Gericht | VG Potsdam 6. Kammer | Entscheidungsdatum | 16.04.2014 | |
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Aktenzeichen | VG 6 L 211/14.A | ECLI | ||
Dokumententyp | Beschluss | Verfahrensgang | - | |
Normen |
Die aufschiebende Wirkung der gegen den Bescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 10. Oktober 2013 erhobenen Klage VG 6 K 4026/13.A wird in Abänderung des Beschlusses vom 18. November 2013 - VG 6 L 845/13.A -angeordnet.
Die Antragsgegnerin trägt die Kosten des gerichtskostenfreien Verfahrens.
Die Kammer entscheidet über den vorliegende Antrag des Eilrechtsschutzes, nachdem ihr der nach § 76 Abs. 4 Satz 1 AsylVfG an sich zuständige Einzelrichter die Sache wegen grundsätzlicher Bedeutung zur Entscheidung unanfechtbar übertragen hat, § 76 Abs. 4 Satz 2 AsylVfG.
Der am 24. März 2014 angebrachte sinngemäße Antrag,
die aufschiebende Wirkung der gegen den Bescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 10. Oktober 2013 erhobenen Klage VG 6 K 4026/13.A in Abänderung des Beschlusses vom 18. November 2013 - VG 6 L 845/13.A - anzuordnen,
ist nach § 80 Abs. 7 Satz 2 VwGO statthaft und auch im Übrigen zulässig.
Die Antragsteller konnten im Eilrechtsschutzverfahren VG 6 L 845/13.A, in welchem bereits mit Beschluss vom 18. November 2013 rechtskräftig entschieden worden war, den Ablauf der 6-Monatsfrist nach Art. 20 Abs. 2 der Verordnung (EG) Nr. 343/2003 (Dublin II-VO) nicht mehr anbringen, da die Frist erst am 20. Februar 2014 abgelaufen ist. Den Antragstellern steht für ihren neuen Antrag das erforderliche Rechtsschutzbedürfnis zur Seite. Die Antragsgegnerin hat gegenüber der Verfahrensbevollmächtigten der Antragsteller mit Schreiben vom 18. März 2014 zu erkennen gegeben, dass aus ihrer Sicht die 6-Monatsfrist des Art. 20 Abs. 2 Dublin II-VO (ab 1. Januar 2014 Art. 29 Abs. 2 Dublin III-VO) mit dem Abschluss des vorgängigen Eilrechtsschutzverfahrens am 18. November 2013 erneut zu laufen begonnen habe. Mithin dürfte ihrer Ansicht nach eine Abschiebung bis zum 18. Mai 2014 zulässig sein.
Der Antrag ist auch begründet. Es spricht nach der im Verfahren nach § 80 Abs. 5 VwGO gebotenen summarischen Prüfung Überwiegendes dafür, dass die gesetzlich sofort vollziehbare Abschiebungsanordnung mit Ablauf der Rücküberstellungsfrist am 20. Februar 2014 rechtswidrig geworden ist; daher überwiegt das private Interesse der Antragsteller, von einer Abschiebung verschont zu werden, das öffentliche Interesse am Sofortvollzug der Abschiebungsanordnung.
Maßgeblich für die Frage der Zuständigkeit ist vorliegend die Verordnung (EG) Nr. 343/2003 des Rates zur Festlegung der Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedstaates, der für die Prüfung eines von einem Drittstaatsangehörigen in einem Mitgliedstaat gestellten Asylantrages zuständig ist, vom 18. Februar 2003 (ABl. L 15/1) - Dublin II-VO -. Die Zuständigkeitskriterien der Dublin II-VO finden nach Art. 49 Satz 3 VO (EU) Nr. 604/2013 - Dublin III-VO - auf Asylanträge, die vor dem 1. Januar 2014 gestellt worden sind, weiterhin Anwendung (vgl. VG Potsdam, Beschluss vom 6. Januar 2014 - VG 6 L 882/13.A). Die Zuständigkeit ist nach Art. 20 Abs. 2 Dublin II-VO nach Ablauf der 6-Monatsfrist auf die Bundesrepublik übergegangen, denn die Republik Österreich hat dem Wiederaufnahmegesuch am 21. August 2013 unter Verweis auf Art. 16 Abs. 1 e) Dublin II-VO zugestimmt.
Die zwischenzeitliche Stellung eines Eilrechtsschutzantrags beim angerufenen Gericht am 23. Oktober 2013 zum Aktenzeichen VG 6 L 845/13.A wirkte sich auf den Ablauf der Überstellungsfrist nicht aus, da eine Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage abgelehnt worden war. Entgegen der Ansicht der Antragsgegnerin hat die Einlegung des Rechtsbehelfs nach § 80 Abs. 5 VwGO selbst keine aufschiebende Wirkung. Dieser Rechtsbehelf dient vielmehr allein dazu zu klären, ob der gegen die Überstellungsentscheidung gerichteten Klage entgegen der Regel des § 75 Abs. 1 AsylVfG ausnahmsweise doch aufschiebende Wirkung beizumessen ist. § 34a Abs. 2 Satz 2 AsylVfG ordnet für das deutsche Recht zwar an, dass eine Abschiebung des Asylsuchenden in Streitigkeiten um die Zuständigkeit bei rechtzeitiger Antragstellung vor der gerichtlichen Entscheidung nicht zulässig ist. Diese Regelung realisiert den nunmehr nach Art. 27 Abs. 3 Dublin III-VO vorgeschriebenen effektiven Rechtsschutz gegen Überstellungsentscheidungen für das deutsche Recht in der Weise, dass die Überstellung ausgesetzt wird, bis die Entscheidung über den ersten Antrag auf Aussetzung ergangen ist (Art. 27 Abs. 3 c) Satz 2 Dublin III-VO), und dies vor dem Hintergrund, dass die betreffende Person die Möglichkeit hat, bei einem Gericht innerhalb einer angemessenen Frist eine Aussetzung der Durchführung der Überstellungsentscheidung bis zum Abschluss des Rechtsbehelfs oder der Überprüfung zu beantragen (Art. 27 Abs. 3 c) Satz 1 Dublin III-VO). Der hier angesprochene „Rechtsbehelf“ ist die gegen die Überstellungsentscheidung gerichtete Klage (hier: VG 6 K 4026/13.A). Mit § 34a Abs. 2 Satz 2 AsylVfG wird daher gerade nicht von der unionsrechtlich zulässigen Option einer automatischen Aussetzung der Überstellung nach Art. 27 Abs. 3 b) Dublin III-VO Gebrauch gemacht.
Auch die Klageerhebung bei Zuständigkeitsstreitigkeiten nach § 27a AsylVfG hat keine aufschiebende Wirkung. Das folgt im Gegenschluss aus § 75 Abs. 1 AsylVfG, welcher abschließend diejenigen asylverfahrensrechtlichen Fallkonstellationen (Entscheidungen nach §§ 38, 73, 73 b und 73c AsylVfG) benennt, in denen die Klageerhebung aufschiebende Wirkung hat. Nicht zuletzt aus diesem Grund ist durch das Gesetz zur Umsetzung der Richtlinie 2011/95/EU vom 28. August 2013 (BGBl. I, 3437) die Möglichkeit des Eilrechtsschutzes gegen die kraft Gesetzes sofort vollziehbare Abschiebungsanordnung durch die Neufassung des § 34a Abs. 2 AsylVfG eröffnet worden. Hat aber schon der Rechtsbehelf der Klageerhebung keine aufschiebende Wirkung, dann gilt gleiches erst Recht für den akzessorischen Rechtsbehelf des einstweiligen Rechtsschutzes (i. E. wie hier VG Oldenburg, Beschluss vom 21. Januar 2014 - 3 B 7136/13 - zit. nach juris, Rn.13, 15; a. A. VG Göttingen, Beschluss vom 28. November 2013 - 2 B 887/13 - zit. nach juris, Rn. 7, VG Regensburg, Beschluss vom 13. Dezember 2013 - RO 9 S 13.30618 - Rn. 19 unter Annahme der aufschiebenden Wirkung eines Rechtsbehelfs nach § 34 a Abs. 2 Satz 2 AsylVfG).
Art. 20 Abs. 1 e) Satz 4 Dublin II-VO selbst sieht vor, dass ein Rechtsbehelf gegen die Überstellungsentscheidung grundsätzlich keine aufschiebende Wirkung hat, es sei denn, die Gerichte oder zuständigen Stellen entscheiden im Einzelfall nach Maßgabe ihres innerstaatlichen Rechts anders. Mithin knüpft die Dublin II-VO für den Ablauf der 6-Monatsfrist im Falle der positiven Wiederaufnahmeentscheidung eines anderen Mitgliedstaats nur an eine Entscheidung über den Rechtsbehelf mit aufschiebender Wirkung, nicht aber schon an die Rechtsbehelfseinlegung selbst an. Dies ergibt sich zweifelsfrei aus der Rechtsprechung des EuGH zu dieser Norm: Der Fristablauf zur Durchführung der Überstellung läuft unabhängig von den Unwägbarkeiten, denen der Rechtsbehelf unterliegt, welchen der Asylbewerber gegen die seine Überstellung anordnende Entscheidung vor den Gerichten des ersuchenden Mitgliedstaats erheben kann (EuGH, Rs. C-19/08 (Petrosian) - Urt. vom 29. Januar 2009, - zit. nach juris, Rn. 38). Erst diejenige Entscheidung, mit welcher über die Rechtmäßigkeit der Überstellung selbst entschieden wird - mithin das Urteil über die Klage gegen die Abschiebungsanordnung -, führt zu einem erneuten Fristlauf (vgl. EuGH, Rs C-19/08 - Urt. vom 29. Januar 2009 - a. a. O. Rn. 53).
Da der Antrag Erfolg hat, ist über den weiteren hilfsweise gestellten Antrag vom 2. April 2014 nicht mehr zu entscheiden gewesen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO, § 83b AsylVfG.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 80 AsylVfG).