Gericht | SG Cottbus 32. Kammer | Entscheidungsdatum | 17.03.2014 | |
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Aktenzeichen | S 32 AS 436/13 | ECLI | ||
Dokumententyp | Urteil | Verfahrensgang | - | |
Normen | § 2 Abs 2 S 1 RVG, § 3 RVG, § 15 Abs 2 RVG, § 63 Abs 1 SGB 10 |
1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Eine Erstattung der außergerichtlichen Kosten findet nicht statt.
3. Die Berufung wird zugelassen.
Der Kläger macht mit der vorliegenden Klage die Gebühren für das Tätigwerden seiner Prozessbevollmächtigten in einem Widerspruchsverfahren geltend.
Der Kläger und seine Ehefrau (Klägerin im beim Sozialgericht Cottbus parallel anhängigen Verfahren S 32 AS 411/13) stehen bei dem Beklagten im Bezug von Leistungen zur Grundsicherung für Arbeitsuchende nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch.
Mit Bescheiden vom 4. September 2012 setzte der Beklagte gegenüber dem Kläger und seiner Ehefrau – getrennt – die Bewilligung von Leistungen zur Grundsicherung für Arbeitssuchende für den Zeitraum März 2012 bis August 2012 endgültig fest und verlangte vom Kläger die Erstattung von 529,02 Euro bzw. von dessen Ehefrau die Erstattung von 528,96 Euro.
Der Kläger und seine Ehefrau erteilten getrennte Handlungsvollmachten an die hiesige Prozessbevollmächtigte, die am 26. September 2012 für den Kläger und seine Ehefrau jeweils gesondert Widerspruch (Aktenzeichen des Beklagten ... und ...) einlegte. Dem Widerspruch half der Beklagte durch Widerspruchsbescheid vom 19. November 2012 dadurch ab, dass er die angefochtenen Bescheide vom 4. September 2012 aufhob. Des Weiteren erklärte sich der Beklagte jeweils zur Übernahme der notwendigen außergerichtlichen Kosten des Klägers bzw. dessen Ehefrau bereit; die Hinzuziehung eines Bevollmächtigten wurde für notwendig erachtet.
Der Kläger beantragte durch seine Bevollmächtigte mit Schreiben vom 21. November 2012 die Erstattung der Gebühren und Auslagen seines Bevollmächtigten in Höhe von 309,40 Euro.
Der Beklagte setzte mit Bescheid vom 6. Dezember 2012 für den Kläger und dessen Ehefrau gemeinsam die Kosten gemeinsam in Höhe von 395,08 Euro (Geschäftsgebühr Nr. 2400 VV RVG 240,00 Euro, Gebührenerhöhung Nr. 1008 VV RVG 72,00 Euro, Telekommunikationspauschale 20,00 Euro und Umsatzsteuer); im Übrigen lehnte der Beklagten eine weitere Kostenerstattung ab.
Den dagegen gerichteten Widerspruch lehnte der Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 11. Januar 2013 ab. Zur Begründung führte der Beklagte an, dass es sich bei den Verfahren des Klägers und seiner Ehefrau um dieselbe Angelegenheit im Sinne des § 15 RVG handele, so dass die Geschäftsgebühr nur um die Erhöhung wegen eines weiteren Auftraggebers zu erhöhen sei.
Der Kläger hat am 5. Februar 2013 Klage erheben lassen. Er verfolgt sein Begehren auf weitere Kostenerstattung weiter. Er ist der Ansicht, dass sein Widerspruchsverfahren und dasjenige seiner Ehefrau gebührenrechtlich als zwei verschiedene Angelegenheiten zu betrachten seien. Dies insbesondere vor dem Hintergrund, dass die aufgehobenen und zur Erstattung verlangten Leistungen nach dem SGB II Individualansprüche seien und somit nicht zwingend zusammen zu betrachten sind.
Der Kläger beantragt,
den Beklagten zu verurteilen, in Abänderung des Kostenfestsetzungsbescheides vom 06.12.2012 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 11.01.2013 die für das Widerspruchsverfahren ... an den Kläger zu erstattenden Kosten auf 309,40 Euro festzusetzen und an den Kläger weitere 118,86 Euro zu erstatten.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Der Beklagte hält an seiner Auffassung fest, dass die Widerspruchsverfahren der Klägerin und ihres Ehemanns mit den Aktenzeichen ... und ... als dieselbe Angelegenheit im Sinne des § 15 RVG zu betrachten und deshalb die Gebühr nach Nr. 2400 VV RVG nur einmal anzusetzen sei.
Hinsichtlich des weiteren Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der beigezogenen Verwaltungsakten des Beklagten sowie der Gerichtsakte verwiesen.
1. Die zulässige Klage ist unbegründet.
Der Bescheid vom 6. Dezember 2012 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 11. Januar 2013 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten.
Nach § 63 Abs. 1 SGB X hat der Rechtsträger, dessen Behörde die angefochtene Entscheidung erlassen hat, demjenigen, der Widerspruch erhoben hat, die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung notwendigen Aufwendungen zu erstatten, wenn der Widerspruch erfolgreich ist. Die Gebühren und Auslagen eines Rechtsanwalts sind erstattungsfähig, wenn die Hinzuziehung eines Bevollmächtigten notwendig war.
Der Beklagte hat im Bescheid vom 19. November 2012 die Zuziehung eines Rechtsanwalts für notwendig erklärt.
Gebühren und Auslagen im Sinne des § 63 Abs. 2 SGB X sind nur die gesetzlichen Gebühren und Auslagen (BSG, Urteil vom 05.05.2010 – B 11 AL 14/09 R – zitiert nach juris, mit Hinweis auf BSGE 78, 159, 161). Der Umfang der notwendigen Aufwendungen für die Widerspruchsführer richtet sich nach dem Rechtsanwaltsvergütungsgesetz (RVG) in Verbindung mit dem Vergütungsverzeichnis in der Fassung des Gesetzes zur Modernisierung des Kostenrechts vom 5. Mai 2004.
Der Beklagte ist bei der Festsetzung der zu erstattenden Kosten zutreffend davon ausgegangen, dass neben der gemäß Nr. 2400 VV RVG zu gewährenden (Schwellen)gebühr noch eine Erhöhungsgebühr gemäß Nr. 1008 VV RVG wegen eines weiteren Auftraggebers sowie die Kosten für die Telekommunikationspauschale und die Umsatzsteuer anzusetzen sind. Dieser Festsetzung liegt die zutreffende Auffassung des Beklagten zugrunde, dass es sich bei den Widerspruchsverfahren ... und ... um eine Angelegenheit im Sinne des § 15 RVG handelt.
Eine Angelegenheit im Sinne des Vergütungsrechts erfasst das Recht oder Rechtsverhältnis, auf das sich die Tätigkeit des Rechtsanwaltes aufgrund des Auftrages bezieht (Sozialgericht Berlin, Beschluss vom 17.12.2013 - S 180 SF 7504/13 EB – unter Verweis auf BVerwG NJW 2000, 2289; BayVGH vom 5. November 2007 Az. 23 ZB 07.2340 -Juris). Eine Angelegenheit im Sinne des RVG kann auch mehrere Gegenstände umfassen. Ob mehrere Gegenstände dieselbe oder mehrere Angelegenheiten darstellen, hängt davon ab, ob sie von einem einheitlichen Auftrag umfasst werden, zwischen ihnen ein innerer Zusammenhang besteht und der Rechtsanwalt einen einheitlichen Tätigkeitsrahmen wahrt (vgl. BGH, Urteile vom 19.12.2012 - IV ZR 186/11 - und vom 21.06.2011 - VI ZR 73/10; BVerwG und BayVGH, jeweils a.a.O.; Hartmann, Kostengesetze, 39. Aufl., § 15 RVG Rn. 9 bis 12, 20 und 28; Gerold/Schmidt, RVG, 21. Aufl., § 15 Rn. 6 ff).
Soweit diese in der höchstrichterlichen Rechtsprechung zu verschiedenen Fallgestaltungen entwickelten Voraussetzungen ihre Erfüllung finden, ist es durch das dem RVG zugrunde liegende Pauschsystem gerechtfertigt, eng zusammengehörige anwaltliche Tätigkeiten auch zu einer Gebührenbemessungseinheit zusammen zu fassen (Sozialgericht Berlin, aaO.). Dabei wird die Durchführung verschiedener gerichtlicher Verfahren regelmäßig dafür sprechen, dass ein innerer Zusammenhang zwischen den Verfahrensgegenständen nicht besteht und der Rechtsanwalt wegen der unterschiedlichen materiell-rechtlichen und prozessualen Voraussetzungen und Anforderungen an einer einheitlichen Vorgehensweise gehindert ist.
Eine zwingende Identität von Verfahren und Angelegenheiten besteht jedoch nicht, so dass auch mehrere Verfahren eine gebührenrechtliche Angelegenheit darstellen können. Ob dies der Fall ist, ist in Anwendung der oben dargestellten allgemeinen Abgrenzungskriterien zu entscheiden.
Die Kammer konnte dies vorliegend bejahen. Die prozessbevollmächtigte Rechtsanwältin war für den Kläger und seine Ehefrau für die Widerspruchseinlegung mandatiert. Die Widerspruchsschreiben sind bis auf die Bezeichnung der Erstattungsbeträge und die Parteibezeichnung identisch. Individuelle Besonderheiten in der Person des Klägers bzw. dessen Ehefrau entfalten keine wesentliche Bedeutung für die getrennte Führung der Widerspruchsverfahren.
Der Gegenstand des Widerspruchsverfahrens ist nicht identisch gewesen, denn Gegenstand der Widerspruchsverfahren waren der an den Kläger und an seine Ehefrau getrennt gerichteten Festsetzungs- und Erstattungsbescheide. Die Kammer schließt sich im Ausgangspunkt insoweit der vom Sozialgericht Berlin im o.g. Beschluss (aaO, Rn. 17) geäußerten Beurteilung über den inneren Zusammenhang zweier Verfahren an:
„Allerdings bestand der innere Zusammenhang zwischen den Gegenständen, denn einerseits beruht die Aufhebung der Leistungsbewilligung auf einem einheitlichen Lebenssachverhalt, nämlich der Einkommenserzielung nur eines Mitgliedes der Bedarfsgemeinschaft und andererseits kann eine Überprüfung und Berechnung des Leistungsanspruches nach dem SGB II wegen der gesetzlichen Konstruktion der horizontalen Einkommensverteilung in § 9 Abs. 2 SGB II zwischen Mitgliedern einer Bedarfsgemeinschaft gar nicht getrennt und einzeln für die Mitglieder einer Bedarfsgemeinschaft erfolgen, sondern muss zwangsläufig zusammen für alle Mitglieder der Bedarfsgemeinschaft errechnet werden. Genauso verhält es sich bei der Prüfung der Rechtmäßigkeit einer Erstattungsforderung. Auch hier muss zunächst berechnet werden, welche Beträge an Leistungen den einzelnen Mitgliedern der Bedarfsgemeinschaft unter Anrechnung des erzielten Einkommens zugestanden hätten, um diese dann von den Beträgen der tatsächlich gewährten Leistungen in Abzug zu bringen.“
Genau diese Konstellation erfüllen die vom Kläger und seiner Ehefrau initiierten Widerspruchsverfahren, mit denen sie sich gegen die Erstattungsforderungen zur Wehr gesetzt haben.
Die Prozessbevollmächtigte hat den einheitlichen Tätigkeitsrahmen auch dadurch gewahrt, dass sie in den Widerspruchsverfahren inhaltlich gleich lautende Schriftsätze vorgelegt hat. Dabei ist nicht auf die vom Beklagten vorrangig in die Argumentation eingeführte Verwendung von Textbausteinen abzustellen und diese als Grund des einheitlichen Tätigkeitsrahmens zu betrachten. Vielmehr ist die Möglichkeit der Verwendung von Textbausteinen lediglich ein Indiz für die einheitliche Tätigkeit der Prozessbevollmächtigten, die sich als Folge der einheitlichen Tätigkeit und des inneren sachlichen Zusammenhangs mehr oder weniger zwangsläufig anbietet.
Soweit der Kläger einwendet, dass die Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem SGB II als Individualrechtsansprüche ausgestaltet sind und dies sich auch auf die Erstattungsforderungen auswirkt, vermag dies die Kammer jedoch nicht zu überzeugen. Maßgebend war vielmehr der Umstand, dass durch die Konstruktion der Bedarfsgemeinschaft und der horizontalen Einkommensverteilung die Höhe der Leistungen nicht ohne Berechnungen zur Höhe der Leistungsansprüche anderer Mitglieder der Bedarfsgemeinschaft erfolgen kann.
Hinsichtlich der konkret festgesetzten Gebührenhöhe hatte die Kammer keinen Anlass, von den vom Beklagten für den Kläger und seine Ehefrau insgesamt auf 395,08 Euro festgesetzten Gebühren, basierend auf den zwischen den Beteiligten auch nicht streitig gewordenen Beträgen für die Schwellengebühr nach Nr. 2400 VV RVG in Höhe von 240,00 Euro, der Erhöhungsgebühr nach Nr. 1008 VV RVG von 72,00 Euro und den (unstreitigen) Auslagentatbeständen nach Nr. 7002 VV RVG (20,00 Euro) und Nr. 7008 VV RVG iVm § 12 Abs. 1 Umsatzsteuergesetz (63,08 Euro) abzuweichen.
2. Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG und berücksichtigt das Ergebnis in der Hauptsache.
3. Die Beschwer des Klägers beträgt 118,86 Euro, mithin ist die Berufung grundsätzlich nicht statthaft (§§ 143, 144 Abs. 1 Nr. 2 SGG). Die Kammer hat vorliegend jedoch mit Blick auf die beim Bundessozialgericht unter dem Aktenzeichen anhängige Revision B 4 AS 27/13 die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache festgestellt und die Berufung nach § 144 Abs. 2 Nr. 1 SGG zugelassen.