Gericht | LSG Berlin-Brandenburg 7. Senat | Entscheidungsdatum | 20.02.2013 | |
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Aktenzeichen | L 7 KA 81/10 | ECLI | ||
Dokumententyp | Urteil | Verfahrensgang | - | |
Normen | § 106a SGB 5, § 203 BGB |
Die Vorschriften des BGB über die Hemmung der Verjährung sind entsprechend auf die Ausschlussfrist für den Erlass von Prüf- und Berichtigungsbescheiden anzuwenden.
Die Rechtsprechung des BGH zum "Einschlafen" von Vertragsverhandlungen ist auf die Ausschlussfrist für den Erlass von Prüf- und Berichtigungsbescheiden übertragbar.
Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 22. September 2010 wird zurückgewiesen.
Die Kosten des Berufungsverfahrens trägt die Beklagte.
Die Revision wird zugelassen.
Die Beteiligten streiten über die Rechtmäßigkeit eines Honoraraufhebungs- und Rückforderungsbescheides als Ergebnis einer Plausibilitätsprüfung.
Der Kläger nimmt seit dem 1. Juli 1995 als Facharzt für Innere Medizin im hausärztlichen Bereich an der vertragsärztlichen Versorgung teil. Bis zum 30. September 2004 war er mit Herrn K G, Facharzt für Innere Medizin im hausärztlichen Bereich, in einer Praxisgemeinschaft in B tätig. Seit Oktober 2004 sind beide Ärzte in einem Medizinischen Versorgungszentrum tätig.
Für das Quartal III/02 setzte die Beklagte das Honorar des Klägers auf 75.959,02 € fest. Der Honorarfestsetzungsbescheid wurde dem Kläger am 4. April 2003 bekanntgegeben. Im Sommer 2004 führte der Plausibilitätsausschuss der Beklagten bei dem Kläger und Herrn G eine Plausibilitätsprüfung gemäß § 46 Bundesmantelvertrag-Ärzte (BMV-Ä) durch. Mit Schreiben vom 8. Juli 2004 teilte der Plausibilitätsausschuss der Beklagten dem Kläger mit, dass ein außergewöhnlich hoher Anteil an gemeinsamen Patienten zwischen der Praxis des Klägers und der Praxis des Herrn G vorliege. In seiner Stellungnahme vom 8. August 2004 führte der Kläger aus, er und Herr G seien bemüht, ihre Praxen wirtschaftlich zu führen. Es sei unter anderen zu berücksichtigen, dass er als hausärztlicher Internist mit dem Schwerpunktgebiet Diabetes arbeite. Mit Schreiben vom 22. September 2006 teilte der Plausibilitätsausschuss der Beklagten dem Kläger mit, dass er im Quartal III/02 unzutreffende Abrechnungen vorgenommen habe. Diese Annahme beruhe auf der Tatsache, dass er und Herr G in diesem Quartal 601 gemeinsame Patienten behandelt hätten, wobei nur für 86 Patienten eine gemeinsame Behandlung plausibel sei. Die verbleibenden 515 gemeinsamen Patienten seien aber von ihnen wie in einer Gemeinschaftspraxis behandelt worden. Der Plausibilitätsausschuss der Beklagten forderte den Kläger im Rahmen eines Vergleichsvorschlages zu einer Schadenswiedergutmachung i.H.v. 16.242,32 € gegen Beendigung der Plausibilitätsprüfung auf.
Mit Schreiben vom 26. September 2006 bat der Kläger um Prüfung, ob es akzeptabel sei, dass ein höherer Anteil der gemeinsamen Patienten als die vorgeschlagenen 10 % von der Schadensberechnung ausgenommen würden. Er schlage vor, diesen Anteil auf beispielsweise 30 % festzulegen.
Der Plausibilitätsausschuss der Beklagten bestätigte mit Schreiben vom 6. Dezember 2006 den Eingang des Schreibens vom 26. September 2006. Er gehe davon aus, dass der Kläger das Vergleichsangebot nicht annehme. Mit weiterem Schreiben vom 6. Dezember 2006 erinnerte die Beklagte den Kläger an seine Stellungnahme hinsichtlich der Plausibilitätsprüfung für das Quartal IV/2002.
Der Kläger wandte sich mit Schreiben vom 8. Dezember 2006 erneut an die Beklagte. Er zog sein Vergleichsangebot vom 26. September 2006 zurück und bat um Zusendung eines neuen Vergleichsangebotes auf der Grundlage einer vergleichenden Betrachtung einer Abrechnung als Praxisgemeinschaft gegenüber einer Abrechnung als Gemeinschaftspraxis. Aus der Differenz ergebe sich die Schadenshöhe.
Ab Mai 2007 gab es zwischen dem Kläger und der Beklagten weitere Schriftwechsel, die aber die Quartale I/03 bis I/05 betrafen. Am 17. Juli 2007 leitete die Beklagte eine interne Neuberechnung des Honorars des Klägers ab dem Quartal III/2002 ein. Eine Mitteilung hierüber an den Kläger erfolgte nicht.
Mit Schreiben vom 22. April 2008 bot die Beklagte dem Kläger an, das Plausibilitätsverfahren gegen Zahlung einer Schadenswiedergutmachung i.H.v. 5.000,00 € einzustellen.
Am 24. April 2008 teilte der Kläger mit, er werde das Vergleichsangebot annehmen, sofern keine Verjährung eingetreten sei. Nach seinem Informationsstand sei die Rückzahlungsforderung bezüglich des Quartals III/02 verjährt.
Mit Schreiben vom 25. April 2008 teilte die Beklagte dem Kläger mit, dass die Rückforderungsansprüche Ihrer Ansicht nach noch nicht verjährt seien. Zur Begründung führte sie aus, dass die vierjährige Ausschlussfrist aufgrund schwebender Vergleichsverhandlungen gehemmt gewesen und daher noch nicht verstrichen sei. Sie forderte den Kläger zur Überweisung des "vergleichsmäßigen Rückforderungsbetrages" i.H.v. 4.880,00 € auf.
Am 5. Mai 2008 bat der Kläger die Beklagte um Mitteilung der Rechtsgrundlage der Verjährungshemmung durch ein einseitiges Vergleichsangebot. Mit Schreiben vom 6. Dezember 2006 sei ihm bestätigt worden, dass er das Vergleichsangebot der Beklagten vom 22. September 2006 nicht angenommen habe.
Mit Schreiben vom 8. Mai 2008 teilte die Beklagte dem Kläger mit, dass nach ihrer Auffassung die Vergleichsverhandlungen mit Schreiben vom 22. September 2006 begonnen und bis zum 22. April 2008 gedauert hätten. Mit Schreiben vom 26. September 2006 habe der Kläger seine Vergleichsbereitschaft unterstrichen, mit Schreiben vom 6. Dezember 2006 habe die Beklagte einen neuen Vergleichsvorschlag angekündigt, der mit Schreiben vom April 2008 vorgelegt worden sei. Von einem "einseitigen Vergleichsangebot" könne keine Rede sein.
Mit Schreiben vom 22. Mai 2008 teilte der Kläger der Beklagten mit, dass er weiterhin von Verjährung ausgehe. Eine Rückzahlung lehne er daher ab.
Mit Schreiben vom 29. Mai 2008 teilte die Beklagte dem Kläger mit, dass sein Schreiben vom 22. Mai 2008 als endgültige Ablehnung des Vergleichs gewertet werde. Die Angelegenheit werde nun dem Plausibilitätsausschuss vorgelegt. Die Rückforderungsansprüche seien nicht verjährt.
Mit Bescheid vom 13. August 2008 hob die Beklagte den Honorarbescheid III/02 auf und kürzte das Honorar um 5. 614,75 € (brutto). Zur Begründung verwies sie auf den in der Plausibilitätsprüfung festgestellten Verstoß gegen die vertragsärztlichen Abrechnungsvorgaben. Wegen Hemmung der Verjährung/Ausschlussfrist vom 22. September 2006 bis zum Eingang des Schreibens vom 22. Mai 2008 am 28. Mai 2008 sei Verjährung nicht eingetreten.
Den hiergegen erhobenen Widerspruch wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 23. Juni 2009 zurück. Zur Begründung führte sie aus, allein die Tatsache, dass seit der Bitte des Klägers um ein neues Vergleichsangebot und dem Antwortschreiben der Beklagten mehr als ein Jahr und vier Monate vergangen seien, führe nicht dazu, die Verhandlungen als beendet anzusehen. Es sei Sache des Klägers gewesen, durch eine eindeutige Ablehnung weiterer Verhandlungen die Verjährungshemmung zu beenden. Eine solch eindeutige Erklärung könne erst im Schreiben vom 22. Mai 2008 gesehen werden. Es sei davon auszugehen, dass die Verjährung in der Zeit vom 4. April 2003 bis 22. September 2006 und dann wieder ab dem 23. Mai 2008 bis zum 13. August 2008, dem Zeitpunkt des Erlasses des Bescheides, gelaufen sei. Unter Berücksichtigung der Verjährungshemmung vom 23 September 2006 bis zum 22. Mai 2008 seien daher von der vierjährigen Verjährungsfrist erst drei Jahre und sechs Monate abgelaufen gewesen.
Mit seiner Klage machte der Kläger geltend, das verjährungsrechtliche Hemmungsvorschriften – insbesondere §§ 203 ff. BGB – keine Anwendung. Selbst bei Anwendung dieser Vorschriften sei die Ausschlussfrist vor dem 13. August 2009 abgelaufen gewesen. Verhandlungen im Sinne des § 203 Abs. 1 BGB führten dann nicht mehr zu einer Hemmung, wenn der eine oder der andere Teil die Fortsetzung verweigere. Eine Verweigerung der Fortsetzung der Verhandlung könne nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes (BGH, Urteil vom 7. Januar 1986, Az. VI ZR 23/84) sowie der ihm folgenden Oberlandesgerichte auch dadurch eingetreten, dass ein Beteiligter die Verhandlungen“ einschlafen lasse“.
Die Beklagte vertrat die Auffassung, die Verjährungsvorschriften des BGB, insbesondere die Vorschriften über die Hemmung der Verjährung, seien entsprechend anwendbar. Die Hemmung sei nicht dadurch beendet worden, dass die Verhandlungen“ eingeschlafen“ sein. Soweit der Kläger sich auf eine Frist von ca. einem Monat zur Begründung eines „Einschlafenlassen“ beziehe, setze dies – auch nach der genannten Rechtsprechung der Oberlandesgerichte Koblenz und Zweibrücken – voraus, dass zuvor eine Frist gesetzt worden sei.
Mit Urteil vom 22. September 2010 hat das Sozialgericht Berlin den Bescheid der Beklagten vom 13. August 2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 23. Juni 2009 aufgehoben. Zur Begründung hat es ausführt, die vierjährige Ausschlussfrist sei vor Erlass des Honoraraufhebungs- und Rückforderungsbescheides vom 13. August 2008 abgelaufen. Zwar fänden die verjährungsrechtlichen Hemmungsvorschriften- insbesondere §§ 203 ff. BGB – auf die Ausschlussfrist in diesem Fall entsprechende Anwendung, die Ausschlussfrist sei bei Erlass des Bescheides vom 13. August 2008 gleichwohl noch nicht abgelaufen gewesen. Die Hemmung sei dadurch beendet worden, dass die Vergleichsverhandlungen zwischen den Beteiligten“ eingeschlafen“ seien. Die Vergleichsverhandlungen seien zwar nicht bereits nach einem Monat“ eingeschlafen“, der Umstand, dass die Beklagte sich auf die Anregung des Klägers, ein Vergleichsangebot auf der Grundlage eines geänderten Berechnungsmodus zu unterbreiten, über ein Jahr und vier Monate mit einer Antwort Zeit gelassen habe, sei als zwischenzeitliches „Einschlafen“ der Vergleichsverhandlungen zu bewerten. Jedenfalls die Untätigkeit einer an den Vergleichsverhandlungen beteiligten Parteien über neun Monate hinweg führe zu einem „Einschlafen“ der Verhandlungen. Insgesamt sei damit die Grenze von vier Jahren überschritten.
Gegen das ihr am 29. September 2010 zugestellte Urteil hat die Beklagte am 12. Oktober 2010 Berufung eingelegt. Es sei nicht richtig, dass die Vergleichsverhandlungen erst am 22. September 2006 begonnen hätten, bereits mit Schreiben vom 8. Juli 2004 sei der Kläger darauf hingewiesen worden, dass seine Abrechnung einen ungewöhnlich hohen Anteil gemeinsamer Patienten aufweise. Die Stellungnahme des Klägers habe dann in dem Vergleichsvorschlag vom 22. September 2006 gemündet. Es treffe auch nicht zu, dass die Beklagte die Vergleichsverhandlungen habe „einschlafen“ lassen. Die von dem Kläger gewünschte Vergleichsverhandlung habe sich leider über ein Jahr hingezogen. Dies habe allerdings auch daran gelegen, dass in die Berechnung ebenfalls die nachfolgenden Quartale einbezogen worden seien, die wiederum auffällige Werte aufwiesen hätten. Der Kläger habe daher nicht davon ausgehen können, dass die Beklagte die Vergleichsverhandlungen nicht mehr betreiben würde. Es habe vielmehr weitere Korrespondenz zu den Folgequartalen gegeben. Das Schreiben des Klägers vom 24. April 2008 lese sich durchaus so, dass der Kläger ebenfalls von einem unterbrochenen Fortgang der Vergleichsverhandlungen ausgegangen sei.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 22. September 2010 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Der Kläger beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Der Kläger ist weiterhin der Auffassung, dass § 203 BGB vorliegend keine entsprechende Anwendung finden könne. Die zwischen den Beteiligten geführten Vergleichsverhandlungen könnten mangels Freiwilligkeit nicht einer Verhandlung im Sinne von § 203 BGB gleichgestellt werden. Es bestehe keine planwidrige Lücke. Selbst wenn dies anders beurteilt werden sollte, ändere die Berücksichtigung einer Ablaufhemmung durch die stattgefunden Vergleichsverhandlungen nichts an dem Ergebnis, dass die Befugnis der Beklagten zu einer Honorarrückforderung im Zeitpunkt der Entscheidung bereits erloschen sei. Verhandlungen hätten nicht schon mit Anhörung vom 8. Juli 2004 stattgefunden.
Wegen des weiteren Sach- und Streitstandes im Einzelnen sowie wegen des weiteren Vorbringens der Beteiligten wird auf die Gerichtsakte sowie die beigezogene Verwaltungsakte, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung war, verwiesen.
Die Berufung der Beklagten ist zulässig, hat aber keinen Erfolg. Zu Recht hat das Sozialgericht den Honorarberichtigungs- und Rückforderungsbescheid vom 13. August 2008 aufgehoben. Er ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten, weil er nach Ablauf der vierjährigen Ausschlussfrist ergangen ist und der Kläger Vertrauensschutz im Hinblick auf den Bestand des korrigierten Honorarbescheides besitzt.
Rechtsgrundlage des angefochtenen Honorarberichtigungs- und Rückforderungsbescheides der Beklagten sind die zum 1. Januar 2004 eingefügte Vorschrift des § 106a Abs. 2 Satz 1, erster Halbsatz Sozialgesetzbuch/Fünftes Buch (SGB V) sowie § 50 Sozialgesetzbuch/Zehntes Buch (SGB X). Danach stellt die Kassenärztliche Vereinigung die sachliche und rechnerische Richtigkeit der Abrechnungen der Vertragsärzte fest. Das Richtigstellungsverfahren kann sowohl im zeitlichen Zusammenhang mit der Honorarfestsetzung für das geprüfte Quartal als auch nachgelagert durchgeführt werden. Die Befugnis zu Richtigstellungen besteht auch für bereits erlassene Honorarbescheide (nachgehende Richtigstellung). Sie bedeutet dann im Umfang der vorgenommenen Korrekturen eine teilweise Rücknahme des Honorarbescheids. Die genannten Bestimmungen stellen Sonderregelungen dar, die gemäß § 37 Satz 1 Sozialgesetzbuch/Erstes Buch (SGB I) in ihrem Anwendungsbereich die Regelung des § 45 SGB X verdrängen. Eine nach den Bestimmungen zur sachlich-rechnerischen Richtigstellung rechtmäßige (Teil-)Aufhebung des Honorarbescheids mit Wirkung für die Vergangenheit löst nach § 50 Abs. 1 Satz 1 SGB X, der Grundnorm des öffentlich-rechtlichen Erstattungsanspruchs für den gesamten Bereich des Sozialrechts, eine entsprechende Rückzahlungsverpflichtung des Empfängers der Leistung aus (vgl. zu alledem Bundessozialgericht – BSG –, Urteile vom 31. Oktober 2001, B 6 KA 16/00 R, zitiert nach juris, dort Rdnr. 17, 22 sowie vom 14. Dezember 2005, B 6 KA 17/05 R, zitiert nach juris, dort Rdnr. 11).
Die Befugnis zur sachlich-rechnerischen Richtigstellung der Honoraranforderungen besteht nicht nur im Fall rechnerischer und gebührenordnungsmäßiger Fehler, sondern erfasst auch die Fallgestaltungen, in denen der Vertragsarzt Leistungen unter Verstoß gegen Vorschriften über formale und inhaltliche Voraussetzungen der Leistungserbringung erbracht und abgerechnet hat. Das BSG hat das Rechtsinstitut der sachlich-rechnerischen Richtigstellung z.B. bei Abrechnung fachfremder Leistungen oder qualitativ mangelhafter Leistungen ebenso für anwendbar erachtet, wie auch bei durch nicht genehmigte Assistenten erbrachten Leistungen und bei Aufrechterhaltung einer übergroßen Praxis mit Hilfe eines Assistenten sowie insbesondere auch im Fall der Leistungserbringung in Form einer Praxisgemeinschaft, obwohl die ärztliche Tätigkeit tatsächlich wie in einer Gemeinschaftspraxis erfolgt ist (BSG, Urteil vom 22. März 2006, B 6 KA 76/04 R, zitiert nach juris).Für diese sachlich-rechnerischen Richtigstellungen gilt – ebenso wie für den Erlass von Prüfbescheiden in Wirtschaftlichkeitsprüfungsverfahren – eine vierjährige Ausschlussfrist, innerhalb derer der Richtigstellungsbescheid der Kassenärztlichen Vereinigung dem Betroffenen bekannt gegeben werden muss. Nach Ablauf dieser Frist ist eine Richtigstellung auf dieser Rechtsgrundlage ausgeschlossen. Sie ist dann nur noch nach Maßgabe der Vertrauensausschlusstatbestände des § 45 (Abs. 2 i.V.m. Abs. 4 Satz 1) SGB X möglich.
Nach alledem durfte die Beklagte die Honorarfestsetzung für das Quartal III/02 nicht mehr korrigieren, denn die vierjährige Ausschlussfrist war am 20. Dezember 2007 abgelaufen (hierzu unter 1.). Auch eine Aufhebung der Honorarfestsetzung nach § 45 SGB X war mit Bescheid vom 13. August 2008 war jedenfalls nicht mehr zulässig, weil die Jahresfrist des § 45 Abs. 4 S. 2 SGB X im August 2008 bereits abgelaufen war (hierzu unter 2.).
1. Dem Honorarberichtigungs- und Rückforderungsbescheid vom 13. August 2008 steht der Ablauf der Ausschlussfrist am 20. Dezember 2007 entgegen.
Der Lauf der Ausschlussfrist begann mit der Bekanntgabe des Honorarbescheides für das Quartal III/02 am 4. April 2003. Das Recht der Beklagten zur Änderung dieses Bescheides endete im Interesse der Rechtssicherheit (vgl. hierzu Wenner, Vertragsarztrecht nach der Gesundheitsreform, § 21 Rdnr. 78) vier Jahre später. Der Lauf der Vierjahresfrist hat sich über den 4. April 2007 hinaus bis zum 20. Dezember 2007 verlängert, da die Frist durch Vergleichsverhandlungen zwischen den Beteiligten (vom 22. September 2006 bis zum 8. Juni 2007) gehemmt war. Die mit Schreiben der Beklagten vom 22. April 2008 erneut begonnen Verhandlungen fanden nach Ablauf der Ausschlussfrist statt und ließen diese nicht erneut beginnen.
Nach § 45 Abs. 2 SGB I gelten für die Hemmung der Verjährung im Sozialverwaltungsrecht die Vorschriften des BGB. Diese Bestimmung ist nach ständiger Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (vgl. hierzu und zum Folgenden nur Beschluss vom 27. April 2005, B 6 KA 46/04 B, zitiert nach juris, dort Rdnr. 11) entsprechend auf die Ausschlussfrist für den Erlass von Prüf- und Berichtigungsbescheiden anzuwenden.
Gemäß § 203 BGB ist die Verjährung gehemmt, wenn zwischen dem Schuldner und dem Gläubiger Verhandlungen über den Anspruch oder die den Anspruch begründenden Umstände schweben, bis der eine oder der andere Teil die Fortsetzung der Verhandlungen verweigert. Die Verjährung tritt frühestens drei Monate nach dem Ende der Hemmung ein.
„Verhandlungen über den Anspruch“ im Sinne von § 203 BGB schwebten zwischen den Beteiligten ab dem 22. September 2006. Zu diesem Zeitpunkt unterbreitete die Beklagte dem Kläger erstmalig ein Vergleichsangebot. Die durch die Vergleichsverhandlungen hervorgerufene Hemmung der Ausschlussfrist dauerte jedoch nicht bis zum Erlass des Honorarberichtigungs- und Rückforderungsbescheid vom 13. August 2008 an, denn die Vergleichsverhandlungen zwischen der Beklagten und dem Kläger waren zwischenzeitlich “eingeschlafen“. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (BGH, Urteil vom 6. November 2008, IX ZR 158/07, mit weiteren Nachweisen, zitiert nach juris) endet die Hemmung der Verjährung durch Aufnahme von Verhandlungen auch dann, wenn die Verhandlungen „eingeschlafen“ sind. Danach ist ein Abbruch der Verhandlungen durch ein solches „Einschlafenlassen“ dann anzunehmen, wenn der Berechtigte den Zeitpunkt versäumt, zu dem eine Antwort auf die letzte Anfrage spätestens zu erwarten gewesen wäre (BGH, a.a.O., Rn. 10). Den Ausführungen des BGH zum „Einschlafenlassen“ von Vertragsverhandlungen und der daraus folgenden Beendigung der Hemmung schließt sich der Senat im Hinblick auf die hier maßgebliche Ausschlussfrist an. Unter Berücksichtigung der Besonderheiten des Sozialrechts ist der Zeitpunkt des Endes der Vertragsverhandlungen durch “Einschlafen“ gesondert zu bestimmen. Insoweit sind die in der Rechtsprechung der Oberlandesgerichte herangezogenen Zeiträume nicht auf sozialrechtliche Streitigkeiten zu übertragen. Unter Berücksichtigung sozialrechtlicher Besonderheiten dürfte vielmehr ein Rückgriff auf die Vorgaben des § 88 Sozialgerichtsgesetz (SGG) sachgerecht sein. Danach liegt Untätigkeit einer Behörde nicht vor Ablauf von sechs Monaten (Abs. 1) bzw. drei Monaten (Abs. 2) vor. Im Hinblick auf die vergleichbare Situation bei einem Antrag auf Erlass eines Verwaltungsaktes bzw. dem Verhandeln mit einer Behörde dürfte zumindest innerhalb von sechs Monaten eine Reaktion der Behörde zu erwarten sein. Setzt die Behörde die Vergleichsverhandlungen nicht innerhalb von sechs Monaten fort oder legt dem Vertragspartner zumindest Gründe für ihr Schweigen dar, sind die Vergleichsverhandlungen “eingeschlafen“. Ein Abstellen auf eine Frist von sechs Monaten ist auch im Hinblick auf § 204 Abs. 2 Sätze 1 und 2 BGB angezeigt. Danach endet die Hemmung sechs Monate nach der letzten Verfahrenshandlung, wenn ein Verfahren dadurch in Stillstand gerät, dass die Parteien es nicht betreiben.
Die Vergleichsverhandlungen zwischen der Beklagten und dem Kläger dauerten damit bis zum 8. Juni 2007. Sechs Monate nach dem Schreiben des Klägers vom 8. Dezember 2006 waren die Vergleichsverhandlungen „eingeschlafen“, denn bis zu diesem Zeitpunkt gab es kein nach außen erkennbares Anzeichen, dass die Beklagte die Vergleichsverhandlungen fortsetzen würde. Eine Fortsetzung der Vergleichsverhandlungen liegt nicht in dem zwischen den Beteiligten geführten Schriftwechsel zu den Honorarabrechnungen für die Quartale I/03 bis I/05 bzw. den ab 17. Juli 2007 bei der Beklagten stattfindenden internen Berechnungen zum Quartal III/02. Weder die Schriftwechsel zu anderen Quartalen noch interne Berechnungen der Beklagten stellen eine Fortführung der Vergleichsverhandlungen mit dem Kläger hinsichtlich der Honorarabrechnung für das Quartal III/02 dar, denn insoweit besteht kein inhaltlicher Zusammenhang mit den zuvor geführten Vergleichsverhandlungen bzw. waren die internen Berechnungen der Beklagten für den Kläger nicht erkennbar.
2. Der Honorarberichtigungs- und Rückforderungsbescheid vom 13. August 2008 kann auch nicht als Rücknahmebescheid auf § 45 SGB X gestützt werden. Weder liegen Anhaltspunkte vor, dass der Kläger die Rechtswidrigkeit des Honorarbescheides für das Quartal III/02kannte oder infolge grober Fahrlässigkeit nicht kannte, noch ist die Rücknahme innerhalb eines Jahres seit Kenntnis der Tatsachen erfolgt, welche die Rücknahme des rechtswidrigen Honorarbescheides für die Vergangenheit rechtfertigen (§ 45 Abs. 4 Satz 2 SGB X).
Die Rücknahme eines Bescheides für die Vergangenheit setzt voraus, dass der Begünstigte die Rechtswidrigkeit des Bescheides kannte oder infolge grober Fahrlässigkeit nicht kannte; grobe Fahrlässigkeit liegt vor, wenn Begünstigte die erforderliche Sorgfalt in besonders schwerem Maß verletzt hat (§ 45 Abs. 4 Satz 1, Abs. 2 Satz 3 Nr. 3 SGB X). Hier lässt sich weder Kenntnis noch grob-fahrlässige Unkenntnis des Klägers feststellen. Dafür wäre erforderlich gewesen dass der Kläger die Rechtswidrigkeit der Honorarfestsetzung bereits zum Zeitpunkt der Bekanntgabe des Honorarfestsetzungsbescheids für die im Quartal III/02 erbrachten Leistungen zumindest hätte erkennen müssen. Dafür ist den Unterlagen der Beklagten nichts zu entnehmen. Zwischen den Beteiligten steht die Honorarfestsetzung hinsichtlich der „gemeinsamen Patienten“ erst seit Einleitung der Plausibilitätsprüfung für II/02 mit Schreiben vom 8. Juli 2004 im Streit. Dass der Kläger bereits vor Juli 2004 auch nur die Überschreitung eines Aufgreifkriteriums kannte bzw. erkennen konnte, ist nicht ersichtlich. Es liegen auch keine Anhaltspunkte dafür vor, dass ein Missbrauch der Rechtsform Praxisgemeinschaft durch Kläger beabsichtigt war.
Die Rücknahme eines Bescheides muss innerhalb eines Jahres seit Kenntnis der Tatsachen erfolgen, welche die Rücknahme des rechtswidrigen Honorarbescheides für die Vergangenheit rechtfertigen (§ 45 Abs. 4 Satz 2 SGB X). Eine Rücknahme ist innerhalb der Jahresfrist nicht erfolgt. Die maßgeblichen Tatsachen kannte die Beklagte spätestens am 17. Juli 2007. Zu diesem Zeitpunkt veranlasste sie aufgrund der maßgeblichen Tatsachen eine erneute Berechnung des Rückforderungsbetrages unter Berücksichtigung eines abweichenden Berechnungsmodells. Die für diese Berechnungen maßgeblichen Tatsachen waren ihr da aber bereits bekannt. Die Dauer der internen Berechnungen sind dem Kläger nicht anzulasten. Sie verlängern die Jahresfrist des § 45 Abs. 4 S. 2 SGB X nicht.
3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a Abs. 1 SGG i.V.m. § 154 Abs. 2 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO).
4. Wegen der grundsätzlichen Bedeutung der Sache hat der Senat die Revision zugelassen.