Gericht | LSG Berlin-Brandenburg 22. Senat | Entscheidungsdatum | 07.07.2011 | |
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Aktenzeichen | L 22 R 1181/10 | ECLI | ||
Dokumententyp | Urteil | Verfahrensgang | - | |
Normen | § 40 SGB 10 |
Die Klage gegen den Widerspruchsbescheid vom 03. September 2009 wird abgewiesen.
Die Klage auf Feststellung der Nichtigkeit wird abgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind auch nicht für das Verfahren vor dem Landessozialgericht zu erstatten.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Die Klägerin wendet sich gegen eine Entscheidung, mit der ihr eine Dauerrente wegen voller Erwerbsminderung bewilligt wurde.
Die 1951 geborene Klägerin war seit dem 01. Oktober 1991 als Sachbearbeiterin in der Leistungsabteilung bei der Beklagten beschäftigt. Ab dem 24. Februar 2006 war sie nach dem Befundbericht ihrer behandelnden Ärztin, der Fachärztin für Neurologie und Psychiatrie vom 08. Juni 2006 mit der Diagnose „paranoide Störung mit aktuell ängstlich-depressivem Syndrom, dd. bipolare affektiver Störung“ arbeitsunfähig erkrankt.
Auf ihren Antrag auf Leistungen zur Rehabilitation erfolgte ein stationärer Aufenthalt in der Behandlungsstätte in Ü vom 23. August 2005 bis 20. September 2005, wo eine „Anpassungsstörung mit Depression bei Arbeitsplatzkonflikt“ diagnostiziert wurde.
Eine stufenweise Wiedereingliederung gelang nicht. Mit dem am 19. Dezember 2006 von der Klägerin unterzeichneten Formblatt beantragte die Klägerin Rente wegen Erwerbsminderung. Zur Begründung ihres Rentenantrages gab sie laufende Depressionen seit dem 06. Dezember 2004 an. Sie könne nach eigener Auffassung nur noch unter 3 Stunden täglich arbeiten. Ärztliche Untersuchungen seien durch den Personalärztlichen Dienst ihres Arbeitgebers erfolgt. Die ärztliche Behandlung werde von der Fachärztin für Neurologie und Psychiatrie Dr. seit 06. Dezember 2004 durchgeführt.
Die Beklagte holte vom Personärztlichen Dienst medizinische Unterlagen ein. Darüber hinaus wurde aus der über die Klägerin geführten Reha-Akte u. a. ein ärztlicher Befund von Dr. med. G (vom 30. Mai 2005) sowie der ärztliche Entlassungsbericht der Reha-Klinik B vom 22. September 2005 beigezogen. In den „Bemerkungen“ in der personalärztlichen Datenbank ist unter dem 11. Dezember 2006 als telefonische Angabe der Klägerin festgehalten, dass die Psychiaterin die Wiedereingliederung abgebrochen und zum Rentenantrag geraten habe.
Die Beklagte zog bei einen ärztlichen Befundbericht von Dr. med.vom 21. Februar 2007, in dem eine bipolare affektive Störung mit schweren depressiven Episoden mit psychotischen Symptomen diagnostiziert und von einer Ersterkrankung 1994/1995 und erneuten depressiven Episoden 1997/1998/2000 berichtet wird. Die Ärztin bejahte eine Befundänderung in den letzten 12 Monaten bei leichter Stabilisierung unter Medikamentation und „Herausnehmen des Berufslebens“. Die Frage, ob eine Besserung der Leistungsfähigkeit möglich sei, verneinte sie. Wiederholte Arbeitsversuche hätten zur Exacerbation der psychopathologischen Symptomatik geführt.
Die Klägerin übersandte mit Schreiben vom 26. Februar 2007 „in Ergänzung ihres Rentenantrages“ eine Kopie eines Schreibens vom 01. März 2006 des Dezernatmanagers, wonach dem Team 8.2. eine Zusammenarbeit mit der Klägerin nicht mehr zuzumuten sei mit seiner Bitte, über die Zukunft der Klägerin neu nachzudenken. Beklagte holte die Stellungnahme der Beratenden Ärztin der Beklagten Frau Dr. K vom 07. März 2007 ein und bewilligte mit Bescheid vom 08. März 2007 der Klägerin nach einem Versicherungsfall vom 24. Februar 2006 Rente wegen voller Erwerbsminderung für die Zeit ab 01. Dezember 2006, längstens bis zur Vollendung des 65. Lebensjahres mit einem monatlichen Nettozahlbetrag von 1 030,20 €. Dabei ist der Berechnung ein verminderter Zugangsfaktor von 0,892 (anstatt 1,000) zugrunde gelegt worden.
Hiergegen erhob die Klägerin mit dem am 26. März 2007 bei der Beklagten eingegangenen Schreiben Widerspruch. Der Rentenbescheid sehe eine Verminderung des Zugangsfaktors vor. Im Hinblick auf das Urteil des Bundessozialgerichts (BSG) vom 16. Mai 2006 (B 4 RA 22/05) lege sie Widerspruch ein. Eine Verminderung des Zugangsfaktors sei nach diesem Urteil des BSG bei Bezug einer Erwerbsminderungsrente vor Vollendung des 60. Lebensjahres rechts- und verfassungswidrig.
Die Beklagte schlug der Klägerin vor, über ihren Widerspruch so lange nicht zu entscheiden, bis über weitere Musterprozesse zur Verfassungsmäßigkeit des § 77 SGB VI abschließend entschieden worden sei und erließ zunächst keinen Widerspruchsbescheid. Im Juni 2007 bat die Klägerin um Erteilung eines Rentenbescheides zur Rentenanpassung ab 01. Juli 2007. Sie beantragte insbesondere 2007 die Neufeststellung der Erwerbsminderungsrente unter Berücksichtigung der für ihre Beschäftigung im VEB Werkzeugmaschinenkombinat „7. Oktober“ Berlin gezahlten Jahresendprämien. Darüber hinaus machte sie im Januar 2008 nach Zusendung eines Versicherungsverlaufs vom 18. Dezember 2007 geltend, dass verschiedene DEÜV-Meldungen ihrer Krankenkasse und der Agentur für Arbeit Lichtenberg der Jahre 2006 und 2007 nunmehr fehlen würden (vom 09. Januar 2008).
Die Verwaltungsakten der Beklagten enthalten Vermerke, wonach es im Widerspruchsverfahren telefonisch und schriftlich zu Auseinandersetzungen zwischen der Klägerin und der Beklagten zum Umfang des Rechts der Klägerin auf Akteneinsicht und zu einem Hausverbot für die Klägerin betreffend die Dienststellen der Beklagten in Berlin gekommen ist.
Die Klägerin beantragte mit Schreiben vom 07. Juli 2008 Überprüfung ihres Rentenbescheides vom 08. März 2007. Sie habe am 14. Dezember 2004 wegen der fortgesetzten systematischen Anfeindung, Schikanen und Diskriminierungen durch die Personalabteilung sowie Vorgesetzte und Teamkollegen der Dezernate 4910 und 4929 auf Anraten ihrer Ärzte einen Rentenantrag gestellt. Infolge der psychosozialen Misshandlungen gegen ihre Person sei ihr Beschäftigungsverhältnis aufgrund der Gewährung der Erwerbsminderungsrente zum 31. März 2007 mobbingbedingt beendet worden. Durch die vorsätzliche Verletzung ihrer Gesundheit durch Mitarbeiter der Beklagten sei durch die Verminderung des Zugangsfaktors eine Kürzung ihrer Rente eingetreten, die sie nicht akzeptiere. Diese Kürzung sei rechtswidrig, weil die Ursache für den Eintritt der Erwerbsunfähigkeit die Verletzung der Mobbingschutzpflicht des Dienstherrn gewesen sei. Sie beantrage deshalb die Neuberechnung ihrer Erwerbsminderungsrente ohne Verminderung des Zugangsfaktors.
Das Angebot der Beklagten mit Schreiben vom 14. August 2008, in ihrer Auskunfts- und Beratungsstelle Berlin-Mitte Akteneinsicht zu nehmen, nahm die Klägerin nicht an. Sie teilte hierzu mit, sie nehme bis auf weiteres keine Akteneinsicht mehr in der Deutschen Rentenversicherung Bund bei ihrem Arbeitgeber vor, bevor nicht das Hausverbot, das auf Verleumdungen basiere, aufgehoben werde.
Mit Schreiben vom 06. Januar 2009 teilte die Beklagte der Klägerin mit, dass die von ihr erbetene Ergänzung/Korrektur ihres Versicherungskontos bezüglich der DEÜV-Meldung ihrer Krankenkasse und der Agentur für Arbeit Lichtenberg erfolgt sei, was dem aktuellen Versicherungsverlauf zu entnehmen sei. Die Urlaubsentgelte für 2005 und 2006 seien nach abschließender Klärung des Sachverhalts und Rücksprache mit dem Personalreferat korrekt gespeichert.
Mit Schreiben vom 23. Januar 2009 übersandte die Beklagte der Klägerin eine Kopie der für diese bestehenden Rentenakte unter Hinweis darauf, dass die Rentenakte Unterlagen enthalte, für die erhebliche Gründe für eine Zurückhaltung im Sinne von § 25 Abs. 3 SGB X bestünden, diese seien daher von einer Akteneinsicht ausgeschlossen.
Am 02. März 2009 beantragte die Klägerin die Zuordnung ihres Entgelts in Höhe von 5.002,00 € (brutto) in das Jahr 2006 anstatt 4 247,00 €.
Im Juli 2009 wurde verwaltungsintern das Justiziariat der Beklagten als zentraler Ansprechpartner für die Klägerin bestimmt.
Der Klägerin wurde mit Schreiben vom 26. August 2009 mitgeteilt, dass Kopien der zu ihrer Person im Haus der Beklagten vorhandenen Akten übersendet würden. Die Einsichtnahme in die medizinischen Unterlagen, die sich in der Rentenakte befinden, dürfe aus therapeutischen Gründen nicht gewährt werden. Aus ihrer personalärztlichen Akte habe die Klägerin im verschlossenen Umschlag objektive Untersuchungsbefunde erhalten, soweit diese nicht Bestandteil der Personal- oder Rentenakte gewesen seien. Weitere „Sachakten“ existierten nicht. Sämtliche Anliegen seien von der Klägerin sofort nur noch schriftlich gegenüber dem Justitiariat geltend zu machen.
Am 27. August 2009 teilte die Beklagte der Klägerin mit, der Widerspruch sei zur Entscheidung an die Widerspruchsstelle der Deutschen Rentenversicherung Bund abgegeben worden.
Mit einem am 01. September 2009 bei der Beklagten eingegangen Schreiben stellte die Klägerin dar, dass sie durch „management by mobbing“ die Kürzung ihrer Rente hinnehmen müsse und bat darum, diese Stellungnahme zu den Rentenakten zu nehmen, bevor der Widerspruchsausschuss über ihren Widerspruch entscheide. Ihr sei bekannt, dass dem Ausschuss am 03. September 2009 ihr Widerspruch vom 26. März 2007 vorgelegt werden solle. Zu beachten sei, dass in ihrer Rentenakte 101 Seiten fehlten, die auf Weisung der Geschäftsführung rechtswidrig entnommen worden seien und in die ihr Einsicht verweigert worden sei. Diese 101 Seiten seien Beweis für die Altersdiskriminierung, Psychiatrisierung und Falschbeurkundung. Die Rentenantragstellung stehe unmittelbar im Zusammenhang mit der psychosozialen Gewalt, der sie in der Zeit vom 01. Dezember 2003 bis 31. März 2007 ausgesetzt gewesen sei, so dass sie arbeitsbedingt arbeitsunfähig geworden sei und eine gekürzte Erwerbsminderungsrente beziehen müsse.
In der Verhandlungsniederschrift des Widerspruchsausschusses vom 03. September 2009 ist vermerkt, dass die vollständige Rentenakte zur Sitzung vorgelegen habe und entsprechend ausgewertet worden sei. Dem Justitiariat sei eine Kopie von Blatt 349 bis 355 mit der Bitte um Prüfung/Kenntnisnahme zu übersenden (Schadensersatzansprüche).
Mit Widerspruchsbescheid vom 03. September 2009 wurde der Widerspruch der Klägerin zurückgewiesen. Die Rente der Klägerin wegen verminderter Erwerbsfähigkeit sei zu Recht unter Anwendung eines verringerten Zugangsfaktors gekürzt worden.
Hiergegen hat die Klägerin am 29. September 2009 Klage beim Sozialgericht Berlin (SG) erhoben mit dem Antrag, den Bescheid vom 08. März 2007 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 03. September 2009 abzuändern und die Beklagte zu verurteilen, (ihr) Rente wegen voller Erwerbsminderung abschlagsfrei zu bewilligen.
Mit Schriftsatz vom 08. März 2010 trug sie vor, sie klage vor dem SG Berlin gegen den Rentenbescheid, weil sie nie voll erwerbsgemindert gewesen sei, sondern immer voll erwerbsfähig. Das wisse die Beklagte, denn sie sei ein Opfer der Unternehmensstrategie „mangagement by mobbing“, mit der Arbeitsplätze abgebaut würden, d. h. auch mit Psychiatrisierung. Sie sei systematisch psychiatrisiert und die Zwangsberentung sei initiiert worden durch Personalärztinnen und anderen Beschäftigten der Beklagten.
Am 28. April 2010 erklärte die Klägerin, sie wolle ihre Klage erweitern:
Der Rentenbescheid vom 08.03.2007 wegen mittelbarer Falschbeurkundung solle aufgehoben werden, weil sie von den Personalärztinnen der Deutschen Rentenversicherung Bund Frau Dr. C Z und Frau Dr. B S, den Leitenden Betriebsarzt, Herr Dr. A F und die Leitende Beratungsärztin Frau Dr. U K aufgrund einer fiktiven Diagnose auf Dauer zwangsberentet worden sei. Sie beantrage festzustellen, dass sie erwerbsfähig sei. Sie halte sich nicht für erwerbsunfähig, da sie zwangsberentet wurde.
Mit Schriftsatz vom 11. August 2010 erklärte die Klägerin:
Hiermit nehme ich meine Klageänderung vom 28.04.2010 in jeder Hinsicht zurück, weil ich auf Dauer erwerbsunfähig bin, denn ich bin zu Unrecht von einer fiktiven Diagnose ausgegangen. Ich erhalte nur noch die Klage vom 29.09.2009 aufrecht.
Mit Schriftsatz vom 11. November 2010 trug sie vor, ihre Klage beziehe sich darauf, die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 08. März 2007 zu verpflichten, den dynamisierten Geldwert ihres Rechts auf Rente wegen Erwerbsminderung für Bezugszeiten ab 01. Dezember 2006 ohne Anwendung eines Zugangsfaktors kleiner eins festzusetzen und zur Zahlung entsprechend höherer Geldbeträge zu verurteilen. Sie sei betroffen von Altersdiskriminierung und Psychiatrisierung durch ihren Arbeitgeber, die Beklagte; denn ihr Arbeitsplatz sei auf der Grundlage einer manipulierten Diagnose des Personalärztlichen und Beratungsärztlichen Dienstes der Beklagten ohne Gutachten auf Weisung des Arbeitgebers abgebaut worden. Der Arbeitgeber trage damit die Verantwortung für den Eintritt der Erwerbsminderung. Bereits vor der Antragstellung im Dezember 2006 habe nach 78 Wochen Arbeitsunfähigkeit die manipulierte “Diagnose“ für den Rentenbescheid vom 08. März 2007 festgestanden, um ihren Arbeitsplatz auf der Grundlage des Erwerbsminderungs-Reformgesetzes zugunsten ihres Arbeitgebers und zu Lasten der Versichertengemeinschaft abbauen zu können, so dass sie zwangsweise einen Rentenabschlag in Höhe von 10,8 % in Kauf habe nehmen müssen. Ihr Rentenantrag sei gesetz- und verfassungswidrig (Verstoß gegen Art. 1 und 2 Grundgesetz, Verletzung der Gesundheit, Würde und Ehre auf Weisung des Arbeitgebers) bearbeitet worden. Die eingetretene Erwerbsminderung habe ihr Arbeitgeber zu verantworten, der ein feindliches Arbeitsumfeld geschaffen habe, in dem die Erhaltung der psycho-sozialen Gesundheit nicht gegeben gewesen sei, so dass sie in drei Jahren 78 Wochen arbeitsunfähig erkrankt sei und von der Krankenkasse ausgesteuert worden sei; deshalb habe sie einen Rentenantrag stellen müssen. Die Beklagte habe ihr 123 Seiten aus ihrer Rentenakte vorenthalten.
Die Klägerin hat mitgeteilt, dass sie am 01. Dezember 2009 auch Klage wegen unerlaubter Handlung (Mobbing) beim Arbeitsgericht Berlin gegen ihren ehemaligen Arbeitgeber/die Beklagte erhoben habe.
Die Klägerin hat erstinstanzlich beantragt,
den Bescheid der Beklagten vom 08. März 2007 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 03. September 2009 abzuändern und die Beklagte zu verurteilen, die Rente wegen voller Erwerbsminderung abschlagsfrei zu bewilligen.
Die Beklagte hat erstinstanzlich beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie hat vorgetragen, sie könne dem Begehren der Klägerin auf Einsicht in die vollständige Rentenakte weiterhin nicht entsprechen, da nach aktueller ärztlicher Stellungnahme ihres Bereichs Sozialmedizin bei der Einsicht in die vollständige Rentenakte weiter davon ausgegangen werden müsse, dass es zu einer Verschlimmerung der Symptomatik bei der Klägerin komme. Darüber hinaus sei die Einsicht in die vollständige Rentenakte auch unter fremd gefährdenden Aspekten, d. h. dem Schutz der Mitarbeiter im Hause, nicht zu befürworten. Bezüglich der geltend gemachten Verfassungswidrigkeit des § 77 SGB VI hat die Beklagte darauf hingewiesen, dass gegen eine Entscheidung des 5. Senats des BSG, die der Auffassung des 4. Senat widersprochen habe, Verfassungsbeschwerde eingelegt worden sei, die beim Bundesverfassungsgericht (BVerfG) unter dem Az. 1 BvR 3588/08 geführt werde.
Das SG hat durch Gerichtsbescheid vom 16. November 2010 die Klage abgewiesen. In den Entscheidungsgründen hat das SG das Urteil des BSG vom 14. August 2008, B 5 R 32/07 R zitiert, wonach die Klägerin keinen Anspruch auf abschlagsfreie Rente wegen voller Erwerbsminderung habe und der Bescheid der Beklagten rechtmäßig sei. Soweit die Klägerin in ihrem Vortrag darauf abstelle, von ihrem Arbeitgeber in Rente gedrängt worden zu sein, ergäben sich daraus für die entscheidende Rechtsfrage der Anwendung von § 77 SGB VI keine rechtlich verwertbaren Aspekte, da die Vorschrift nicht auf die für die Antragstellung maßgeblichen Ursachen und Motive abstelle.
Gegen den ihr am 19. November 2010 zugestellten Gerichtsbescheid hat die Klägerin am 16. Dezember 2010 Berufung beim Landessozialgericht Berlin-Brandenburg eingelegt.
Zur Begründung hat die Klägerin zunächst vorgetragen, dass der Widerspruchsbescheid der Beklagten aufzuheben sei, da er rechtswidrig zustande gekommen sei. Es habe in keiner Hinsicht eine Überprüfung ihres Widerspruchs stattgefunden. Ihr Schreiben vom 31. August 2009 (Eingang 01. September 2009 bei der Beklagten), bei dem es sich keineswegs, wie von der Beklagten angenommen, um die Geltendmachung weiterer Schadensersatzansprüche gehandelt habe, sei nicht gewürdigt worden. Dem Widerspruchsausschuss hätten auch nicht alle Rentenakten (3 Bände) vorgelegen. Der Widerspruchsausschuss hätte auch erkennen müssen, dass der Arbeitgeber Deutsche Rentenversicherung Bund mit dem Rentenversicherungsträger Deutsche Rentenversicherung Bund im Verein durch die Gewährung der Dauerrente wegen voller Erwerbsminderungsrente ihr Beschäftigungsverhältnis am 31. März 2007 rechtswidrig beendet habe. Bei dem Rentenbescheid vom 08. März 2007 habe es sich um eine manipulierte Erwerbsminderungsrente zum Abbau ihres Arbeitsplatzes, d. h. um einen Rentenleistungsbetrug auf der Grundlage von Psychiatrisierung durch die Personalärztinnen des Personalärztlichen Dienstes, gehandelt.
Darüber hinaus hat die Klägerin vorgetragen, dass zwischenzeitlich festgestellt worden sei, dass die Beklagte für den Zeitraum vom 01. November 1991 bis 30. September 1992 Beiträge nach dem Bundesgebiet West und nicht nach dem Bundesgebiet Ost entrichtet habe.
Die Klägerin hat mehrfach uneingeschränkt Akteneinsicht genommen im Berufungsverfahren, wobei ihr auch die personalärztlichen Unterlagen, soweit sie sich in der Rentenversicherungsakte der Beklagten befinden, zur Verfügung gestellt worden sind. Mit Schriftsatz vom 25. Mai 2011 hat sie erklärt, dass sie „das Schreiben vom 11. August 2010 – Rücknahme der Klageänderung vom 28. April 2010 in jeder Hinsicht“ zurücknehme und dass die Klageänderung damit Bestandteil ihrer Klage vom 29. September 2009 bleibe.
Mit Schriftsatz vom 05. Juli 2011 beantragte die Klägerin, dass die Gerichtsakte des Arbeitsgerichts Berlin, die Ermittlungsakten der Amts- und Staatsanwaltschaft Berlin, die Verwaltungsakten des Bundesversicherungsamtes Bonn, die Verwaltungsakten des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales und die gesamten personenbezogenen Akten der Deutschen Rentenversicherung Bund Bestandteil des Sozialgerichtsverfahrens vor dem Landessozialgericht Berlin-Brandenburg werden.
In der Verhandlung vom 07. Juli 2011 beantragte die Klägerin,
dass das Landessozialgericht Berlin-Brandenburg den Widerspruchsbescheid vom 03.09.2009 aufhebt und zurück an den Widerspruchsausschuss verweist und das Gerichtsverfahren gemäß § 114 Abs.2 SGG aussetzt und dass der Widerspruchsausschuss Nr. 25 die Sach- und Rechtslage des Rentenbescheides vom 08.03.2007 und den Widerspruch vom 21.03.2007 einschl. den Ergänzungen vom 31.08.2009 und Überprüfungsantrag vom 07.07.2008 i. V. m. § 33 Abs. 2 TVöD Bund erneut überprüft.
Hilfsweise für den Fall, dass das Verfahren nicht ausgesetzt wird, beantragte die Klägerin,
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Berlin vom 16. November 2010 aufzuheben und festzustellen, dass der Bescheid der Beklagten vom 08. März 2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 03. September 2009 sowie der Bescheid vom 16. November 2010 nichtig und sittenwidrig sind.
Sie erklärte des Weiteren:
Ich beantrage nicht mehr:
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Berlin vom 16. November 2010 sowie den Bescheid der Beklagten vom 08. März 2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 03. September 2009 sowie den Bescheid vom 16. November 2010 zu ändern und die Beklagte zu verurteilen, mir Rente wegen voller Erwerbsminderung ohne Kürzung wegen vorzeitiger Inanspruchnahme nach § 77 Sechstes Buch Sozialgesetzbuch zu gewähren.
Diesen Klageantrag nehme ich zurück.
Die Vertreterin der Beklagten erklärte:
Ich meine, dass die heute gestellten Anträge nicht Klagegegenstand sind und beantrage, sie abzulehnen.
Die Beklagte hält die erstinstanzliche Entscheidung für zutreffend.
Während des Berufungsverfahren hat die Beklagte am 16. November 2010 einen Bescheid erlassen, in dem ein laufender monatlichen Zahlbetrag der Rente in Höhe von 1 072,65 € für die Zeit ab 01. Dezember 2006 verfügt ist. Darin wurde die Beitragszeit vom 01. November 1991 bis 30. Juni 1992 als „Zeit im Beitrittsgebiet“ neu festgestellt.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten im Übrigen wird Bezug genommen auf die Verwaltungsakten der Beklagten (2 Bände, Az: ) und den der Gerichtsakten, die in der mündlichen Verhandlung vorlagen.
Der Rechtsstreit ist erledigt, soweit die Klägerin den Klageantrag vom 29. September 2009 zurückgenommen hat, § 102 Abs. 2 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG). Auf die Berufung hatte der Senat darüber nicht mehr zu entscheiden.
Auch über den Antrag, den Bescheid vom 08. März 2007 aufzuheben und festzustellen, dass die Klägerin erwerbsfähig sei, hatte der Senat nicht mehr zu entscheiden. Diesen Antrag hat die Klägerin ebenfalls in der mündlichen Verhandlung vom 07. Juli 2011 nicht weiter verfolgt. Zudem hat die Klägerin diesen am 28. April 2010 erstmals gestellten Antrag bereits am 11. August 2010 wirksam zurückgenommen, so dass schon aus diesem Grund die im Berufungsverfahren erneute Stellung dieses Antrags mit Schriftsatz vom 25. Mai 2011 nicht zulässig war.
Im Verfahren vor dem Landessozialgericht ist am 07. Juli 2011 über den isolierten Antrag der Klägerin auf Aufhebung des Widerspruchsbescheides vom 03. September 2009 und auf Zurückverweisung an den Widerspruchsausschuss zu entscheiden sowie über den Antrag auf Feststellung der Nichtigkeit.
Die Klageänderungen sind sachdienlich gemäß § 99 Abs. 1 SGG, da sie das eigentliche Anliegen der Klägerin zum Ausdruck bringen und die Entscheidung hierüber zumindest Rechtsklarheit zwischen den Beteiligten schafft.
Die Klage auf Aufhebung des Widerspruchsbescheides vom 03. September 2009 ist zwar zulässig, das Gericht ist befugt, über den Widerspruchsbescheid eine isolierte Entscheidung – unabhängig vom Schicksal des Ausgangsbescheides vom 08. März 2007 – zu treffen. Für den Fall, dass der Widerspruchsbescheid gegenüber dem Ausgangsbescheid eine zusätzliche Beschwer enthält, ist das Gericht befugt, über den Widerspruchsbescheid eine isolierte Entscheidung zu treffen (Urteil des Bundessozialgerichts (BSG) vom 15. August 1996 – 9 RV 10/95, nach juris). Diese Voraussetzung liegt vor. Denn die Klägerin macht gegenüber dem Ausgangsbescheid eine zusätzliche Beschwer geltend mit dem Vortrag, ihr Vorbringen sei vom Widerspruchsausschuss nicht (hinreichend) geprüft worden.
Allerdings ist die Anfechtungsklage nicht begründet.
Schon der Vortrag der Klägerin, der Widerspruchsausschuss habe keine Überprüfung der Rechtmäßigkeit vorgenommen, wird durch die Aktenlage im Tatsächlichen nicht gestützt. Es gibt keine Tatsachen, die die Auffassung der Klägerin rechtfertigen. Insbesondere der Vortrag der Klägerin, ihr Schreiben vom 31. August 2009 sei vom Widerspruchsausschuss nicht hinreichend gewürdigt worden, er habe ihm gar nicht vorgelegen, steht nicht in Übereinstimmung mit der Aktenlage.
Gemäß Vermerk vom 02. September 2009 wurden die „eingegangenen Unterlagen Bl. 349 – 355“ kopiert und dem Ausschuss zur Kenntnisnahme vor Beginn der Sitzung vorgelegt. Das Schreiben der Klägerin vom 31. August 2009 findet sich auf Bl. 351ff VA.
Nach der Verhandlungsniederschrift zur Sitzung vom 03. September 2009 lag dem Ausschuss die vollständige Rentenakte zur Sitzung vor und wurde ausgewertet. Dass auch Bl. 349 – 355 vorlagen, ergibt sich bereits daraus, dass in der Niederschrift vermerkt wurde, dass dem Justitiariat eine Kopie dieser Seiten zur Prüfung / Kenntnisnahme zu übersenden sei. Soweit in Klammern steht „(Schadensersatzansprüche)“, schlussfolgert die Klägerin, der Widerspruchsausschuss wäre nicht zu der Feststellung gekommen, dass es sich um Schadensersatzansprüche handelt, wenn die Auswertung der Rentenakte stattgefunden und ihr Schreiben vom 31. August 2009 vollumfänglich ausgewertet worden wäre.
Die Klägerin unterliegt insoweit einem Irrtum. Ihr Vortrag, so im Schreiben vom 03. August 2009, wonach durch vorsätzliche Verletzung ihrer Gesundheit „management by mobbing“ der Deutschen Rentenversicherung Bund und des Dezernatsmanagements mit dem Zugangsfaktor eine Kürzung ihrer Erwerbsminderungsrente eingetreten sei, kann lediglich Gegenstand der Prüfung eines Schadensersatzanspruchs sein. Ihre Rechtsaufassung, die Kürzung ihrer Erwerbsminderungsrente sei rechts- und verfassungswidrig, weil die Ursache für die Erwerbsunfähigkeit die Verletzung der Fürsorgepflicht – Mobbingschutz des Dienstherrn sei, ist unzutreffend. Dieser Vortrag ist rechtlich unbeachtlich im Rahmen der Anwendung der rentenrechtlichen Vorschriften, so auch des § 77 SGB VI.
Ob andere Verfahrens- und Formfehler erfolgt sind, kann dahinstehen. Denn selbst ein Zustandekommen des Widerspruchsbescheides unter Verletzung von Vorschriften über das Verfahren, die Form oder die örtliche Zuständigkeit könnte die Aufhebung des Widerspruchsbescheides nicht begründen.
Die Aufhebung eines Verwaltungsaktes, der nicht nach § 40 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch – Verwaltungsverfahren (SGB X) nichtig ist, kann nicht allein deshalb beansprucht werden, weil er unter Verletzung von Vorschriften über das Verfahren, die Form oder die örtliche Zuständigkeit zu Stande gekommen ist, wenn offensichtlich ist, dass die Verletzung die Entscheidung in der Sache nicht beeinflusst hat. Satz 1 gilt nicht, wenn die erforderliche Anhörung unterblieben oder nicht wirksam nachgeholt ist, § 42 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch – Verwaltungsverfahren (SGB X).
Die Voraussetzungen dieser Vorschrift liegen vor:
A) Ein Fall des § 42 Satz 2 SGB X liegt nicht vor, weder ist die erforderliche Anhörung unterblieben, noch nicht wirksam nachgeholt worden.
B) Der Verwaltungsakt ist nicht nach § 40 SGB X nichtig .
Zu A)
Die Beklagte hat bei Erlass der Bescheide vom 08. März 2007 und 03. September 2009 den Grundsatz des rechtlichen Gehörs (§ 24 SGB X) nicht verletzt. Die Vorschrift erfasst Verwaltungsakte, die in die Rechte eines Beteiligten eingreifen. Nicht anhörungspflichtig sind Verwaltungsakte, die über Bestehen und Umfang eines vom Antragsteller lediglich behaupteten Rechts entscheiden, insbesondere einen erhobenen Zahlungsanspruch nach Grund und Höhe feststellen (v.Wulffen, SGB X, 7. Auflage, § 24 Rdz 3). Die Vorschrift ist als Ausnahmevorschrift eng auszulegen und ist daher nicht auf eine unterlassene Akteneinsicht nach § 25 SGB X anzuwenden (Schütze in von Wulffen aaO, § 42 Rdz 10). Von daher kann hier dahinstehen, ob die Beklagte der Klägerin rechtmäßig Akteneinsicht gewährt hat.
Zu B)
Auch die weitere Voraussetzung des § 42 SGB X, dass der Verwaltungsakt nicht nach § 40 SGB X nichtig sein darf, liegt vor. Der Widerspruchsbescheid vom 03. September 2009 ist nicht gemäß § 40 SGB X nichtig. Die Vorschrift lautet:
(1) Ein Verwaltungsakt ist nichtig, soweit er an einem besonders schwerwiegenden Fehler leidet und dies bei verständiger Würdigung aller in Betracht kommenden Umstände offensichtlich ist.
(2) Ohne Rücksicht auf das Vorliegen der Voraussetzungen des Absatzes 1 ist ein Verwaltungsakt nichtig,
1. der schriftlich oder elektronisch erlassen worden ist, die erlassende Behörde aber nicht erkennen lässt,
2. der nach einer Rechtsvorschrift nur durch die Aushändigung einer Urkunde erlassen werden kann, aber dieser Form nicht genügt,
3. den aus tatsächlichen Gründen niemand ausführen kann,
4. der die Begehung einer rechtswidrigen Tat verlangt, die einen Straf- oder Bußgeldtatbestand verwirklicht,
5. der gegen die guten Sitten verstößt.
(3) Ein Verwaltungsakt ist nicht schon deshalb nichtig, weil
1. Vorschriften über die örtliche Zuständigkeit nicht eingehalten worden sind,
2. eine nach § 16 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 bis 6 ausgeschlossene Person mitgewirkt hat,
3. ein durch Rechtsvorschrift zur Mitwirkung berufener Ausschuss den für den Erlass des Verwaltungsaktes vorgeschriebenen Beschluss nicht gefasst hat oder nicht beschlussfähig war,
4. die nach einer Rechtsvorschrift erforderliche Mitwirkung einer anderen Behörde unterblieben ist.
(4) Betrifft die Nichtigkeit nur einen Teil des Verwaltungsaktes, ist er im ganzen nichtig, wenn der nichtige Teil so wesentlich ist, dass die Behörde den Verwaltungsakt ohne den nichtigen Teil nicht erlassen hätte.
(5) Die Behörde kann die Nichtigkeit jederzeit von Amts wegen feststellen; auf Antrag ist sie festzustellen, wenn der Antragsteller hieran ein berechtigtes Interesse hat.
Keine der Voraussetzungen dieser Vorschrift ist gegeben. Die Voraussetzungen der in Abs. 2 abschließend geregelten Ziffern 1. bis 4. liegen ersichtlich nicht vor.
Soweit die Klägerin die Nichtigkeit gemäß § 40 Abs. 2 Nr. 5 SGB X beansprucht, lässt sich dies zur Überzeugung des Senats nicht feststellen. Danach ist ein Verwaltungsakt nichtig, der gegen die guten Sitten verstößt. Dies entspricht dem allgemeinen Gedanken des § 138 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB). Wann ein Verstoß gegen die guten Sitten vorliegt, bestimmt sich nach der herrschenden Rechts- und Sozialmoral (Roos in von Wulffen, a. a. O., § 40 Rz. 16 unter Hinweis auf die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts vom 30. Januar 1990 - 1 C 26/87 abgedruckt in BVerwGE 84, 314). Nach Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts verstößt ein Verwaltungsakt gegen die guten Sitten, wenn er etwas Sittenwidriges anordnet und/ oder wenn er etwas erlaubt, was wegen seiner Sittenwidrigkeit nicht erlaubnisfähig ist. Der Begriff der guten Sitten wird in der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts als unbestimmter, ausfüllungsbedürftiger Rechtsbegriff bezeichnet, mit dem das Gesetz auf die dem geschichtlichen Wandel unterworfenen sozial ethischen Wertvorstellungen, die in der Rechtsgemeinschaft als Ordnungsvoraussetzungen anerkannt sind, verweist. Maßgeblich sind danach die vorherrschende sozialethische Überzeugung.
Nach diesen Maßstäben, die der Senat seiner Beurteilung zugrunde legt, ist der Widerspruchsbescheid vom 03. September 2009 nicht nichtig, er verstößt nicht gegen die guten Sitten: Er o r d n e t nichts Sittenwidriges a n, auch e r l a u b t er nichts, was wegen seinen Sittenwidrigkeit nicht erlaubnisfähig wäre.
Hingegen ordnet er die Gewährung einer gesetzlichen vorgesehenen Rente wegen voller Erwerbsminderung an unter Berücksichtigung der Vorschrift des § 77 SGB VI zum Zugangsfaktor. Die Gewährung einer Rente nach Maßgabe gesetzlicher Vorschriften verstößt nicht gegen die vorherrschende sozialethische Überzeugung von Mitgliedern der Rechtsgemeinschaft.
Nicht maßgeblich ist danach das H a n d el n der Verantwortlichen, das von der Klägerin beanstandet wird. Dies steht der Auffassung der Klägerin entgegen, die meint, der Verwaltungsakt selbst sei von Anfang an sittenwidrig im Sinne dieser Vorschrift, weil in dem H a n d el n der Verantwortlichen eine erhebliche Abweichung von der herrschenden Moral festzustellen sei.
Soweit die Klägerin geltend macht, die Beklagte habe bei der Rentenbewilligung Verstöße begangen und so habe sie gegen den Grundsatz „Reha vor Rente“ verstoßen und habe versäumt, ein erforderliches Sachverständigengutachten zuvor einzuholen, die Rente müsse zunächst befristet bewilligt werden, macht sie Umstände außerhalb der Regelungsanordnung des Bescheides, und zwar H a n d e l n der Verantwortlichen, geltend. Dies ist von der dargelegten Definition, wonach ein Verwaltungsakt sittenwidrig ist, wenn er etwas Sittenwidriges a n o r d n e t oder e r l a u b t, nicht erfasst. Dies gilt auch für ihren Vortrag zu Umständen der Akteneinsicht und hinsichtlich ihres Vortrags, ihr Arbeitgeber Deutsche Rentenversicherung Bund habe ihre Arbeitsunfähigkeit durch Anfeindungen, Schikanen und Diskriminierungen vorsätzlich verursacht, sie sei durch die Verletzung der psycho-sozialen Gesundheit an Depressionen erkrankt, die eingetretene Erwerbsminderung habe der Arbeitgeber Deutsche Rentenversicherung Bund zu verantworten, der ein feindliches Arbeitsumfeld geschaffen habe, in dem die Erhaltung der psycho-sozialen Gesundheit nicht gegeben gewesen sei, so dass sie in drei Jahren 78 Wochen arbeitsunfähig erkrankt sei, von der Krankenkasse ausgesteuert worden sei und deshalb einen Rentenantrag habe stellen müssen; alle an dem Arbeitsplatzabbau fiktiven unbefristeten Erwerbsminderungsrentenbeteiligten der Deutschen Rentenversicherung Bund verhielten sich gegenüber der Versichertengemeinschaft unmoralisch, weil die Kosten des Rentenleistungsmissbrauchs die Allgemeinheit trage, sowie hinsichtlich ihres weiteren Vortrags zum „management by mobbing“ einschließlich der Behauptung einer manipulierten Diagnose sind im Rahmen der Prüfung der Sittenwidrigkeit nach § 40 Absatz 2 Nr.5 SGB X unbeachtlich.
Nichtigkeit des Verwaltungsaktes lässt sich auch nicht mit § 40 Abs. 1 SGB X begründen. Danach ist ein Verwaltungsakt nichtig, soweit er an einem besonders schwerwiegenden Fehler leidet und dies bei verständiger Würdigung aller in Betracht kommenden Umstände offensichtlich ist.
Diese gegenüber § 40 Abs.2 SGB X subsidiäre Vorschrift ist eine Generalklausel für besonders schwerwiegende Form- und Inhaltsfehler. Entscheidend sind die Bedeutung und das Gewicht des Fehlers, nicht die Fehlerart. Schwerwiegend ist ein Fehler dann, wenn er derart im Widerspruch zur geltenden Rechtsordnung und den ihr zugrunde liegenden Wertvorstellungen der Gemeinschaft steht, dass es unerträglich wäre, wenn der Verwaltungsakt die mit und in ihm enthaltenen Rechtswirkungen hätte. Maßgebend ist nicht so sehr - und nicht notwendig - der Verstoß gegen bestimmte - unter Umständen zwingende - Rechtsvorschriften, sondern der Verstoß gegen die der Rechtsordnung insgesamt oder in bestimmter Hinsicht zugrunde liegenden wesentlichen Zweck- und Wertvorstellungen, insbesondere auch gegen tragende Verfassungsgrundsätze (Roos in von Wulffen, a. a. O., § 40 Rz. 7 unter Hinweis auf Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts).
Nach diesen Maßstäben, die der Senat seiner Entscheidung zugrundelegt, lässt sich die Nichtigkeit des Verwaltungsaktes ebenfalls nicht feststellen.
Der Vortrag der Klägerin zur Verweigerung der Einsicht in die Verwaltungsakten durch die Beklagte rechtfertigt die Begründung eines solchen offensichtlich schwerwiegenden Fehlers schon deshalb nicht, da die Klägerin durchaus Akteneinsicht erhalten hat und die Beschränkung für die im Widerspruchsverfahren von der Klägerin angestrebte Rechtsverfolgung (höhere Rente ohne den herangezogenen Zugangsfaktor) auf der Grundlage der von der Beklagte gewährten und im übrigen angebotenen Akteneinsicht umfassend gewährleistet war. Denn wie dargelegt sind sämtliche Umstände, die nach Auffassung der Klägerin zur Beantragung und Bewilligung der Rente geführt haben, für diese Rechtsverfolgung rechtlich unbeachtlich. Zudem hatte die Klägerin selbst bei der Gewährung von Akteneinsicht nicht ausreichend mitgewirkt: Sie hatte das Angebot der Beklagten mit Schreiben vom 14. August 2008, in ihrer Auskunfts- und Beratungsstelle Berlin-Mitte Akteneinsicht zu nehmen, nicht angenommen. Sie hatte hierzu hingegen mitgeteilt, sie nehme bis auf weiteres keine Akteneinsicht mehr in der Deutschen Rentenversicherung Bund bei ihrem Arbeitgeber vor, bevor nicht das Hausverbot, das auf Verleumdungen basiere, aufgehoben werde ( Blatt 196 der Verwaltungsakten).
Soweit die Klägerin rügt, die Beklagte habe gegen den Grundsatz „ Reha vor Rente“ verstoßen, lässt sich schon deshalb kein offensichtlich schwerwiegender Fehler begründen, da ihr auf ihren Antrag Leistungen zur Rehabilitation bewilligt worden waren, was zu ihrem stationären Aufenthalt in der Behandlungsstätte K B in Ü vom 23. August 2005 bis 20. September 2005 geführt hatte.
Der Vortrag, ihr Arbeitsplatz sei auf der Grundlage einer manipulierten Diagnose des Personalärztlichen und Beratungsärztlichen Dienstes der Beklagten ohne Gutachten auf Weisung des Arbeitgebers abgebaut worden, ein erforderliches Sachverständigengutachten sei nicht eingeholt worden, begründet ebenfalls keinen offensichtlich schwerwiegenden Fehler. Die Beklagte hatte ausweislich der Akten durchaus ermittelt zur Erwerbsfähigkeit der Klägerin durch Einholung des „Ärztlichen Befundberichtes zum Rentenantrag“ der behandelnden Ärztin Dr. G vom 21. Februar 2007.
Soweit die Klägerin fehlerhaftes Verwaltungshandeln darin sieht, dass sie erwerbsfähig gewesen sei, was die Beklagte gewusst habe, ist ein offensichtlich schwerwiegender Fehler schon deshalb nicht feststellbar, weil der Beklagten der genannte Befundbericht der behandelnden Ärztin vorlag. Zudem ist schon aufgrund der Erklärungen der Klägerin nicht offensichtlich, dass die Klägerin bei Rentenbewilligung erwerbsfähig war. So hat die Klägerin selbst ausdrücklich Rente wegen Erwerbsminderung beantragt und hat dabei angegeben, dass sie sich wegen seit Dezember 2004 „laufender Depressionen“ für erwerbsunfähig halte. Weder hat sie vorgetragen noch ist sonst erkennbar, dass sie sich bei Antragstellung in einem dauerhaften, die freie Willensbestimmung ausschließenden Zustand krankhafter Störung der Geistestätigkeit im Sinne von § 104 Nr. 2 BGB befunden haben könnte. Auch mit Schriftsatz vom 11. August 2010 hat sie erklärt, sie nehme ihre Klageänderung vom 28.04.2010 in jeder Hinsicht zurück, weil sie auf Dauer erwerbsunfähig sei, denn sie sei zu Unrecht von einer fiktiven Diagnose ausgegangen.
Zudem hat die Klägerin ihren Rentenantrag aus dem Monat Dezember 2006 später eigenverantwortlich befördert. Mit Schreiben vom 10. Februar 2007 hat sie der Beklagten „in Ergänzung zu meinem Rentenantrag“, mitgeteilt, dass sie im Februar 2007 bei der Agentur für Arbeit Lichtenberg einen Antrag auf Arbeitslosengeld gestellt und Anspruch auf Aussteuerung durch die Krankenkasse habe und übersandte eine Kopie ihres Schwerbehindertenausweises.
Soweit die Klägerin beanstandet, Renten würden grundsätzlich befristet geleistet und eine unbefristete Rente werde nur dann wegen Erwerbsminderung geleistet, wenn unwahrscheinlich sei, dass die Minderung der Erwerbsfähigkeit behoben werden könne, folgt aus diesem Vortrag ebenfalls kein offensichtlich schwerwiegender Fehler.
Renten wegen verminderter Erwerbsfähigkeit werden zwar auf Zeit geleistet. Renten, auf die ein Anspruch unabhängig von der jeweiligen Arbeitsmarktlage besteht, werden jedoch unbefristet geleistet, wenn unwahrscheinlich ist, dass die Minderung der Erwerbsfähigkeit behoben werden kann; hiervon ist nach einer Gesamtdauer der Befristung von 9 Jahren auszugehen (§ 102 Abs. 2 Sätze 1 und 5 SGB VI). Die Unwahrscheinlich der Behebung der Minderung der Erwerbsfähigkeit lässt sich durchaus dem Befund der behandelnden Ärztin entnehmen. Die Fachärztin für Neurologie und Psychiatrie Dr. G am 21. Februar 2004 hat im ärztlichen Befundbericht die Frage, ob eine Besserung der Leistungsfähigkeit möglich sei, verneint und damit begründet, dass wiederholte Arbeitsversuche gescheitert seien und zur Exacerbation der psychopathologischen Symptomatik geführt hätten.
Aufgrund des Vorliegens der festgestellten Voraussetzungen des § 42 SGB X ist ein Anspruch auf Aufhebung des Widerspruchsbescheides auch dann nicht begründet, wenn ein Zustandekommen des Widerspruchsbescheides unter Verletzung von Vorschriften über das Verfahren, die Form oder die örtliche Zuständigkeit erfolgt wäre.
§ 42 SGB X soll verhindern, dass in den von der Vorschrift erfassten Fällen der Verwaltungsakt wegen eines Verfahrensfehlers auch dann aufgehoben werden muss, wenn er mit demselben materiell-rechtlichem Ergebnis neu erlassen werden müsste. Dies wäre eine dem Recht Suchenden schwer verständliche Überbewertung des der Durchsetzung materiell-rechtlicher Ansprüche dienenden formellen Rechts und würde nur zu einer Verzögerung des Verfahrens führen. § 42 stellt die Verpflichtung der Verwaltungsbehörde, beim Erlass von Verwaltungsakten Verfahrensvorschriften einzuhalten, nachträglich weitgehend sanktionslos. Dies ist nicht verfassungswidrig, denn ein Grundrechtsverstoß kann nur in einer materiell-rechtlich unrichtigen Entscheidung liegen (Schütze in Wulffen a.a.O Rdz2.).
In dem vorliegenden Fall müsste der Widerspruchsbescheid mit demselben materiell-rechtlichen Ergebnis neu erlassen werden. Der Widerspruchsausschuss hat ausweislich des Inhalts des Widerspruchsbescheides vom 03. September 2009 an die Regelung des § 77 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 SGB VI in der Fassung des Gesetzes zur Reform der Renten wegen verminderter Erwerbsfähigkeit vom 20. Dezember 2000 angeknüpft. Nichts anderes hätte er wieder zu tun im Fall einererneuten Befassung. Insbesondere seit das Bundesverfassungsgericht zu §77 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 SGB VI entschieden hat (1 BvR 3588/08), dürfte der Verwaltungsakt nur mit demselben materiell-rechtlichem Ergebnis neu erlassen werden.
Rechtlich unerheblich ist von daher auch, ob dem Widerspruchsausschuss ein 3. Band Verwaltungsakten vorgelegen hat. Dieser Band enthält nach dem Vortrag der Klägerin Umstände, die zur Beurteilung ihres Vortrages im Hinblick auf die Vorgänge an ihrem Arbeitsplatz bedeutsam sein könnten, die nach ihrer Auffassung zur Rentenbewilligung und Antragstellung geführt haben. Hierauf kommt es wie dargelegt bei der Rentenbewilligungunter Anwendung des § 77 SGB VI nicht an.
Dessen ungeachtet gibt es für eine Zurückverweisung an den Widerspruchsausschuss im gegenwärtigen Stand des Verfahrens keine Rechtsgrundlage. Nach § 131 Abs. 5 S. 4 SGG kann eine Zurückverweisung an die Verwaltung nur binnen sechst Monaten seit Eingang der Akten der Behörde bei Gericht erfolgen. Diese Frist ist verstrichen, seit Eingang der insoweit rechtlich bedeutsamen 2 Bände Verwaltungsakten.
Die Klage auf Feststellung der Nichtigkeit des Bescheides vom 08- März 2007 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 03. September 2009 ist abzuweisen.
Die zulässige Klage ist unbegründet.
Sie ist zulässig mit dem Hilfsantrag. Die Klagen auf Aufhebung des Verwaltungsaktes und auf Feststellung der Nichtigkeit können nicht nebeneinander erhoben werden, wohl aber in Form eines Haupt- und Hilfsantrags (BSG SozR 1500 § 55 Nr. 35 – Keller in Wulffen a.a.O. § 55 Rdz. 14 a.
Gemäß § 55 Abs. 1 Nr. 4 SGG kann mit der Feststellungsklage die Nichtigkeit eines Verwaltungsaktes begehrt werden, wenn der Kläger ein berechtigtes Interesse an der baldigen Feststellung hat. Die Klägerin hat ein berechtigtes Interesse an der baldigen Feststellung, es liegt berechtigterweise an der Beseitigung des Scheins, der durch den Bescheid vom 08- März 2007 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 03. September 2009 fälschlich eingetreten wäre, wenn die Bescheide nichtig wären. Sozial- und arbeitsrechtliche Auswirkungen zeichneten sich dann ab.
Der Zulässigkeit steht auch nicht entgegen, dass die Klägerin bei der Beklagten bereits einen Antrag auf Feststellung der Nichtigkeit mit Schreiben vom 24. Juni 2011 gestellt und über den die Beklagte noch nicht entschieden hat. Ein Rechtsanspruch auf Feststellung der Nichtigkeit durch die Behörde (§ 40 Abs. 5 SGB X) schließt die Nichtigkeitsfeststellungsklage nicht aus (BSG, Urteil vom 23. Februar 1989 - 11/7 RAr 103/87 abgedruckt in DVBl 1990 Seite 210 f.).
Allerdings ist die Feststellungsklage unbegründet.
Wie sich aus den vorangegangenen Ausführungen im Rahmen der Prüfung des § 42 SGB X ergibt, ist der Bescheid vom 08. März 2007 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 03. September 2009 nicht nichtig. Insbesondere verstößt er nicht gegen die guten Sitten.
Soweit die Klägerin Verfahrensfehler im erstinstanzlichen sozialgerichtlichen Verfahren rügt, kann ihr dies hinsichtlich ihrer im Berufungsverfahren gestellten Anträge nicht weiter helfen. Verfahrensfehler können Grundlage einer Prüfung der Zurückverweisung an das Sozialgericht sein(§ 159 SGG). Dafür sieht der Senat allerdings keine Veranlassung. Nach allem bedarf es zur weiteren Aufklärung des Sachverhalts keiner Beiziehung der von der Klägerin beantragten Akten.
Soweit die Klägerin Unterbrechung beantragt, hat der Senat hierüber nicht zu befinden. Unterbrechung ist ein Stillstand des Verfahrens, der kraft Gesetzes ohne besondere Anordnung des Gerichts eintritt in den gesetzlich angeordneten Fällen, die hier nicht gegeben sind (§ 202 SGG i. V. m. § 240 Zivilprozessordnung).
Soweit sich der Antrag der Klägerin, die Unterbrechung anzuordnen, auch als Antrag auf Aussetzung des Verfahrens beurteilen ließe, gibt es dafür keine gesetzliche Grundlage. Selbst § 114 Abs.3 SGG begründet die Aussetzung nicht. Strafrechtliche Ermittlungen zu Strafanzeigen der Klägerin hinsichtlich des von ihr bezeichneten Rentenleistungsbetruges haben auf die Entscheidung im vorliegenden Verfahren keinen Einfluss, wie sich aus den vorangegangenen Äußerungen ergibt.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 Abs. 1 SGG und entspricht dem Ergebnis des Rechtsstreits.
Die Revision ist nicht zuzulassen, da die Voraussetzungen hierfür (§ 160 Abs. 2 Nr. 1 und 2 SGG) nicht vorliegen.