Gericht | VG Cottbus 4. Kammer | Entscheidungsdatum | 02.08.2018 | |
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Aktenzeichen | VG 4 K 726/18.A | ECLI | ECLI:DE:VGCOTTB:2018:0802.4K726.18.00 | |
Dokumententyp | Beschluss | Verfahrensgang | - | |
Normen | § 71a AsylVfG 1992 |
Ist ein Asylbewerber nicht vorverfolgt, so besteht regelmäßig keine beachtliche Wahrscheinlichkeit, dass er in Pakistan erstmals einer Verfolgung wegen seiner Homosexualität ausgesetzt sein würde.
Die Klage wird abgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des gerichtskostenfreien Verfahrens.
Der Gerichtsbescheid ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar.
Der Kläger kann die Vollstreckung gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des aufgrund des Gerichtsbescheids vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.
Der Kläger ist nach eigenen Angaben pakistanischer Staatsangehöriger und am 01.01.1987 geboren. Er begehrt die Anerkennung als Asylberechtigter, Zuerkennung internationalen Schutzes und die Feststellung von Abschiebungsverboten.
Der Kläger reiste u.a. über Griechenland in die Bundesrepublik ein und stellte am 22.12.2017 einen Asylantrag.
In seiner Anhörung teilte er auf Nachfrage mit, er habe in Griechenland keinen Asylantrag gestellt. Dies müsse eine andere Person gewesen sein. Weiterhin teilte er zur Begründung seines Asylantrages mit, er sei homosexuell. Die Leute würden schlecht über ihn reden. Er sei nicht bedroht worden, die Leute würden ihn aber hassen. Er habe keine Zukunft in Pakistan gesehen.
Unter dem 09.02.2018 teilte das Ministerium für Migration der Hellenischen Republik mit, dass der Kläger am 09.03.2009 einen Asylantrag in Griechenland gestellt und dieser am 15.04.2009 abgelehnt wurde. Er habe hiergegen am 05.05.2009 einen Rechtsbehelf eingelegt, welcher aber am 27.11.2015 abgelehnt worden sei.
Mit Bescheid vom 26.02.2018 lehnte die Beklagte den Antrag des Klägers als unzulässig ab und lehnte die Feststellung von Abschiebungsverboten ab. Bezüglich der weiteren Begründung nimmt das Gericht Bezug auf den angefochtenen Bescheid, § 77 Abs. 2 des Asylgesetzes (AsylG).
Hiergegen hat der Kläger am 16.03.2018 Klage zum Verwaltungsgericht Frankfurt (Oder) erhoben.
Der Kläger beantragt,
unter Aufhebung des Bescheides des Bundesamtes vom 26.02.2018, (Gesch.-Zeichen: 7319690 – 461) die Beklagte zu verpflichten, ihm die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen,
hilfsweise, subsidiären Schutz zu gewähren,
hilfsweise, Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 des Aufenthaltsgesetzes festzustellen.
Die Beklagte beantragt schriftsätzlich,
die Klage abzuweisen.
Das Verwaltungsgericht Frankfurt (Oder) hat sich mit Beschluss vom 29.03.2018 (VG 4 K 729/18.A) für örtlich unzuständig erklärt und das Verfahren an das Verwaltungsgericht Cottbus verwiesen.
Für die weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakte sowie die beigezogenen Verwaltungsvorgänge verwiesen. Ferner hat das Gericht die Akte zum Eilverfahren gegen den angefochtenen Bescheid (VG 4 L 240/18.A) beigezogen.
Die Klage, über die das Gericht nach Anhörung der Beteiligten gemäß § 84 der Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) durch Gerichtsbescheid entscheidet, hat keinen Erfolg.
Die Klage ist bereits unzulässig, soweit mit ihr die Verpflichtung der Beklagten zur Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft, der Anerkennung als Asylberechtigter und der Gewährung von subsidiären Schutz begehrt wird. Die Ablehnung der Durchführung eines weiteren Asylverfahrens bei Folge- und Zweitanträgen, die nach aktueller Rechtslage als Unzulässigkeitsentscheidung gemäß § 29 Abs. 1 Nr. 5 des Asylgesetzes (AsylG) ergeht, ist nach der neueren Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (Urteil vom 14.12.2016 - 1 C 4.16 - juris) mit der Anfechtungsklage anzugreifen. Nur soweit es Abschiebungsverbote betrifft, besteht Raum für die hier (hilfsweise) erhobene Verpflichtungsklage.
Im Übrigen ist die Klage unbegründet.
Der angegriffene Bescheid ist nicht rechtswidrig und verletzt den Kläger dementsprechend auch nicht in seinen Rechten, § 113 Abs. 1 S. 1, Abs. 5 VwGO.
Zurecht hat die Beklagte den Antrag des Klägers gemäß § 71a Abs. 1, 29 Abs. 1 Nr. 5 AsylG als unzulässig abgelehnt.
Hiernach ist, wenn ein Ausländer nach erfolglosem Abschluss eines Asylverfahrens in einem sicheren Drittstaat (§ 26a), für den Rechtsvorschriften der Europäischen Gemeinschaft über die Zuständigkeit für die Durchführung von Asylverfahren gelten oder mit dem die Bundesrepublik Deutschland darüber einen völkerrechtlichen Vertrag geschlossen hat, im Bundesgebiet einen Asylantrag (Zweitantrag) stellt, ein weiteres Asylverfahren nur durchzuführen, wenn die Bundesrepublik Deutschland für die Durchführung des Asylverfahrens zuständig ist und die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 bis 3 des Verwaltungsverfahrensgesetzes (VwVfG) vorliegen. Wird dieses nicht durchgeführt, so ist der Asylantrag als unzulässig abzulehnen.
Aufgrund der Mitteilung der griechischen Behörden steht fest, dass der Asylantrag des Antragstellers in Griechenland abgelehnt und das hiergegen eingelegte Rechtsmittel erfolglos war. Damit ist das Asylverfahren erfolglos beendet. Gründe aus denen ein weiteres Verfahren durchzuführen wäre i.S.d. § 51 Abs. 1 VwVfG sind nicht ersichtlich und vom Antragsteller auch nicht vorgetragen. Vielmehr trägt er ausschließlich Gründe vor, die schon seine Ausreise aus Pakistan verursacht haben.
Anhaltspunkte für ein Abschiebungsverbot gemäß § 60 Abs. 5 oder 7 des Aufenthaltsgesetzes ergeben sich aus dem Vortrag des Antragstellers ebenfalls nicht. Insbesondere sind diese nicht damit dargetan, dass der Antragsteller vorträgt homosexuell zu sein. Denn nach seinem eigenen Vortrag ist ihm wegen dieser Homosexualität – obgleich diese in seinem Umfeld ein offenes Geheimnis war – in Pakistan nichts geschehen. Für eine erstmalige Verfolgung besteht auch keine beachtliche Wahrscheinlichkeit.
Für die Beurteilung der Frage, ob dem Ausländer in dem Land, in das er zurückkehrt, Verfolgung bzw. ein ernsthafter Schaden droht, ist nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte darauf abzustellen, ob für den Betroffenen die „reale“ bzw. ernsthafte“ Gefahr („real risk“) einer solchen Behandlung besteht (vgl. EGMR, Urteil vom 7. Juli 1989 – 1/1989/161/217 -, NJW 1990, 2183, 2185; Urteil vom 20. März 1991 – 46/1990/237/307 -, NJW 1991, 3079, 3080). Im nationalen Recht entspricht dies dem Prognosemaßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit (st. Rspr., vgl. BVerwG, Urteil vom 1. Juni 2011 - 10 C 25.10 -, juris Rn. 22; BVerwG, Beschluss vom 29. Juni 2009 – 10 B 60/08 u.a. -, juris Rn. 7; Beschluss vom 22. Juli 2010 - 10 B 20/10 -, juris Rn. 6).
Der Wahrscheinlichkeitsmaßstab setzt voraus, dass bei einer zusammenfassenden Würdigung des zur Prüfung gestellten Lebenssachverhalts die für eine Verfolgung sprechenden Umstände ein größeres Gewicht besitzen und deshalb gegenüber den dagegen sprechenden Tatsachen überwiegen. Dabei ist eine "qualifizierende" Betrachtungsweise im Sinne einer Gewichtung und Abwägung aller festgestellten Umstände und ihrer Bedeutung anzulegen. Es kommt darauf an, ob in Anbetracht dieser Umstände bei einem vernünftig denkenden, besonnenen Menschen in der Lage des Betroffenen Furcht vor Verfolgung hervorgerufen werden kann (vgl. Urteile vom 5. November 1991 - BVerwG 9 C 118.90 - BVerwGE 89, 162 <169 f.> und vom 1. Juni 2011 a.a.O. Rn. 24; BVerwG, Urteil vom 20. Februar 2013 – 10 C 23/12 –, BVerwGE 146, 67-89, Rn. 32).
Zwar sind homosexuelle Handlungen gem. § 377 des Pakistanischen Strafgesetzbuches als „gewollter unnatürlicher Geschlechtsverkehr“ verboten; für eine Verurteilung ist jedoch der Beweis des Geschlechtsaktes zwingend erforderlich. Das Strafmaß beträgt im Regelfall zwei bis zehn Jahre Freiheitsstrafe, in besonders schweren Fällen bis zu lebenslanger Freiheitsstrafe (vgl. Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom 20.10.2017, Stand: August 2017, S. 16).
Teilweise ist den Quellen hingegen zu entnehmen, dass homosexueller Geschlechtsverkehr als normal betrachtet bzw. weit verbreitet wäre und stillschweigend akzeptiert würde. Jeder wüsste, dass dieser stattfinden würde, aber niemand würde darüber reden (vgl. Landinfo, Pakistan: Homosexuals and Homosexuality (Mai 2013), S. 11). Dies sei in der restriktiven Handhabung von heterosexuellen Beziehungen außerhalb der Ehe begründet. So sei es – abhängig von der sozialen Stellung der Person – eher akzeptiert, dass Männer sich in einer Weise öffentlich auch physisch verhalten, die im Westen als homosexuelle Handlungen betrachtet würde (Händehalten, Umarmen, Flirten). Dies würde jedenfalls ermöglichen die eigene sexuelle Orientierung einfacher zu verbergen.
Demgegenüber stellen andere Quellen fest, dass ein sog. Outing gesellschaftlich inakzeptabel sei und zur Ausgrenzung durch die Gesellschaft und oft auch durch die Familie sowie zu entsprechender Strafverfolgung führe. Die betroffene Person ist dann häufig Einschüchterungen, Bedrohungen oder gewalttätigen Übergriffen ausgesetzt (vgl. nur Amnesty International, Auskunft an das VG Wiesbaden v. 2.10.2012, S. 1 f.).
Die Tatsache, dass homosexuelle Handlungen verboten und mit Haftstrafe bedroht sind, begründet für sich genommen aber noch keine beachtliche Wahrscheinlichkeit. Vielmehr ist wie bei jeder anderen Verfolgungshandlung auch Voraussetzung, dass dieses Verbot in der strafrechtlichen Praxis auch tatsächlich und mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit angewandt wird (vgl. EuGH, Urteil vom 07. November 2013 – C-199/12 bis C-201/12 –, juris; VG Cottbus, Urteil vom 07. November 2017 – 5 K 1230/17.A –, juris).
Daran gebricht es hier.
Dem Auswärtigen Amt sind keine Strafverfahren gegen männliche oder weibliche Homosexuelle, die Beziehungen auf einvernehmlicher Basis unterhalten, bekannt. Diese würden aber leicht Opfer von Erpressungen seitens der Polizeibehörden (vgl. Auswärtiges Amt, a.a.O.). Andere Erkenntnismittel legen dar, dass zwar durchaus Fälle homosexueller Handlungen zur Anklage kommen, dies aber nur selten bis sehr selten geschieht (vgl. etwa Home Office UK, Country Information and Guidance Pakistan: Sexual orientation and gender identity, April 2016, S. 5 und 9ff.). So ist etwa von 10 Fällen in der Provinz Punjab im Jahr 2011 die Rede. Darüber hinaus finden sich nur Darstellungen von Einzelfällen (vgl. zu solchen beispielsweise Schweizerische Flüchtlingshilfe, Pakistan: Situation von Homosexuellen, Juni 2015, S. 2ff.).
In Pakistan leben 208 Millionen Menschen, in der Provinz Punjab 110 Millionen Menschen. Nach allgemeiner statistischer Erfahrung sind etwa 5-10% der Bevölkerung homo- oder bisexuell. Demnach kann für Pakistan insgesamt von etwa 10-20 Millionen und in der Provinz Punjab von etwa 5-11 Millionen homo- oder bisexuellen Menschen ausgegangen werden. In Anbetracht dessen ist eine Zahl von 10 Anklagen im Jahr verschwindend gering, ohne dass es darauf ankommt, ab welchem Verhältnis von Anklagen zur Zahl der Mitglieder der sozialen Gruppe eine beachtliche Wahrscheinlichkeit anzunehmen ist, zumal eine Anklage noch nicht bedeutet, dass auch eine - sowohl flüchtlingsrechtlich als auch (erst Recht) unter dem Gesichtspunkt von Abschiebungsverboten allein relevante – Freiheitsstrafe verhängt wurde. Selbst wenn man die Zahl homo- und bisexueller Menschen deutlich niedriger ansetzen würde, würde sich nichts Gegenteiliges ergeben (vgl. zu diesem Ansatz zur Gefahrendichte in Bezug auf Homosexualität in Gambia: Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg, Urteil vom 26. Oktober 2016 – A 9 S 908/13 –, juris, Rn. 50).
Dass keine beachtliche Wahrscheinlichkeit einer Strafverfolgung oder privater Übergriffe besteht, wird bezüglich des Antragstellers zudem auch durch die Tatsache gestützt, dass er nach seinem eigenen Vortrag nachdem seine Eltern von seiner Homosexualität erfahren haben, noch zehn Jahre unbehelligt in Pakistan leben konnte, obwohl selbst Teile seiner Umgebung (Nachbarn etc.) von seiner Homosexualität wussten und er Geschlechtsverkehr mit männlichen Prostituierten ausgeübt hat.
Das Gericht sieht von einer weiteren Begründung ab und nimmt Bezug auf die zutreffenden Feststellungen im angefochtenen Bescheid und macht sich diese zu eigen, § 77 Abs. 2 AsylG.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Das Verfahren ist gemäß § 83b AsylG gerichtskostenfrei. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus § 167 VwGO i.V.m. § 708 Nr. 11, § 711 der Zivilprozessordnung.