Gericht | LSG Berlin-Brandenburg 18. Senat | Entscheidungsdatum | 13.03.2012 | |
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Aktenzeichen | L 18 AL 26/12 B ER | ECLI | ||
Dokumententyp | Beschluss | Verfahrensgang | - | |
Normen | § 354 SGB 3, § 182 Abs 3 SGB 3, § 5 Abs 5 WinterbeschV, § 28f Abs 3 SGB 4 |
Auf die Beschwerde der Antragsgegnerin wird der Beschluss des Sozialgerichts Frankfurt (Oder) vom 30. Dezember 2011 geändert.
Der Antrag auf Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes wird abgelehnt.
Die Antragstellerin trägt die Kosten des gesamten einstweiligen Rechtsschutzverfahrens.
Der Streitwert wird auch für das Beschwerdeverfahren auf 13.417,04 € festgesetzt.
Über die Beschwerde hat der Vorsitzende und Berichterstatter in entsprechender Anwendung von § 155 Abs. 2 Satz 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) entschieden.
Die Beschwerde der Antragsgegnerin ist begründet.
Der erstinstanzlich gestellte Rechtsschutzantrag der Antragstellerin, gemäß § 86b Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGG die aufschiebende Wirkung ihrer Klage gegen den Bescheid der Antragsgegnerin vom 4. November 2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 18. November 2010 anzuordnen, hat keinen Erfolg.
Gemäß § 86a Abs. 2 Nr. 1 SGG entfällt die aufschiebende Wirkung von Widerspruch und Anfechtungsklage bei der Entscheidung über Versicherungs-, Beitrags- und Umlagepflichten sowie der Anforderung von Beiträgen, Umlagen und sonstigen öffentlichen Abgaben, einschließlich der darauf entfallenden Nebenkosten. Die aufschiebende Wirkung kann allerdings nach § 86b Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGG durch das Gericht der Hauptsache auf Antrag ganz oder teilweise angeordnet werden. Dabei sind die Erfolgsaussichten des Widerspruchs und der Klage sowie das Einzel- und das öffentliche Interesse gegeneinander abzuwägen; je größer die Erfolgsaussichten in der Hauptsache, umso geringere Anforderungen sind an das Aussetzungsinteresse des Antragstellers zu stellen. Sofern der Verwaltungsakt bereits nach summarischer Prüfung offensichtlich rechtswidrig ist, besteht ein öffentliches Interesse an seiner Vollziehung nicht und das Aufschubinteresse hat Vorrang. In den anderen Fällen verbleibt es bei der gesetzlichen Anordnung des Entfallens der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs und der Anfechtungsklage. Dem Gesetz ist ein Regel-Ausnahme-Verhältnis zu Lasten des Suspensiveffekts zu entnehmen, da der Gesetzgeber die sofortige Vollziehung als Regelfall angeordnet hat. Die Anordnung der aufschiebenden Wirkung muss daher eine mit gewichtigen Argumenten zu begründende Ausnahme bleiben (Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 9. Aufl. 2008, § 86b, Rn 12 e ff, mwN; LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 9. März 2009 - L 16 (11) B 4/07 R ER - juris).
Unter Beachtung dieser Vorgaben war die aufschiebende Wirkung der Klage der Antragstellerin vorliegend nicht anzuordnen. Der Bescheid über den Winterbeschäftigungs-Umlagebeitrag vom 4. November 2010 begegnet nach summarischer Prüfung keinen offensichtlichen rechtlichen Bedenken.
Der Bescheid leidet zunächst nicht an einer fehlenden oder unzureichenden Begründung iSv § 35 Abs. 1 Sozialgesetzbuch – Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz – (SGB X). Spätestens mit dem Vorbringen in der Beschwerdeschrift hat die Antragsgegnerin klargestellt, wie sich die von ihr verlautbarten Umlagebeiträge errechnen (vgl § 41 Abs. 2 SGB X). Ob diese Begründung nach Auffassung der Antragstellerin nicht trägt, ist insoweit ohne Belang.
Nach § 354 Sozialgesetzbuch - Arbeitsförderung - (SGB III) werden die Mittel für die ergänzenden Leistungen nach § 175a SGB III einschließlich der Verwaltungskosten und der sonstigen Kosten, die mit der Gewährung dieser Leistungen zusammenhängen, in den durch Verordnung nach § 182 Abs. 3 SGB III bestimmten Wirtschaftszweigen durch Umlage aufgebracht. Nach § 1 Abs. 2 der auf dieser Ermächtigungsgrundlage basierenden Verordnung über die Betriebe des Baugewerbes, in denen die ganzjährige Beschäftigung zu fördern ist (Baubetriebe-VO), die auch nach dem Inkrafttreten des SGB III weiter gilt (vgl Art 82, 83 AFRG) und in der hier maßgeblichen Fassung der 3. Änderungsverordnung zur Änderung der Baubetriebe-VO vom 26. April 2006 (BGBl I 1085) anzuwenden ist, gehören zu den förderungsfähigen Betrieben, die gewerblich überwiegend Bauleistung erbringen, auch solche, die wie bei der Antragstellerin mit Arbeiten nach § 1 Abs. 2 Nrn. 1, 11, 19, 33 und 36 Baubetriebe-VO befasst sind. Dass im Betrieb der Antragstellerin überwiegend solche Arbeiten verrichtet werden, hat auch die Antragstellerin nicht bestritten.
Die Höhe der Umlage richtet sich nach monatlich nach einem Prozentsatz der Bruttoarbeitsentgelte der beschäftigten Arbeitnehmer, die ergänzende Leistungen nach § 175a SGB III erhalten können. Die Verwaltungskosten und die sonstigen Kosten können pauschaliert und für die einzelnen Wirtschaftszweige im Verhältnis der Anteile an den Ausgaben berücksichtigt werden (§ 355 SGB III). Einzelheiten zu Höhe, Tragung, Zahlung und Einziehung der Winterbeschäftigungsumlage sind in der Winterbeschäftigungs-Verordnung (WinterbeschV) geregelt.
Das Gericht hat danach bei der gebotenen summarischen Prüfung keine offensichtlichen rechtlichen Bedenken gegen die von der Antragsgegnerin erhobenen Umlagebeträge. Eine Vollziehung des Umlagebescheides hat für die Antragstellerin auch keine unbillige Härte zur Folge. Bei den in Rede stehenden Geschäftsführern der Antragstellerin, von denen die Antragsgegnerin lediglich 30 Personen in Ansatz gebracht hat, und die nach den nicht angegriffenen Feststellungen der Antragsgegnerin bei der durchgeführten Betriebsprüfung praktisch ausschließlich die von der Antragstellerin durchgeführten gewerblichen Leistungen im streitigen Veranlagungszeitraum erbracht haben, sprechen die derzeit möglichen Tatsachenfeststellungen mit überwiegender Wahrscheinlichkeit dafür, dass es sich um gewerbliche Arbeitnehmer iSv § 1 Abs. 1 WinterbeschV handelt. Die Antragstellerin hat mit den in Rede stehenden Personen, die jeweils mit einer Stammeinlage von 100,- € an der Gesellschaft beteiligt sind, jeweils „Anstellungsverträge“ geschlossen, die sowohl Urlaubsansprüche als auch ein festes monatliches Entgelt ausweisen. Die bestellten Geschäftsführer aus dem Kreis der genannten Anteilseigner dürfen die Gesellschaft nur gemeinsam mit der Geschäftsführerin Ines Zille vertreten, die ihrerseits im streitigen Veranlagungszeitraum Geschäftsanteile iHv insgesamt 22.600,- € hielt. Eine Sperrminorität kommt ihnen in der Gesellschafterversammlung nicht zu. Bei der Beurteilung, ob eine Eigenschaft als gewerblicher Arbeitnehmer vorliegt, kann im Übrigen nichts anderes gelten als bei der Beurteilung, ob eine abhängige Beschäftigung gegeben ist.
Beurteilungsmaßstab für das Vorliegen einer abhängigen Beschäftigung ist § 7 Abs. 1 Satz 1 Sozialgesetzbuch - Gemeinsame Vorschriften für die Sozialversicherung - (SGB IV). Danach ist Beschäftigung die nichtselbstständige Arbeit, insbesondere in einem Arbeitsverhältnis. Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) setzt eine Beschäftigung voraus, dass der Arbeitnehmer vom Arbeitgeber persönlich abhängig ist. Bei einer Beschäftigung in einem fremden Betrieb ist dies der Fall, wenn der Beschäftigte in den Betrieb eingegliedert ist und dabei einem Zeit, Dauer, Ort und Art der Ausführung umfassenden Weisungsrecht des Arbeitgebers unterliegt. Demgegenüber ist eine selbstständige Tätigkeit vornehmlich durch das eigene Unternehmerrisiko, das Vorhandensein einer eigenen Betriebsstätte, die Verfügungsmöglichkeit über die eigene Arbeitskraft und die im Wesentlichen frei gestaltete Tätigkeit und Arbeitszeit gekennzeichnet. Ob jemand abhängig beschäftigt oder selbstständig tätig ist, hängt davon ab, welche Merkmale überwiegen (zur Verfassungsmäßigkeit dieser Abgrenzung BVerfG, Kammerbeschluss vom 20. Mai 1996 - 1 BvR 21/96 = SozR 3-2400 § 7 Nr. 11). Maßgebend ist stets das Gesamtbild der Arbeitsleistung. Das Gesamtbild bestimmt sich nach den tatsächlichen Verhältnissen. Tatsächliche Verhältnisse in diesem Sinne sind die rechtlich relevanten Umstände, die im Einzelfall eine wertende Zuordnung zum Typus der abhängigen Beschäftigung erlauben. Ob eine „Beschäftigung“ vorliegt, ergibt sich aus dem Vertragsverhältnis der Beteiligten, so wie es im Rahmen des rechtlich Zulässigen tatsächlich vollzogen worden ist. Ausgangspunkt ist daher zunächst das Vertragsverhältnis der Beteiligten, so wie es sich aus den von ihnen getroffenen Vereinbarungen ergibt oder sich aus ihrer gelebten Beziehung erschließen lässt. Eine im Widerspruch zu ursprünglich getroffenen Vereinbarungen stehende tatsächliche Beziehung und die sich hieraus ergebende Schlussfolgerung auf die tatsächlich gewollte Natur der Rechtsbeziehung gehen der nur formellen Vereinbarung vor. Umgekehrt gilt, dass die Nichtausübung eines Rechts unbeachtlich ist, solange diese Rechtsposition nicht wirksam abbedungen ist. Zu den tatsächlichen Verhältnissen in diesem Sinne gehört daher unabhängig von ihrer Ausübung auch die einem Beteiligten zustehende Rechtsmacht (vgl BSG-Urteile vom 08. August 1990, 11 RAr 77/89 = SozR 3-2400 § 7 Nr. 4 und vom 08. Dezember 1994, 11 RAr 49/94 = SozR 3-4100 § 168 Nr. 18; vgl zum Ganzen auch BSG, Urteil vom 25. Januar 2006 - B 12 KR 30/04 R - juris). Auf dieser Grundlage ist auch zu beurteilen, ob ein Vertreter einer juristischen Person zu dieser gleichzeitig in einem Beschäftigungsverhältnis steht (so für GmbH-Geschäftsführer BSG aaO). Weist eine Tätigkeit Merkmale auf, die sowohl auf Abhängigkeit als auch auf Selbständigkeit hinweisen, so ist entscheidend, welche Merkmale überwiegen (vgl BSG, Urteil vom 23. Juni 1994 - 12 RK 72/92 - NJW 1994, 2974, 2975) und der Arbeitsleistung das Gepräge geben (vgl BSG, Beschluss vom 23. Februar 1995 - 12 BK 98/94 - ).
Nach diesen Grundsätzen ist auch zu beurteilen, ob der Gesellschafter-Geschäftsführer einer GmbH zu dieser in einem abhängigen Beschäftigungsverhältnis steht (BSG SozR 3-4100 § 168 Nr 5 und 18; BSG SozR 3-4100 § 141b Nr 17; BSG, Urteil vom 25. Januar 2006 - B 12 KR 30/04 R = ZIP 2006, 678; BSG, Urteil vom 24. Januar 2007 - B 12 KR 31/06 R, zur Veröffentlichung in SozR vorgesehen). Eine Abhängigkeit gegenüber der Gesellschaft ist nicht bereits – wie aber die Antragstellerin augenscheinlich meint – „zwingend“ durch die Stellung des Geschäftsführers als Gesellschafter ausgeschlossen. Beim am Stammkapital der Gesellschaft beteiligten Geschäftsführer sind der Umfang der Beteiligung und das Ausmaß des sich daraus für ihn ergebenen Einflusses auf die Gesellschaft ein wesentliches Merkmal. Bei Fremdgeschäftsführern, die nicht am Gesellschaftskapital beteiligt sind, hat das BSG dementsprechend regelmäßig eine abhängige Beschäftigung angenommen, soweit nicht besondere Umstände vorliegen, die eine Weisungsgebundenheit im Einzelfall ausnahmsweise aufheben (BSG SozR 3-2400 § 7 Nr 20; SozR 4-2400 § 7 Nr 1). Vergleichbares muss – wie sich aus der ständigen Rechtsprechung des BSG ergibt - (vgl BSG SozR 4-2400 § 7 Nr 1; vgl auch BSG, Urteil vom 14. Dezember 1999 - B 2 U 48/98 R - juris -mwN) - auch bei Geschäftsführern gelten, die zwar zugleich Gesellschafter sind, jedoch weder über die Mehrheit der Gesellschaftsanteile noch über eine so genannte Sperrminorität verfügen. Auch für diesen Personenkreis ist im Regelfall von einer abhängigen Beschäftigung auszugehen (vgl BSG SozR 4-2400 § 7 Nr 8 mwN). Eine hiervon abweichende Beurteilung kommt wiederum nur dann in Betracht, wenn besondere Umstände des Einzelfalls den Schluss zulassen, es liege keine Weisungsgebundenheit vor.
Derartig einzelfallbezogene Umstände sind indes nicht ersichtlich. Die in Rede stehenden Gesellschafter-Geschäftsführer waren rechtlich den von der Geschäftsführerin Zille ohne weiteres zu fällenden Mehrheitsbeschlüssen uneingeschränkt unterworfen und hatten keine eigenständig durchsetzbare rechtliche Gestaltungsmacht im Hinblick auf die Belange der Gesellschaft. Diese Rechtsmacht ist auch in den Anstellungsverträgen nicht abgedungen worden. Diese sehen im Übrigen ein festes monatliches Entgelt, eine sechswöchige Lohnfortzahlung im Krankheitsfall entsprechend den Regelungen des Entgeltfortzahlungsgesetzes, feste Urlaubsansprüche und eine feste wöchentliche Mindestarbeitszeit vor, was ebenfalls für eine abhängige Beschäftigung spricht. Dass die Verträge nicht als „Arbeitsverträge“, sondern als „Geschäftsführerverträge“ tituliert sind, ist ohne Belang.
Die Beitragsschätzung der Antragsgegnerin auf der Grundlage von § 5 Abs. 5 WinterbeschV iVm § 28 f Abs. 3 Satz 2 SGB IV ist nicht zu beanstanden. Die Antragstellerin hat es selbst in der Hand, durch Vorlage ausreichender Nachweise ggfs eine Berichtigung der Umlageforderung herbeizuführen. Säumniszuschläge hat die Antragsgegnerin nicht erhoben.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a Abs. 1 Satz 1 SGG iVm § 154 Abs. 1 Verwaltungsgerichtsordnung, die Streitwertfestsetzung für das Beschwerdeverfahren auf § 197a Abs. 1 Satz 1 SGG iVm §§ 47, 52 Abs. 3, 53 Abs. 2, 63 Abs. 2 Gerichtskostengesetz.
Dieser Beschluss kann nicht mit der Beschwerde an das Bundessozialgericht angefochten werden (§ 177 SGG).