Gericht | LSG Berlin-Brandenburg 2. Senat | Entscheidungsdatum | 17.03.2011 | |
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Aktenzeichen | L 2 U 175/10 | ECLI | ||
Dokumententyp | Urteil | Verfahrensgang | - | |
Normen | § 8 SGB 7 |
1. Das Abbremsen eines Zuges, ohne dass die Verkehrssituation dies erfordert, stellt keinen (Arbeits-) Unfall dar (Anschluss an das Urteil des Senats vom 26. August 2010, L 2 U 23/09).
2. Die Wahrnehmung eines sozial adäquaten Geschehensablaufs erfüllt den Unfallbegriff des SGB VII selbst dann nicht, wenn sie einen Gesundheitserstschaden verursacht haben sollte.
3. Die alltägliche Wahrnehmung sozial adäquater Geschehensabläufe stellt ein "Risiko" dar, das nicht in den Schutzbereich der gesetzlichen Unfallversicherung fällt.
Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Berlin vom 16. Januar 2009 wird zurückgewiesen.
Die Beteiligten haben einander auch für das Berufungsverfahren keine Kosten zu erstatten.
Die Revision wird zugelassen.
Der Kläger begehrt von der Beklagten die Gewährung von Leistungen aufgrund eines Ereignisses vom 30. März 2007; vorab ist streitig, ob dieses Ereignis den Unfallbegriff im Sinne des Siebenten Buches Sozialgesetzbuch (SGB VII) erfüllt.
Der 1955 geborene Kläger war seit Oktober 1974 bei der S-Bahn Berlin als Führer von Schienenfahrzeugen beschäftigt.
Laut Unfallanzeige vom 23. April 2007 führte der Kläger am Freitag, den 30. März 2007 um 14.30 Uhr, als Triebfahrzeugführer einen S-Bahnzug. Weiter ist ausgeführt: „Bei Annäherung an einen Bahnübergang überquerte eine männliche Person bei geschlossenen Schranken den Bahnübergang.“ Der Versicherte habe einen Schock erlitten.
Im Durchgangsarztbericht des Dr. M vom 12. April 2007 ist zum Unfallhergang vermerkt: „Ich war dienstlich unterwegs. Ich sah einen Fußgänger, trotz geschlossener Schranke, den Bahnübergang überqueren. Ich führte eine Vollbremsung durch und kam ca. 2 Meter vor dem Fußgänger mit dem Triebfahrzeug zum Stehen.“
Im Widerspruchsverfahren beschrieb der Kläger(-bevollmächtigte) den Unfallhergang wie folgt: Bei Annäherung an einen Bahnübergang (kurz vor der Einfahrt in den S-Bahnhof B) mit einer zulässigen Geschwindigkeit von 100 km pro Stunde habe er einen Fußgänger bemerkt, der sich trotz geschlossener Schranken im Gleisbereich bewegt habe. Er habe sofort eine Gefahrenbremsung eingeleitet und ein Achtungssignal (Pfeifen) gegeben. Weiter gab der Kläger an, der Fußgänger habe plötzlich begonnen in Richtung seines Triebwagens zu rennen. Der Fußgänger habe circa 2 m vor dem Zug den Gleisbereich erreicht. Der Zug sei erst circa 50 m hinter dem vermeintlichen Unfallpunkt zum Stehen gekommen. Er habe zu diesem Zeitpunkt vermutet, dass er mit seinem Zug den Fußgänger tatsächlich erfasst habe. Erst nachdem er seinen Zug gesichert habe und zur Unfallstelle habe zurücklaufen wollen, habe er beim Aussteigen gesehen, wie der Fußgänger, den er an der Kleidung habe erkennen können, offensichtlich unverletzt bereits auf dem Weg in Richtung der anderen Straßenseite gewesen sei. Er habe daraufhin seinen Dienst abbrechen müssen.
Mit Unfallanzeige von 23. April 2007 zeigte der Arbeitgeber des Klägers der Beklagten dieses Geschehen an. Der Chirurg, Unfallarzt und Durchgangsarzt Dr. M teilte in Durchgangsarztberichten vom 12. April 2007 und - nach Wiedererkrankung des Klägers - vom 24. August 2007 mit, er habe bei dem Kläger eine posttraumatische Belastungsreaktion bzw. eine rezidivierende traumatische Stressreaktion diagnostiziert. Arbeitsunfähigkeit nahm er vom 3. April 2007 bis 04. Mai 2007 sowie vom 24. August 2007 zunächst bis zum 29. August 2007 an. Mit Schreiben vom 11. September 2007 hielt er eine weitere Arbeitsunfähigkeit von voraussichtlich noch vier Wochen für angezeigt.
Die Beklagte zog eine Information über ein Auffang- und Beratungsgespräch nach dramatischem dienstlichen Ereignis vom 30. April 2007, erstellt von der Diplom-Psychologin R, bei.
Mit Bescheid vom 20. September 2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 21. Januar 2008 lehnte die Beklagte einen Anspruch auf Leistungen aus der gesetzlichen Unfallversicherung wegen Folgen des Ereignisses vom 30. März 2007 ab. Zur Begründung führte sie unter anderem aus, der Kläger habe eine Vollbremsung eingeleitet und sei circa 2 m vor dem Fußgänger zum Stehen gekommen. Äußerliche Verletzungen seien keine eingetreten. Ein eigentliches Unfallereignis im Sinne der gesetzlichen Unfallversicherung als Ursache einer Verletzung habe nicht stattgefunden. Der Kläger habe sich zu keinem Zeitpunkt in einer lebensbedrohlichen Situation befunden. Allein die Vorstellung eines Unfalls sei für die Erfüllung des Unfallbegriffes nicht ausreichend. Es fehle am äußeren Ereignis und handle sich um eine berufstypische Belastung. Ein solches Geschehen erfülle nicht die Voraussetzungen für das Vorliegen eines Arbeitsunfalls im Sinne der gesetzlichen Unfallversicherung. Auch wenn ein versichertes Unfallereignis hier vorgelegen haben sollte, könne die jetzige Arbeitsunfähigkeit keinesfalls unfallbedingt sein. Es handle sich um unfallunabhängige Beschwerden.
Auch am 18. Juni 2007 führte der Kläger als Triebfahrzeugführer einen S-Bahnzug und erlitt ausweislich der Unfallanzeige des Arbeitebers vom 22. November 2007 einen weiteren Beinaheunfall an einem Bahnübergang, diesmal mit einem Pkw. Mit Bescheid vom 20. September 2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 21. Januar 2008 lehnte die Beklagte einen Anspruch auf Leistungen aus der gesetzlichen Unfallversicherung wegen Folgen des Ereignisses vom 18. Juni 2007 ab. Mit Beschluss vom 26. August 2010 sind die Verfahren getrennt worden, die Berufung hinsichtlich des Unfalls vom 18. Juni 2007 ist zurückgewiesen worden. Der Kläger hat die vom Gericht zugelassene Revision beim Bundessozialgericht (AZ. B 2 U 23/10 R) eingelegt.
Gegen diese Bescheide erhob der Kläger zwei Klagen vor dem Sozialgericht Berlin, die zunächst unter den Aktenzeichen S 25 U 219/08 und S 25 U 221/08 geführt und mit Beschluss vom 13. Mai 2008 zur gemeinsamen Verhandlung und Entscheidung unter dem führenden Aktenzeichen S 25 U 219/08 verbunden wurden.
Das Sozialgericht holte ein Vorerkrankungsverzeichnis der BKK B () sowie Befundberichte des medizinischen Versorgungszentrums M (Ärztin für Psychiatrie und Psychiatrie Dr. W) vom 16. August 2008 und der Dr. R vom 4. November 2008 ein.
Mit Gerichtsbescheid vom 16. Januar 2009 hat das Sozialgericht Berlin die Klage abgewiesen und zur Begründung unter anderem ausgeführt, die Bescheide der Beklagten seien rechtmäßig. Die beiden streitgegenständlichen Ereignisse vom 30. März 2007 und vom 18. Juni 2007 würden keine Arbeitsunfälle im Sinne der gesetzlichen Unfallversicherung darstellen, so dass bereits aus diesem Grunde Ansprüche des Klägers auf Entschädigung beziehungsweise auf etwaige Leistungen gegenüber der Beklagten ausscheiden würden. Versicherungsfälle im Sinne des § 7 Abs. 1 SGB VII seien Arbeitsunfälle und Berufskrankheiten. Gemäß § 8 Abs. 1 SGB VII seien Arbeitsunfälle Unfälle von Versicherten infolge einer den Versicherungsschutz begründenden Tätigkeit. Für das Vorliegen eines anspruchsbegründenden Arbeitsunfalls trage der Kläger als Anspruchsteller die Beweislast; Zweifel am Vorliegen eines Arbeitsunfalls würden zu seinen Lasten gehen, das Vorliegen der versicherten Tätigkeit müsse voll bewiesen sein. Dies bedeute, dass keine Zweifel am Vorliegen der versicherten Tätigkeit bestünden. Die bloße Möglichkeit oder selbst eine gewisse Wahrscheinlichkeit des Vorliegens einer versicherten Tätigkeit würden nicht ausreichen, um gesetzlichen Unfallversicherungsschutz zu begründen. Danach sei die Kammer bereits nicht davon überzeugt, dass sich der Vorfall vom 30. März 2007 tatsächlich so zugetragen habe, wie er erstmals in dem Schriftsatz des Bevollmächtigten des Klägers vom 23. November 2007 - und mithin fast acht Monate nach dem Vorfall - geschildert worden sei. Vielmehr bestünden Zweifel an der Tatsachenbasiertheit dieser Angaben. Die Kammer messe den ersten Angaben zum Unfallgeschehen - wie sie in dem Durchgangsarztbericht von Dr. M vom 12. April 2007 und in der Unfallanzeige vom 23. April 2007 und damit nur rund zwei bzw. rund vier Wochen nach dem Vorfall ihren Niederschlag gefunden hätten - eine entscheidende Bedeutung zu und erachte diese für zutreffend. Die ersten Angaben zum Unfallgeschehen seien zwar nicht grundsätzlich unwiderleglich, es bedürfe jedoch schon stichhaltiger Gründe und ganz gewichtiger Indizien, um im Nachhinein ein anderes als das ursprünglich geschilderte Unfallgeschehen zugrunde legen zu können. Schließlich würden Erstangaben zu einem Geschehen in aller Regel einem unverstellten Blick auf den Vorfall entspringen, und es sei bei ihnen sichergestellt, dass nicht die Zeit mit der ihr unvermeidlich eigenen Abschwächung des menschlichen Gedächtnisses über sie hinweggegangen sei - oder auch die Erfahrungen im Verlauf eines Verwaltungsverfahrens, die gegebenenfalls bewusst oder unbewusst Veranlassung geben könnten, ein Geschehen abweichend zu akzentuieren oder durch später fiktiv hinzutretende Umstände auszuschmücken. Der Kammer sei es verwehrt, dritte als Augenzeugen des Vorfalls zu vernehmen. Laut Unfallanzeige vom 23. April 2007 seien bei dem Vorfall keine direkten Zeugen zugegen gewesen. Auch auf die Identität des Fußgängers deute nichts hin. Die nachträglichen Ausführungen des Klägers würden sich also nicht durch einen Zeugenbeweis stützen lassen. Nicht zuletzt sei angemerkt, dass die Schilderungen des Geschehens vom 30. März 2007 durch den Klägerbevollmächtigten einen doch recht eigentümlichen Vorfall wiedergeben würden, dessen Konstruktion möglicherweise eher einem Anspruchsbegehren entspringe als einem zuverlässig aufgefrischten Gedächtnis des Klägers fast acht Monate nach dem streitgegenständlichen Vorfall. Nach alledem lege die Kammer dem Vorfall vom 30. März 2007 einen Ablauf zu Grunde, bei dem der Kläger aus dem Triebfahrzeug heraus einen Fußgänger gesehen habe, der trotz geschlossener Schranke einen Bahnübergang überquert habe, so dass er - der Kläger - eine Vollbremsung eingeleitet und mit dem Triebfahrzeug rund 2 m vor dem Fußgänger zum Stehen gekommen sei. Das Ereignis würde indes keinen Arbeitsunfall im Sinne der gesetzlichen Unfallversicherung darstellen. Gemäß der Legaldefinition des § 8 Abs. 1 S. 2 SGB VII seien Unfälle zeitlich begrenzte, von außen auf den Körper einwirkende Ereignisse, die zu einem Gesundheitsschaden oder zum Tode führen würden. Das streitgegenständliche Ereignis würde kein solches äußeres Ereignis darstellen. Reduziere man es auf seinen Kern, so bestünde es darin, dass der Kläger wegen eines unerwartet im Gleisbereich auftauchenden Fußgängers eine abrupte Gefahrenbremsung habe einleiten müssen. Diese Situation sei mehr oder weniger typisch für die Tätigkeit eines Triebwagenführers. Diese bestehe nicht nur darin, einen Zug zu lenken, solange dies unproblematisch erscheine - gerade auch die Bewältigung von Gefahrensituationen präge das Berufsbild eines Triebwagenführers als professionellem Verkehrsteilnehmer. Verkürzt und lapidar: Dank der Umsicht und Erfahrung des über 30 Jahre als Triebfahrzeugführer tätigen Klägers sei nichts passiert. Wenn der Bevollmächtigte des Klägers anführe, der Kläger habe bereits in der Vergangenheit gefährliche Vorkommnisse im Rahmen seiner Tätigkeit als Zugführer erlitten - so sei er unter anderem bei einem Suizid zugegen gewesen - könne dies nicht dazu führen, dass eine doch nicht absolut außergewöhnliche Gefahrensituationen nunmehr als Arbeitsunfall zu qualifizieren sei. Vielmehr stelle sich gegebenenfalls die Frage nach einer Anerkennung dieser anderen gefährlichen Vorkommnisse als Arbeitsunfall. Dies sei allerdings nicht Gegenstand dieses Verfahrens. Mögen diese früheren Vorkommnisse dem Kläger nun Veranlassung geben, sich das hier streitgegenständliche Ereignis als Szenario mit schlimmeren Folgen auszumalen, so gelte doch das, was die Beklagte bereits ähnlich in dem angefochtenen Bescheid zum Ausdruck gebracht habe: rein subjektive Vorstellungen des Klägers würden sich nicht zu einem Arbeitsunfall qualifizieren lassen. Im Übrigen sehe die Kammer - was das Nicht-Vorliegen eines Arbeitsunfalls anbelange - gemäß § 136 Abs. 3 Sozialgerichtsgesetz (SGG) von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe ab und beziehe sich auf die zutreffende Begründung der Beklagten in den angefochtenen Bescheiden.
Gegen den ihm am 4. Februar 2009 zugestellten Gerichtsbescheid richtet sich die am 12. Februar 2009 eingelegte Berufung des Klägers. Zur Begründung führt der Kläger u. a. aus, das Sozialgericht habe bereits einen falschen Sachverhalt zugrunde gelegt. Der Durchgangsarzt sei keine Vernehmungsperson, die darauf geschult sei, Angaben des Patienten genau zu übertragen und weiterzugeben. Insbesondere sei der Unfallhergang für die medizinische Seite wohl nur insoweit interessant, als dadurch das Krankheitsbild ggf. für eine Ausrichtung der Therapie daran genauer dargestellt werde. Es komme für den Durchgangsarzt nicht auf jede Einzelheit des Unfallgeschehens an. Seine Aufgabe sei nicht etwa die lückenlose Dokumentation des Unfallhergangs, sondern diejenige des Zustandes des Verunfallten. Es verwundere somit nicht, dass der Durchgangsarzt dasjenige, was er ihm am fraglichen Tag erzählt habe, wohl doch sehr verkürzt dokumentiert habe. Das streitgegenständliche Ereignis würde auch einen Arbeitsunfall darstellen. Es gebe keinen Rechts- oder Erfahrungssatz, wonach ein als geringfügig beurteiltes Trauma stets als bloße Gelegenheitsursache anzusehen sei. Eine „abnormale seelische Bereitschaft“ schließe deshalb die Bewertung einer psychischen Reaktion als Unfallfolge nicht aus (BSG, Urteil vom 09. Mai 2006, Az. B 2 U 40/05 R mit Verweis auf BSGE 18, 173). Er habe einen Zeugen, der als Lokführer mit seinem Zug im Bahnhof B gestanden und auf den Gegenzug, der von ihm gesteuert worden sei, gewartet habe. Dieser habe das Gefahrensignal gehört und könne bestätigen, dass der Zug erst 200 m nach dem Bahnübergang zum Stehen gekommen sei. Diese Zeugenaussage belege letztlich die Darstellung des „Beinahe-Unfalles“. Soweit die Beklagte darauf abstelle, dass bei dem Ereignis eine Kollision nicht stattgefunden habe und es sich bei der Durchführung einer Gefahrenbremsung bei Triebfahrzeugführern um eine berufstypische Gefahrensituation handle, so sei darauf hinzuweisen, dass dies nicht die Annahme eines Arbeitsunfalls ausschließe. In diesem Zusammenhang werde auf eine Entscheidung des erkennenden Senates vom 17. Dezember 2009 (L 2 U 1014/05) verwiesen, in der von einem weiten Unfallbegriff ausgegangen worden sei. Im Übrigen habe er bereits eine Vielzahl ähnlicher – teilweise schwerwiegenderer - Ereignisse erlebt (hinsichtlich der Aufstellung dieser Ereignisse wird auf Blatt 148 bis151 der Gerichtsakte verwiesen). Es komme nicht darauf an, ob ein Unfall mit tödlichem Ausgang oder hoher Schadensfolge erfolgt sei. Allein sein Bewusstsein, er habe einen vermeintlich tödlichen Unfall herbeigeführt, reiche aus, um eine traumatische Situation darzustellen. Er habe am 07. Oktober 2008 in seiner Tätigkeit als Kundendienstmitarbeiter über Bündelfunk eine Meldung über einen Personenunfall gehört. Dadurch habe er sich an die eigenen derartigen Vorfälle aus seiner Tätigkeit als Triebfahrzeugführer erinnert.
Der Kläger beantragt,
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Berlin vom 16. Januar 2009 aufzuheben und die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 20. September 2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 21. Januar 2008 zu verurteilen, das Ereignis vom 30. März 2007 als Arbeitsunfall anzuerkennen.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie verweist auf die Entscheidungsgründe des angefochtenen erstinstanzlichen Urteils und ist weiterhin der Ansicht, bei dem genannten Ereignis habe es sich nicht um einen Arbeitsunfall gehandelt. Reduziere man das Ereignis auf seinen Kern, so habe der Kläger eine Gefahrbremsung einleiten müssen, was er auch sofort getan habe. Eine Kollision habe nicht stattgefunden, es habe keine Verletzten gegeben. Gefahrbremsungen seien mehr oder weniger typisch für das Berufsbild eines Triebfahrzeugführers. Es bestehe nicht nur darin, einen Zug zu lenken, solange dies unproblematisch erscheine. Gerade die Bewältigung von Gefahrensituationen präge das Berufsbild des Triebfahrzeugführers als professionellem Verkehrsteilnehmer. Der Kläger habe bei dem Ereignis weder einen Opferstatus (war nicht selbst bedroht) noch einen Beobachterstatus (kein Augenzeuge eines schweren Unglücksfalls) inne, so dass es rechtlich am inneren Zusammenhang mit der versicherten Tätigkeit fehle (vg. Schönberger/Mehrtens/Valentin, Arbeitsunfall und Berufskrankheit, 7.Auflage, S. 233). Nach einem zum Zeitpunkt des angezeigten Ereignisses mehr als dreißig Jahre währenden Berufsleben als Lokführer könne davon ausgegangen werden, dass die Einleitung von Bremsvorgängen dem Kläger mittlerweile sozusagen „in Fleisch und Blut“ übergegangen seien, d. h. auf Grund reflexhafter Vorgänge ablaufen würden, unabhängig von ihrer Veranlassung. Einem Unfallereignis oder gar einem traumatisierenden Ereignis sei der Kläger damit nicht ausgesetzt gewesen.
Der Senat hat eine Stellungnahme des Technischen Aufsichtsdienstes der Beklagten 20. Dezember 2010 eingeholt, aus der sich ergibt, dass ein „normaler Bremsvorgang“ bei 100 km/h ca. 482 Meter Bremsweg benötigt und eine Vollbremsung ohne Vorbremsung bei 100 km/h ca. 386 Meter. Danach hätte nach Aussage des Technischen Aufsichtdienstes der Beklagten bei normaler Fahrt mit 100 km/h Geschwindigkeit der normale Bremsvorgang bei km 11,249, also 51 Meter nach Beginn der Weiche 76, eingeleitet werden müssen (Grafik 1). Die von dem Kläger beschriebene Vollbremsung, bei der er 200 Meter nach dem Bahnübergang, also bei km 10,900 mitten im Bahnhof, zum Stehen gekommen sein soll, hätte bei km 11,286, also 14 Meter nach Beginn der Weiche 76 und 37 Meter früher als bei einer normalen Bremsung eingeleitet werden müssen (Grafik 5). Um aus Tempo 100 km/h mit einer Vollbremsung vor dem Bahnhof zum Stehen zu kommen, hätte der Bremsvorgang bereits 27 Meter vor der Weiche 76 eingeleitet werden müssen (Grafik 3).
Des Weiteren hat der Senat eine Auskunft des Dr. M vom 30. September 2010 eingeholt, der außerdem ein vom Kläger ausgefülltes „Merkblatt für das Durchgangsarztverfahren“ übersandte.
Hinsichtlich der Einzelheiten des Sach- und Streitstandes und des Vorbringens der Beteiligten im Übrigen wird auf den Inhalt der Gerichtsakten und der beigezogenen Verwaltungsvorgänge der Beklagten verwiesen, der Gegenstand der mündlichen Verhandlung war.
Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung des Klägers ist zulässig, aber unbegründet. Das Ereignis vom 30. März 2007 ist nicht als Arbeitsunfall anzuerkennen, der Kläger hat keinen Anspruch auf Gewährung einer Verletztenrente.
Versicherungsfälle sind Arbeitsunfälle und Berufskrankheiten (§ 7 Abs. 1 SGB VII). Arbeitsunfälle sind Unfälle von Versicherten infolge einer den Versicherungsschutz nach § 2, 3 oder 6 begründenden Tätigkeit (§ 8 Abs. 1 S. 1 SGB VII). Ein Unfall ist ein zeitlich begrenztes, von außen auf den Körper einwirkendes Ereignis, das zu einem Gesundheitsschaden oder zum Tod führt - so die heutige Legaldefinition in § 8 Abs. 1 Satz 2 SGB VII, die auf die jahrzehnte alte Definition in Rechtsprechung und Literatur zurückgeht (vgl. schon Reichsgericht Urteil vom 06. Juli 1888 Az. III 80/88, RGZ 21, 77, 78; Reichsversicherungsamt, Amtliche Nachrichten 1914, 617, 620 sowie BSG Urteil vom 30. Juni 1965, Az. 2 RU 175/63 - BSGE 23, 139, 141 = SozR Nr. 1 zu § 555 RVO, zitiert nach Juris; BSG Urteil vom 27. Juni 1978, Az. 2 RU 20/78, BSGE 46, 283 = SozR 2200 § 539 Nr. 47, zitiert nach Juris; BT-Drucks 13/2204 S 77; Krasney, in: Beckert/Burchardt/Krasney/Kruschinsky, Gesetzliche Unfallversicherung (SGB VII), Kommentar, Stand Januar 2010, § 8 RdNr. 7). Für das Vorliegen eines Arbeitsunfalls ist danach in der Regel erforderlich, dass die Verrichtung des Versicherten zur Zeit des Unfalls der versicherten Tätigkeit zuzurechnen ist (innerer bzw. sachlicher Zusammenhang, vgl. BSG Urteil vom 28. Juni 1988, Az. 2 RU 60/87, BSGE 63, 273, 274 = SozR 2200 § 548 Nr. 92 S 257, zitiert nach Juris; BSG Urteil vom 05. Mai 1994, Az. 2 RU 26/93, SozR 3-2200 § 548 Nr. 19), dass die Verrichtung zu dem zeitlich begrenzten, von außen auf den Körper einwirkenden Ereignis - dem Unfallereignis - geführt hat und letzteres einen Gesundheits(-erst-)schaden oder den Tod des Versicherten verursacht hat (haftungsbegründende Kausalität). Hinsichtlich des Beweismaßstabes gilt, dass die Merkmale „versicherte Tätigkeit“, „Verrichtung zur Zeit des Unfalls“, „Unfallereignis“ sowie „Gesundheitserst- bzw. Gesundheitsfolgeschaden“ im Wege des Vollbeweises, also mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit für das Gericht feststehen müssen. Lediglich für den Nachweis der wesentlichen Ursachenzusammenhänge zwischen diesen Voraussetzungen genügt die (hinreichende) Wahrscheinlichkeit, nicht allerdings die bloße Möglichkeit (insgesamt BSG, ständige Rechtsprechung, Urteil vom 02. April 2009, Aktenzeichen B 2 U 29/07 R, NZA 2010, 84, zitiert nach juris.de m. w. N.). Für den Beweisgrad des Vollbeweises ist es zwar nicht erforderlich, dass die Tatsachen mit absoluter Gewissheit feststehen. Ausreichend, aber auch erforderlich ist indessen ein so hoher Grad der Wahrscheinlichkeit, dass bei Abwägung des Gesamtergebnisses des Verfahrens kein vernünftiger, den Sachverhalt überschauender Mensch noch zweifelt, das heißt, dass die Wahrscheinlichkeit an Sicherheit grenzt (BSG, Urteil vom 05. Mai 1993, Aktenzeichen 9/9a RV 1/92, SozR 3-3100 § 38 Nr. 2 m.w.N.).
Dass der als Triebwagenführer berufstätige Kläger bei einer Verrichtung, nämlich dem Führen eines Zuges war, die in sachlichem Zusammenhang mit seiner versicherten Tätigkeit stand, als er die Zugbremsung einleitete, ist vorliegend unstreitig.
Es fehlt jedoch vorliegend die zeitlich begrenzte Einwirkung von außen – das (eigentliche) Unfallereignis. Für das von außen auf den Körper einwirkende, zeitlich begrenzte Ereignis ist zwar kein besonderes, ungewöhnliches Geschehen erforderlich. Alltägliche Vorgänge wie Stolpern usw. genügen. Es dient der Abgrenzung zu Gesundheitsschäden aufgrund von inneren Ursachen, wie Herzinfarkt, Kreislaufkollaps usw., wenn diese während der versicherten Tätigkeit auftreten, sowie zu vorsätzlichen Selbstschädigungen. Ein schlichter Sturz auf einem versicherten Weg genügt, es sei denn, der Unfall ist infolge einer nichtbetriebsbedingten krankhaften Erscheinung eingetreten und zur Schwere der Verletzung hat keine Gefahr mitgewirkt, der der Kläger auf dem Weg ausgesetzt war. Ist eine innere Ursache nicht feststellbar, liegt ein Arbeitsunfall vor (BSG Urteil vom 12. April 2005, Az.B 2 U 27/04 R, zitiert nach Juris; BSG SozR 2200 § 550 Nr. 35, Urteil vom 29. Februar 1984 - 2 RU 24/83 - sowie zum Dienstunfall: Bundesverwaltungsgericht Urteil vom 24. Oktober 1965, II C 10.62, BVerwGE 17, 59, 61 f). Das Bundessozialgericht (BSG Urteil vom 27. Oktober 1987, Az. 2 RU 35/87, BSGE 62, 220 = SozR 2200 § 589 Nr. 10, zitiert nach Juris) hat eine äußere Einwirkung auch angenommen bei einer als außergewöhnliche Anstrengung in einer betriebsbezogenen Stresssituation zu bewertenden Arbeit (Hausschlachtung) durch den Versicherten, wenn dies zu erheblicher Atemnot führt, der Versicherte zusammenbricht und innerhalb einer Stunde verstirbt. Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zum Dienstunfallrecht hat das Merkmal äußere Einwirkung ebenfalls lediglich den Zweck, äußere Vorgänge von krankhaften Vorgängen im Inneren des menschlichen Körpers abzugrenzen. Die Annahme einer äußeren Einwirkung scheide nur aus, wenn die Einwirkung auf Umständen beruhe, für die eine in körperlicher oder seelischer Hinsicht besondere Veranlagung des Betroffenen oder dessen willentliches Verhalten die wesentliche Ursache war (BVerwGE 17, 59, 61; BVerwG Urteil vom 9. April 1970, Az. II C 49.68, BVerwGE 35, 133, 134). Die Unfreiwilligkeit der Einwirkung bei dem, den das Geschehen betrifft, ist dem Begriff des Unfalls immanent, weil ein geplantes, willentliches Herbeiführen einer Einwirkung dem Begriff des Unfalls widerspricht (BSGE 61, 113, 115 = SozR 2200 § 1252 Nr 6 S 20). Hiervon zu unterscheiden sind jedoch die Fälle eines gewollten Handelns mit einer ungewollten Einwirkung, bei dieser liegt eine äußere Einwirkung vor (Keller in: Hauck, Sozialgesetzbuch, SGB VII Gesetzliche Unfallversicherung, Stand Mai 2010, § 8 RdNr. 14). Dies ist für äußerlich sichtbare Einwirkungen unbestritten, z. B. für den Sägewerker, der nicht nur ein Stück Holz absägt, sondern auch unbeabsichtigt seinen Daumen. Gleiches gilt für äußere Einwirkungen, deren Folgen äußerlich nicht sichtbar sind.
Schon die Einwirkung selbst kann, muss aber nicht sichtbar sein, z. B. radioaktive Strahlen oder elektromagnetische Wellen (vgl. BSG Urteil vom 24. Juni 1981, Az. 2 RU 61/79, SozR 2200 § 548 Nr. 56: Störung eines Herzschrittmachers durch Kurzwellen eines elektrischen Geräts). Ggfs. genügt sogar eine starke Sonneneinstrahlung, die von außen mittelbar zu einem Kreislaufkollaps führt, der dann als Arbeitsunfall anzuerkennen ist (BSG Urteil vom 12. April 2005, z. B 2 U 27/04 R, zitiert nach Juris). Auch eine geistig-seelische Einwirkung kann genügen (BSG Urteil vom 18. Dezember 1962, Az. 2 RU 189/59, BSGE 18, 173, 175 = SozR Nr. 61 zu § 542 RVO; BSG Urteil vom 2. Februar 1999 - B 2 U 6/98 R, VersR 2000, 789).
Zutreffend führt jedoch Krasney (Becker/Burchardt/Krasney/Kruschinsky, Gesetzliche Unfallversicherung (SGB VII), Kommentar, Stand Januar 2010, § 8 RdNr. 8) aus, dass ein Unfall normalerweise ein außergewöhnliches Ereignis ist. Es genügt allerdings auch ein Gesundheitsschaden bei der gewöhnlichen Betriebsarbeit, denn das Geschehen an sich muss nicht etwas besonders ungewöhnliches sein, sondern kann auch ein alltägliches Ereignis sein. Es muss sich aber von den alltäglichen Geschehnissen abheben, wie das vom BSG (s. o.) genannte Stolpern. D. H. als alltäglicher Vorgang im Sinne der Rechtsprechung des BSG ist dann nicht das Gehen, Stehen, Bremsen zu sehen, sondern das Stolpern, Hinfallen oder nicht mehr rechtzeitig Bremsen. Hierzu sollen z. B. eine Erkältung beim Vorführen von Motorpflügen bei schlechter Witterung, eine Muskelzerrung infolge der üblichen Betriebsarbeit, Ausgleiten bei Glatteis auf dem Arbeitsgelände sowie übermäßig große Anstrengungen zählen (Krasney a. a. O. § 8 RdNr. 8). Ähnlich unterscheidet dies die verwaltungsgerichtliche Rechtssprechung für den Bereich des Dienstunfallrechts, wenn sie ausführt, dass für das Eingreifen der Unfallfürsorge kein Anlass besteht bei Vorgängen, die im Rahmen des Dienstverhältnisses üblich und selbstverständlich sind. Derartige Vorkommnisse vermögen den Dienstunfallbegriff von vornherein nicht zu erfüllen. Etwas anderes kann nur bei Hinzutreten weiterer Umstände gelten, die den Rahmen der normalen Ausgestaltung des Dienstverhältnisses übersteigen (OVG Schleswig-Holstein, Urteil vom 26. November 1993, Az. 3 L 99/93, zitiert nach Juris).
Schon in seinem Urteil vom 13. März 1959 (Az. 2 RU 167/57, zitiert nach Juris) führt das Bundessozialgericht aus, die Rechtsprechung zeige eine deutliche Tendenz, den Begriff „Arbeitsunfall“ (bzw. „Betriebsunfall“) erweiternd auszulegen. Bereits in der grundsätzlichen Entscheidung 2690 (AN. 1914 S. 411) habe das Reichsversicherungsamt (RVA.) unter Zusammenfassung der bisherigen Rechtsprechung klargestellt, dass ein „Betriebsunfall“ nicht nur dann vorliege, wenn das Unfallereignis unmittelbar durch die den Zwecken des versicherten Unternehmens dienende Tätigkeit verursacht worden sei und auf einer für diese Tätigkeit typischen Gefahr beruhe, sondern dass auch „Unfälle des täglichen Lebens“, die sich während der versicherten Tätigkeit ereignen, Betriebsunfälle seien, wenn zwischen dem Unfall und der Tätigkeit für den Betrieb ein rechtlich wesentlicher ursächlicher Zusammenhang bestehe.
Trotz dieser sehr weiten Fassung des (Arbeits-)Unfallbegriffs stellt zur Überzeugung des Senates das Ereignis vom 30. März 2007 keinen Arbeitsunfall dar.
Als Ereignis, welches das Unfallereignis i.S. des SGB VII darstellen soll, lässt sich zur Überzeugung des Senats nur das Abbremsen des Zuges feststellen. Eine bestimmte Verkehrssituation, die als Grund für die durchgeführte Notbremsung angesehen werden könnte, lässt sich nach den Regeln des Vollbeweises angesichts der verschiedenen vom Kläger angegeben Verläufe der Vorkommnisse am 30. März 2007 nicht sichern. Der Senat hat keinen Zweifel daran, dass der Kläger die Situation am 12. April 2007, bereits fast 14 Tage nach dem Ereignis, bei seinem ersten Besuch beim Durchgangsarzt so geschildert hat, wie Dr. M dies in seinen Durchgangsarztberichten vom 12. April 2007 (mit einmalig durch den Kläger korrigierter Unfallzeit) dargestellt hat. Danach hat der Kläger trotz geschlossener Schranke einen Fußgänger gesehen, der den Bahnübergang überquert hat, sofort eine Vollbremsung eingeleitet und ist ca. 2 m vor dem Fußgänger mit dem Triebfahrzeug zum Stehen gekommen. Dafür, dass der Kläger damals tatsächlich diese Situation geschildert hat, spricht seine eigene handschriftliche Darlegung, die Dr. M auf Anfrage des Senats mit Schreiben vom 30. September 2010 übermittelt hat. Es spricht nichts dafür, dass Dr. M nicht das vom Kläger geschilderte Unfallgeschehen in den Durchgangsarztbericht aufgenommen hat. Für die sorgfältige Arbeitsweise des Dr. M spricht auch, dass er die Uhrzeit des Vorkommnisses für die Akten noch einmal korrigiert hat, nachdem der Kläger in den von ihm selbst gefertigten Aufzeichnungen noch ein Fragezeichen hinter die zuerst angegebene Uhrzeit (16:00 Uhr) gesetzt hatte. Die Begründung, die der Kläger für sein abweichendes Vorbringen im Widerspruchsverfahren vorgebracht hat, Dr. M sei nicht ausreichend geschult gewesen, um das Vorbringen korrekt aufzunehmen, überzeugt den Senat daher nicht. Prüft man dieses Vorbringen, ergibt sich, dass der Kläger das Triebfahrzeug auf dem Bahnübergang zum Stehen hätte bringen müssen, denn sonst ist nicht erklärlich, wie er denn 2 m vor dem Fußgänger, der sich nach diesen Angaben auf dem Bahnübergang befunden haben muss, angehalten haben könnte. Dieser Bahnübergang befindet sich 159 m vor dem Beginn des Bahnsteiges (siehe TAD-Ermittlung Bl.196 GA).
Im Widerspruchsschreiben vom 23. November 2007 soll der Zug etwa 50 m nach dem vermeintlichen Unfallpunkt zum Stehen gekommen sein. Dies würde bedeuten, dass er ca. 100 m vor Beginn des Bahnsteiges gestanden hätte.
Im Berufungsverfahren (Schriftsatz vom 26. Oktober 2009) und bei der persönlichen Einvernahme durch den Senat am 26. August 2010 im Parallelverfahren hat er aber daran festgehalten, dass der Zug am Anfang des Bahnsteiges des Bahnhofes Berlin-Tegel zum Stehen gekommen sei und hat hierfür wiederholt den Zeugen B angeboten. Für diesen Fall erscheint es ausgeschlossen, dass der Triebwagen entsprechend den Erstangaben 2 m vor dem Fußgänger zum Stehen kam. Denn dieser hätte dann im Bereich des Bahnhofes stehen müssen, was nicht möglich erscheint, wenn er versucht haben soll, den Bahnübergang bei geschlossener Schranke zu überqueren.
Weiter könnte in Betracht kommen, dass der Fußgänger, die Richtigkeit der Erstangaben unterstellt, 2 m vor dem herannahenden, vom Kläger geführten Triebfahrzeug die Schienen überquert hat. Diese Version ist aber nicht plausibel zu machen, wenn man davon ausgeht, was nach dem Sachverhalt zwingend ist, dass der Kläger überhaupt gebremst hat. Geht man mit den Angaben des Klägers im Berufungsverfahren davon aus, dass der Zug nach dem Bremsvorgang am Eingang des Bahnhofs zum Stehen kam, gilt Grafik 3 (Blatt 196 GA). Der Kläger müsste 27 m vor Beginn der Weiche 76 gebremst haben. Der Bahnübergang ist bei Einleitung des Bremsvorganges noch 227 m entfernt. Von diesem Punkt aus ist zwar der Bahnübergang an sich erkennbar, Personen zumindest im Schrankenbereich aber nicht (vgl. 1. Foto Bl. 194 GA, 100 m vor Weiche 76). Nach den Angaben des TAD sind Personen sicher erst nach dem Passieren der Weiche zu erkennen. Hier müsste der Kläger aber vor der Weiche die Vollbremsung eingeleitet haben, um vor dem Bahnhof zum Stehen zu kommen. Weiter müsste der Fußgänger, so er denn für den Kläger so früh erkennbar war, auf dem Bahnübergang geradezu auf den Zug des Klägers „gewartet“ haben, um erst 2 m vor dem in Vollbremsung befindlichen Zug weg zu springen. Dies alles müsste an einem Bahnübergang, der sich in unmittelbarer Nähe der Fußgängerzone des Stadtteiles T befindet, während der schon beginnenden Hauptverkehrszeit passiert sein. Der Senat verkennt nicht, dass auch diese Sachverhaltsvariante theoretisch möglich ist. Geschildert wurde sie allerdings auch vom Kläger nicht.
Danach ist festzustellen, dass nicht im Vollbeweis nachgewiesen ist, dass sich tatsächlich eine Person auf den Gleisen befand. Zeugen gibt es hierfür nicht, auch der von dem Kläger benannte Zeuge B wurde lediglich zum Beweis der Tatsache benannt, dass der Zug ein Gefahrensignal ausgestoßen und der Kläger eine Vollbremsung ausgelöst hat und sein Zug etwa 200 Meter nach dem Bahnübergang zum Stehen gekommen ist. Dass der Zeuge auch eine Person über die Gleise hat laufen sehen, hat der Kläger nicht vorgetragen, auf die Vernehmung des Zeugen konnte daher verzichtet werden. Denn dass der Kläger tatsächlich eine Person auf den Gleisen gesehen hat, die Anlass für die Vollbremsung war, hätte der Zeuge nicht bestätigen könne. Allein eine Vollbremsung, bei der der Zug 200 Meter nach dem Bahnübergang zum Stehen kam, stellt jedoch zur Überzeugung des Senates keinen Unfall dar. Kam der Zug des Klägers 200 Meter nach dem Bahnübergang zum Stehen, d. h. bereits im Bahnhof, bedeutet dies nach der Aussage des Technischen Aufsichtsdienstes der Beklagten vom 20. Dezember 2010, dass die von dem Kläger beschriebene Vollbremsung bei km 11,286 und damit 14 Meter nach der Weiche 76 und lediglich 37 Meter früher als bei einer normalen Bremsung hätte eingeleitet werden müssen (Grafik 5). 37 Meter bedeuten in diesem Zusammenhang bei einer Geschwindigkeit von 100 km/h, dass die Vollbremsung lediglich 1,33 Sekunden vor der auch sonst nötigen Bremsung des Zuges eingeleitet werden musste. Aus welchem Grund der Kläger, statt den Zug bei km 11,249 normal abzubremsen eine gute Sekunde früher bei km 11.286 eine Vollbremsung eingeleitet hat, ließ sich nicht feststellen. Die von dem Kläger beschriebene Sachverhaltsvariante mit einem Endhaltepunkt des Zuges am Bahnhofseingang (Grafik 3) unterscheidet sich hiervon lediglich insoweit, als der Bremsvorgang nicht bei km 11.286 (vgl. Grafik 5), sondern bereits bei km 11.327 (vgl. Grafik 3), also nicht 37 sondern 78 m früher als die normale Bremsung ( bei 11.249) hätte eingeleitet werden müssen. In Sekunden umgerechnet bedeutet dies die Einleitung des Bremsvorganges um 2,8 Sekunden früher. Fest steht damit jedenfalls, dass das streitgegenständliche Ereignis, reduziert man es auf seinen Kern, darin besteht, dass der Kläger eine Zugbremsung 1,33 bzw. 2,8 Sekunden früher ausgelöst hat als dies normalerweise nötig gewesen wäre. Allein diese unwesentlich frühere Zugbremsung wird jedoch nicht zu einem außergewöhnlichen Ereignis, das den Begriff des Unfalls erfüllen kann. Will man das Tatbestandsmerkmal des „Unfalls“ in § 8 Abs. 1 S. 1 SGB VII nicht völlig aushöhlen und durch das Tatbestandsmerkmal „jeder (auch noch so übliche und alltägliche) Geschehensablauf“ ersetzen, so muss an dem Erfordernis der Außergewöhnlichkeit festgehalten werden. So dürfte auch die vom BSG zitierte grundsätzliche Entscheidung 2690 (AN. 1914 S. 411) des Reichsversicherungsamtes (RVA.) zu verstehen sein, nach der auch „Unfälle des täglichen Lebens“ Betriebsunfälle sein sollten. Auch hier wurden aber nicht die alltäglichen Geschehensabläufe, sondern die alltäglichen Unfälle unter den Schutz der Unfallversicherung gestellt. Unter dem Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung stehen damit zur Überzeugung des Senates nicht die alltäglichen Tätigkeiten und Geschehensabläufe, die im Rahmen der Tätigkeit des Klägers üblich und selbstverständlich sind, sondern nur die Ereignisse, bei denen weitere Umstände (Stolpern, Stürzen etc.) hinzutreten, die den Rahmen der normalen Tätigkeit (Gehen, Stehen, Bremsen etc.) übersteigen.
Zu einem außergewöhnlichen Ereignis in diesem Sinne wird die Zugbremsung des Klägers jedoch erst in seiner Phantasie, wenn er sich vorstellt, dass eine Person gefährdet gewesen sei und was hätte passieren können, wenn der Zug die Person erfasst hätte. Zwar kann auch eine geistig-seelische Einwirkung genügen, auch diese muss aber zur Überzeugung des Senates unter entsprechender Anwendung der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts „von außen kommen“, d. h. es muss ein tatsächlicher und nicht nur vorgestellter bzw. quasi durch Weiterdenken des Geschehensablaufes ergänzter äußerer Geschehensablauf vorliegen. Allein die Vorstellung des Klägers, es hätte zu einem Personenschaden kommen können oder es sei zu einem Personenschaden gekommen, reicht hierfür nicht aus.
Würde jede frühere oder stärker als notwendig durchgeführte Zugbremsung im Schienenverkehr einen Unfall darstellen, müsste dies auch auf den Straßenverkehr übertragen werden. Dann müsste die Beklagte sämtliche Vollbremsungen im Straßenverkehr auf dem Weg zwischen Wohnort und Arbeitsstätte – soweit der Versicherte vorträgt hierdurch einen Schock erlitten zu haben - dem Grunde nach als Arbeitsunfall behandeln und in medizinische Ermittlungen eintreten, um erst auf der Stufe der Kausalität zu entscheiden, ob die Vollbremsung eine wesentliche Bedingung für eine psychische Erkrankung darstellen kann. Dass dies den Begriff des Arbeitsunfalls überdehnt und nicht mehr handhabbar macht, dürfte auf der Hand liegen.
Nur nach einer in der Literatur geäußerten Auffassung, nach der jede Wahrnehmung durch die Sinnesorgane des Menschen (so z. B. das Erblicken eines beliebigen Gegenstandes) ausreichen soll, um als äußeres Ereignis im Sinne des Rechts der gesetzlichen Unfallversicherung in Betracht zu kommen, und die daher schon jede Wahrnehmung auf die Verursachung eines Gesundheitserstschadens medizinisch untersuchen will (so: Bultmann S., Fabra, M. War es überhaupt ein Unfall? Erstschadensbeurteilung bei psychogenen Störungen in der gesetzlichen Unfallversicherung, in: MedSach 2009, S. 172 ff.), könnte das hier zugrunde gelegte Ereignis (Abbremsen eines Zuges aus ungeklärter Ursache wegen behaupteter Wahrnehmungen) nach medizinischer Sachverhaltsaufklärung die Tatbestandsmerkmale eines Arbeitsunfalls erfüllen. Dieser Auffassung folgt der Senat nicht, da er der Ansicht ist, dass allgemeine Sinneswahrnehmungen während der Arbeitszeit, die in jeder Hinsicht sozial adäquat sind und keinem wachen Menschen „erspart“ bleiben, selbst dann den Unfallbegriff im Sinne des SGB VII nicht erfüllen, wenn sie einen – was kaum denkbar erscheint- Gesundheitserstschaden verursacht haben sollten. Dies ergibt sich nach Auffassung des Senats allerdings nicht erst aus der Anwendung der Kausalitätstheorie von der wesentlichen Bedingung, sondern aus dem Gedanken des Schutzbereiches der Norm. Ganz wesentlicher Zweck der gesetzlichen Unfallversicherung ist die Ablösung der Unternehmerhaftung (§ 104 ff SGB VII) bei alleiniger Beitragstragung durch die Unternehmen. Vor diesem Hintergrund sind allgemeine, alltägliche Wahrnehmungen des einzelnen Versicherten aus dem Schutzbereich der gesetzlichen Unfallversicherung auszugrenzen, weil es ansonsten zu einer nicht mehr zu rechtfertigenden Ausdehnung des Schutzbereiches zu Lasten der allein die Beitragslast tragenden Unternehmen kommt. Denn die alltägliche Wahrnehmung vollkommen sozialadäquater Geschehensabläufe stellt ein „Risiko“ dar, das in keiner Weise seine Ursache in der versicherten Tätigkeit hat. Sie ist vielmehr untrennbar mit der menschlichen Existenz an sich verbunden und wird nicht dadurch zu einem äußeren Ereignis i.S. des § 8 Abs. 1 Satz 2 SGB VII, dass sie –auch- während der Arbeitszeit stattfindet.
Nach alledem ist die Berufung zurückzuweisen, denn das Ereignis vom 30. März 2007 stellt keinen Arbeitsunfall dar.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG und trägt dem Ausgang des Verfahrens Rechnung.
Die Revision ist zuzulassen, weil die Rechtsfrage, ob das in § 8 Abs. 1 Satz 2 SGB VII enthaltene Tatbestandsmerkmal „Ereignisse“ Voraussetzung der Bejahung eines Arbeitsunfalls ist oder ob es ausreichend ist, dass der Versicherte einen Gesundheitserstschaden durch alltägliche Wahrnehmungen bei der Verrichtung seiner versicherten Tätigkeit erleidet, der grundsätzlichen Klärung bedarf. Die bisherige höchstrichterliche Rechtsprechung erlaubt jedenfalls aus der Sicht des Senats keine eindeutige rechtliche Bewertung von Beinaheunfällen aufgrund von Bagatellereignissen.