Gericht | OVG Berlin-Brandenburg 7. Senat | Entscheidungsdatum | 21.11.2013 | |
---|---|---|---|---|
Aktenzeichen | OVG 7 S 94.13 | ECLI | ||
Dokumententyp | Beschluss | Verfahrensgang | - | |
Normen | Art 6 Abs 1 EWGAssRBes 1/80, Art 6 Abs 2 EWGAssRBes 1/80, § 2 Abs 2 FreizügG/EU, § 3 Abs 2 FreizügG/EU, § 80 Abs 5 VwGO, § 123 Abs 1 VwGO, § 166 VwGO, § 114 ZPO, § 117 Abs 2 ZPO |
Der Beschluss des Verwaltungsgerichts Berlin vom 12. September 2013 wird mit Ausnahme der Ablehnung des Antrags auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe und der Streitwertfestsetzung geändert.
Die Anträge des Antragstellers, die aufschiebende Wirkung seines Widerspruchs gegen den Bescheid des Antragsgegners vom 28. Mai 2013 anzuordnen, hilfsweise den Antragsgegner im Wege einstweiliger Anordnung zu verpflichten, aufenthaltsbeendende Maßnahmen ihm gegenüber zu unterlassen, werden zurückgewiesen.
Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe für das Beschwerdeverfahren wird abgelehnt.
Die Kosten des Verfahrens beider Rechtszüge trägt der Antragsteller.
Der Wert des Beschwerdegegenstandes wird auf 5.000 EUR festgesetzt.
Die rechtzeitig erhobene und begründete Beschwerde des Antragsgegners gegen die Anordnung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs des Antragstellers gegen den Bescheid des Antragsgegners vom 28. Mai 2013 hat auf der Grundlage des nach § 146 Abs. 4 Satz 3 und 6 AufenthG maßgeblichen Beschwerdevorbringens Erfolg und führt zur Ablehnung der Anträge des Antragstellers auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes und von Prozesskostenhilfe im Beschwerdeverfahren.
1. Die Anordnung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs des Antragstellers vom 10. Juni 2013 gegen den Bescheid des Antragsgegners vom 28. Mai 2013, mit dem dieser die Erteilung einer deklaratorischen Aufenthaltserlaubnis nach § 4 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 6 ARB 1/80 abgelehnt hat - bereits zuvor war durch bestandskräftig gewordenen Bescheid vom 22. Februar 2013 unter Androhung der Abschiebung die Verlängerung der zuletzt bis zum 20. Februar 2013 erteilten Aufenthaltserlaubnis versagt worden -, kommt entgegen der Annahme des Verwaltungsgerichts mangels hinreichender Glaubhaftmachung eines solchen Anspruchs nicht in Betracht.
Das Verwaltungsgericht hat das Bestehen eines Anspruchs nach Art. 6 Abs. 1 dritter Spiegelstrich ARB 1/80 mit der Begründung angenommen, der Antragsteller habe in der Zeit vom 1. August 2006 bis zum 6. Juni 2011 eine ordnungsgemäße Beschäftigung ausgeübt und dieses Recht durch die anschließende Arbeitslosigkeit bis zum 31. Dezember 2012, während der er fast durchgehend als arbeitsbereit bei der Arbeitsagentur registriert war, nicht verloren. Dem kann nicht gefolgt werden.
Es bestehen bereits erhebliche Zweifel, ob es sich bei den - durch den (Renten)Versicherungsverlauf des Antragstellers nachgewiesenen - „geringfügigen nicht versicherungspflichtigen Beschäftigungen“ im Zeitraum vom 1. August 2006 bis 31. Dezember 2007 in Höhe von monatlich im Durchschnitt 150 EUR und vom 1. Januar bis 30. November 2008 von monatlich im Durchschnitt knapp 200 EUR nicht nur um völlig untergeordnete und unwesentliche Tätigkeiten handelte, die einen Anspruch nach Art. 6 ARB 1/80 nicht zu begründen vermögen (vgl. BVerwG, Urteil vom 19. April 2012 - 1 C 10.11 -, juris Rz. 15 m.w.N.), so dass die anschließende Beschäftigung des Antragstellers bis zum 6. Juni 2011 nicht einmal die Voraussetzungen einer dreijährigen Beschäftigung nach dem 2. Spiegelstrich von Art. 6 Abs. 1 ARB 1/80 erfüllen würde. Letztlich kann das jedoch dahinstehen.
Denn der Antragsgegner weist zur Beschwerdebegründung zutreffend darauf hin, dass nach Ablauf eines angemessenen Zeitraums für eine effektive Beschäftigungssuche Ansprüche aus Art. 6 Abs. 1 ARB 1/80 untergehen, wobei ein Zeitraum von sechs Monaten zur Stellensuche grundsätzlich als ausreichend angesehen werden kann und etwas anderes nur dann gilt, wenn der Betroffene den Nachweis erbringt, dass er weiterhin und mit begründeter Aussicht auf Erfolg eine neue Beschäftigung sucht, wobei die bloße Meldung beim Arbeitsamt bzw. das dortige Zur-Verfügung-Stehen einen solchen Nachweis nicht ersetzt (vgl. OVG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 4. Mai 2006 - OVG 7 B 10.05 -, UA S. 10, und Beschluss vom 7. Februar 2012 - OVG 11 S 75.11 -, juris Rz. 9 f. m.w.N.). Einen diesbezüglichen hinreichenden Nachweis für den Zeitraum nach dem 6. Juni 2011 bis zum heutigen Tage hat der Antragsteller auch im Beschwerdeverfahren trotz entsprechender gerichtlicher Auflage vom 31. Oktober 2013 nicht erbracht.
Die mit Schriftsatz vom 15. November 2013 vorgelegte Einladung des Jobcenters Berlin Neukölln vom 25. Oktober 2011 zu einem Gespräch „über ihr Bewerberangebot bzw. ihre berufliche Situation“, mit der das Mitbringen von Nachweisen „über ihre Bewerbungsaktivitäten“ erbeten wurde, sowie die eingereichten Eingliederungsvereinbarungen vom 14. Mai und 9. November 2012, wonach jeweils monatliche Bewerbungsbemühungen um sozialversicherungspflichtige Beschäftigungsverhältnisse durch Dokumentationslisten belegt werden sollten, sind zum Nachweis entsprechender Bewerbungen bzw. eine ernsthafte Stellensuche schon deshalb ungeeignet, weil der Antragsteller nicht einmal behauptet, derartige Nachweise dem genannten Jobcenter vorgelegt zu haben, geschweige denn solche - wie erforderlich - hier vorlegt.
Der darüber hinaus eingereichte Arbeitsvertrag vom 18. Oktober 2013 über eine (erneute) Einstellung des Antragstellers mit Wirkung vom 1. November 2013 im selben Restaurant, in dem er bereits im Rahmen eines Probearbeitsvertrages für die Zeit vom 8. Oktober 2012 bis zum 7. Januar 2013 mit Bruttobezügen von 520 EUR arbeiten sollte - diesbezüglich liegen Gehaltsnachweise für Oktober bis Dezember 2012 vor, die behauptete Tätigkeit bis zum Erlass des Bescheides vom 22. Februar 2013 ist nicht glaubhaft gemacht -, und diese kurzzeitige Tätigkeit selbst genügen als Nachweise hinreichender Bemühungen um Stellensuche in der Zeit ab dem 6. Juni 2011 schon angesichts des seither vergangenen Zeitraums nicht. Insoweit kann sich der Antragsteller auch nicht darauf berufen, dass ihm eine Erwerbstätigkeit nicht gestattet gewesen sei. Dies war erst ab Mai 2013 der Fall. Bis zum 20. Februar 2013 verfügte er über eine Aufenthaltserlaubnis, die ihm eine Erwerbstätigkeit ausdrücklich gestattete. Auch die ihm am 5. Februar 2013 für drei Monate erteilte Fiktionsbescheinigung, die er am 9. April 2013 anlässlich einer dortigen Vorsprache der Rückkehr- und Weiterwanderungsberatungsstelle des Landesamtes für Gesundheit und Soziales vorgelegt hatte, enthielt den Zusatz „Erwerbstätigkeit gestattet“.
Soweit der Antragsteller hinsichtlich des Vorliegens von Erlöschensgründen nach dem ARB 1/80 auf einen Beschluss des VGH Baden-Württemberg vom 16. November 2010 zu 11 S 2387/10 verweist, verkennt er, dass sich die dortigen Ausführungen nur auf ein assoziationsrechtliches Aufenthaltsrecht aus Art. 7 ARB 1/80 beziehen.
2. Dem Antragsteller steht auch nicht der erstinstanzlich hilfsweise begehrte Anspruch auf Verpflichtung des Antragsgegners zur Unterlassung aufenthaltsbeendender Maßnahmen im Wege einstweiliger Anordnung zu.
Diesbezüglich hat sich der Antragsteller zur Begründung seines Antrags nach
§ 123 VwGO auf das Bestehen eines Aufenthaltsrechts „für EU-Familienangehörige gem. §§ 2,3, 4 FreizügG/EU i.V.m. Art. 8 EMRK u. Art. 6 GG zur Wahrnehmung des Umgangsrechts für sein mit ihm in familiärer Lebensgemeinschaft lebendes bulgarisches Kind E..., geb. 29.1.2012“ berufen.
Ein hiermit begründetes Aufenthaltsrecht hatte der Antragsteller allerdings schon zur Begründung seines Aufenthaltsbegehrens mit Schriftsatz vom 7. Januar 2013 geltend gemacht und dieses war vom Antragsgegner bereits durch Bescheid vom 22. Februar 2013 unter Androhung seiner Abschiebung bestandskräftig abgelehnt worden. Ein derartiges Aufenthaltsbegehren war dementsprechend auch nicht Gegenstand des mit dem Hauptantrag zu 1. angegriffenen, allein ein deklaratorisches Aufenthaltsrecht aus Art. 6 ARB 1/80 ablehnenden Bescheids vom 28. Mai 2013. Auch hat der Antragsteller die Untersagung aufenthaltsbeendender Maßnahmen, ggf. mit neuem, im Bescheid vom 22. Februar 2013 nicht berücksichtigten Vorbringen nicht vor Stellung des streitgegenständlichen Antrags erneut beim Antragsgegner geltend gemacht. Insofern dürfte der Hilfsantrag nach § 123 VwGO vorliegend bereits unzulässig sein.
Dieser wäre darüber hinaus aber auch unbegründet. Denn das Vorliegen eines gemeinschaftsrechtlichen Freizügigkeitsrechts hat der Antragsteller nicht glaubhaft gemacht.
Mit der bulgarischen Mutter der E..., für die der Antragsteller die Vaterschaft ausweislich der Erklärung vom 15. März 2012 vor dem Standesamt Friedrichshain-Kreuzberg anerkannt hat, ist er nicht verheiratet, so dass hieraus kein Anspruch nach § 2 Abs. 2 Nr. 6 i.V.m. § 3 Abs. 2 Nr. 1 FreizügG/EU abgeleitet werden kann. Zwar besitzt seine im Januar 2012 geborene Tochter zumindest auch die bulgarische Staatsbürgerschaft - diese besitzt sowohl einen bulgarischen als auch einen türkischen Reisepass mit der jeweiligen Nationalitätseintragung -, jedoch scheitert ein unmittelbar aus § 2 Abs. 2 Nr. 6 i.V.m. § 3 Abs. 2 Nr. 2 FreizügG/EU von ihr abgeleiteter Anspruch daran, dass hiernach Voraussetzung wäre, dass der Unionsbürger seinem Familienangehörigen Unterhalt leisten muss, mithin E... dem Antragsteller und nicht - wie vorliegend behauptet - umgekehrt.
Auch ein Anspruch aus unionskonformer analoger Anwendung des § 3 Abs. 2 Nr. 2 FreizügG/EU für diesen umgekehrten Fall (vgl. EuGH, Urteil vom 19. Oktober 2004, Rs. C-200/02 - Zhu und Chen -, juris Rz. 42 ff.; Hoppe in HTK-AuslR/§ 3 FreizügG/EU (zu § 3 Abs. 2 Nr. 2.2) scheidet vorliegend aus, da dies voraussetzen würde, dass die Mittel des Unterhalt gewährenden drittstaatsangehörigen Elternteils ausreichen, um eine Belastung der öffentlichen Finanzen des Aufnahmemitgliedsstaats durch den minderjährigen Unionsbürger zu verhindern. Dies war bisher offensichtlich nicht der Fall. Vielmehr hat der Antragsgegner zutreffend darauf hingewiesen, dass der Antragsteller für sich und seine Tochter in der Vergangenheit Leistungen nach dem SGB II bezogen hat. Die bloße Behauptung im Schriftsatz vom 15. November 2013, der Antragsteller habe schon in der Vergangenheit Unterhaltsleistungen erbracht und werde dazu auch in Zukunft nach Aufnahme der Erwerbstätigkeit in der Lage sein, rechtfertigt jedenfalls derzeit keine andere Beurteilung.
Im Übrigen hat der Antragsteller trotz gerichtlicher Aufforderung nicht glaubhaft gemacht, dass die bulgarische Mutter von E..., von der diese eigene Ansprüche aus § 2 Abs. 2 Nr. 6 FreizügG/EU ableitet, selbst weiterhin freizügigkeitsberechtigt gemäß § 2 Abs. 2 FreizügG/EU ist. Die insoweit allein vorgelegte Gewerbeanmeldung vom 13. September 2012 - nicht 13. September 2013, wie behauptet - vermag aktuell die tatsächliche Ausübung einer selbständigen Erwerbstätigkeit, die für bulgarische Staatsangehörige derzeit nur genehmigungsfrei zulässig ist, nicht zu belegen.
Ein Anspruch unmittelbar aus Art. 6 GG und Art. 8 EMRK ist vorliegend nicht selbständig geltend gemacht worden und wird auf entsprechenden Antrag vom Antragsgegner ggf. zu prüfen sein, bevor eine Abschiebung des Antragstellers erfolgt.
3. Die Bewilligung von Prozesskostenhilfe für das Beschwerdeverfahren kommt schon mangels Einreichung der Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse nebst entsprechenden Nachweisen nicht in Betracht, darüber hinaus nach den obigen Ausführungen aber auch mangels hinreichender Erfolgsaussichten (§ 166 VwGO i.V.m. §§ 114 Satz 1 und 117 Abs. 2 ZPO).
Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 154 Abs. 1 und 166 VwGO i.V.m. § 127 Abs. 4 ZPO. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 47 Abs. 1, § 53 Abs. 2 Nr. 1 und 2, § 52 Abs. 2 GKG.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO, § 68 Abs. 1 Satz 5 i.V.m. § 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).