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Berufskrankheit; 4105; Anerkennung; Mesotheliom; Pleura; Asbest; Klinikum; Vollbeweis; Wahrscheinlichkeit


Metadaten

Gericht LSG Berlin-Brandenburg 3. Senat Entscheidungsdatum 17.11.2011
Aktenzeichen L 3 U 306/08 ECLI
Dokumententyp Urteil Verfahrensgang -
Normen § 2 SGB 7, § 6 SGB 7, § 9 SGB 7, Nr 4105 Anl 1 BKV

Tenor

Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 19. Mai 2008 wie folgt geändert:

Es wird festgestellt, dass beim Verstorbenen als Berufskrankheit nach Nr. 4105 der Anlage 1 der Berufskrankheiten-Verordnung ein durch Asbest verursachtes Mesotheliom des Rippenfells vorlag. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

Im Übrigen wird die Berufung zurückgewiesen.

Die Beklagte erstattet der Klägerin zwei Drittel ihrer notwendigen außergerichtlichen Kosten für das erst- und zweitinstanzliche Sozialgerichtsverfahren.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

Die Klägerin begehrt als Sonderrechtsnachfolgerin ihres 1941 geborenen und 2004 verstorbenen Ehemanns Dr. G G (Verstorbener) die Anerkennung seiner Erkrankung als Berufskrankheit nach Nr. 4105 der Anlage 1 der Berufskrankheiten-Verordnung (BKV) – durch Asbest verursachtes Mesotheliom des Rippenfells, des Bauchfells oder des Perikards - (BK 4105).

Der Verstorbene war nach Abschluss seines an der F Universität B (F) durchlaufenen Medizinstudiums am 20. März 1969 als Medizinalassistent ab Mai 1969 in der Chirurgischen Abteilung des P Krankenanstalt e.V., ab November 1969 in der Augenklinik im W-Klinikum und ab Februar 1970 in der Inneren Abteilung des M Krankenhauses tätig. Vom 16. November 1970 bis zum 31. Januar 1974 war er als wissenschaftlicher Assistent in der Abteilung für Physikalische Therapie am KIinikum S der F (heute C B F der C <CBF>) beschäftigt. In dieser Zeit fanden in der Abteilung bei laufendem Patientenbetrieb Bauarbeiten (Abriss-, Umbau-, Sanierungsarbeiten) statt, wobei der Kläger die Aufgabe hatte, den Patientenbetrieb mit den Bauarbeiten zu koordinieren. Ab Februar 1974 war er Assistenzarzt der Augenklinik im Städtischen W-Krankenhaus. Nach seiner Anerkennung als Facharzt für Augenkrankheiten ließ er sich 1978 als Augenarzt nieder, als welcher er bis kurz vor seinem Tod arbeitete.

Der Kläger wurde Ende Januar 2004 wegen akuter Atemnot in der Lungenklinik H aufgenommen. Am 08. März 2004 ging bei der Beklagten eine Ärztliche Anzeige bei Verdacht auf eine Berufskrankheit der Lungenklinik H ein, wonach beim Kläger ein epitheliales Pleuramesotheliom bestehe und der Kläger während seiner Tätigkeit von 1971 bis 1974 am Klinikum S bei langanhaltenden Umbauarbeiten im gesamten Tiefkellerbereich seines Arbeitsplatzes Asbest ausgesetzt gewesen sei. Beigefügt war ein vom Verstorbenen ausgefüllter Berufsanamnesebogen, wonach die langanhaltenden Umbauarbeiten im gesamten Tiefkellerbereich seines damaligen Arbeitsplatzes am Klinikum S den Austausch eines Bewegungsbades in der Bäderabteilung sowie den Umbau einer Rohrpostanlage, der Röntgen-Nuklearmedizin und des Zentraltrakts für Betten betroffen hätten. Seine Arbeitsaufgabe sei damals die Durchführung von Bädern, Massagen, Inhalationen, Gleich- und Wechselstrombehandlungen sowie Krankengymnastik gewesen. Er habe Patienten orthopädisch untersucht. Er sei Stäuben ausgesetzt gewesen. Der Zugang zu seiner Abteilung sei oft über den Baustellenbereich im Tiefkeller erfolgt. Da es ein Tiefkeller gewesen sei, habe durch die Bäderabteilung und hohe Behandlungszahlen eine hohe Luftfeuchtigkeit bestanden, so dass eine große Belüftungs- und Klimatechnik eingesetzt gewesen sei. Einen Körperschutz habe er nicht gehabt. An arbeitsmedizinische Vorsorge könne er sich nicht erinnern. Erkrankungen bei Kollegen seien nicht bekannt. Der ärztlichen Anzeige waren ferner pathologisch-anatomische Begutachtungsberichte vom 03. und 06. Februar 2004 sowie ein Endoskopiebericht vom 30. Januar 2004 beigefügt.

Die Beklagte nahm einen Bericht von R U, seinerzeit Ärztin in der Physikalischen Therapie und Zuständige für die technische Sicherheit der Abteilung, zu den Akten, wonach der Verstorbene als Assistenzarzt in der im Tiefkeller gelegenen Abteilung tätig gewesen sei, in welcher und neben welcher langfristige Umbauten abgrenzend zu überwachen gewesen seien. Diese Aufgabe sei dem Verstorbenen zugefallen. Sicherheitstechniker und Handwerker seien intensiv zu beraten gewesen, um das Eindringen der Baustäube zu minimieren, weil der Hygienestandard in den Nassbereichen besonders hoch zu sein habe. Häufige, tägliche sachkundige Inspektionen hätten die Nassreinigungsfrequenz und den zusätzlichen Einsatz der in der Abteilung vorhandenen Reinigungskräfte festgelegt. Im parallel laufenden Flur sei die subaquale Darmbad-Anlage unter Entfernung der Zu- und Abläufe ausgebaut und der Raum einer Mehrzwecknutzung zugeführt worden. An anderer Ecke der Abteilung sei die Krankengymnastikzone langfristig durch die Staubminderungsvorhänge geschützt worden. An der vierten Ecke der Abteilung – angrenzend an den Lichthof - habe sich ein großflächiges Bewegungsbad in Kachelkonstruktion befunden, welches abgerissen und durch eine Stahlkonstruktion ersetzt worden sei. Dieser große Umbauraum sei nur durch den Verstorbenen betreten worden. Dieser Umbau habe besonders lange gedauert und sei in den angrenzenden Bereichen besonders belastend auch durch Lärm in einem Metall-Glas-Kacheln-Ambiente gewesen. Von der Sicherheitsabteilung sei die Warnung vor besonderer Gefährdung durch Baustäube ergangen.

Die Beklagte nahm ferner einen in der Lungenklinik H gefertigten Anamnesebogen zu den Akten, wonach beim Verstorbenen 20 Jahre zuvor das erste Mal ein Emphysem festgestellt worden sei und der Verstorbene seit 20 Jahren fünf Zigarren täglich, davor Zigaretten geraucht habe. Der Entlassungsbericht der Lungenklinik H vom 04. März 2004 enthält unter anderem die Diagnosen epitheliales Pleuramesotheliom rechts mit Infiltration des Lungenparenchyms und rechts mediastinalen Lymphomen, Pleuraerguss rechts.

Die Klägerin gab der Beklagten unter dem 09. Juli 2004 in einem von ihr ausgefüllten Fragebogen an, dass der Verstorbene während des Chemiepraktikums im Rahmen des Medizinstudiums in B mit asbestschnurumwickelten Glasgefäßen umgegangen sei, talkumpuderbestreute OP-Handschuhe während seiner ärztlichen Tätigkeit an- und ausgezogen habe und als Bystander von Baumaßnahmen Asbest ausgesetzt gewesen sei. Sie fügte einen vom Verstorbenen verfassten Bericht bei. Danach habe er während seiner patientenbetreuenden Tätigkeit als Arzt in der Abteilung für Physikalische Therapie im Klinikum S im Tiefkeller des Hauses gearbeitet. Hier hätten über einen längeren Zeitraum umfangreiche Umbaumaßnahmen mit Mauerdurchbrüchen und anderen Abriss- und Isolationsarbeiten zwischen den Bereichen Bettenwarte, Empfang und Eingang für ambulante Patienten sowie einem unteren Flur und einem Durchbruch zur Strahlenabteilung stattgefunden. Der Patientenbetrieb sei trotz großer Staubbelastung fortgesetzt worden. Dieser Betriebsort sei nur notdürftig durch sich lose überlappende Plastikvorhänge abgeteilt gewesen. Es sei in den zu betreuenden Patientenbereichen trotz dieser Abtrennungen eine große Staubbelastung angefallen. Die Patientenbetreuung unter diesen Bedingungen habe er allein als männlicher Assistenzarzt wahrnehmen müssen. Die weiblichen Ärztinnen der Abteilung hätten den Bereich nicht betreten sollen. Die Herz-Kreislauf-Überwachung und ärztliche Untersuchungen bzw. Behandlungen an Patienten im Stangerbad und in Krankengymnastikzonen seien von ihm vorgenommen worden. In einer Ecke der Abteilung, angrenzend an den Lichthof, habe sich ein großflächiges Bewegungsbad in Kachelbauweise befunden, welches abgerissen und durch eine Stahlkonstruktion ersetzt worden sei. Diesen Raum habe er mit Patientenbetten durchqueren müssen, um in andere Bereiche zu gelangen. Der Umbau habe hier besonders lange gedauert. Auch die angrenzenden Bereiche seien staubbelastet gewesen, weil sie nur von lose überlappenden Plastikfolien von den Handwerker- und Umbaubereichen getrennt gewesen seien. Im parallel laufenden Flur sei die so genannten subaquale Darmbadanlage mit Isolierungen der Zu- und Abläufe ausgebaut worden. Die Dämm-, Isolations- und evtl. Brandschutzmaterialien seien gebohrt, gesägt, gefräst und durch Vibrationsgeräte bearbeitet worden. Die Bereiche, in denen er gearbeitet habe, seien häufig feucht gewischt und von der technischen Sicherheit inspiziert worden. Die beiden Ärztinnen R U und K Y hätten damals nur in nicht staubbelasteten Räumen gearbeitet, könnten jedoch seine Angaben bestätigen. Seine Arbeitszeit habe zwischen 8.00 und 16.00 Uhr gelegen.

Die Beklagte ermittelte beim Betriebsärztlichen Dienst des Universitätsklinikums Benjamin F. (UBF, vormals Klinikum S) Anamnese und Befund der Personaluntersuchung des Verstorbenen vom 22. Dezember 1970. Laut Auskunft der C– Geschäftsbereich Kaufmännisches und Technisches Facility Management, Bearbeiter K - vom 04. Februar 2005 zogen sich die Baumaßnahmen im Bereich der Anmeldung der Physikalischen Therapie (ca. 1974) über drei Monate hin. Alle vom Umbau betroffenen Räume seien an die Lüftungsanlage angeschlossen gewesen, wobei zusätzlich eine individuelle Fensterlüftung möglich gewesen sei. Im Zuge des Umbaus sei die vorhandene Rohrpostanlage auf einer Länge von ca. fünf Metern um ca. 90° gedreht worden. Das Therapiebecken liege in der Geschossebene der Physikalischen Therapie, die Wasseraufbereitungsanlage befinde sich im darunter liegenden Geschoss und sei nur von außen erreichbar. Diese Technikräume seien mit einer Technik-Schließanlage verschlossen gewesen, so dass Mitarbeiter der Physikalischen Therapie nicht im Besitz dieser Technik-Schlüssel seien.

Laut Auskunft der C – Hauptsachbearbeitung für aufsichtsbehördliche Angelegenheiten (HsA), Bearbeiter A – vom 20. Oktober 2004 (e-mail) und vom 05. November 2004 wurde das Gebäude, in welchem der Verstorbene von 1971 bis 1974 beschäftigt gewesen sei, in den 60er Jahren erbaut und ging 1969/ 1970 in Betrieb. Auch nach Inbetriebnahme seien kontinuierlich Aus- und Umbaumaßnahmen erfolgt. Nach Auskunft des Dezernats Technik und Bau sei Ende der 80er Jahre eine Sachverständigenprüfung über die Ermittlung hinsichtlich asbesthaltiger Stoffe in der Bausubstanz mittels Laboranalysen in verschiedenen Bereichen des Hauptgebäudes durchgeführt worden. Einem diesbezüglich vorliegenden Technischen Teilbericht Nr. L – 37/89 – T 1 vom 16. Oktober 1989 könne entnommen werden, dass die Materialproben-Analyseergebnisse zum Beispiel an Dichtungen und Brandschutzklappen bis zu 93 %, in Türfüllungen bis zu 84 %, in Revisionsklappen mit brandschutztechnischqualitativer Einlage bis 46 %, im Deckenspritzputz bis zu 2 % Chrysotil (Weißasbest) ergeben hätten. Die Untersuchungen auf Krokydolith (Blauasbest) hätten sämtlichst unter der Nachweisgrenze von 3 % gelegen. Aus dem Befund, dass sich unter Deckenspritzputz und Teilen der Betriebstechnik Chrysotil befunden habe und aufgrund von Bautätigkeiten auch im Bereich der ehemaligen Physikalischen Therapie mutmaßlich Deckenplatten abgenommen worden seien, könne nicht ausgeschlossen werden, dass ein Kontakt des Verstorbenen mit Chrysotil bzw. mit asbesthaltigen Baustäuben stattgefunden habe. Nach Recherchen der Leitung der heutigen Physikalischen Therapie seien im Beschäftigungszeitraum des Verstorbenen zumindest Trennwände in diesem Bereich eingebaut worden, welche ein Aufnehmen von Deckenplatten mutmaßlich erforderlich gemacht hätten. Zusätzlich hätten die Recherchen ergeben, dass im Bereich der Physikalischen Therapie Talkum verwendet worden sei. Allerdings liege hierzu die Auskunft vor, dass Talkum nur von den Masseuren im Rahmen der Therapie angewendet worden sei. Es liege aber aufgrund des ehemaligen Arbeitsbereichs des Verstorbenen sehr nahe, dass er mit Talkumpuderstäuben in Kontakt gekommen sein könne.

Die Beklagte ließ das fachpathologische Gutachten von Prof. Dr. M vom Institut für Pathologie der R-Universität B an den Berufsgenossenschaftlichen Kliniken B – Deutsches Mesotheliomregister – vom 05. Januar 2005 erstellen. Prof. Dr. M gelangte nach Auswertung von mehr als 100 mikroskopischen Präparaten, eines Obduktionsberichts von Prof. Dr. D und Dr. M und nach Durchführung von immunhistochemischen Untersuchungen zum Ergebnis, dass mehr für als gegen die Einordnung des Tumorbilds bei einem primären Pleuramesotheliom spreche, auch wenn das Metastasierungsmuster ungewöhnlich sei. Die an vier Gewebsproben durchgeführten staubanalytischen Untersuchungen hätten keine Hinweise für eine vergleichsweise chronisch erhöhte Asbestbelastung der Lungen ergeben. Hiernach und mangels verfügbarer konkreter Informationen über eine vergleichsweise erhöhte berufliche Asbeststaubexposition seien die Voraussetzungen für eine BK 4105 nicht erfüllt.

Die Präventionsabteilung der Beklagten ging in ihrer Stellungnahme vom 23. März 2005 von einer Asbestexposition von 1.000.000 F/ m³ des Verstorbenen als Bystander aus und nahm erneut unter dem 27. Januar 2006 Stellung. Hierbei gelangte sie zur Einschätzung, dass lediglich eine Asbestexposition des Verstorbenen als Bystander beim Umbau des Empfangsbereichs der Physikalischen Therapie ab Januar 1974 von insgesamt einem Monat vorgelegen habe. Es liege eine Asbestexposition vor, welche innerhalb eines Monats für den Verstorbenen lediglich indirekt als Bystander über 1.000 F/ m³ und mit 0,085 Faserjahren unter 2,5 Faserjahre gelegen habe. Mit einer e-mail vom 10. November 2005 teilte Herr K von der Charité mit, dass bezüglich des Bewegungsbads von einer Asbestverwendung nichts bekannt sei, und übersandte unter dem 27. Januar 2006 den Technischen Bericht Nr. L – 37/89 – T 1 der Diplomingenieure P und R über die Ermittlung hinsichtlich asbesthaltiger Materialien mittels Labor-Analysen in den Bettenhäusern – Behandlungsbau des Klinikums S, Hdamm vom 16. Oktober 1989.

Im für die Beklagte unter dem 08. August 2005 erstatteten Gutachten gelangten Prof. Dr. D und Dr. M vom Institut für Pathologie „RHaus“ der Charité unter Auswertung der am Verstorbenen am 30. April 2004 durchgeführten Sektion zum Ergebnis, dass ein malignes Pleuramesotheliom vorgelegen habe. Für eine Asbestexposition typische Pleuraplaques hätten im Bereich des rechten Brustkorbs nachgewiesen werden können. Prof. Dr. M führte in seiner ergänzenden Stellungnahme vom 26. September 2005 aus, dass die Diagnose eines rechtsseitigen malignen Pleuramesothelioms als ausreichend gesichert anzusehen sei. Angesichts der Feststellungen der Präventionsabteilung sei nur der Schluss zu ziehen, dass von einer beruflich bedingten Asbestexposition überwiegend als Bystander auszugehen sei. Eine BK 4105 sei wahrscheinlich.

Die Beklagte forderte eine Stellungnahme des bis 1985 am W-Krankenhaus als Chefarzt tätig gewesenen Dr. F vom 27. April 2005 an, wonach bis 1985 niemals mit Handschuhen und danach nicht mit gepuderten Handschuhen operiert worden sei. Die Beklagte holte die unter dem 08. Dezember 2005 erstellte Auskunft der ehemaligen Arbeitskollegin des Verstorbenen am Klinikum S Dr. Y ein, welche ergänzend zu den Angaben des Verstorbenen ausführte, dass die Abgrenzung des Baubereichs im Gymnastikbereich für Kinder und Spastiker allein durch eine Hängevorrichtung aus sich überlappenden, starren und durchscheinenden Kunststoffbahnen eher dürftig gewesen sei. Die zweite Baustelle habe rund um den Empfangsbereich bestanden. Sie habe den Um- und Ausbau der Rohrpostanlage betroffen. Der Bereich sei vom Abtransport der Dämmmaterialien extrem belastet gewesen. Alle ambulanten Patienten hätten ihn über ausgelegte Spezialmatten hinweg passieren müssen. Der Staub sei auf den crèmefarbigen Kacheln und dem hellgrauen Fußboden deutlich sichtbar gewesen. Nach Absprache im Kollegenkreis habe sich der Verstorbene bereit erklärt, die Rolle der Bauaufsicht zu übernehmen. Er sei Bystander und Begleiter bei Begehungen gewesen. Er sei mit dem Ablauf der Baumaßnahmen vertraut und bemüht gewesen, den der Abteilung entstehenden Schaden so weit wie möglich zu minimieren. Am Ende der Baumaßnahmen sei der Licht- und Lüftungsschacht vor den Mitarbeiterräumen funktionseingeschränkt bzw. zugebaut gewesen, was zu einer noch stärkeren Belastung der Atemluft in den Räumen der Mitarbeiter geführt habe.

Die Beklagte lehnte nach Einholung einer Stellungnahme des Landesamts für Arbeitsschutz, Gesundheitsschutz und technische Sicherheit B – LAGetSi - mit Bescheid vom 15. Februar 2006 die Anerkennung der BK 4105 ab, weil sich eine Asbeststaubexposition nicht beweisen lasse. Die Klägerin erhob am 22. Februar 2006 Widerspruch, welchen die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 26. September 2007, zugestellt am 29. September 2007, zurückwies. Es sei nicht im Vollbeweis nachgewiesen, dass bei den Umbauarbeiten asbeststaubhaltige Materialien bearbeitet worden seien und so tatsächlich Asbestfaserstaub freigesetzt worden sei bzw. in welchem quantitativen und zeitlichen Umfang eine entsprechende Asbeststaubexposition für den Verstorbenen bestanden habe. Der erforderliche Nachweis, dass der Verstorbene in seiner Tätigkeit in der Physikalischen Therapie gegenüber der Allgemeinbevölkerung einer erhöhten Einwirkung von Asbeststaub ausgesetzt gewesen sei, sei nicht erbracht. Von einer solchen erhöhten Gefährdung könne erst ausgegangen werden, wenn der Erkrankte in seinem Arbeitsbereich einer Exposition oberhalb der ubiquitären Asbeststaubbelastung, d.h. mehr als 1.000 Fasern/ m³ gegenüber Asbestfaserstaub ausgesetzt gewesen sei. Die Gutachten von Prof. Dr. M und Prof. Dr. D u.a. könnten diesen Nachweis nicht erbringen. Auch bestünden im Hinblick auf die medizinischen Voraussetzungen zur Anerkennung der BK 4105 erhebliche Zweifel an einem entsprechenden Ursachenzusammenhang, weil weder eine Asbestose noch eine Minimalasbestose beim Verstorbenen festzustellen gewesen seien.

Die Klägerin hat ihr Begehren mit der am 29. Oktober 2007 zum Sozialgericht Berlin (SG) erhobenen Klage weiterverfolgt. Sie hat behauptet, dass der Verstorbene während seiner Tätigkeiten im Klinikum S vom 16. November 1970 bis zum 31. Januar 1974 durch Baumaßnahmen und Talkum sowie während seiner Tätigkeit als Assistenzarzt im W-Krankenhaus vom 01. Februar 1974 bis zum 30. September 1977 über talkumgepuderte Handschuhe Asbeststaub in einem Maße ausgesetzt gewesen sei, dass er hierdurch an einem Pleuramesotheliom rechts erkrankt und infolgedessen gestorben sei. Ferner habe auch eine Exposition des Verstorbenen während des Studiums und später als Operateur gegen mit Talkum versetzte Gummihandschuhe bestanden, welche die spätere asbestbedingte Erkrankung mit verursacht hätten. Die Beklagte habe nicht beachtet, dass nach dem derzeitigen wissenschaftlichen Erkenntnisstand das Mesotheliom als Signaltumor für eine meist jahrzehntelang zurückliegende Asbestfaserstaubeinwirkung gelte. Andere vermutete Ursachen seien für die Mesotheliomentstehung beim Menschen nicht gesichert. Die beim Verstorbenen festgestellten Pleuraplaques habe die Beklagte nicht gewürdigt. Die Klägerin hat zur Untermauerung ihres Standpunkts auf ein zu den Gerichtsakten gereichtes wissenschaftliches Gutachten nach Aktenlage des Leiters des Instituts und der Poliklinik für Arbeits- und Sozialmedizin der JUniversität G Prof. Dr. W vom 26. Mai 1995 und auf den ebenfalls zu den Akten gereichten Aufsatz „Zum Fasergehalt von Pudern auf Talkumgrundlage“ von Rödelsperger u.a. verwiesen. Die Beklagte ließ durch ihre Präventionsabteilung weitere Ermittlungen durchführen, vgl. Bericht vom 15. April 2008.

Das SG hat mit Urteil vom 19. Mai 2008 unter Aufhebung des Bescheids vom 15. Februar 2006 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 01. Oktober 2007 festgestellt, dass beim Verstorbenen die BK 4105 vorliege, und die Beklagte verurteilt, der Klägerin eine Hinterbliebenenrente zu zahlen. Das Vorliegen eines Pleuramesothelioms sei nach den Feststellungen von Prof. Dr. M und Prof. Dr. D u.a. gesichert. Auch seien nach einer Gesamtschau die arbeitstechnischen Voraussetzungen erfüllt, zumal quantitative Aspekte hinsichtlich der Asbestexposition beim Mesotheliom von untergeordneter Bedeutung seien und die Berufskrankheitendokumentation belege, dass die BK 4105 auffallend stark bei Berufsgruppen vertreten sei, die nur sporadisch Asbestkontakt hätten und nicht zu den hochexponierten Personen gehörten. So sei hinsichtlich der Bauarbeiten am Klinikum Steglitz von einer hinreichenden Asbestexposition auszugehen. Auch sei der Kontakt mit talkumbeschichteten Handschuhen nach Auskunft der C bewiesen. Zudem werde der dem Urteil zugrunde gelegte wissenschaftliche Standpunkt durch das von der Klägerin vorgelegte Gutachten von Prof. Dr. W bestätigt.

Die Beklagte hat gegen das am 26. Mai 2008 zugestellte Urteil am 02. Juni 2008 Berufung eingelegt und an ihrer bereits im Widerspruchsbescheid niedergelegten Meinung festgehalten. Es sei offen, welche Gewerke, welche konkreten Baumaßnahmen mit welcher konkreten Asbeststaubbelastung im Klinikum S tatsächlich ausgeführt worden seien und welche konkreten asbestbehafteten Materialien verwandt und wie diese gegebenenfalls ver- oder bearbeitet worden seien. Der langjährige Nikotinkonsum des Verstorbenen sei unbeachtet geblieben, ferner, ob der Verstorbene während seiner späteren selbständigen Tätigkeit als Augenarzt talkumbepuderte Handschuhe benutzt habe.

Die Beklagte beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 19. Mai 2008 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Die Klägerin tritt der Berufung unter anderem mit dem Vorbringen entgegen, die persönlichen Arbeits- und Studienbedingungen des Verstorbenen nicht zu kennen. Von einem Asbestkontakt im privaten Bereich sei ihr nichts bekannt. Der Asbestkontakt des Verstorbenen unterliege keinen Zweifeln. Sie verweist zur Untermauerung ihres Begehrens auf folgende Unterlagen:

- Merkblatt des Hauptverbands der gewerblichen Berufsgenossenschaft (HVBG) „Asbestverursachte Berufskrankheiten in Deutschland – Entstehung und Prognose“,

- Bericht der Berliner Zeitung vom 21. Dezember 2009 („Asbest im Mäusebunker“),

- Kurzbericht des Architekten S vom 26. Februar 2010 über eine Schadstoffuntersuchung auf dem Campus B (CBF).

Nachdem die Vorsitzende des Senats mit Beschluss vom 09. Oktober 2008 die Vollstreckung aus dem angefochtenen Urteil bis zur Erledigung des Rechtsstreits in der Berufungsinstanz ausgesetzt hatte, hat der Senat folgende Auskünfte eingeholt:

- des Bezirksamts S von Berlin – Abteilung Bauen, Stadtplanung und Naturschutz Bauordnungsamt, Bau- und Wohnungsaufsicht vom 03. Juli 2009,

- der Stabsstelle Arbeitssicherheit der C vom 25. November 2009 mit einem Bericht des Dipl.-Ing. O zur Prüfung der statischen Unterlagen für das Bewegungsbad im Klinikum S vom 08. November 1973, einer Baubeschreibung vom 01. August 1972 und einem Erläuterungsbericht,

- der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung – Planen, Bauen, Wohnen, Natur, Verkehr – vom 18. Dezember 2009,

- des LAGetSi vom 17. August 2010,

- der Zentralen Universitätsverwaltung, Abteilung III – Technischen Abteilung – der F vom 02. Februar 2011,

- der Geschäftsstelle des Vorstands der C vom 08. März 2011

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und Vortrags der Beteiligten wird auf die Gerichtsakten und beigezogenen Verwaltungsakten der Beklagten verwiesen und inhaltlich Bezug genommen, welche dem Senat vorgelegen haben und Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind.

Entscheidungsgründe

Die zulässige Berufung ist nur teilweise begründet.

Sie hat Erfolg, soweit sich die Beklagte gegen die Verurteilung zur Zahlung einer Hinterbliebenrente wendet. Denn insofern war die Klage bereits unzulässig, weil es hierfür an der Durchführung des nach § 78 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) erforderlichen Vorverfahrens fehlt. Keinem der angefochtenen Bescheide lässt sich ein konkreter Verfügungssatz bezüglich der Ablehnung einer Hinterbliebenenrente entnehmen. Die pauschale Ablehnung von Leistungen aus der gesetzlichen Unfallversicherung ist eine Leerformel, welcher mithin nicht die Bedeutung eines – gemessen an § 31 des Zehnten Buchs des Sozialgesetzbuchs (SGB X) - verwaltungsaktsmäßigen regelnden Verfügungssatzes zukommt. Hierzu wird im Übrigen auf die Gründe des zwischen den Beteiligten ergangenen Beschlusses der Vorsitzenden vom 09. Oktober 2008 verwiesen und inhaltlich Bezug genommen.

Die Berufung ist nicht begründet, soweit das SG unter Änderung der verfahrensgegenständlichen Bescheide das Vorliegen einer BK 4105 beim Verstorbenen zu Recht festgestellt hat.

Als Versicherungsfall gilt nach § 7 Abs. 1 des Siebten Buchs des Sozialgesetzbuchs (SGB VII) auch eine BK. BKen sind die Krankheiten, welche die Bundesregierung durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates bezeichnet und die ein Versicherter bei einer versicherten Tätigkeit erleidet, § 9 Abs. 1 S. 1 SGB VII. Die versicherten Tätigkeiten ergeben sich aus §§ 2, 4 und 6 SGB VII, wozu nach § 2 Abs. 1 Nr. 1 SGB VII vor allem die Beschäftigung gehört. Die Bundesregierung ist ermächtigt, in der Rechtsverordnung solche Krankheiten als BKen zu bezeichnen, die nach den Erkenntnissen der medizinischen Wissenschaft durch besondere Einwirkungen verursacht sind, denen bestimmte Personengruppen durch ihre versicherte Tätigkeit in erheblich höherem Grade als die übrige Bevölkerung ausgesetzt sind; sie kann BKen auf bestimmte Gefährdungsbereiche beschränken oder mit dem Zwang zur Unterlassung aller gefährdenden Tätigkeiten versehen. Die BK 4105 ist das durch Asbest verursachte Mesotheliom des Rippenfells, des Bauchfells oder des Perikards. Gemäß diesen Vorgaben lassen sich etwa bei der BK 4105 folgende Tatbestandsmerkmale ableiten: Die Verrichtung einer - grundsätzlich - versicherten Tätigkeit (sachlicher Zusammenhang) muss zu Einwirkungen von Belastungen, Schadstoffen oder Ähnlichem auf den Körper geführt haben (Einwirkungskausalität), und die Einwirkungen müssen eine Krankheit verursacht haben (haftungsbegründende Kausalität). Die vorgenannten Merkmale der versicherten Tätigkeit, Verrichtung, Einwirkungen und Krankheit müssen im Sinne des Vollbeweises, also mit an Gewissheit grenzender Wahrscheinlichkeit vorliegen. Für die nach der Theorie der wesentlichen Bedingung zu beurteilenden Ursachenzusammenhänge genügt die hinreichende Wahrscheinlichkeit, nicht allerdings die bloße Möglichkeit (etwa BSG, Urteil vom 27. Juni 2006 - B 2 U 20/04 R –, zitiert nach juris Rn. 15). Ein Zusammenhang ist hinreichend wahrscheinlich, wenn nach herrschender ärztlich-wissenschaftlicher Lehrmeinung mehr für als gegen ihn spricht und ernste Zweifel an einer anderen Ursache ausscheiden (vgl. BSG a.a.O., auch Rn. 18 und 20).

Dies zugrunde gelegt ist mit dem nach § 128 Abs. 1 S. 1 SGG erforderlichen Überzeugungsgrad bewiesen, dass beim Verstorbenen die BK 4105 in Gestalt eines durch Asbest verursachten Mesothelioms des Rippenfells (Pleuramesotheliom) vorlag.

Pleuramesotheliome sind überwiegend (ca. 70 bis 80 %) asbestinduziert (Schönberger/ Mehrtens/ Valentin, Arbeitsunfall und Berufskrankheit, 8. Auflage 2010, Kap. 18.6.1.2, S. 1104). Manche gehen von einer Asbestassoziation von 90 % aus (www.bergmannsheil.de, Internetauftritt des Bergmannsheil Berufsgenossenschaftlichen Universitätsklinikums vom 24. März 2009). Eine Verursachung durch Tabakrauchen wird nicht berichtet. Das Anfangsstadium ist oft relativ symptomarm. Später wird über Schmerzen im Brustkorb, Luftnot, Husten und Auswurf geklagt. Persistierende oder rezidivierende Rippenfellergüsse sind häufig Initialsymptome: Im weiteren Verlauf kann die höckrig-wulstige Grenze der tumorösen Thoraxwandauflagerungen nach Punktion des Ergusses röntgenologisch dargestellt werden. Das Mesotheliom kann bereits bei verhältnismäßig geringer Asbestfaserstaub-Einwirkung am Arbeitsplatz verursacht werden. Wegen der hohen Wahrscheinlichkeit einer asbestbedingten Genese wird dieser Tumor daher als Signaltumor einer meist Jahrezehnte zurückliegenden arbeitsbedingten oder umweltbedingten Asbestfaserstaub-Einwirkung angesehen. Expositionszeiten von wenigen Tagen bis Wochen, insbesondere gegenüber Krokydolith sind bekannt. Der Mittelwert beträgt 17,8 Jahre. Die Latenzzeit beträgt 20 bis 40 Jahre, im Mittel 36,1 Jahre. Kürzere Zeiten sind kritisch zu werten. Hiervon ausgehend erfüllt die Diagnose eines Pleuramesothelioms mit Wahrscheinlichkeit die Voraussetzungen der BK 4105, wenn röntgenologisch typische Zeichen umschriebener hyaliner oder verkalkter Pleuraplaques nachweisbar sind oder eine arbeitsmedizinisch als Einwirkung zu wertende Art und Dauer der Asbeststaubexposition am Arbeitsplatz in Verbindung mit einer angemessenen Latenzzeit bestanden hat, oder entsprechende staubmesstechnische Informationen vorliegen oder pathologisch-anatomisch – neben dem Mesotheliom – ein wesentlich erhöhter Anteil nadelförmiger Partikeln im Lungenstaub gesichert werden kann. Eine Faserjahrberechnung ist für die Annahme eines Kausalzusammenhangs zwischen beruflicher Asbeststaubexposition und dem Auftreten eines Mesothelioms nicht erforderlich. Bei der Prüfung des Zusammenhangs ist zu berücksichtigen, dass über 90 % der im Deutschen Mesotheliomregister erfassten Mesotheliome als Asbest-assoziierte BKen gewertet wurden. Die Korrelation zwischen Mesotheliomerkrankungen und Asbestexposition ist so deutlich, dass der Verdacht auf eine BK bei jedem Mesotheliom begründet ist. Demzufolge verpflichtet bereits die sichere Diagnose den Arzt zur Erstattung der BK-Anzeige, auch wenn zunächst eine offensichtlich berufliche Asbesteinwirkung nicht greibar erscheint. Die Berufskrankheiten-Dokumentation belegt, dass die BK 4105 auffallend stark bei Personen auftritt, welche nur sporadisch Asbestkontakt haben, wie zum Beispiel bei Schlossern, Drehern, Schweißern, Schmieden, deren Exposition aus gelegentlichem Einsatz beim Entfernen von Isolierungen aus Anlass von Reparaturarbeiten, Umgang mit Dichtungsmaterial etc. resultierte. Auch Chemiearbeiter und Betriebselektriker sind in ähnlicher Weise betroffen (Schönberger/ Mehrtens/ Valentin, a.a.O., S. 1104 ff.).

Zunächst ist die nach dem BK-Tatbestand erforderliche Krankheit eines Pleuramesothelioms vollbeweislich gesichert. Der Senat hat nach den eindeutigen ärztlichen Befunden und Diagnosen von Prof. Dr. M sowie Prof. Dr. D u.a. in ihren für die Beklagte erstellten Gutachten keinen Zweifel daran, dass der Verstorbene unter einem Mesotheliom des Rippenfells litt und so ein einschlägiges Krankheitsbild im Sinne der BK 4105 vorliegt. Prof. Dr. M und Prof. Dr. D u.a. stellten in ihren Gutachten vom 05. Januar 2005 bzw. 08. August 2005 und Prof. Dr. M in seiner ergänzenden Stellungnahme vom 26. September 2005 übereinstimmend fest, dass beim Verstorbenen ein Mesotheliom der Pleura vorlag, an dessen Folgen der Verstorbene verstarb. Diese Diagnose entspricht im Übrigen auch derjenigen der fachlich spezialisierten Lungenklinik H, vgl. Entlassungsbericht vom 04. März 2004 unter anderem mit der Diagnose epitheliales Pleuramesotheliom rechts mit Infiltration des Lungenparenchyms. Den hiergegen angeführten Bedenken der Beklagten steht keine plausible fachmedizinische Einschätzung zur Seite. Dies gilt insbesondere auch für die behauptete (Mit-)Verursachung durch das jahrelange Rauchen von Zigaretten und Zigarren. Soweit sie zusätzlich den Nachweis hyaliner oder verkalkter Pleuraplaques verlangt, betrifft dies nicht bereits die Diagnosestellung, sondern nach dem vorgenannten einschlägigen Fachschrifttum erst die Kausaliät zwischen Erkrankung und Asbestexposition. Davon abgesehen soll schon hier darauf hingewiesen werden, dass Prof. Dr. D u.a. im Einklang mit dem einschlägigen arbeitsmedizinischen Schrifttum in der Tat auch für eine Asbestexposition typische Pleuraplaques im Bereich des rechten Brustkorbs feststellten, auch wenn die Lungenstaubanalyse am Untersuchungsgut negativ verlief. Die Gutachter ziehen im Einklang mit dem einschlägigen arbeitsmedizinischen Schrifttum hieraus den – wie noch zu zeigen sein wird – zutreffenden Schluss, dass sich hieraus auch eine überwiegende Wahrscheinlichkeit dafür ergibt, dass das Pleuramesotheliom durch Asbest verursacht wurde.

Ferner steht auch im Vollbeweis fest, dass der Verstorbene tatsächlich während einer versicherten Tätigkeit Asbeststaub ausgesetzt war.

Zunächst steht nach dem Ergebnis sämtlicher Ermittlungen nicht in Frage, dass der Verstorbene während seiner - gemäß § 2 Abs. 1 Nr. 1 SGB VII bzw. §§ 539 f. der bis zum 31. Dezember 1996 gegoltenen Reichsversicherungsordnung (RVO) fraglos versichert gewesenen – Tätigkeit im Klinikum S vom 16. November 1970 bis zum 31. Januar 1974 in einem Bereich arbeitete, in welchem auch Asbest verbaut war. Dafür spricht, dass die C – Hauptsachbearbeitung für aufsichtsbehördliche Angelegenheiten (HsA), Bearbeiter A – in ihrer e-mail vom 20. Oktober 2004 selbst davon ausgeht, dass der Verstorbene in einem Bereich arbeitete, „in welchem baulicherseits asbesthaltige Materialen verbaut waren (oder noch sind)“. Zur Asbestkontamination bezieht sich die anschließende Auskunft vom 05. November 2004 im Wesentlichen auf eine stichhaltige sachverständige Ermittlung hinsichtlich asbesthaltiger Materialien in der Bausubstanz, welche sich auf Laboranalysen in verschiedenen Bereichen des Hauptgebäudes (Technischer Teilbericht Nr. L – 37/89 – T 1 vom 16. Oktober 1989) gründet. Die Materialproben-Analyseergebnisse ergaben, dass zum Beispiel Dichtungen und Brandschutzklappen einen 93 %-igen, Türfüllungen einen 84 %-igen, Revisionsklappen mit brandschutztechnischqualitativer Einlage einen 46 %-igen und Deckenspritzputz einen 2 %-igen Chrysotil-, d.h. Weißasbest-Anteil aufwiesen. Zwar wurden die Messungen weitgehend nicht genau in demjenigen Gebäudeteil vorgenommen, in welchem der Verstorbene arbeitete, sondern in den Bettenhäusern, im Behandlungsbereich und im Bettenturm. Jedoch bezieht sich zumindest die letzte Messung auch auf den Tiefkeller (lfd. Nr. 40), wo eine Materialproben-Analyse an einer Türfüllung einen 84 %-igen Chrysotilanteil ergab. Hiernach drängt sich der in der Auskunft der C vom 05. November 2004 gezogene Schluss in der Tat auf, dass, wenn im Deckenspritzputz und Teilen der Betriebstechnik Chrysotil positiv festgestellt wurde, dies auch im Tiefkeller und damit im Bereich der Physikalischen Therapie der Fall war. Diese Annahme belegt zudem der von der Klägerin vorgelegte Kurzbericht des Architektenbüros S vom 26. Februar 2010, wonach Materialproben auch aus dem dritten Untergeschoss in der Lüfterzentrale Asbestschnüre in Flanschen, Gipsmäntel mit Asbestfasern und asbesthaltige Dichtungsmasse ergaben. Objektive Anhaltspunkte dafür, dass baukonstruktive Unterschiede gegenüber den anderen analysierten Gebäudeteilen bestanden oder in der Physikalischen Therapie andere Baumaterialien als im übrigen Gebäude bzw. ausgerechnet im Bereich der Physikalischen Therapie keine asbesthaltigen Baustoffe verbaut waren, sind nicht ersichtlich. Auch die Auskünfte des Bezirksamts S von B – Abteilung Bauen, Stadtplanung und Naturschutz Bauordnungsamt, Bau- und Wohnungsaufsicht vom 03. Juli 2009, der Stabsstelle Arbeitssicherheit der C vom 25. November 2009 mit einem Bericht des Dipl.-Ing. O zur Prüfung der statischen Unterlagen für das Bewegungsbad im Klinikum Steglitz vom 08. November 1973, einer Baubeschreibung vom 01. August 1972 und einem Erläuterungsbericht, der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung – Planen, Bauen, Wohnen, Natur, Verkehr – vom 18. Dezember 2009, des LAGetSi vom 17. August 2010, der Zentralen Universitätsverwaltung, Abteilung III – Technischen Abteilung – der F vom 02. Februar 2011 und der Geschäftsstelle des Vorstands der C vom 08. März 2011 schließen die Verwendung asbesthaltiger Baustoffe nicht aus, indem dort lediglich im Wesentlichen übereinstimmend die positive Kenntnis von abesthaltigen Baumaterialien im Klinikum S verneint wird. Weitere den damaligen Umbau betreffende Unterlagen konnten nicht ermittelt werden.

Soweit sich die Asbesthaltigkeit der im Bereich der Physikalischen Therapie verbauten Materialien nun vernünftigerweise nicht ausschließen lässt, ist auch im Vollbeweis gesichert, dass der Verstorbene während der Bauarbeiten tatsächlich Asbeststaub ausgesetzt war, welcher typischerweise durch die Bearbeitung asbesthaltiger Bauteile etc. freigesetzt wird (vgl. nur Pschyrembel – Klinisches Wörterbuch, 260. Aufl. 2004, Stichwort Asbest). Vorliegend berichtete der Verstorbene, dass im Zuge der bei vollem Patientenbetrieb ausgeführten Bauarbeiten die Dämm-, Isolations- und Brandschutzmaterialien gebohrt, gesägt, gefräst und durch Vibrationsgeräte bearbeitet wurden, vgl. die der Beklagten von der Klägerin unter dem 09. Juli 2004 vorgelegte Schilderung des Verstorbenen. Diese eindringliche und plastische Schilderung der den Patientenbetrieb stark beeinträchtigenden Bauarbeiten während seiner Tätigkeit in der Physikalischen Therapie im Klinikum S steht im Einklang mit den Berichten seiner ehemaligen Kolleginnen U und Dr. Y. Sie vermitteln ein lebhaftes Bild vom Geschehensablauf und lassen es sicher erscheinen, dass der Verstorbene – wenn auch nur als Bystander – massiv durch Baustaub betroffen war, zumal er als ärztlicher Koordinator des Baustellenbetriebs den Baustäuben besonders ausgesetzt, den weiblichen Kolleginnen ein Betreten des baustellennahen Bereichs sogar untersagt war und so der Verstorbene im kontaminierten Bereich auch nicht entlastet wurde. Gerade dies steht nach den Schilderungen seiner ehemaligen Kolleginnen Dr. Y und U fest. Dieser Geschehensablauf findet seine Bestätigung auch in der Auskunft der C – Hauptsachbearbeitung für aufsichtsbehördliche Angelegenheiten (HsA), Bearbeiter A – vom 05. November 2004, wonach das Gebäude, in welchem der Verstorbene von 1971 bis 1974 beschäftigt war, nach Inbetriebnahme und so auch während seiner Beschäftigungszeit kontinuierlich aus- und umgebaut wurde. Hiernach drängt sich der in der Auskunft der C vom 05. November 2004 gezogene Schluss auf, nämlich dass, wenn unter Deckenspritzputz und Teilen der Betriebstechnik Chrysotil positiv festgestellt wurde, dies auch im Tiefkeller der Physikalischen Therapie der Fall war, und dass, wenn nun bei den Bautätigkeiten im Bereich der Physikalischen Therapie Deckenplatten aufgenommen wurden, um Trennwände in diesem Bereich einzubauen, dies dazu führte, dass Asbeststäube freigesetzt wurden und ein Kontakt des Verstorbenen mit Chrysotil bzw. mit asbesthaltigen Baustäuben stattfand. Hieraus folgt, dass die vom Verstorbenen und seinen Kolleginnen beobachteten massiven Baustäube asbesthaltig waren. Auch hält die Präventionsabteilung der Beklagten in ihren Stellungnahmen vom 23. März 2005 und 27. Januar 2006 die Asbeststaubexposition aufgrund ihres eigenen technischen Sachverstands für gegeben. Sie geht unter Zugrundelegung der von dem Verstorbenen und seinen ehemaligen Kolleginnen sowie der C in ihrer Auskunft vom 05. November 2004 geschilderten Bauabläufe ebenfalls von einer Asbeststaubexposition des Verstorbenen im Januar 1974 aus und führt hierzu überzeugend aus, dass bei den umfangreichen Baumaßnahmen im Arbeitsbereich des Verstorbenen etwa bei der Anmeldung, sei es bei Mauerdurchbrüchen oder bei dem Umbau der Rohrpostanlage, durch Bohr- und Stemmarbeiten am Deckenspitzputz asbesthaltige Stäube entstanden, weshalb eine Belastung des Verstorbenen als Bystander anzunehmen ist. Zwar rückt die Präventionsabteilung der Beklagten in ihrer weiteren Stellungnahme vom 15. April 2008 von ihren vorhergehenden Dosisberechnungen ab, indem nun der Grad der Asbeststaubexposition des Verstorbenen als geringer angesehen wird, weil der Verstorbene ja nicht nur im vom Baustaub betroffenen Bereich gearbeitet habe. Aber abgesehen davon, dass die Präventionsabteilung damit die damalige Funktion des Verstorbenen als ärztlicher Koordinator der Bauarbeiten und die gegenüber den weiblichen Ärztinnen erteilte Auflage verkennt, den baubetroffenen Bereich nicht zu betreten, äußert sie auch in ihrer letzten Stellungnahme keine Zweifel daran, dass der Verstorbene während der Bauarbeiten im Klinikum S Asbeststaub tatsächlich ausgesetzt war.

Es kann hiernach dahinstehen, ob sich eine Asbeststaubexposition des Verstorbenen durch Umgang bzw. Verwendung mit talkumgepuderten Gummihandschuhen beweisen lässt. Gegen einen hierfür erbrachten Vollbeweis sprechen indes folgende Erwägungen: Die vorgenannte Auskunft der C vom 20. Oktober bzw. 05. November 2004 liefert unter Hinweis auf die Nähe zu mit Talkum arbeitenden Masseuren der Physikalischen Therapie zwar Anhaltspunkte, welche jedoch letztlich nicht bewiesen sind. Proben von asbesthaltigem Talkum, welches in der Physikalischen Therapie verwendet worden sein könnte, liegen gerade nicht vor. Dies gilt im Übrigen auch für die weiteren versicherten Arbeitszeiten des Verstorbenen, in welchen er womöglich asbesthaltigem Talkum ausgesetzt war, zumal die Auskunft Dr. Fs vom 27. April 2005 jedenfalls für die Zeit des Verstorbenen als Augenarzt im W-Krankenhaus vom 01. Februar 1974 bis zum 30. September 1977 deutlich gegen eine Verwendung von asbesthaltig gepuderten Gummihandschuhen spricht So verweist Dr. F darauf, dass während seiner Zeit als Chefarzt im W-Krankenhaus bis 1985 niemals mit Handschuhen operiert wurde und diese Praxis auch in anderen Augenkliniken Standard und lediglich eine Nutzung von talkumgepuderten Handschuhen während der Bereitschaftsdienste möglich war. Für etwaigen Asbestkontakt während sonstiger Beschäftigungszeiten des Verstorbenen oder während seiner Ausbildung gibt es keine Belege. Schließlich vermag die Klägerin auch nicht mit den von ihr vorgelegten Unterlagen (Merkblatt des Hauptverbands der gewerblichen Berufsgenossenschaft <HVBG> „Asbestverursachte Berufskrankheiten in Deutschland – Entstehung und Prognose“, Bericht der Berliner Zeitung vom 21. Dezember 2009 <„Asbest im Mäusebunker“>, Gutachten von Prof. Dr. W vom 26. Mai 1995, Kurzbericht des Architekten S vom 26. Februar 2010 über eine Schadstoffuntersuchung auf dem C), welche keinen Aufschluss über konkret vom Verstorbenen erlittene Asbeststaubexpositionen vermitteln, den Beweis für ihre Behauptung zu erbringen.

Stehen nach alldem nun die unter die BK 4105 fallende Erkrankung eines Pleuramesothelioms und eine Asbestexposition während der Beschäftigung des Verstorbenen im Klinikum S jeweils im Vollbeweis fest, hat der Senat ausgehend vom einschlägigen medizinischen Fachschrifttum auch keine durchgreifenden Zweifel, dass das Mesotheliom des Verstorbenen im Sinne des Tatbestands der BK 4105 ein „durch Asbest verursachtes“ ist. Es besteht bereits nach dem Befund typischer Pleuraplaques (vgl. Gutachten von Prof. Dr. D u.a. vom 08. August 2005) eine überwiegende Wahrscheinlichkeit für die Verursachung durch die – wenn auch möglicherweise nur kurzzeitige – Asbestexposition während der versicherten Tätigkeit, zumal auch die Latenzzeit von der anzunehmenden Exposition in der Zeit bis Januar 1974 bis zur Manifestation des Mesothelioms im Januar 2004 von vorliegend 30 Jahren keine kritische Bewertung nahe legt (vgl. nochmals Schönberger/ Mehrtens/ Valentin, a.a.O., Kap. 18.6.1.2, S. 1105) und der Verstorbene mit damals 63 Jahren genau dem mittleren Erkrankungsalter entsprach (vgl. www.bergmannsheil.de, Internetauftritt des Bergmannsheil Berufsgenossenschaftlichen Universitätsklinikums vom 24. März 2009). Die Dosisberechnungen der Präventionsabteilung der Beklagten stehen der Annahme der zu fordernden hinreichenden Wahrscheinlichkeit nicht entgegen, weil Expositionszeiten von wenigen Tagen bis Wochen bekannt sind (vgl. nochmals Schönberger/ Mehrtens/ Valentin, ebd.), das Pleuramesotheliom ganz überwiegend asbestinduziert ist und als Signaltumor angesehen wird (vgl. nochmals Schönberger/ Mehrtens/ Valentin, ebd. und www.bergmannsheil.de, wonach in Deutschland sogar über 90 % der Mesotheliomerkrankungen als asbestassoziiert eingestuft werden). Da Tabakrauchen als Ursache des Pleuramesothelioms im herrschenden Fachschrifttum nicht diskutiert wird, besteht auch keine Veranlassung, im unstreitigen langjährigen Nikotinkonsum des Verstorbenen eine konkurrierende, möglicherweise wesentliche Ursache zu erkennen. Nach alldem gehen Prof. Dr. M und Prof. Dr. D u.a. in ihren Gutachten vom 05. Januar 2005 bzw. 08. August 2005 und Prof. Dr. M in seiner ergänzenden Stellungnahme vom 26. September 2005 überzeugend von einem wahrscheinlich durch die berufliche Asbestexposition des Verstorbenen verursachten Pleuramesotheliom aus.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG und folgt dem Ausgang des Verfahrens in der Sache selbst.

Die Revision ist mangels Revisionszulassungsgrundes nach § 160 Abs. 2 Nr. 1 oder 2 SGG nicht zuzulassen.