Gericht | LSG Berlin-Brandenburg 5. Senat | Entscheidungsdatum | 04.07.2011 | |
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Aktenzeichen | L 5 AS 956/11 B ER | ECLI | ||
Dokumententyp | Beschluss | Verfahrensgang | - | |
Normen | § 22 Abs 4 SGB 2, § 22 Abs 6 SGB 2, § 73a Abs 1 S 1 SGG, § 119 Abs 1 S 2 ZPO |
Die Zusicherung nach § 22 Abs. 4 SGB II hat nur den Zweck, eine Entscheidung über die Angemessenheit der Unterkunftskosten vor deren erstmaliger Entstehung herbeizuführen; eine weitergehende Bedeutung kommt ihr nicht zu. Besteht mangels Vorliegen der gesetzlichen Voraussetzungen kein Anspruch auf die Erteilung einer Zusicherung, so ergibt sich ein solcher auch nicht daraus, dass ein potentieller Vermieter das Mietverhältnis anderenfalls nicht eingehen möchte; seinen Interessen kann auf andere Weise Rechnung getragen werden.
Die Zusicherung bezüglich der Kosten der Unterkunft und Heizung nach § 22 Abs. 4 SGB II ist nicht identisch mit der Zusicherung der Übernahme einer Mietkaution nach § 22 Abs. 6 SGB II; für die Erteilung sind unterschiedliche Leistungsträger zuständig.
Auf die Beschwerde des Antragsgegners wird der Beschluss des Sozialgerichts Berlin vom 13. Mai 2011 aufgehoben.
Die Beteiligten haben einander keine Kosten zu erstatten.
Der Antragstellerin wird für das Beschwerdeverfahren Prozesskostenhilfe bewilligt; Rechtsanwalt M G, S Straße, B, wird beigeordnet.
I.
Das Begehren der Antragstellerin ist es, dem Antragsgegner im Wege der einstweiligen Anordnung aufzugeben, die Übernahme der Kosten für eine ihr angebotene Wohnung zuzusichern.
Die 1947 geborene Antragstellerin lebt von ihrem Ehemann getrennt. Seit dessen Auszug wohnt sie allein in der ehemals gemeinsamen 54 qm großen Zweizimmerwohnung in der S Straße, Seitenflügel, 3. Obergeschoss links. Auf ihr Betreiben hin und nach Einholung einer Zusicherung seitens des Antragsgegners wurde mit Wirkung vom 1. September 2010 ein neuer Mietvertrag über die Wohnung mit ihr als alleiniger Mieterin geschlossen. Der Mietzins beträgt 250,- € monatlich zuzüglich 75,- € Betriebskostenvorschuss und 50,- € Heizkostenvorschuss. Dem Mietvertrag zufolge war eine Kaution in Höhe eines Betrags von 750,- € zu leisten. Unter dem 28. März 2011 teilte die Antragstellerin erstmals mit, dass es ihr, weil sie gehbehindert sei und das Haus nicht über einen Aufzug verfüge, immer schwerer falle, die Wohnung zu verlassen und alltägliche Dinge wie Einkäufe und Müllentsorgung zu erledigen. Zugleich beantragte sie die Erteilung einer Zusicherung für die von ihr in Aussicht genommene, im Erdgeschoss gelegene Zweizimmerwohnung in der R, für die laut Angebot monatlich eine Nettokaltmiete von 240,- €, eine Betriebskostenvorauszahlung in Höhe von 60,- €, ein Heizkostenvorschuss von 65,- € und Kabelgebühren von 7,- € zu zahlen sind und eine Kaution in Höhe von 720,- € zu leisten ist.
Mit Bescheid vom 19. April 2011 lehnte der Antragsgegner die Erteilung der Zusicherung ab und führte zur Begründung aus, die Antragstellerin verfüge über angemessenen Wohnraum; ein Umzug sei somit nicht erforderlich. Gegen den Bescheid legte die Antragstellerin unter dem Datum des 28. April 2011 am 10. Mai 2011 Widerspruch ein.
Am selben Tag hat die Antragstellerin beim Sozialgericht Berlin um die Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes nachgesucht und ein vom 4. Mai 2011 datierendes Attest ihrer behandelnden Orthopäden vorgelegt, demzufolge unter anderem ein Zustand nach Totalendoprothese des linken Knies am 17. Juni 2008 und eine Gonarthrose rechts bestehen. Aufgrund dieser Diagnosen sei die Gehfähigkeit eingeschränkt. Treppensteigen sei der Antragstellerin kaum möglich; aus fachärztlicher Sicht solle sie daher in einer Wohnung im Erdgeschoss oder mit Fahrstuhl wohnen.
Der Antragsgegner ist dem entgegengetreten und hat darauf hingewiesen, dass noch im Juni 2010 unter Hinweis darauf, dass ein Umzug wegen des Gesundheitszustands der Antragstellerin unbedingt zu vermeiden sei, auf den Abschluss eines Mietvertrags für die derzeitige Wohnung gedrängt worden sei. Aus dem eingereichten Attest ergäben sich keine gegenüber den in der Bescheinigung vom 28. April 2010 genannten neuen Diagnosen. Zudem bedürfe die Antragstellerin keiner Zusicherung, weil die Kosten für die derzeitige Unterkunft angemessen seien und die Kosten für die in Aussicht genommene Unterkunft unter denen der derzeit bewohnten lägen, so dass sie auf jeden Fall zu übernehmen seien.
Das Sozialgericht Berlin hat dem Antrag mit Beschluss vom 13. Mai 2011 stattgegeben und zur Begründung ausgeführt, die Zusicherung habe sich im Rechtsverkehr als Instrument des Wohnungsmarktes zur Bestätigung der Zahlungssicherheit entwickelt. Ohne Zusicherung erhielten Hilfebedürftige typischerweise keinen Wohnraum. Der Antragsgegner sei daher ungeachtet der Voraussetzungen des § 22 Abs. 4 Satz 2 Zweites Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) zur Erteilung der Zusicherung verpflichtet, auch wenn der Umzug nicht erforderlich sein sollte. Soweit die Kosten für die neue Unterkunft die bisherigen bereits angemessenen Kosten unterschritten, sei das dem Antragsgegner grundsätzlich eingeräumte Ermessen auf Null reduziert. Schließlich sei es im vorliegenden Fall auch gerechtfertigt, die Hauptsache vorwegzunehmen, denn anderenfalls drohe der Antragstellerin der Verlust des Zugangs zu einer angemessenen Wohnung.
Gegen den ihm am 13. Mai 2011 per Fax und am 18. Mai 2011 durch die Post zugestellten Beschluss hat der Antragsgegner am 23. Mai 2011 Beschwerde eingelegt. Er wendet sich insbesondere dagegen, dass er zur Erteilung einer Zusicherung nach § 22 Abs. 4 Satz 1 SGB II auch dann verpflichtet sein soll, wenn der Umzug nicht erforderlich ist.
Die Antragstellerin hält die erstinstanzliche Entscheidung für zutreffend. Sie trägt ergänzend vor, sie brauche die Zusicherung auch wegen der Kaution, die für die bisherige Wohnung geleistete stehe nicht zur Verfügung. Ohne die Zusicherung könne sie nicht an den neuen Mietvertrag gelangen.
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands im Übrigen wird auf den Inhalt der Gerichtsakten und der beigezogenen Verwaltungsvorgänge des Antragsgegners (Nummer der Bedarfsgemeinschaft: , 222 Blatt) verwiesen, der Gegenstand der Beratung und Entscheidung gewesen ist.
II.
Die Beschwerde des Antragsgegners hat Erfolg, sie ist zulässig und begründet.
Nach § 86 b Abs. 2 Satz 2 SGG kann das Gericht einstweilige Anordnungen zur Regelung eines vorläufigen Zustands im Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis treffen, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint. Der geltend gemachte Anspruch (Anordnungsanspruch) und die Notwendigkeit der vorläufigen Regelung (Anordnungsgrund) sind glaubhaft zu machen (§ 86 b Abs. 2 Satz 3 SGG i.V.m. §§ 920 Abs. 2, 294 Zivilprozessordnung [ZPO]).
Die zu treffende Eilentscheidung kann, wie das Bundesverfassungsgericht in einer Entscheidung in Zusammenhang mit Leistungen nach dem SGB II bzw. XII betont hat (Beschluss vom 12. Mai 2005, NVwZ 2005, S. 927 ff), sowohl auf eine Folgenabwägung (Folgen einer Stattgabe gegenüber den Folgen bei Ablehnung des Eilantrages) als auch alternativ auf eine Überprüfung der Erfolgsaussichten in der Hauptsache gestützt werden. Im Vordergrund steht dabei für den Senat die Prüfung der Erfolgsaussichten der Hauptsache (Anordnungsanspruch), ergänzt um das Merkmal der Eilbedürftigkeit (Anordnungsgrund), um differierende Entscheidungen im Eil- und Hauptsacheverfahren möglichst zu vermeiden. In diesem Zusammenhang ist das Gericht verpflichtet, die Sach- und Rechtslage nicht nur summarisch, sondern im Rahmen des im einstweiligen Rechtsschutzverfahren Möglichen abschließend zu prüfen, besonders wenn das einstweilige Verfahren im Wesentlichen oder vollständig die Bedeutung des Hauptsacheverfahrens übernimmt und einem Beteiligten eine endgültige Grundrechtsbeeinträchtigung droht, wie dies im Streit um laufende Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende regelmäßig der Fall ist, da der elementare Lebensbedarf für die kaum je absehbare Dauer des Hauptsacheverfahrens bei ablehnender Entscheidung nicht gedeckt ist. Unter Beachtung der auf dem Spiel stehenden Grundrechte dürfen dabei die Anforderungen an die Glaubhaftmachung von Anordnungsanspruch und Anordnungsgrund nicht überspannt werden (vgl. BVerfG, a.a.O.).
Hieran gemessen hat die Antragstellerin weder einen Anordnungsanspruch noch einen Anordnungsgrund in einem die (hier faktisch endgültige) Vorwegnahme der Hauptsache rechtfertigenden Maße glaubhaft gemacht.
Die Antragstellerin hat keinen Anspruch auf den Erlass einer einstweiligen Anordnung, mit welcher der Antragsgegner verpflichtet wird, ihr eine Zusicherung bezüglich der Erbringung von Leistungen für die Kosten der Unterkunft und Heizung bei Anmietung der Wohnung in der R zu erteilen.
Nach § 22 Abs. 4 Satz 1 Sozialgesetzbuch Zweites Buch (SGB II) soll eine erwerbsfähige leistungsberechtigte Person vor Abschluss eines Vertrages über eine neue Unterkunft die Zusicherung des für die Leistungserbringung bisher örtlich zuständigen kommunalen Trägers zu den Aufwendungen für die neue Unterkunft einholen. Nach Satz 2 der Vorschrift ist der kommunale Träger nur zur Zusicherung verpflichtet, wenn der Umzug erforderlich ist und die Aufwendungen für die neue Unterkunft angemessen sind. Die Zusicherung ist aber keine Voraussetzung für einen Anspruch auf die Übernahme höherer Kosten der Unterkunft und Heizung. Sie hat lediglich den Zweck, über die Angemessenheit der Unterkunftskosten vor deren erstmaliger Entstehung eine Entscheidung herbeizuführen und so zu vermeiden, dass der Hilfebedürftige infolge einer nur teilweisen Übernahme von Kosten erneut in eine Notlage gerät (vgl. die Senatsbeschlüsse vom 26. November 2010, L 5 AS 1880/10 B ER, vom 14. Mai 2009, L 5 AS 573/09 B ER, und vom 16. Januar 2009, L 5 B 2097/08 AS ER, m.w.N., alle zitiert nach juris); eine weitergehende Bedeutung kommt ihr nicht zu. Zu Recht hat deshalb der Antragsgegner darauf hingewiesen, dass ein Anspruch der Antragstellerin auf die Erteilung der Zusicherung nicht besteht. Angesichts des Umstands, dass die nun als Begründung für die Erforderlichkeit des Umzugs genannten gesundheitlichen Probleme dieselben sind, mit welchen vor nicht einmal einem Jahr die Notwendigkeit des Verbleibs in der bisherigen Wohnung begründet wurde, ist schon die Erforderlichkeit des Umzugs zu verneinen. Im Übrigen bedarf die Antragstellerin keiner Zusicherung, weil die bei Anmietung der in Aussicht genommenen Wohnung monatlich entstehenden Kosten geringer sind als die bislang entstandenen, bezüglich derer die Angemessenheit völlig unstreitig ist. Soweit die Antragstellerin und auch das erstinstanzliche Gericht meinen, ein Anspruch auf die Erteilung einer Zusicherung ergebe sich unabhängig vom Vorliegen der gesetzlich geregelten Voraussetzungen daraus, dass der Vermieter sonst nicht bereit sei, ein Mietverhältnis mit der Antragstellerin einzugehen, ist dem entgegenzuhalten, dass den Interessen des Vermieters unproblematisch dadurch Rechnung getragen werden kann, dass die Antragstellerin gegenüber dem Antragsgegner in die Zahlung der Miete unmittelbar an den Vermieter einwilligt und der Antragsgegner ihr sodann bescheinigt, dies im Falle des Abschlusses eines Mietvertrages tun zu wollen.
Soweit die Antragstellerin im Beschwerdeverfahren die Übernahme der Mietkaution durch den Antragsgegner als wesentliches Anliegen herausstellt, ist diese nicht Gegenstand einer Zusicherung nach § 22 Abs. 4 Satz 1 SGB II, sondern einer solchen nach § 22 Abs. 6 SGB II. Eine derartige Zusicherung hat die Antragstellerin nicht beantragt. Zuständig wäre auch insoweit nicht der Antragsgegner, sondern gemäß § 22 Abs. 6 Satz 1 2. Halbsatz SGB II der am Ort der neuen Unterkunft zuständige kommunale Träger. Im Ausgangsverfahren ist die Kaution zudem nicht streitgegenständlich gewesen. Abgesehen von der daraus folgenden Unzulässigkeit des Begehrens der Antragstellerin ist nicht ersichtlich, dass die sich aus § 22 Abs. 6 Satz 2 SGB II ergebenden Voraussetzungen für die nach § 22 Abs. 6 Satz 3 SGB II grundsätzlich darlehensweise erfolgende Übernahme der Kaution erfüllt sind. Schließlich ist die für die bisherige Wohnung geleistete Kaution um 30,- € höher als die nun geforderte. Sollte das Geld tatsächlich nicht zur Verfügung stehen, so dürfte der Grund dafür sein, dass der bisherige Vermieter berechtigte Ansprüche gegen die Antragstellerin hat. Dass sich daraus - gegebenenfalls - kein Anspruch auf Übernahme der von dem neuen Vermieter verlangten Kaution durch den Antragsgegner ableiten lässt, bedarf keiner weiteren Erläuterung.
Die Kostenentscheidung findet ihre Grundlage in der entsprechenden Anwendung von § 193 SGG. Sie trägt dem Ausgang des Verfahrens Rechnung.
Der bedürftigen Antragstellerin war für das Beschwerdeverfahren Prozesskostenhilfe zu bewilligen und Rechtsanwalt Groß beizuordnen, weil der Antragsgegner das Rechtsmittel eingelegt hatte (§ 73a Abs. 1 Satz 1 SGG i.V.m. § 119 Abs. 1 Satz 2 ZPO).
Dieser Beschluss kann gemäß § 177 SGG nicht mit der Beschwerde an das Bundessozialgericht angefochten werden.