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Regelleistungsvolumen (RLV) - Honorarverteilung - Erweiterter Bewertungsausschuss - Praxisbesonderheiten


Metadaten

Gericht LSG Berlin-Brandenburg 7. Senat Entscheidungsdatum 30.04.2014
Aktenzeichen L 7 KA 80/11 ECLI
Dokumententyp Urteil Verfahrensgang -
Normen § 87b SGB 5

Leitsatz

1. Werden spezielle Leistungen aus unterschiedlichen Bereichen erbracht, führt dies nicht zu einer im Vergleich zum Durchschnitt signifikant anderen Ausrichtung der Praxis mit der Folge, dass sie in besonderem Maße von Patienten mit bestimmten Krankheitsbildern in Anspruch genommen wird (Anschluss an BSG, Beschluss vom 28. August 2013 - B 6 KA 24/13 B). Eine RLV-relevante Praxisbesonderheit liegt dann nicht vor.

2. Weil das RLV vor Beginn eines Quartals zugewiesen werden muss, darf bei der Prüfung auf RLV-relevante Praxisbesonderheiten nicht auf die Abrechnungsdaten ebendieses Quartals zurückgegriffen werden.
3. Dass die Anerkennung einer RLV-relevanten Praxisbesonderheit davon abhängt, dass der Fallwert einer Vertragsarztpraxis denjenigen der Arztgruppe um 15 % überschreitet, ist unbedenklich.

Tenor

Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 8. Juni 2011 aufgehoben und die Klage insgesamt abgewiesen.

Die Berufung der Klägerin wird zurückgewiesen.

Die Kosten des Rechtsstreits tragen die Beteiligten jeweils zur Hälfte.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

Die Beteiligten streiten um die Höhe des der Klägerin für die Quartale II/09 bis IV/09 zustehenden Regelleistungsvolumens (RLV).

Die Klägerin, die nach eigenen Angaben die Qualifikation einer Fachärztin für Physiotherapie erworben hat, nimmt seit Januar 1993 als Ärztin ohne Gebietsbezeichnung im Berliner Stadtteil K an der vertragsärztlichen Versorgung (hausärztlicher Versorgungsbereich) teil. Sie ist berechtigt, die Zusatzbezeichnungen Chirotherapie, Naturheilverfahren und physikalische Therapie zu führen, und verfügt über eine Abrechnungsgenehmigung für Leistungen der psychosomatischen Grundversorgung (Gebührenordnungspositionen - GOP - 35100 und 35110 des einheitlichen Bewertungsmaßstabes - EBM -) sowie für die neurophysiologische Übungsbehandlung (GOP 30300 EBM).

Der Vergütung der von der Klägerin erbrachten Leistungen ab dem Quartal III/03 lagen unter anderem folgenden Daten zugrunde:

        

Abgerechnete Fälle
durchschnittlich
je Vertragsarzt
AG01/prakt. Ärzte

Fallzahlen der
Klägerin

Honorar
in Euro

Fallwert
in Euro

III/03

705     

600     

                

IV/03 

756     

645     

                

I/04   

665     

531     

                

II/04 

650     

529     

                

III/04

644     

538     

                

IV/04 

691     

628     

                

I/05   

700     

541     

                

II/05 

658     

615     

                

III/05

647     

585     

                

IV/05 

711     

586     

                

I/06   

697     

588     

                

II/06 

673     

599     

                

III/06

659     

482     

                

IV/06 

711     

610     

                

I/07   

722     

564     

37.071,20 €

        

II/07 

686     

525     

36.882,73 €

        

III/07

688     

510     

36.247,80 €

        

IV/07 

745     

595     

40.179,30 €

        

I/08   

743     

546     

34.365,98 €

        

II/08 

717     

520     

33.588,03 €

53,31 

III/08

710     

501     

31.827,46 €

50,40 

IV/08 

766     

523     

38.059,81 €

55,41 

I/09   

783     

561     

29.284,60 €

49,084

II/2009

900     

511     

28.279,47 €

49,43 

III/2009

        

479     

26.641,64 €

49,50 

IV/2009

        

537     

29.374,88 €

51,59 

Für einzelne Leistungsbereiche schwankten deren Anteile an den angeforderten Gesamtpunkten wie folgt:

Leistungsbereich

Anteil in 2007 in %

Anteil in 2008 in %

Physikalische Therapie

5,30 – 7,77

7,08 – 9,55

Chirotherapie

4,61 – 5,68

5,66 – 7,63

Schmerztherapie

4,32 – 4,53

0,90 – 1,30

Psychosomatik

2,96 – 4,00

1,09 – 1,26

Der Klägerin wurden für die streitigen Quartale folgende RLV zugewiesen:

Quartal

Bescheid vom

Höhe des RLV in €

Bestandskraft

II/09 

25. März 2009

18.904,08

nein (Widerspruchsverfahren ruht)

III/09

29. Mai 2009

18.195,64

nein (Widerspruchsverfahren ruht)

IV/09 

28. August 2009

18.444,43

ja (kein Widerspruch eingelegt)

Mit am 29. Juni 2009 bei der Beklagten eingegangenem Schreiben legte die Klägerin nicht nur Widerspruch gegen den o.g. Bescheid vom 25. März 2009 ein, sondern beantragte zugleich eine Erhöhung ihres RLV für dieses Quartal wegen Praxisbesonderheiten.

Mit Bescheid vom 15. Dezember 2009 lehnte die Beklagte die Anerkennung von Praxisbesonderheiten für die Quartale II/09 bis IV/09 ab. Zwar überschreite der arztindividuelle RLV-relevante Fallwert aus dem Quartal II/08 – unter Berücksichtigung der Fallwertzuschläge („Zusatzbudgets“) für qualitätsgesicherte Leistungen (hier: Psychosomatik i.H.v. 3 Euro und Chirotherapie i.H.v. 1 Euro) – den RLV-Fallwert der Arztgruppe der Hausärzte aus II/09 um 35,27 % und liege damit über der Mindesthöhe von 15 %. Weil jedoch zugleich ein Fallzahlrückgang in Höhe von 23 % im Vergleich zu den letzten vier Quartalen vor Einführung der Individualbudgetierung (III/02 bis II/03) zu verzeichnen sei, habe der Antrag für das Quartal II/09 abgelehnt werden müssen. Unter Berücksichtigung der 15-%-Grenze hätten auch für die Quartale III/09 und IV/09 Praxisbesonderheiten nicht anerkannt werden können.

Dem hiergegen gerichteten Widerspruch der Klägerin gab die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 6. Juli 2010 insofern teilweise statt, als der RLV-Fallwert für das Quartal IV/09 auf 36,50 Euro angehoben wurde; im Übrigen wies sie den Widerspruch zurück und führte zur Begründung aus: Bei der Berechnung einer Fallwertüberschreitung im Rahmen der Anerkennung von Praxisbesonderheiten in den Quartalen II/09 bis IV/09 seien die jeweiligen arztindividuellen Fallwerte aus den Vorjahresquartalen II/08 bis IV/08 heranzuziehen. Im Einzelnen ergebe sich folgendes:

        

II/2009

III/2009

IV/2009

arztindividueller Fallwert 2008

53,31 €

50,40 €

55,41 €

RLV-Fallwert Arztgruppe*

35,41 €

35,36 €

34,05 €

Fallwertzuschläge Zusatzbudgets**

4,00 €

4,00 €

4,00 €

RLV-Fallwert Arztgruppe incl. Zusatzbudgets

39,41 €

39,36 €

38,05 €

Differenz

35,27 %

28,05 %

45,62 %

abzügl. Fallzahlverlust***

24,18 %

27,00 %

23,44 %

abzügl. Grenzwert

15,00%

15,00%

15,00%

Fallwertüber-/-unterschreitung

- 3,91 %

- 13,95 %

 7,18 %

neuer RLV-Fallwert

35,41 €

35,36 €

36,50 €

*HausärztIiche Internisten/Allgemeinmediziner/Praktiker,
**Chirotherapie 1,00 €, Psychosomatik 3,00 €
***Behandlungsfälle: 674 (III/2002-II/2003) 511 (II/2008), 492 (III/2008), 516 (IV/2008)

Ein Fallzahlvergleich der Quartale II/02 bis II/03 gegenüber den Quartalen II/08 bis IV/08 sei gerechtfertigt, um zu überprüfen, ob die geltend gemachte Praxisbesonderheit auch kausal zu einer eventuellen Erhöhung des Fallwertes gegenüber der Fachgruppe sei. Fallwertveränderungen könnten verschiedene Ursachen haben, u.a. eine gezielte Fallzahlsteuerung im Zusammenhang mit der Einführung der Individualbudgets (IB).

Ein Anteil der Fallwertüberschreitung von 15 % ab dem Quartal II/09 könne nicht berücksichtigt werden, da dieser Umfang auch nach dem Beschluss des Bewertungsausschusses vom 27./28. August 2008 als hinnehmbar angesehen werde. Die Berücksichtigung der Fallwertzuschläge i.H.v. 4 Euro bei der Berechnung der Fallwertüberschreitung sei nicht zu beanstanden. Durch die Anerkennung der Zusatzbudgets Psychosomatik und Chirotherapie und damit auch einer besonderen Leistungsstruktur stehe der Klägerin ein zusätzliches Honorarvolumen zur Verfügung. Da sich dadurch auch das RLV der Klägerin erhöhe, seien im Gegenzug die Fallwertzuschläge bei der Berechnung zu beachten.

Die Honorarbescheide der Klägerin für die streitigen Quartale sind nicht bestandskräftig. Die Klägerin erhielt Ausgleichszahlungen wegen überproportionalen Honorarverlustes in Höhe von 71,44 Euro (Quartal I/09), 558,77 Euro (Quartal II/09), 474,82 Euro (Quartal III/09) und 2.403,95 Euro (Quartal IV/09).

Das Sozialgericht hat mit Urteil vom 8. Juni 2011 die Bescheide der Beklagten vom 15. Dezember 2009 und 6. Juli 2010 „aufgehoben, soweit darin Praxisbesonderheiten für die Quartale II/09 bis IV/09 nicht anerkannt wurden“, und die Beklagte verpflichtet, über die Anerkennung von Praxisbesonderheiten für die Quartale II/09 bis IV/09 unter Beachtung seiner Rechtsauffassung neu zu entscheiden. Im Übrigen hat es die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat das Sozialgericht ausgeführt: Ob eine besondere, für die Versorgung bedeutsame fachliche Spezialisierung im Sinne von § 5 Abs. 9 der Anlage 1 des Honorarvertrages (HV) vom 21. November 2008 in der hier maßgeblichen Fassung der ersten Änderungsvereinbarung vom 31. März 2009 vorliege, könne nur durch eine Prüfung der Abrechnung des betroffenen Vertragsarztes im Vergleich zur Arztgruppe festgestellt werden. Hierbei sei zu prüfen, ob und in welchem Umfang Leistungen abgerechnet worden seien, die auf eine besondere, von der Typik der Arztgruppe abweichende Praxisausrichtung schließen ließen. Ein Indiz für eine Spezialisierung könne sich auch aus einem überdurchschnittlich hohen Überweisungsanteil ergeben. Die Beurteilung, ob Praxisbesonderheiten vorlägen, unterliege der uneingeschränkten gerichtlichen Nachprüfung. Mache ein Vertragsarzt Praxisbesonderheiten geltend, treffe ihn eine Mitwirkungspflicht. Eine konkrete Prüfung und eine Quantifizierung des sich aus der Spezialisierung ergebenden Umfangs der Fallwertüberschreitung anhand der Abrechnungsunterlagen könne von ihm jedoch nicht gefordert werden, weil dies Aufgabe der Beklagten im Rahmen ihrer Amtsermittlungspflicht nach § 20 Sozialgesetzbuch / Zehntes Buch (SGB X) sei. Im vorliegenden Fall sei die Klägerin ihren Darlegungsanforderungen nachgekommen. Auf eine Verletzung der Mitwirkungspflicht könne sich die Beklagte im Übrigen schon deshalb nicht berufen, weil sie selbst die geltend gemachten Praxisbesonderheiten als solche in den angefochtenen Bescheiden nicht in Frage gestellt, sondern ihr Bestehen vorausgesetzt und so der Klägerin nicht zu erkennen gegeben habe, dass sie weiteren Mitwirkungsbedarf sehe. Die von der Klägerin vorgetragenen Umstände würden durch die von ihr im Klageverfahren vorgelegten Abrechnungsdaten für das Jahr 2008 und die von der Beklagten eingereichten Abrechnungsdaten für die Zeit von 2002 bis 2009 bestätigt. Diese Umstände seien teilweise geeignet, Praxisbesonderheiten und eine daraus resultierende Fallwerterhöhung zu begründen. Keine Praxisbesonderheit stelle der hohe Rentneranteil, die Behandlung sehr alter und polymorbider Patienten, ein ansteigender Gesprächsbedarf bei zunehmenden psychischen und psychosomatischen Beschwerden sowie die von der Klägerin erbrachten schmerztherapeutischen Leistungen dar. Als einzige Praxisbesonderheit anzuerkennen sei die aufgrund der speziellen Qualifikation auf den Gebieten physikalisch-medizinische Therapie und Chirotherapie von der Klägerin anhand der Abrechnungsdaten nachgewiesene physikalisch-medizinische und chirotherapeutische Betreuung von Patienten mit Störungen und Erkrankungen des Bewegungs- und Halteapparats. Die von der Klägerin geltend gemachten Leistungen entstammten insbesondere den Abschnitten 30.2, 30.3 und 30.4 des EBM, seien daher nicht dem fachärztlichen Bereich vorbehalten und dürften von der Klägerin grundsätzlich erbracht werden. Der Anerkennung chirotherapeutischer Leistungen als Praxisbesonderheit stehe nicht entgegen, dass für diese Leistung ein qualifikationsgebundenes Zusatzbudget in Form eines Fallwertzuschlages von 1 Euro pro Fall gewährt werde. Anders als durch die ab 2010 eingeführten qualifikationsgebundenen Zusatzvolumina, die explizit auch der vollständigen Vergütung und Mängelsteuerung im Bereich der betreffenden Leistungen dienten, werde der qualifikationsgebundene Fallwertzuschlag schon allein bei Vorliegen entsprechender Qualifikation fallwertabhängig gewährt und sei vom tatsächlichen Umfang der qualifikationsgebundenen Leistungen unabhängig, wodurch deren Erbringung gefördert werden solle, aber nicht ihre Vergütung zu den vollen Preisen der Euro-Gebührenordnung sichergestellt werden solle. Erbringe ein Hausarzt diese qualifikationsgebundenen Leistungen in einem über das Zusatzvolumen deutlich hinausgehenden Umfang und schöpfe sein RLV aus, würden auch diese Leistungen nach § 7 Abs. 1 Satz 5 HV nur mit den abgestaffelten Preisen vergütet, so dass er gegenüber der Arztgruppe benachteiligt sei, wenn es sich um besonders aufwändige Leistungen handele, die einen hohen Fallwert zur Folge hätten. Insofern sei es sachgerecht, die Leistungen, für die qualifikationsgebundene Fallwertzuschläge gewährt würden, nicht von vornherein von der Berücksichtigung als Praxisbesonderheit auszuschließen, sondern mit der Beklagten die dem Arzt zustehenden Fallwertzuschläge erst auf der zweiten Stufe der Prüfung beim Vergleich des individuellen Fallwerts mit dem durchschnittlichen Fallwert der Arztgruppe mit zu berücksichtigen.

Die Spezialisierung der Klägerin auf die Behandlung orthopädischer Schmerzpatienten mittels physikalisch-medizinischer Therapie sei auch „für die Versorgung bedeutsam“ i.S.v. § 5 Abs. 9 der Anlage 1 zum HV. Dies ergebe sich bereits aus dem für eine hausärztliche Praxis weit überdurchschnittlichen Überweisungsanteil der Klägerin, der einen entsprechenden objektiven Versorgungsbedarf indiziere.

Seien somit insbesondere die weit überdurchschnittliche Anforderungen hinsichtlich der EBM-Nrn. 30200, 30201, 02510, 02511, 30300, 30400 und 30420 als Praxisbesonderheiten anzuerkennen, sei nach § 5 Abs. 9 der Anlage 1 zum HV in einem zweiten Schritt zu überprüfen, ob zusätzlich eine aus den Praxisbesonderheiten resultierende Überschreitung des durchschnittlichen RLV-Fallwertes der Arztgruppe von mindestens 15 % vorliege. Hierbei lasse sich nur die Frage, ob eine Fallwertüberschreitung im Umfang von 15 % vorliege, ohne weitere (Abrechnungs-) Prüfung feststellen, weshalb es auch sachgerecht sei, diese Prüfung zur Vermeidung unnötigen Ermittlungsaufwandes stets vorzuziehen. Dagegen lasse sich die Frage der Kausalität zwischen Praxisbesonderheiten und Fallwertüberschreitung ohne eine Prüfung der abgerechneten Leistungen grundsätzlich nicht klären. Erst wenn geklärt sei, ob und gegebenenfalls welche Praxisbesonderheiten in Betracht kämen, könne anhand der Abrechnungsdaten geprüft werden, ob diese Praxisbesonderheiten oder aber andere Umstände (insbesondere eine unwirtschaftliche Leistungserbringung) für den erhöhten Fallwert verantwortlich seien.

Der von der Beklagten herangezogene Fallzahlvergleich zwischen den Quartalen III/02 bis II/03 gegenüber dem Quartal I/08 sei kein geeignetes Kriterium. Zum einen könne es im Rahmen der Kausalitätsprüfung nur darauf ankommen, ob aktuell die geltend gemachten Praxisbesonderheiten kausal einen gegenüber der Arztgruppe erhöhten Fallwert bedingten, wobei die Fallzahlen vergangener Jahre grundsätzlich irrelevant seien. Andererseits habe die Beklagte nicht berücksichtigt, dass ein Fallzahlrückgang verschiedenste Gründe haben könne und nicht zwangsläufig mit einer Erhöhung des Fallwerts einhergehen müsse. So könne ein Fallzahlrückgang auch auf einer zunehmend erfolgten Spezialisierung des Vertragsarztes oder auch auf einer Erhöhung der durchschnittlichen Fallzahlen der Arztgruppe beruhen. Auch als Indiz im Rahmen der Kausalitätsprüfung könne der Fallzahlrückgang allenfalls dann taugen, wenn mit diesem zugleich eine Erhöhung der unbudgetierten Fallwerte einhergegangen wäre. Aber auch dann müsse noch geklärt werden, ob diese Fallwerterhöhung nicht auf einer zunehmenden Spezialisierung beruhe und ob sich nicht der durchschnittliche Fallwert der Arztgruppe im selben Zeitraum auch erhöht habe. Dies würde wiederum eine Prüfung der Abrechnungen des Arztes dahingehend voraussetzen, ob er die im Rahmen der Spezialisierung erbrachten Leistungen im Verhältnis zu den arztgruppentypischen Leistungen vermehrt abgerechnet habe.

Im Übrigen sei die Berücksichtigung des Fallzahlvergleichs durch die Beklagte auch mathematisch nicht nachvollziehbar.

Die Beklagte müsse im Rahmen der Kausalitätsprüfung die Abrechnungsdaten daraufhin überprüfen, ob und in welchem Umfang sich die im Rahmen der festgestellten Spezialisierung erbrachten Leistungen auf den durchschnittlichen Fallwert auswirkten, d. h. ob diese Leistungen zur Erhöhung des Fallwertes führten oder ob andere Leistungen, die nicht im Zusammenhang mit den Praxisbesonderheiten stünden, sondern arztgruppentypisch seien, im Vergleich zur Arztgruppe überdurchschnittlich oft erbracht würden und sich fallwerterhöhend auswirkten. Im Rahmen des Vergleichs der durchschnittlichen Fallwerte sei dem Fallwert des einzelnen Arztes der durchschnittliche Fallwert der Arztgruppe gegenüberzustellen, nicht aber – wie von der Beklagten vorgenommen – der RLV-Fallwert. Der Wortlaut von § 5 Abs. 9 der Anlage 1 zum HV sei insoweit unklar, weil es nur einen arztgruppenspezifischen RLV-Fallwert gebe, nicht aber einen durchschnittlichen arztgruppenspezifischen RLV-Fallwert. Diese Vorschrift sei jedoch ermächtigungskonform dahingehend auszulegen, dass es auf den durchschnittlichen Fallwert der Arztgruppe bezüglich der abgerechneten RLV-relevanten Leistungen vor der RLV-Kürzung (Abstaffelung) ankomme. Nur diese Auslegung werde auch dem Zweck der Regelung gerecht, den gegenüber der Arztgruppe bestehenden Praxisbesonderheiten Rechnung zu tragen. Nicht auf den RLV-Fallwert, der nach den Regelungen des Beschlusses des erweiterten Bewertungsausschusses (EBewA) vom 27./28. August 2008 sowie den Anlagen 1 und 2 zum HV ermittelt worden sei, komme es an, sondern auf den durchschnittlichen Fallwert der von der Arztgruppe abgerechneten RLV-relevanten Leistungen, da nur die Abweichung von diesem das tatsächliche Abrechnungsvolumen widerspiegelnde Fallwert eine zuverlässige Quantifizierung der im Vergleich zur Arztgruppe bestehenden Praxisbesonderheiten zulasse.

Den erforderlichen Vergleich der Fallwerte könne die Kammer nicht selbst vornehmen, da die entsprechenden Daten allein der Beklagten vorlägen. Auch wenn sie auf Nachfrage des Gerichts erklärt habe, die entsprechenden Daten nicht vorzuhalten, dürften sie ohne weiteres generierbar sein. Weil die entsprechenden Fallwerte nicht vorlägen, könne derzeit auch nicht geprüft werden, ob und gegebenenfalls in welchem Umfang die Praxisbesonderheiten der Klägerin den über dem Fachgruppendurchschnitt liegenden Fallwert bedingten. Dass die Klägerin in den Fällen, in denen sie auf Überweisungen tätig sei, nur die reduzierte Versicherungspauschale (GOP 0310 bis 03102 EBM erhalte), müsse in diesem Rahmen nicht zu ihren Gunsten Berücksichtigung finden.

Gegen dieses beiden Beteiligten am 21. Juni 2011 zugestellte Urteil richten sich die am 11. (Beklagte) bzw. 21. Juli 2011 (Klägerin) eingelegten Berufungen.

Die Beklagte bringt zur Begründung ihrer Berufung vor: Das Sozialgericht übersehe, dass eine besondere, für die Versorgung bedeutsame fachliche Spezialisierung nur anzunehmen sei, wenn darauf in mindestens vier aufeinanderfolgenden Quartalen mindestens 20 % des Gesamtpunktzahlvolumens der den RLV zuzurechnenden Leistungen entfalle. Ausweislich ihrer erstinstanzlich eingereichten Aufstellung sei dieser Wert jedoch weder im Bereich der physikalisch-medizinischen noch der chirotherapeutischen Leistungen erreicht. Auch der vom Sozialgericht bemängelte Fallzahlvergleich zwischen den Quartalen III/02 bis II/03 gegenüber den Quartalen I/08 bis IV/08 sei rechtmäßig. Wie das Sozialgericht zur Auffassung gelange, der „durchschnittliche Fallwert der Arztgruppe“ sei nicht mit dem „arztgruppen-spezifischen Fallwert“ identisch, sei nicht nachzuvollziehen. Die Systematik spreche dafür, dass hier für den gleichen Wert lediglich zwei verschiedene Begrifflichkeiten verwendet worden seien. Eine abweichende Berechnungsmethode für den „durchschnittlichen Fallwert der Arztgruppe“ habe der EBewA nicht vorgegeben. Selbst wenn man, wie vom Sozialgericht gefordert, die unbudgetierten arztindividuellen Fallwerte mit dem unbudgetierten durchschnittlichen Fallwert der Arztgruppe des Vorjahresquartals vergleiche, führe dies zu keiner Erhöhung der RLV-Fallwerts aufgrund von Praxisbesonderheiten. Dividiere man die von der Klägerin angeforderten Punkte für RLV-relevante Leistungen nach sachlich-rechnerischer Richtigstellung, aber vor Anwendung mengenbegrenzender Maßnahmen durch die Zahl der abgerechneten RLV-relevanten Behandlungsfälle, gelange man für das Quartal II/08 zu einem individuellen Fallwert der Klägerin von 1.350,76 Punkten gegenüber 1.188,35 Punkten der Fachgruppe. Die Fallwertüberschreitung betrage somit nur 13,67 %. Nach der gleichen Berechnung ergebe sich für das Quartal III/08 eine Fallwertüberschreitung von 9,13 % und für das Quartal IV/08 von 14,69 %. Mit den Fallwertzuschlägen im Bereich Psychosomatik und Chirotherapie werde ein eventuell erhöhter Behandlungsbedarf abgegolten.

Die Beklagte beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 8. Juni 2011 zu ändern und die Klage insgesamt abzuweisen,

hilfsweise,

die Berufung der Klägerin zurückzuweisen.

Die Klägerin beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 8. Juni 2011 sowie den Bescheid der Beklagten vom 15. Dezember 2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 6. Juli 2010 zu ändern, die Beklagte zu verpflichten, ihr unter Berücksichtigung der Rechtsauffassung des Senats einen neuen Bescheid zu erteilen, und die Berufung der Beklagten zurückzuweisen.

Sie greift – ausweislich der Berufungsschrift – das Urteil des Sozialgerichts nur insoweit an, als nach dessen Rechtsauffassung die psychosomatischen und die schmerztherapeutischen Leistungen nicht als Praxisbesonderheiten bei der Neubescheidung zu berücksichtigen seien. Sie – die Klägerin – betreue, bedingt durch ihre persönliche Qualifikation, eine besondere Patientenklientel, nämlich überdurchschnittlich viele hochbetagte, polymorbide, häufig schmerzleidende Patienten. Im Rahmen einer ganzheitlichen Therapie gelinge es ihr, insbesondere durch intensive Gespräche, die Lebensführung der Patienten so zu beeinflussen, dass die häufig sehr teure Arzneimitteltherapie reduziert werden könne und die Patienten durch schmerztherapeutische Maßnahmen in Verbindung mit Maßnahmen der physikalischen Medizin so mobilisiert werden könnten, dass sie im häuslichen Umfeld verbleiben könnten. Dieser ganzheitliche Therapieansatz stelle in seiner Gänze eine für die Versorgung bedeutsame Spezialisierung dar. Daher sei eine Gesamtbetrachtung, nicht aber – wie vom Sozialgericht geschehen – eine modulare Betrachtung der einzelnen Teile der Therapie vorzunehmen. Entgegen der Auffassung des Sozialgerichts komme es nicht darauf an, ob sie an der Qualitätssicherungsvereinbarung zur schmerztherapeutischen Versorgung nach § 135 Abs. 2 Sozialgesetzbuch / Fünftes Buch (SGB V) teilnehme. Eine solche Voraussetzung enthalte der HV nicht. Im Stadtteil K erbringe lediglich ein Arzt schmerztherapeutische Leistungen nach der Qualitätssicherungsvereinbarung, so dass ihre – der Klägerin – Praxis mit ihrem besonderen Versorgungsschwerpunkt für die Versorgung bedeutsam sei. Wegen der stärkeren Komplexbildung bzw. Pauschalierung von hausärztlich erbrachten Leistungen seit der Einführung des EBM2000plus könne die Frage nach dem Versorgungsschwerpunkt nicht mehr ausschließlich anhand der Abrechnungsunterlagen beurteilt werden; vielmehr seien weitere Kriterien heranzuziehen. Im Rahmen der Wirtschaftlichkeitsprüfung sei wiederholt anerkannt worden, dass ihre Praxis einen besonderen Zuschnitt aufweise. Dies könne für die Prüfung eines besonderen Versorgungsschwerpunkts nicht außer Betracht bleiben.

Ihr Fallwerte hätten sich im Jahr 2009 zu den ihrer Arztgruppe wie folgt verhalten:

Quartal

Fallwert der Klägerin
in €

Fallwert der Arztgruppe
in €

Überschreitung
in %

II/09 

49,43 

35,41 

43,37 

III/09

49,50 

35,36 

43,58 

IV/09 

51,59 

34,05 

49,00 

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitverhältnisses wird Bezug genommen auf die Gerichtsakten und die Verwaltungsakten der Beklagten, die in der mündlichen Verhandlung vorgelegen haben.

Entscheidungsgründe

Die Berufungen sind zulässig. Während die Berufung der Klägerin unbegründet ist, führt die Berufung der Beklagten zur Klageabweisung insgesamt.

A. Auf die Zulässigkeit der Klage bleibt ohne Einfluss, dass einerseits der RLV-Zuweisungsbescheid für das Quartal IV/09 bestandskräftig ist und andererseits über die Widersprüche der Klägerin gegen die RLV-Zuweisungsbescheide für die Quartale II/09 und III/09 noch nicht entschieden wurde.

Die Beklagte hat – wie sich aus dem hiesigen Rechtsstreit sowie den am selben Tag entschiedenen Verfahren L 7 KA 155/11, L 7 KA 154/11 und L 7 KA 140/11 ergibt – bezüglich der Höhe des RLV eines Vertragsarztes für ein bestimmtes Quartal mehrere Verwaltungsverfahren unabhängig voneinander durchgeführt. So hat sie in Verfahren, in denen Widerspruch gegen den RLV-Zuweisungsbescheid (§ 87b Abs. 5 Sätze 1 und 2 SGB V in der vom 1. Juli 2008 bis 22. September 2011 geltenden Fassung <alte Fassung – aF>) erhoben wurde, nur bestimmte Einwände der Vertragsärzte (z.B. zur Arztgruppenzuordnung, Rechtmäßigkeit der Beschlüsse des EBewA) berücksichtigt; alle Umstände, die wegen der Anerkennung von Praxisbesonderheiten zu einem höheren RLV führen können, hat sie demgegenüber – auf Antrag – in einem separaten Verwaltungsverfahren geprüft.

1. Die Ursachen für diese Vorgehensweise liegen einerseits in § 87b Abs. 5 SGB V aF sowie andererseits in § 5 Abs. 9 der Anlage 1 zum HV 2009 in der ab dem 1. April 2009 geltenden neuen Fassung (HV 2009 nF).

Nach § 87b Abs. 5 Sätze 1 und 2 SGB V aF obliegt die Zuweisung der RLV an den Arzt oder die Arztpraxis einschließlich der Mitteilung der Leistungen, die außerhalb der RLV vergütet werden, sowie der jeweils geltenden regionalen Preise der Kassenärztlichen Vereinigung; die Zuweisung erfolgt erstmals zum 30. November 2008 und in der Folge jeweils spätestens vier Wochen vor Beginn der Geltungsdauer des RLV.

§ 5 Abs. 9 der Anlage 1 zum HV 2009 nF sah im Kern vor, dass gemäß Teil F Nr. 3.6 des Beschlusses des EBewA vom 22. September 2009 und Teil A des Beschlusses des EBewA vom 15. Januar 2009 (Konvergenzbeschluss) in der Fassung vom 27. Februar 2009 die Kassenärztliche Vereinigung (KV) Berlin auf Antrag eines Arztes Praxisbesonderheiten feststellen kann. Diese sollten in der Regel vorliegen, wenn

- ein besonderer Versorgungsauftrag und/oder eine besondere, für die Versorgung bedeutsame fachliche Spezialisierung besteht und

- zusätzlich eine aus den Praxisbesonderheiten resultierende Überschreitung des durchschnittlichen RLV-Fallwertes der Arztgruppe von mindestens 15 % vorliegt, wobei die morbiditätsbezogene Differenzierung des RLV nach Beschlussteil F Anlage 2 Nr. 6 des Beschlusses des EBewA vom 22. September 2009 zu berücksichtigen ist.

Dass die für eine Spezialisierung sprechenden Umstände bei der Ermittlung des RLV nur antragsabhängig Beachtung finden können, ist sachgerecht, weil sie der KV typischerweise nicht bekannt sind. Dies gilt gleichermaßen für nach § 87b Abs. 3 Satz 3 SGB V aF zwingend zu berücksichtigende Praxisbesonderheiten.

a. Diese Praxis der Beklagten begegnet gleichwohl rechtlichen Bedenken, weil die identische Regelung (Höhe des RLV eines Vertragsarztes in einem bestimmten Quartal) Gegenstand zweier Verwaltungs- bzw. Vorverfahren und sogar unterschiedlicher Rechtsstreite wurde, was zu divergierenden bestandskräftigen Festsetzungen zur Höhe des RLV führen könnte. Außerdem könnte die Frage, welcher Fachgruppe ein Vertragsarzt zuzuordnen ist, Voraussetzung für die Anerkennung von Praxisbesonderheiten sein (da diese vor allem durch eine wesentliche Abweichung vom Leistungsverhalten der Fachgruppe gekennzeichnet sind), sodass bei einem Streit auch um die Arztgruppenzugehörigkeit vor der Bestandskraft des RLV-Zuweisungsbescheids wegen Vorgreiflichkeit nicht abschließend über die Anerkennung von Praxisbesonderheiten entschieden werden dürfte. Werden daher die beiden Verwaltungsverfahren völlig unabhängig voneinander geführt, bleibt unbeachtet, dass es nicht um unterschiedliche Lebenssachverhalte geht, sondern nur um unterschiedliche Begründungen für ein und dieselbe Regelung.

Deshalb spricht einiges dafür, dass die Beklagte nicht hinsichtlich desselben Regelungsgegenstandes mehrere Widerspruchsverfahren durchführen, sondern im Hinblick auf § 86 Sozialgerichtsgesetz (SGG) nur einen Widerspruchsbescheid erlassen darf, in dem sie auf die Einwände sowohl gegen den RLV-Zuweisungsbescheid als auch wegen nicht oder nur teilweise anerkannter Praxisbesonderheiten eingeht.

b. Über die Tragweite dieser Bedenken muss der Senat indes nicht abschließend befinden. Nähme man sie ernst, bedeutete dies für den hiesigen Rechtsstreit zum einen, dassdie Beklagte im Zusammenhang mit den ruhenden Widerspruchsverfahren (wegen der RLV-Zuweisungsbescheide für die Quartale II/09 und III/09) nicht erneut über das RLV des Klägers für diese Quartale entscheiden dürfte. Denn nachdem die Widerspruchsstelle bereits mit dem Widerspruchsbescheid vom 6. Juli 2010 über diese Streitgegenstände entschieden hatte, wäre sie zu einer erneuten Befassung hiermit nicht befugt (vgl. BSG, Urteil vom 29. Januar 2003 – B 11 AL 47/02 R –, juris; BSGE 75, 241). Um jedoch zu vermeiden, dass die in den ruhenden Widerspruchsverfahren vorgebrachten Einwände der Klägerseite unberücksichtigt bleiben, darf sich die Beklagte wegen ihrer Verantwortung für die o.g. skizzierte heikle verfahrensrechtliche Situation im Hinblick auf den auch im Sozialrecht geltenden Grundsatz von Treu und Glauben nicht auf die Bestandskraft des Widerspruchsbescheids vom 6. Juli 2010 berufen, sondern muss über die in den ruhenden Widerspruchsverfahren vorgetragenen Einwände der Klägerseite gegen die Höhe des RLV, soweit sie nicht auf Umständen beruhen, die als Praxisbesonderheiten anerkannt werden könnten, noch entscheiden. Sie wird dabei zu beachten haben, dass sie – zur Vermeidung widersprüchlicher Verwaltungsakte – im Ergebnis kein geringeres RLV festsetzt, als sie der Klägerin nach dem Widerspruchsbescheid vom 6. Juli 2010 bereits zugebilligt hat.

Hinsichtlich des Quartals IV/09 gilt folgendes: Mangels entgegenstehender Anhaltspunkte geht der Senat davon aus, dass der RLV-Zuweisungsbescheid vom 28. August 2009 – entsprechend der sonstigen Praxis der Beklagten – zeitnah nach seinem Erlass der Klägerin bekanntgegeben wurde. Dies vorausgesetzt, trat die Bestandskraft dieses Bescheids einen Monat nach seiner Bekanntgabe (§§ 77, 84 Abs. 1 Satz 1 SGG) und somit lange vor der Bekanntgabe des Bescheids vom 15. Dezember 2009 ein. Letzterer eröffnet aber als sog. Zweitbescheid (zu dessen Zulässigkeit: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, Sozialgerichtsgesetz, 10.A., Anhang § 54 Rd. 9a m.w.N.; speziell für das Vertragsarztrecht: BSG, Urteil vom 11. März 2009 – B 6 KA 15/08 R –, juris) den Rechtsweg zugunsten der Klägerin erneut, ohne dass die Bestandskraft des RLV-Zuweisungsbescheides dem entgegenstünde.

c. Der Senat verkennt in diesem Zusammenhang nicht, dass die gesetzliche Vorgabe, das RLV zur Gewährleistung von Kalkulationssicherheit (vgl. den Entwurf der Fraktionen der CDU/CSU und SPD für das GKV-Wettbewerbsstärkungsgesetz, BT-Drs. 16/3100, S. 216) rechtzeitig vor Beginn eines Quartals dem Vertragsarzt zuzuweisen, mit der aus § 87b Abs. 3 Satz 3 SGB V aF und Teil F Nr. 3.6 des Beschlusses des EBewA vom 27./28. August 2008 resultierenden Pflicht der KV, ihr bis dato in der Regel unbekannte und daher nur auf Antrag berücksichtigungsfähige Umstände als mögliche Praxisbesonderheiten einer Prüfung zu unterziehen und in Folge dessen ggf. ein höheres RLV festzusetzen, kollidiert.

Angesichts dessen dürfte einiges dafür sprechen, § § 5 Abs. 9 der Anlage 1 zum HV 2009 nF dahin auszulegen, dass die – zwingend vor Quartalsbeginn zu erfolgende – RLV-Zuweisung unter dem Vorbehalt einer späteren antragsabhängigen RLV-Erhöhung infolge der Anerkennung von Praxisbesonderheiten steht. Bei dieser Auslegung wäre gewährleistet, dass einerseits die RLV-Zuweisung rechtzeitig vor Quartalsbeginn erfolgen kann und andererseits Praxisbesonderheiten antragsabhängig geltend gemacht werden und zu einer RLV-Erhöhung noch für dieses Quartal führen können, ohne dass – etwa durch die Aufspaltung in zwei voneinander unabhängige Verwaltungsverfahren – geltendes Verwaltungsverfahrens- oder Prozessrecht verletzt wird.

Auf der Umsetzungsebene hätte dies zur Folge, dass alle RLV-Zuweisungsbescheide unter dem nicht ausdrücklich aufgenommenen Vorbehalt stehen, dass das darin festgesetzte RLV nur solange Wirkung entfaltet, bis infolge eines Antrags nach § 5 Abs. 9 der Anlage 1 zum HV 2009 nF ein höheres RLV festgesetzt wird. Ein solcher Vorbehalt wäre gemäß § 32 Abs. 1, 2. Alt. SGB X zulässig, da auf diese Weise eine RLV-Festsetzung unter Wahrung der o.g. kollidierenden normativen Vorgaben sichergestellt ist. Dieser Vorbehalt dürfte im Übrigen auch die Verwaltungspraxis der Beklagten widerspiegeln, da dem Senat – zumindest derzeit – kein Fall bekannt ist, in dem die Beklagte trotz anerkannter Praxisbesonderheiten und daraus resultierender RLV-Erhöhung das geringere RLV aus dem Zuweisungsbescheid der Honorarberechnung zugrunde gelegt hat. Hiermit übereinstimmend hat die Terminsvertreterin der Beklagten in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat erklärt, dass sich die Beklagte nicht auf die Bestandskraft des ein niedrigeres RLV beinhaltenden Zuweisungsbescheids berufen werde.

B. Das angefochtene Urteil ist in weiten Teilen nicht zu beanstanden. Dies gilt insbesondere  – und hierauf verweist der Senat gemäß § 153 Abs. 2 SGG, nachdem das Berufungsvorbringen beider Beteiligten im Wesentlichen keine Argumente enthält, auf die das Sozialgericht nicht bereits überzeugende Antworten gefunden hat –, soweit es

- die Rechtsgrundlagen,

- die „für die Versorgung bedeutsame fachliche Spezialisierung“ i.S.v. Teil F Ziffer 3.6 des Beschlusses des EBewA vom 27./28. August 2008,

- die Ablehnung bestimmter Umstände als Praxisbesonderheiten (hoher Rentneranteil, Behandlung sehr alter und polymorbider Patienten, deutlich ansteigender Gesprächsbedarf bei zunehmenden psychischen und psychosomatischen Beschwerden, schmerztherapeutische Leistungen),

- die Zulässigkeit der ab dem Quartal II/09 geltenden, auf die Fallwerte bezogenen Überschreitungsgrenze von 15 % sowie

- die uneingeschränkte gerichtliche Prüfungskompetenz im Hinblick auf Praxisbesonderheiten

betrifft.

C. Gleichwohl ist das Urteil des Sozialgerichts zu ändern. Denn im Ergebnis sind die streitgegenständlichen Bescheide der Beklagten rechtmäßig.

I. Praxisbesonderheiten i.S.v. Teil F Ziffer 3.6 des Beschlusses des EBewA vom 27./28. August 2008 i.V.m. Teil A Ziffer 3 des Beschlusses des EBewA vom 15. Januar 2009 bzw. i.S.v. § 5 Abs. 9 der Anlage 1 zum HV liegen bei der Klägerin auch im Bereich der physikalisch-medizinischen Therapie und der Chirotherapie nicht vor. Die insoweit vom Sozialgericht herangezogenen GOP betreffen folgende Leistungen des EBM 2008:

Abschnitt 2.5 Physikalisch-therapeutische Gebührenordnungspositionen

02510 

Wärmetherapie

02511 

Elektrotherapie unter Anwendung niederfrequenter und/oder mittelfrequenter Ströme

Abschnitt 30.2 Chirotherapie

30200 

Chirotherapeutischer Eingriff

30201 

Chirotherapeutischer Eingriff an der Wirbelsäule

Abschnitt 30.3 Neurophysiologische Übungsbehandlung

30300 

Sensomotorische Übungsbehandlung (Einzelbehandlung)

Abschnitt 30.4 Physikalische Therapie

30400 

Massagetherapie

30420 

Krankengymnastik (Einzelbehandlung)

Werden spezielle Leistungen aus unterschiedlichen Bereichen erbracht, führt dies allerdings gerade nicht zu einer im Vergleich zum Durchschnitt signifikant anderen Ausrichtung der Praxis mit der Folge, dass sie in besonderem Maße von Patienten mit bestimmten Krankheitsbildern in Anspruch genommen wird. Ansonsten wäre infolge einer Addition verschiedener Leistungsbereiche in vielen Fällen eine Praxisbesonderheit anzunehmen, die tatsächlich nur aus der besonders häufigen – möglicherweise aber auch nur durchschnittlichen – Erbringung von arztgruppenübergreifenden speziellen Leistungen bestehen würde. Da diese Leistungen aber nicht notwendig in einem versorgungsrelevanten Zusammenhang stehen, wäre ein Rückschluss auf einen besonderen Versorgungsbedarf nicht gerechtfertigt (BSG, Beschluss vom 28. August 2013 – B 6 KA 24/13 B –, juris). Das gilt auch für die hier betroffenen Leistungsbereiche, die – wovon das SG offenkundig ausgegangen ist – zwar bei Behandlungen von Erkrankungen des Halte- und Bewegungsapparates nebeneinander zur Anwendung gelangen können, aber nicht notwendig eine Einheit bilden. Das zeigt sich auch in den divergierenden Anteilen dieser Leistungsbereiche an den Gesamtleistungen der Klägerin.

II. Der Einwand der Klägerin, wegen der stärkeren Komplexbildung bzw. Pauschalierung hausärztlicher Leistungen seit der Einführung des EBM2000plus könne die Frage nach dem Versorgungsschwerpunkt nicht mehr ausschließlich anhand der Abrechnungsunterlagen beurteilt werden, überzeugt den Senat nicht. Es ist dem klägerischen Vorbringen in keiner Weise zu entnehmen, welche Teile einer komplexen oder pauschalierten Leistung im Falle der Klägerin zusätzlich zu den bereits geltend gemachten Umständen (psychosomatische und schmerztherapeutische Leistungen; überdurchschnittlich viele hochbetagte, polymorbide, häufig schmerzleidende Patienten; ganzheitliche Therapie) im Zusammenhang mit der Prüfung von Praxisbesonderheiten unberücksichtigt geblieben sein könnten. Eine Praxisbesonderheit im Sinne einer Verengung des Leistungsspektrums infolge einer Spezialisierung (BSG, Beschluss vom 28. August 2013 – B 6 KA 24/13 B –, juris) ist insoweit nicht erkennbar. Unabhängig davon ist weder nach dem klägerischen Vorbringen noch anderweitig ersichtlich, welche einer Prüfung durch die Beklagte bzw. die Sozialgerichte zugänglichen Kriterien oder Umstände zusätzlich zu den Abrechnungsunterlagen der Klägerin – diese enthalten neben den Leistungen u.a. auch Diagnosen – insoweit von Bedeutung sein könnten.

III. Dass im Rahmen der Wirtschaftlichkeitsprüfung Besonderheiten der klägerischen Praxis wiederholt anerkannt wurden, ist für den hiesigen Rechtsstreit ohne Belang. Zum einen können sich Umstände, die als Praxisbesonderheit Berücksichtigung finden, im Laufe der Zeit ändern, sodass sich aus der Anerkennung von Praxisbesonderheiten für frühere Jahre keine Rückschlüsse auf die für den hiesigen Rechtsstreit maßgeblichen Quartale ziehen lassen. Zum anderen müssen Umstände, die etwa im Zusammenhang mit der Frage, ob Arznei- oder Heilmittel wirtschaftlich verordnet wurden, die Anerkennung einer Praxisbesonderheit rechtfertigen, nicht zwangsläufig auch im Bereich der RLV-relevanten ärztlichen Leistungen dieselbe Rechtsfolge nach sich ziehen.

D. Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a Abs. 1 Satz 1 SGG i.V.m. §§ 154 Abs. 1 und 2, 155 Abs. 4 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) und entspricht dem Ergebnis des Rechtsstreites.

Nach § 155 Abs. 4 VwGO können Kosten, die durch das Verschulden eines Beteiligten entstanden sind, diesem auferlegt werden. Diese Bestimmung, die allen anderen Kostenvorschriften vorgeht (Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, Sozialgerichtsgesetz, 10.A., § 197a Rd. 18), stellt auch auf das vorprozessuale Verhalten der Beteiligten ab (a.a.O.), etwa wenn durch vorwerfbar unrichtige Sachbehandlung der Behörde ein Bürger sich zur Klageerhebung veranlasst sehen darf (vgl. zum Veranlassungsprinzip im Bereich der gerichtsgebührenfreien Verfahren: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, Sozialgerichtsgesetz, 10.A., § 193 Rd. 12b m.w.N.). Ein solcher Fall ist hier gegeben, da die von der Beklagten vorgenommene Prüfung von Praxisbesonderheiten in entscheidenden Punkten methodisch fehlerhaft und das Ergebnis daher nur „zufällig“ rechtmäßig war. Denn sie hat – wie vom Sozialgericht zu Recht hervorgehoben – zum einen unzutreffenderweise die Fallwerte anhand der budgetierten Leistungen errechnet und zum anderen für die Kausalität von Fallwertüberschreitung und Praxisbesonderheit allein auf einen Fallzahlrückgang abgestellt, ohne weitere Ursachen in den Blick zu nehmen und ohne den eine Praxisbesonderheit bildenden Leistungsbereich überhaupt zu benennen. Angesichts dessen erscheint es sachgerecht, der Beklagten die Hälfte der Verfahrenskosten aufzuerlegen.

Die Revision ist nicht zuzulassen, weil Zulassungsgründe nach § 160 Abs. 2 SGG nicht ersichtlich sind.