugendlicher die Einrichtung von mindestens 2 Arrestzellen angeordnet, ferner ein gesonderter Wachraum, der von den Insassen nicht betreten werden konnte und rund um die Uhr besetzt sein sollte, die Schlafräume mussten mittels elektrischer Signalanlagen mit dem Wachraum verbunden sein, wobei die Signalanlage die schnelle Alarmierung der Volkspolizei ermöglichen sollte, die dienstführenden Erzieher hatten nachts alle zwei Stunden Kontrollgänge zu zweit durchzuführen, alle Türen sollten stabil und mit Sicherheitsschlössern verschließbar sein, die Fenster sollten vergittert sein. Weiter waren mit der VPKA Maßnahmen festzulegen, die regelmäßige Kontrollen der Einrichtung durch die Volkspolizei gewährleiten und eine Alarmierung ermöglichen. Bei der Aufnahme der Kinder und Jugendlichen waren diesen auch alle Wertsachen, Gelder, Ausweise aller Art, Mitgliedsbücher, Uhren und selbst Bücher abzunehmen. Alle Postsendungen unterlagen aus Sicherheitsgründen der Kontrolle durch den Heimleiter. Zur Sicherheit von Gebäude und Mitarbeitern durfte ein Diensthund gehalten werden.
Es liegt auf der Hand, dass solche Anordnungen eine menschliche Pädagogik u. a. in Durchgangsheimen unmöglich gemacht haben. Der Alltag in diesen Einrichtungen sei von Einschüchterung, Kontrolle und Strafe geprägt gewesen, was u. a. auch auf die politische Vorgabe zurückzuführen gewesen sei, die Kinder in den Heimen auf das Kollektiv bezogen zu erziehen und zu "sozialistischen Persönlichkeiten" umzuformen (Wapler, aaO., S. 86).
Auch Sack/Ebbinghaus (in: Beauftragter der Bundesregierung für die Neuen Bundesländer, Aufarbeitung der Heimerziehung in der DDR, Expertise 3, Was hilft ehemaligen Heimkindern der DDR bei der Bewältigung ihrer komplexen Traumatisierung?, S. 332) bewerten die von den ehemaligen Heimkindern dargestellten Zustände in den Durchgangsheimen als besonders drastisch und belastend. So seien die Gebäude als alt, marode, die Zustände immer haftähnlich gewesen. Die Heime seien geschlossen gewesen, die Fenster mindestens bis zum ersten Stock vergittert, umgeben von Mauern, Zäunen und zur Kontrolle seien Türspione eingebaut gewesen. Zur Durchführung von Strafen hätten Arrestzellen zum Standard gehört (Sack/Ebbinghaus, aaO., S. 332). Aufgrund der vorgesehenen kurzen Verweisdauer sei in der Regel kein Schulunterricht durchgeführt worden (Sack/Ebbinghaus, aaO.).
Sachse (Spezialheime der DDR-Jugendhilfe im Land Brandenburg, S. 36/37) stellt betreffend die Durchgangsheime fest: Die verschiedenen Lebenssituationen, aus denen Minderjährige in die Durchgangsheime kamen, verlangte nach einer hohen psychologischen und pädagogischen Kompetenz seitens des Personals, das dazu speziell hätte ausgebildet sein müssen. Solch qualifiziertes Personal sei aber nicht vorgesehen gewesen. Statt psychologischer Betreuung habe die sichere Verwahrung im Vordergrund gestanden. Das teilweise äußerst rigide Sicherheitsregime der Durchgangsheime lege den Eindruck nahe, dass diese Einrichtungen vor allem die Funktion einer schockartigen Erstdisziplinierung übernahmen.
cc) Diese generellen Erkenntnisse zu den Durchgangsheimen decken sich mit den konkret zum Durchgangsheim B... F… bekannten Zuständen der Unterbringung.
Bei der Baulichkeit des Durchgangsheims B... F…. handelte es sich um ein als preußischen Zellenbau strukturiertes Gebäude mit allen typischen baulichen Besonderheiten für die Inhaftierung von Straftätern. Das Gebäude wurde bis 1945 als Amtsgerichtsgefängnis und danach noch bis 1968 von der Deutschen Volkspolizei als Kreisgerichtsgefängnis genutzt und war entsprechend ausgestattet. Es entspricht zwischenzeitlich gesicherten Erkenntnissen, dass das Gebäude im Jahre 1968 an die Jugendhilfe übergeben wurde. Der belassene Gebäudekomplex wurde von da an als Durchgangsheim zur Unterbringung von 3- 18 jährigen Kindern und Jugendlichen genutzt.
Die Beauftragte des Landes Brandenburg zur Aufarbeitung der Folgen der kommunistischen Diktatur beschreibt in einem Recherchebericht zum Durchgangsheim B... F… vom 11.08.2014 weiter, die Unterbringung der Kinder und Jugendlichen in Gefängniszellen mit vergitterten Fenstern und Türen ohne Türklinken, von Vergitterungen der Treppenhäuser und Fluren sowie hohen und gesicherte Gefängnismauer (S. 5/6 des Rechercheberichts). Die Kinder und Jugendlichen hätten während ihres Aufenthalts den Gebäudekomplex nicht verlassen dürfen (S. 6 des Rechercheberichtes). Alle befragten ehemaligen Heimkinder des Durchgangsheimes B... F…. hätten berichtet, dass sie zur Arbeit verpflichtet gewesen seien und bis auf einen Wochentag und Sonntag täglich hätten arbeiten müssen. Dies deckt sich auch mit dem Inhalt der o.g. Anweisung. Danach waren Jugendliche (also 14- bis 18 Jährige), die ihre Schulpflicht erfüllt haben, vom 2. Aufenthaltstag an in den Arbeitsprozess einzubeziehen. Der Arbeitsprozess ist als produktive Tätigkeit zu organisieren. Eine vorzeitige Ausschulung war damit die Regel.
Nach der Heimordnung aus dem Jahre 1971 durften die Kinder und Jugendlichen kein persönliches Eigentum besitzen, nicht einmal Bekleidung. Den Erziehern war es gestattet, persönliches Eigentum ohne Entschädigung einzuziehen. Festgelegt waren Strafen: Fernsehverbot, Isolierung ohne Arbeit und Schule, Isolierung mit Schule und mit Arbeit und strenge Isolierung. Es bestand lediglich das Recht auf Schule in den Fächern Deutsch, Mathematik und Staatsbürgerkunde. Bei jeder Neuaufnahme sollte eine Isolation für drei Tage zur Vermeidung der Verschleppung von Krankheiten stattfinden.
dd)
Aus der zitierten Anweisung über die Bildungs- und Erziehungsarbeiten in den Durchgangseinrichtungen der Jugendhilfe vom 15.09.1970 und die geschilderten Umstände der Unterbringung von Kindern und Jugendlichen im Durchgangsheim B.. F…. musste die verantwortliche Stelle – hier: wohl der Jugendhilfeausschuss des Rat der Stadt F….. -, die die Unterbringung vornahmen, mit einer Kindeswohlgefährdung des Betroffenen rechnen. Angesichts der den Durchgangsheimen zugrunde liegenden Rechtsvorschriften hatten die Missstände systematischen Charakter, die Ausgestaltung des Heimalltags auf der Grundlage der speziellen Rechtsvorschriften war in dieser Form offenkundig gewollt und beabsichtigt.
Es liegt auf der Hand, dass die herrschende Zustände – gefängnisartige Ausstattung, mangelhafte Zustände, Aufnahmerituale, die unzureichende pädagogische und schulische Betreuung, die Isolierung als Strafe in speziellen kargen Isolationszellen, der Ausschluss der Privatsphäre, die Strafen etc. - für den Schutz und die Förderung der Kinder und Jugendlichen keinen Platz ließen. Damit wird klar, dass die Einweisung nicht dem Wohl des Betroffenen dienlich sein konnte. Auch wenn der Betroffene schwierig und eloquent war, nicht bereit und fähig gewesen sein sollte, Normen des sozialen Zusammenlebens zu beachten, stellt sich eine Unterbringung unter gefängnisartigen Zuständen mit planmäßigen Menschenrechtsverletzungen, wie beschrieben, als sachfremd dar.
Hinzukommt, dass sich in den vom Stadtarchiv F….. zur Verfügung gestellten Unterlagen aus der Jugendhilfeakte zum Betroffenen keine Unterlagen zur Einweisung, deren Gründen und zum Aufenthalt des Betroffenen im Durchgangsheim B... F….. befinden, so dass es nahe liegt, dass der Betroffene ohne behördliche Anordnung nach dort verlegt worden war, obgleich die Einweisung in ein Durchgangsheim durch die Organe der Jugendhilfe auf der Grundlage der Jugendhilfe-VO vom 03.03.1966 zu erfolgen hatte (vgl. hierzu auch § 2 Ziffer 7 der Anweisung über die Bildungs- und Erziehungsarbeit in den Durchgangseinrichtungen der Jugendhilfe vom 15.09.1970).
2.
Indes vermag das Gericht im Ergebnis der Prüfungen nicht festzustellen, dass auch hinsichtlich der Unterbringungen des Betroffenen in den Kinderheimen in S…. vom 14.08.1969 bis zum August 1970, in H…… von August bis Oktober 1970, in E…… von Juni 1975 bis zum 20.09.1977 und im Jugendwohnheim B.. F…. vom 20.09.1977 bis zum 21.10.1979 die Rehabilitierungsvoraussetzungen gem. § 2 Abs. 1 Satz 1 und 2 bzw. § 1 Abs. 1 Nr. 2 StrRehaG vorliegen.
Die den Unterbringungen zugrunde liegenden Einweisungen in die jeweiligen Kinderheime und die sich hieran anschließenden Anordnungen der Heimerziehung durch den Jugendhilfeausschuss des Rates der Stadt F…. diente weder der politischen Verfolgung noch sonst sachfremden Zwecken im Sinne von § 2 Abs. 1 StrRehaG. Sie stand auch nicht im groben Missverhältnis zu dem zu Grunde liegenden Sachverhalt im Sinne von § 1 Abs. 1 Ziffer 2 StrRehaG. Die Maßnahmen erfolgten einzig und allein aus Fürsorge-gesichtspunkten und waren alternativlos.
Der Betroffene wurde ausweislich der vorliegenden Unterlagen aus der Jugendhilfeakte lediglich in Normalkinderheimen bzw. im Jugendhaus untergebracht, weil seine Betreuung und Versorgung in dem Haushalt seiner Mutter bzw. seiner Großmutter nicht gewährleitet war. Dritte Personen, die bereit und in der Lage gewesen wären, den Betroffenen im eigenen Haushalt aufzunehmen, ihn – an Stelle seiner Mutter - zu versorgen und zu betreuen, standen nicht zur Verfügung. Solche hat der Betroffene auch im hiesigen Verfahren nicht benannt.
a) Unterbringung in den Kinderheimen S…. und H…..
aa) Durch die vorliegenden Unterlagen ist belegt, dass der Betroffene mit Verfügung des Rates der Stadt F… – Jugendhilfeausschuss - vom 14.08.1969 vorläufig in das Kinderheim in S… eingewiesen und mit Beschluss vom 13.11.1969 dann die Heimerziehung des Betroffenen angeordnet worden ist. Weiter ist belegt, dass der Betroffene zunächst im Kinderheim S….. bis August 1970 lebte, von dort wegen Lernschwierigkeiten in das Hilfsschulheim in H… verlegt und Ende Oktober 1970 – nach Aufhebung der Anordnung der Heimerziehung - in den Haushalt seiner Mutter bzw. Großmutter entlassen worden ist.
bb) Entgegen dem Vortrag des Betroffenen dienten Einweisungsverfügung und Anordnung der Heimerziehung nicht der politischen Verfolgung oder sonst sachdienlichen Zwecken im Sinne von § 2 Abs. 1 StrRehaG.
Die traumatischen Kindheitserlebnisse des Betroffenen sind nicht auf eine politische Verfolgung des Betroffenen und seiner Mutter in der DDR zurückzuführen, sondern wurden nach Lage der Akten im Wesentlichen durch die Lebensführung seiner Mutter verschuldet.
Die staatliche Inobhutnahme des Betroffenen begann aufgrund der prekären familiären Situation bereits im Kleinstkindalter. Angesichts der Nichtausübung der elterlichen Sorge bestand zum Eingreifen der Behörden der DDR bedauerlicherweise keine Alternative.
Denn abgesehen von den Großeltern des Betroffenen gab es niemanden, der sich um den Betroffenen kümmerte. Eine weitere Heimunterbringung zwischen 1965 und dem 13.11.1969 konnte zunächst durch das Eingreifen der Großmutter verhindert werden, mithin auch in der Zeit, in der sich die Kindesmutter aufgrund der Verurteilung des Kreisgerichts F….. ….. vom 27.04.1967 (AZ: AB 3/67) zur sog. Arbeitserziehung im Freiheitsentzug (vom 30.05.1967 bis zum 13.05.1969) befand.
Die Großmutter selbst war es, die im Juli 1969 dann bei den Behörden der Jugendhilfe der DDR erschien und die Heimunterbringung für den Betroffenen beantragt hatte. Hintergrund war, dass diese nicht mehr bereit war und sich nicht mehr in der Lage sah, sich um Betreuung und Erziehung des Betroffenen zu kümmern, zumal die Kindesmutter mit im Haushalt wohnte, dennoch sich weder an der Betreuung noch am Unterhalt beteiligte und „ihren schlechten Lebenswandel fortsetzte“. Obgleich die Einschulung des Betroffenen anstand, kam die Kindesmutter den Aufforderungen der Schule nicht nach und tätigte auch keine Anschaffungen für die Schule. Die Großmutter war es, die eine Heimeinweisung für erforderlich hielt, weil sie sich selbst den Aufgaben aufgrund ihres Alters und aus gesundheitlichen Gründen nicht mehr gewachsen sah.
Die Einweisung in das Kinderheim S… erfolgte dann zunächst mit Verfügung vom 14.08.1969 nur vorläufig und auch erst nach Prüfung der häuslichen Verhältnisse, der Lebensweise der Kindesmutter – zuletzt war deren Aufenthalt sogar unbekannt -, des Entwicklungsstandes des Betroffenen und seines Verhaltens in der Kindereinrichtung. Die Heimerziehung wurde nach Beratung im Jugendhilfeausschuss mit Beschluss vom 13.11.1969 angeordnet, wobei die Kindesmutter anwesend war und nach der Aktenlage keine Einwände hiergegen erhoben hatte.
Der Betroffene kann auch nicht aus dem Umstand für sich herleiten, dass die Kindesmutter durch Beschluss des Landgerichts vom 10.10.2000 – 42 BRH 65/98 - hinsichtlich ihrer Verurteilung durch das Kreisgericht F… vom 27.04.1967 rehabilitiert wurde, das Urteil für rechtsstaatswidrig erklärt und aufgehoben worden ist. Zwar befand sich danach seine Mutter im Zeitraum vom 30.05.1967 bis zum 13.05.1969 zu Unrecht im Strafvollzug. In diesem Zeitraum lebte der Betroffene allerdings nicht in einem Kinderheim, sondern im Haushalt seiner Großmutter.
Soweit der Betroffene geltend macht, seine Heimunterbringung sei nur erfolgt, weil seine Mutter aus politischen Gründen inhaftiert gewesen sei, so ist dies unzutreffend. Zum Zeitpunkt der Anordnung der Heimerziehung war seine Mutter – wie festgestellt - nicht inhaftiert. Sie war bereits im Mai 1969 entlassen worden, hatte jedoch dennoch die ihr gegenüber dem Betroffenen als dessen Mutter obliegenden Pflichten nicht erfüllt. Nach der Aktenlage ergeben sich auch sonst keinerlei Anknüpfungspunkte, die Anlass für die Annahme bieten könnten, die Heimerziehung sei nur erfolgt, um politischen Druck auf die Kindesmutter auszuüben oder den erst 6 jährigen Betroffenen „politisch“ umzuerziehen.
Das Gericht teilt nicht die Auffassung des Betroffenen, dass sich aus der Formulierung in dem Beschluss vom 13.11.1969: „Die Mutter H…. muss durch eine positive Einstellung zum Leben und zur Arbeit, verbunden mit dem Bemühen um einen guten Kontakt zum Sohn beweisen, dass es ihr um eine geregelte Zukunft im Sinne unseres Arbeiter- und Bauernstaates ernst ist.“ ergebe, dass man von seiner Mutter verlangt habe, ihn im Sinne des sozialistischen Menschenbildes zu erziehen.
Aus den Jugendamtsunterlagen ergibt sich an mehrfacher Stelle, dass die Kindesmutter in ungeordneten Verhältnissen gelebt, keine Beziehung zu dem Betroffenen entwickelt sowie keinerlei Verantwortung für dessen Gesundheit, Entwicklung und sein Wohl übernommen hatte und die Großmutter dies wegen ihres Alters und aus gesundheitlichen Gründen nicht mehr für diesen tun wollte. Mit der Anordnung der Heimerziehung ist der Jugendhilfe-ausschuss dem Antrag der Großmutter gefolgt und zwar auch deshalb, weil sich die Kindesmutter selbst nach der Anordnung der vorläufigen Heimerziehung nicht um die Normalisierung des Verhältnisses zum Betroffenen bemüht hatte. Entsprechend heißt es in dem Beschluss auch, dass die Heimerziehung solange erforderlich ist, bis sich eine echte Eltern-Kind-Beziehung entwickelt hat. So wurde die Kindesmutter verpflichtet, den Betroffenen einmal im Monat zu besuchen, regelmäßigen Briefwechsel zu pflegen und sich geeigneten Wohnraum zu suchen, um dem Betroffenen eine Perspektive im eigenen Haushalt geben zu können. Diesbezüglich sollte die Kindesmutter auch Unterstützung erhalten.
Dass politische Erwägungen bei der Entscheidung über die Heimerziehung keine Rolle gespielt haben, sondern allein Führsorgegesichtspunkte, wird auch daraus deutlich, dass die Heimerziehung auf Antrag der Kindesmutter und der Großmutter Ende 1970 wieder aufgehoben wurde, weil sich die Lebenssituation der Kindesmutter nach Aufnahme einer Beschäftigung als Sachbearbeiterin bei dem Wasserstraßenamt verbessert hatte und mit Unterstützung der Großmutter die Betreuung und Versorgung des Betroffenen gewährleistet schien. Tatsächlich hatte dann die Jugendhilfe im Juni 1971 auch ihre Tätigkeit für den Betroffenen eingestellt.
Das Gericht vermag unter Würdigung der dargestellten Situation auch keine sachfremden Erwägungen für die im August bzw. November 1969 erfolgten Anordnung der Heimerziehung erkennen. Die Anordnung stellt sich auch nicht als unverhältnismäßig da. Sie war auch aus heutiger Sicht alternativlos.
Auch, soweit sich aus den beigezogenen Unterlagen Mängel hinsichtlich der Unterbringung im Kinderheim S…. ergeben, begründen diese keinen Rehabilitierungsanspruch des Betroffenen. Die aufgezeigten Mängel mögen für ein Kinderheim im Hinblick auf Betreuungs- und Erziehungsauftrag untragbar gewesen sein, lassen aber kein Systemunrecht erkennen, sondern möglicherweis ein Indiz für individuelles Versagen der Heimleitung und der Erzieher.
b)
Die vorstehenden Ausführungen gelten auch für die Heimunterbringungen im Kinderheim „F…..“ E…. von Juni 1975 bis zum 20.09.1977 und anschließend im Jugendwohnheim B.. F….. bis zum 21.10.1979 auf der Grundlage der Verfügung Beschlüsse vom 02.06.1975.
Durch die vorliegenden Unterlagen ist belegt, dass der Betroffene mit Verfügung des Rates der Stadt F…. – Jugendhilfeausschuss - 20.05.1975 vorläufig in das o.g. Kinderheim eingewiesen und mit Beschluss vom 02.06.1975 dann die Heimerziehung des Betroffenen angeordnet worden ist. Weiter ist durch die mitgeteilten Meldedaten belegt, dass der Betroffene am 20.09.1977 in das Jugendwohnheim in B.. F….., …, verlegt worden ist.
Hintergrund der Einweisungsverfügung und der Anordnung der Heimerziehung war die Inhaftierung seiner Mutter am 20.04.1975 aufgrund der Verurteilung durch das Kreisgericht F…. vom 25.09.1974 und Widerruf der ausgesprochenen Bewährungsstrafe.
Die Kindesmutter befand sich bis zum 28.12.1975 in Strafhaft und dann nochmals aufgrund einer weiteren Verurteilung durch das Kreisgericht F… vom 06.04.1976 vom 21.02. bis zum 15.06.1977.
Die Kindesmutter konnte während der Zeit ihrer Inhaftierung den damals 12jährigen Betroffenen nicht betreuen, versorgen und ihre elterliche Sorge ausüben, so dass, weil weder die Großmutter noch Dritte zur Aufnahme und Betreuung des Betroffenen bereit waren, erneut aus Fürsorgegesichtspunkten eine Heimunterbringung alternativlos war. Andernfalls wäre der Betroffene sich selbst überlassen gewesen. Politische oder sachfremde Gründe für die Heimunterbringung sind nicht im Ansatz zu erkennen. Im Übrigen hat sich die Kindesmutter auch nach ihren jeweiligen Entlassungen aus dem Freiheitsentzug am 28.12.1975 und 15.06.1977 nicht um den Betroffenen gekümmert und die Aufhebung der Heimunterbringung beantragt.
Soweit der Betroffene geltend macht, dass seine Mutter aus politischen Gründen inhaftiert worden sei, gilt nichts anderes. |
Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes (BGH, Beschluss vom 25.03.2015, 4 StR 525/13, Rn. 15) ist die Anordnung der Unterbringung eines Kindes in einem Kinderheim der ehemaligen DDR, die aus Anlass des Umstands erfolgt, dass dessen Eltern des Betroffenen infolge ihrer Inhaftierung als Opfer politischer Verfolgung an der Ausübung der elterlichen Sorge gehindert waren, nicht geeignet, eine strafrechtliche Rehabilitierung nach § 2 Abs. 1 Satz 2 StrRehaG zu begründen. Vielmehr bedarf es einzelfallbezogen weiterer Umstände, um die Unterbringungsanordnung selbst als Akt der politischen Verfolgung zu qualifizieren. Die Anordnung einer Unterbringung in einem Heim für Kinder oder Jugendliche hat nach den dargelegten Maßstäben nur dann im Sinne des § 2 Abs. 1 Satz 2 StrRehaG der politischen Verfolgung gedient, wenn sie nach der ihr erkennbar innewohnenden Zweckbestimmung zumindest auch darauf abzielte, eine politische intendierte Benachteiligung herbeizuführen. |
Zwar stellt die Vorschrift des § 2 Abs. 1 Satz 2 StrRehaG nicht auf die Verfolgung gerade des von der Unterbringung Betroffenen ab, so dass es unerheblich ist, ob sich der mit der Anordnung der Unterbringung verfolgte Verfolgungszweck gegen die unterzubringende Person selbstoder Dritte richtete. Auch die zur politischen Disziplinierung von Eltern oder Verwandten angeordnete Heimunterbringung stellt daher sich als politische Verfolgung im Sinne dieser Norm da. |
Die Kostenentscheidung beruht auf § 14 StrRehaG.