Gericht | LSG Berlin-Brandenburg 33. Senat | Entscheidungsdatum | 06.12.2013 | |
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Aktenzeichen | L 33 R 651/12 | ECLI | ||
Dokumententyp | Urteil | Verfahrensgang | - | |
Normen | § 51 Abs 1 S 1 SGB 1, § 51 Abs 2 SGB 1, §§ 765ff BGB, § 33 Abs 1 SGB 10 |
Auf die Berufung der Klägerin werden das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 26. April 2012 sowie der Bescheid der Beklagten vom 19. Oktober 2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 14. April 2010 aufgehoben.
Die Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Streitig ist die Wirksamkeit einer Verrechnung.
Die 1949 geborene Klägerin und in der Schweiz (zeitweise auch Österreich) lebende Klägerin war jedenfalls im Juli 2005 Geschäftsführerin der S S T GmbH. Am 13. Juli 2005 unterzeichnete sie in dieser Eigenschaft eine Zahlungsvereinbarung mit der Barmer Ersatzkasse (BEK) – der Rechtsvorgängerin der Beigeladenen –. Darin erkannte die Schuldnerin – die S S T GmbH – unter 1. an, der BEK Schadensersatzansprüche nach §§ 823 Abs. 2 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB), 266a Strafgesetzbuch (StGB) i. H. v. 24.284,35 Euro zu schulden zzgl. 5% Zinsen über dem jeweils gültigen Basiszinssatz. Die Forderung wurde unter 2. mit der Maßgabe gestundet, dass sie durch wöchentliche Teilzahlungen ab 15. Juli 2005 i. H. v. 500,00 Euro beglichen werde. Künftig fällig werdende Sozialversicherungsbeiträge ab dem Monat Juni 2005 würden termingerecht gezahlt (3.). Komme der Schuldner seinen Verpflichtungen aus dieser Vereinbarung nicht nach, werde der restliche Schuldbetrag in einer Summe fällig mit der Rechtsfolge, dass für die weitere Dauer des Zahlungsverzuges hinsichtlich der Sozialversicherungsbeiträge der nach § 24 Viertes Buch Sozialgesetzbuch (SGB IV) vorgesehene Säumniszuschlag erhoben werde (4.). Gemäß 5. erfolgte eine Sicherheitsleistung durch die Übernahme einer selbstschuldnerischen Bürgschaft eines Dritten laut beigefügter Bürgschaftserklärung. In der beigefügten, von der Klägerin unterzeichneten, Bürgschaftsurkunde vom 13. Juli 2005 hieß es u. a., die Klägerin schulde der BEK an rückständigen Beiträgen zur Sozialversicherung für die Zeit vom 01. Juli 2004 bis zum 31. Mai 2005 einschließlich Säumniszuschlägen, Mahngebühren und Kosten einen Betrag i. H. v. 24.284,35 Euro zzgl. Zinsen i. H. v. 2% über dem jeweils gültigen Basiszinssatz. Für diese Schuld übernehme die Klägerin die selbstschuldnerische Bürgschaft.
In der Folgezeit erfolgten auf die Schuld Zahlungen i. H. v. 3.760,00 Euro bis zum 18. Oktober 2005. Die Klägerin leistete ferner Zahlungen i. H. v. insgesamt 12.260,14 Euro (Schreiben der Beigeladenen vom 20. Mai 2009).
Unter dem 13. März 2008 (Eingang bei der Beklagten am 02. April 2008) ermächtigte die Beigeladene die Beklagte gemäß § 52 Erstes Sozialgesetzbuch (SGB I) i. V. m. § 51 SGB I bzw. § 28 Viertes Sozialgesetzbuch (SGB IV) zur Verrechnung einer Forderung gegen die Klägerin aus Gesamtsozialversicherungsbeiträgen für den Zeitraum vom 01. November 2004 bis zum 31. Mai 2005 i. H. v. 20.524,35 Euro. Darin enthalten seien Säumniszuschläge i. H. v. 1.317,00 Euro.
Am 02. März 2009 ging bei der Beklagten der formlose Antrag der Klägerin auf Gewährung von Altersrente für Frauen ab dem 01. Mai 2009 ein. Auf Aufforderung der Beklagten konkretisierte die Beigeladene mit Schreiben vom 26. Mai 2009 ihr Verrechnungsersuchen dahingehend, dass die Forderung nach Stand 26. Mai 2009 sich noch auf 14.925,59 Euro inkl. Säumniszuschläge und Kosten i. H. v. 3.146,33 Euro aus nicht abgeführten Sozialversicherungsbeiträgen (§ 28e SGB IV i. V. m. § 250 Fünftes Sozialgesetzbuch <SGB V>) zzgl. weiterer Säumniszuschläge belaufe. Es werde die Verrechnung nach §§ 52, 51 Abs. 2 SGB I beantragt. Datum des bindenden Forderungsbescheides sei der 13. Juli 2005.
Die Beklagte gewährte der Klägerin mit Bescheid vom 20. August 2009 Altersrente für Frauen ab dem 01. Mai 2009. Für die Zeit ab dem 01. Oktober 2009 werde laufend monatlich Rente i. H. v. 1.266,62 Euro gezahlt. Die Nachzahlung für den Zeitraum vom 01. Mai 2009 bis zum 30. September 2009 i. H. v. 6.273,50 Euro werde vorläufig nicht ausgezahlt.
Mit Schreiben vom 21. August 2009 hörte die Beklagte die Klägerin zu ihrer Absicht, für die Verrechnung der noch offenen Forderung der Beigeladenen aus Sozialversicherungsbeiträgen i. H. v. 14.925 Euro (Stand: 26. Mai 2009) zzgl. weiterer Säumniszuschläge mit der laufenden Rente die Hälfte des Rentenbetrages, d. h. 633,31 Euro, einzubehalten. Außerdem sei beabsichtigt, aus der Nachzahlung für die Zeit vom 01. Mai 2009 bis zum 31. August 2009 i. H. v. 5.006,88 Euro ebenfalls die Hälfte, also 2.503,44 Euro, für die Verrechnung einzubehalten. Da die Klägerin ihren Wohnsitz im Ausland habe, werde davon ausgegangen, dass sie entsprechend §§ 24, 132 und 133 Zwölftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB XII) keinen Anspruch auf Leistungen nach dem SGB XII oder dem Zweiten Sozialgesetzbuch (SGB II) habe. Da insoweit mangels Anspruchs keine Hilfsbedürftigkeit i. S. d. § 51 Abs. 2 SGB I eintreten könne, werde die Aufrechnung i. H. d. Hälfte der Rente für zulässig erachtet.
Mit Schreiben vom 31. August 2009 aktualisierte die Beigeladene ihre Forderung auf 15.008,67 Euro inkl. 3.229,41 Euro Säumniszuschläge zzgl. weiterer Säumniszuschläge.
Mit Bescheid vom 19. Oktober 2009 verrechnete die Beklagte zum Ausgleich der Forderung der Beigeladenen aus geschuldeten Beiträgen zur gesetzlichen Sozialversicherung (ggf. einschließlich Nebenforderungen) i. H. v. 15.008,67 Euro (gegebenenfalls zzgl. weiterer Zinsen, Säumniszuschläge) ab dem 01. November 2009 jeweils die halbe monatliche Rente (aktuell 633,31 Euro) sowie die hälftige Rentennachzahlung für die Zeit vom 01. Mai 2009 bis zum 31. August 2009 i. H. v. 2.503,44 Euro.
Hiergegen legte die Klägerin am 28. Oktober 2009 Widerspruch ein und machte geltend, die Bürgschaft sei nicht wirksam. § 766 BGB regle, dass ein Bürgschaftsversprechen schriftlich erfolgen müsse, anderenfalls sei die Bürgschaft wegen Formmangels nichtig. Eine Bürgschaftserklärung müsse die Person des Gläubigers und des Hauptschuldners enthalten. Ferner müsse dem Bürgen vor Augen geführt werden, dass er für eine fremde Schuld einstehe. Diesen Erfordernissen genüge die Bürgschaftserklärung nicht, da ihr – der Klägerin – lediglich vor Augen geführt worden sei, für eine eigene Schuld einstehen zu müssen, nicht aber, dass es sich hierbei um eine fremde Schuld gehandelt habe, die von ihr privat nicht hätte beigetrieben werden können. Außerdem trete durch die Verrechnung Sozialhilfebedürftigkeit ein, denn sie habe monatliche Mietkosten i. H. v. 550,00 Euro und werde sich privat krankenversichern müssen, was zu Kosten von ca. 580,00 Euro monatlich führen werde.
Die Beklagte wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 14. April 2010 zurück. Für den Nachzahlungszeitraum der laufenden Rentenleistung brauche die Hilfebedürftigkeit i. S. d. Vorschriften des SGB XII bzw. SGB II nicht geprüft zu werden, da diese nicht rückwirkend eintreten könne. Die Auf- bzw. Verrechnung werde nach eingehender Prüfung für angemessen gehalten. Die Einwände der Klägerin gegen die Auf- bzw. Verrechnung könnten nicht berücksichtigt werden, weil die Beklagte die Rechtmäßigkeit der Forderung der Beigeladenen grundsätzlich nicht zu prüfen habe. Die Beigeladene habe der Klägerin gegenüber die Forderung bekräftigt und die Beklagte hierüber in Kenntnis gesetzt. Umstände, die gravierende Zweifel an der Richtigkeit dieser Aussagen nahe legten, seien nicht bekannt. Nach Abwägung sämtlicher für die Verrechnung maßgeblicher Umstände werde diese für angemessen gehalten (§ 51 Abs. 2 SGB I), da in der Verrechnung offensichtlich die einzige Möglichkeit liege, eine Tilgung der Verbindlichkeiten herbeizuführen.
Die Klägerin hat am 12. Mai 2010 Klage vor dem Sozialgericht Berlin (SG) erhoben unter Fortführung ihres Vortrags aus dem Widerspruchsverfahren. Ergänzend hat sie vorgetragen, die Zahlungsvereinbarung könne zur Auslegung der Bürgschaftsurkunde nicht herangezogen werden. Die Zahlungsvereinbarung enthalte ihrerseits grobe Unstimmigkeiten, da dort als Grundlage der Zahlungsverpflichtung unter 1. Schadenersatzansprüche und nicht rückständige Sozialversicherungsbeiträge genannt würden.
Das SG hat die Barmer GEK mit Beschluss vom 25. Juni 2010 beigeladen.
Die Beigeladene hat die Auffassung vertreten, es sei zwar einzuräumen, dass in der Bürgschaftsurkunde der Hauptschuldner falsch bezeichnet worden sei. Entgegen der Auffassung der Klägerin sei die Bürgschaft und damit das Verrechnungsersuchen gleichwohl wirksam, denn nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (BGH) ergebe sich aus einem Formfehler der vorliegenden Art kein zwingendes Verwertungshindernis, sofern Zweifel im Wege der Auslegung, auch unter Heranziehung außerhalb der Urkunde liegender Umstände, geklärt werden könnten. Auch die Person des Hauptschuldners könne auf diese Weite ermittelt werden. Hier habe die Klägerin die Bürgschaftserklärung zusammen mit der Zahlungsvereinbarung vom gleichen Tag unterzeichnet. Letztere gebe als Hauptschuldnerin zutreffend die bei dem Amtsgericht Pforzheim unter der HRB 1418 eingetragene Firma S ST GmbH (später umbenannt in C C S S GmbH) an. Unter Ziffer 5 der Zahlungserklärung heiße es: „Eine Sicherheitsleistung erfolgt durch Übernahme der selbstschuldnerischen Bürgschaft eines/r Dritten laut beigefügter Bürgschaftserklärung.“ Die Klägerin sei sich als Geschäftsführerin der vorgenannten GmbH und insbesondere aufgrund der zuvor zitierten Klausel bewusst gewesen, dass die Unterzeichnung der Bürgschaftserklärung aus der für die Auslegung maßgeblichen Sicht der Beigeladenen die Übernahme der Bürgschaft für die Verbindlichkeiten der von ihr vertretenen GmbH zur Folge habe. Auch sie selbst habe diese Rechtsfolge herbeiführen wollen. Die Übernahme der Bürgschaft sei aufschiebende Bedingung für das Zustandekommen der Zahlungsvereinbarung gewesen, die wiederum notwendig gewesen sei, um weiterführende Maßnahmen gegenüber der GmbH (Insolvenzantrag) zu vermeiden. Auch aus der Übereinstimmung von Zeitraum und Forderungshöhe in Bürgschaftserklärung und Zahlungsvereinbarung ergebe sich mit hinreichender Deutlichkeit der innere Zusammenhang der beiden Urkunden. Auch daraus folge, dass es sich bei der Klägerin um die in der Zahlungsvereinbarung angesprochene „Dritte“ und nicht um die Hauptschuldnerin handeln müsse.
Das SG hat die Klage durch Urteil vom 26. April 2012 abgewiesen. Die von der Beklagten gemäß § 52 SGB I i. V. m. § 51 SGB I vorgenommene Verrechnung sei zulässig und berechtigt. Die geltend gemachte Forderung bestehe, da eine wirksame Bürgschaftserklärung der Klägerin zugunsten der Beigeladenen über ursprünglich 24.284,35 Euro vorliege. Nach der Rechtsprechung des BGH könne eine Bürgschaftserklärung, die die Person des Hauptschuldners missverständlich bezeichne, im Wege der Auslegung dahin korrigiert werden, dass der zutreffende Hauptschuldner benannt werde. Die von der Klägerin am 13. Juli 2005 gleichzeitig mit der Zahlungsvereinbarung unterschriebene Bürgschaftsurkunde sei nur so zu verstehen, dass die in der Zahlungsvereinbarung als Schuldnerin aufgeführte Firma S insgesamt, also auch in der Bürgschaftsurkunde als Schuldnerin gemeint gewesen sei. Unschädlich sei auch, dass in der Zahlungsvereinbarung fälschlicherweise „Schadensersatzansprüche nach §§ 823 Abs. 2, 266 a StGB“ i. H. v. 24.284,35 Euro als Schuld benannt worden seien. Dies ergebe sich schon daraus, dass eine Bürgschaft aus sich heraus wirke, so dass die Schuld der Klägerin bereits aufgrund der Bürgschaftsurkunde bestanden habe. Die Zahlungsvereinbarung habe ersichtlich die Abwicklung der Schuld betroffen, indem Raten und Restschuld benannt worden seien. Eine Hilfebedürftigkeit sei nicht zu prüfen, da die Klägerin im Ausland lebe.
Gegen das am 27. Juni 2012 zugestellte Urteil hat die Klägerin am 27. Juli 2012 Berufung eingelegt, mit welcher sie ihr erstinstanzliches Begehren weiter verfolgt.
Die Klägerin beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 26. April 2012 sowie den Bescheid der Beklagten vom 19. Oktober 2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 14. April 2010 aufzuheben.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie hält die erstinstanzliche Entscheidung im Ergebnis für zutreffend. Die Aufrechnung nach § 51 Abs. 2 SGB I sei bei im Ausland lebenden deutschen und ausländischen Rentenbeziehern grundsätzlich bis zur Hälfte der Rente möglich, sofern sie den Eintritt von Hilfsbedürftigkeit nach den im Ausland geltenden einschlägigen Vorschriften und Maßstäben nicht nachwiesen. Eine Begrenzung des Begriffs „Hilfebedürftigkeit“ auf Hilfebedürftigkeit in Deutschland sei nicht mit dem EU-Recht vereinbar. Die Klägerin habe bislang keinen Nachweis ihrer Hilfebedürftigkeit vorgelegt. Die Rentenversicherungsträger hätten keine Ermittlungen diesbezüglich im Ausland durchzuführen.
Die Beigeladene beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie hält die erstinstanzliche Entscheidung ebenfalls für zutreffend. In der Bürgschaftserklärung sei die Schuld zutreffend bezeichnet worden („Rückständige Beiträge zur Sozialversicherung“). Beide Parteien hätten im Übrigen bei Vertragsabschluss den richtigen Sachverhalt zugrunde gelegt. Dieses zeige sich vor allem darin, dass die Zahlungsvereinbarung den Gesamtrückstand für den maßgeblichen Zeitraum (01. April 2004 bis 31. Mai 2005 i. H. v. 24.284,35 Euro gemäß Bürgschaft vom 13. Juli 2005) und nicht nur die darin enthaltenen Arbeitnehmerbeitragsanteile zur Sozialversicherung erfasst habe. Darüber hinaus könne eine GmbH mangels Deliktfähigkeit nicht Schuldnerin einer aus Beitragsvorenthaltung resultierenden Schadenersatzforderung sei. Auch hier habe das übereinstimmend Gewollte Vorrang vor einer irrtümlichen Falschbezeichnung. Sie reicht Kopien der an die S S T GmbH gerichteten Beitragsbescheide vom 18. August 2004, 17. September 2004, 19. Oktober 2004, 17. November 2004, 20. Dezember 2004, 19. Januar 2005, 17. Februar 2005, 18. März 2005, 20. April 2005, 01. Juni 2005 und 17. Juni 2005 sowie einen Konto-Auszug für den „Mahnfall 224652“ vom 27. November 2013 zu den Akten.
Die Beteiligten haben mit Schreiben vom 23. Oktober 2012, 14. November 2012 und 31. Januar 2013 ihr Einverständnis mit einer Entscheidung durch den Senat ohne mündliche Verhandlung (§ 124 Abs. 2 SGG) erklärt.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der beigezogenen Verwaltungsakte der Beklagten, die dem Senat vorgelegen haben und Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind, verwiesen.
Die zulässige Berufung der Klägerin ist begründet. Die Klägerin hat Anspruch auf Auszahlung ihrer Altersrente für Frauen ab dem 01. November 2009 in voller Höhe sowie der vollen Nachzahlung für den Zeitraum vom 01. Mai 2009 bis zum 31. August 2009.
Der angefochtene Verrechnungsbescheid vom 19. Oktober 2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 14. April 2010 ist rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten.
Nach § 52 SGB I kann der für eine Geldleistung zuständige Leistungsträger - hier die Beklagte - mit Ermächtigung eines anderen Leistungsträgers - hier der Beigeladenen - dessen Ansprüche gegen den Berechtigten - die Klägerin - mit der ihm obliegenden Geldleistung – also der Altersrente - verrechnen, soweit nach § 51 SGB I die Aufrechnung zulässig ist. Gemäß § 51 Abs. 1 SGB I kann der zuständige Leistungsträger gegen Ansprüche auf Geldleistungen - hier auf Rentenauszahlung - mit Ansprüchen (jeder Art) gegen den Berechtigten aufrechnen, soweit die Ansprüche auf Geldleistungen nach § 54 Abs. 2 und 4 SGB I pfändbar sind. Mit Ansprüchen auf Erstattung zu Unrecht erbrachter Leistungen und mit Beitragsansprüchen nach dem SGB kann der zuständige Leistungsträger nach § 51 Abs. 2 SGB I gegen Ansprüche auf laufende Geldleistungen bis zu deren Hälfte aufrechnen, wenn der Leistungsberechtigte nicht nachweist, dass er dadurch hilfebedürftig nach den Vorschriften des SGB XII über die Hilfe zum Lebensunterhalt oder der Grundsicherung für Arbeitsuchende nach dem SGB II wird (§ 51 Abs. 2 SGB I). § 51 SGB I erfasst auch bürgerlich-rechtliche Ansprüche des Leistungsträgers (hier der Beigeladenen) wie etwa aufgrund eines Bürgschaftsvertrags (§§ 765 ff. BGB) (vgl. Seewald in Kasseler Kommentar zum Sozialversicherungsrecht, Band 1, Stand April 2012, Rn. 8 zu § 51 SGB I).
Der Verrechnungsbescheid der Beklagten vom 19. Oktober 2009 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 14. April 2010 ist nicht deshalb rechtswidrig, weil die Verrechnung durch Verwaltungsakt erfolgt ist. Vielmehr konnte die Beklagte die Verrechnung einseitig nur in dieser Handlungsform (und nicht durch sog. öffentlich-rechtliche Willenserklärung) vornehmen. Nach Entscheidung des Großen Senats des BSG vom 31. August 2011 (vgl. BSGE 109, 81 = SozR 4-1200 § 52 Nr. 4) steht fest, dass die Beklagte die Verrechnung durch Verwaltungsakt regeln durfte (vgl. auch die Urteil des BSG vom 07 Februar 2012 - B 13 R 85/09 R - SozR 4-1200 § 52 Nr. 5 und B 13 R 109/11 R).
Der Verrechnungs-Verwaltungsakt ist jedoch nicht i. S. von § 33 Abs. 1 Zehntes Sozialgesetzbuch (SGB X) "inhaltlich hinreichend bestimmt" (zu den näheren Anforderungen an das Bestimmtheitserfordernis vgl. das Urteil des BSG vom 07. Februar 2012 - B 13 R 85/09 R – in SozR 4-1200 § 52 Nr. 5 Rn. 46 ff). Das Bestimmtheitserfordernis verlangt, dass der Verfügungssatz eines Verwaltungsakts nach seinem Regelungsgehalt in sich widerspruchsfrei ist und den Betroffenen bei Zugrundelegung der Erkenntnismöglichkeiten eines verständigen Empfängers in die Lage versetzt, sein Verhalten daran auszurichten. Mithin muss aus dem Verfügungssatz für die Beteiligten vollständig klar und unzweideutig erkennbar sein, was die Behörde regeln will. Insoweit kommt dem Verfügungssatz des Verwaltungsakts Klarstellungsfunktion zu. Unschädlich ist, wenn zur Auslegung des Verfügungssatzes auf die Begründung des Verwaltungsakts, auf früher zwischen den Beteiligten ergangene Verwaltungsakte oder auf allgemein zugängliche Unterlagen zurückgegriffen werden muss (BSG vom 06. Februar 2007 - SozR 4-2600 § 96a Nr. 9 Rn. 38; BSG vom 17. Dezember 2009 - BSGE 105, 194 = SozR 4-4200 § 31 Nr. 2, Rn. 13 m. w. N.).
Für die Klägerin als Empfängerin des Verrechnungsbescheides bzw. der darin enthaltenen Verrechnungserklärung der Beklagten war nach objektiven Auslegungskriterien (§ 133 BGB) nicht erkennbar, mit welcher Forderung der Beigeladenen ihre Forderung gegen die Beklagte verrechnet werden sollte. Dies hat zur Folge, dass die (restliche) Forderung der Klägerin auf Zahlung von Altersrente bzw. der Nachzahlung nicht erloschen und die Beklagte zur Zahlung dieses Betrages verpflichtet ist.
Es ist gesetzlich nicht ausdrücklich geregelt, welchen Inhalt eine wirksame Aufrechnungs- bzw. Verrechnungserklärung haben muss. Da die zur Verrechnung gestellten Forderungen aber nur soweit erlöschen, als sie sich decken, müssen, damit das Erlöschen/Tilgen der jeweiligen Forderungen - auch im Hinblick auf die Rechtskraft (§ 141 Abs. 2 SGG) - festgestellt werden kann, Art und Umfang der Forderungen in der Erklärung eindeutig bezeichnet werden. Der zur Herbeiführung der Rechtswirkung der Aufrechnung bzw. der Verrechnung gerichtete Wille muss für einen objektiven Dritten klar erkennbar sein (vgl. das Urteil des BSG vom 24. Juli 2003 – B 4 RA 60/02 R – in juris, Rn. 28 f). Dies war hier nicht der Fall, sodass die beabsichtigten Rechtswirkungen nicht eingetreten sind.
Der streitige Bescheid vom 19. Oktober 2009 erklärte die Verrechnung bestimmter, von der Beklagten der Klägerin geschuldeter Rentenleistungen mit einer (Gesamt-)Forderung der Beigeladenen aus „geschuldeten Beiträgen zur gesetzlichen Sozialversicherung (ggf. einschließlich Nebenforderungen) i. H. v. aktuell 15.008,67 Euro (ggf. zzgl. weiterer Zinsen, Säumniszuschläge)“. Von der der Klägerin gewährten Altersrente wurde die Hälfte, d. h. ein Betrag i. H. v. 633,31 Euro, und von der Rentennachzahlung für die Zeit vom 01. Mai 2009 bis zum 31. August 2009 ebenfalls der hälftige Betrag, d. h. 2.503,44 Euro, zur Verrechnung mit Beitragsrückständen einbehalten und der Restbetrag ausgezahlt.
Abgesehen davon, dass die Klägerin als ehemalige Geschäftsführerin der S S T GmbH der Beklagten keine Sozialversicherungsbeiträge schuldete oder schuldet und es sich tatsächlich um eine Forderung aus einer Bürgschaft handelt, wird aus dem streitgegenständlichen Verwaltungsakt bereits nicht klar, welche Gesamtforderung bzw. welche Einzelforderungen der Beigeladenen im Einzelnen bestanden und bezogen auf welchen Zeitraum. Fraglich ist schon die Höhe der Gesamtforderung, denn im Verrechnungsbescheid heißt es hierzu lediglich: „15.008,67 Euro (gegebenenfalls zzgl. weiterer Zinsen, Säumniszuschläge)“. Der genannte Gesamtbetrag von 15.008,67 Euro lässt ferner in keiner Weise erkennen, wie er sich betragsmäßig im Einzelnen exakt zusammensetzt (Beiträge, Zinsen, Säumniszuschläge, Mahngebühren) noch auf welchen Zeitraum er sich bezieht, geschweige denn aufgrund welchen Forderungsbescheides. Auch das Anhörungsschreiben der Beklagten vom 21. August 2009 hilft hier nicht weiter, denn dort ist die Forderung genauso undifferenziert bezeichnet mit „offene Forderung von Sozialversicherungsbeiträgen ….zzgl. weiterer Säumniszuschläge“. Außerdem belief sich die Forderungssumme im Anhörungsschreiben noch auf 14.925,59 Euro. Ob es sich bei der Differenz nunmehr um aufgelaufene Zinsen oder Säumniszuschläge oder Mahngebühren handelt, erschließt sich nicht. Die Klägerin konnte daher nicht ohne Weiteres bestimmen, in welchem Umfang die gegen sie bestehenden Forderungen der Beigeladenen durch Verrechnung erlöschen würden, zumal sie tatsächlich zum Zeitpunkt der Inanspruchnahme durch die Beigeladene aus der Bürgschaft maximal einen Betrag i. H. v. 24.284,35 Euro schulden konnte. Maximal auf diesen Betrag konnten in der Folge Zinsen i. H. v. 2% über dem jeweils gültigen Basiszinssatz anfallen. Säumniszuschläge können nach Eintritt des Bürgschaftsfalles per se auf die Bürgschaftsforderung nicht mehr anfallen.
Der Bestimmtheitsmangel lässt sich auch nicht durch den von der Beigeladenen übersandten Konto-Auszug für den „Mahnfall 224652“ vom 27. November 2013 heilen. Abgesehen davon, dass sich aus diesem Auszug schon nicht erkennen lässt, welche Beitragsschulden der Firma S S T GmbH zum Zeitpunkt des Bürgschaftsfalles bestanden (§ 767 Abs. 1 Satz 1 BGB), erschließt sich auch nicht, wann die Bürgschaft überhaupt geltend gemacht wurde, welche Zahlungen auf die Bürgschaft angerechnet wurden und welche Restschuld aus der Bürgschaft noch besteht.
Die aus der Unbestimmtheit der Verrechnungserklärung resultierende Unwirksamkeit der Verrechnung hat zur Folge, dass die jeweiligen Forderungen nicht erloschen bzw. nicht getilgt worden sind. Der Bescheid vom 19. Oktober 2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 14. April 2010 war daher aufzuheben.
Ob der Beigeladenen eine wirksame Forderung gegen die Klägerin zusteht, war daher letztlich in diesem Rechtsstreit nicht zu klären.
Grundsätzlich kann die Beklagte jedoch die Verrechnung wiederholen oder auf Grund einer (anderen) Ermächtigung erneut eine Verrechnungserklärung abgeben. Im Hinblick darauf bleibt zumindest anzumerken, dass hier von vornherein kein Fall des § 51 Abs. 2 SGB I vorliegen dürfte, denn die Beigeladene hat gegen die Klägerin keine Beitragsansprüche nach dem SGB. Beitragsschuldnerin der Gesamtsozialversicherungsbeiträge war und ist gemäß § 28e Abs. 1 SGB IV die Firma S S T GmbH bzw. deren Rechtsnachfolger(in). Die Klägerin als Geschäftsführerin haftet nicht persönlich für derartige Ansprüche. Rechtsgrundlage für etwaige Zahlungsansprüche der Beigeladenen gegen die Klägerin ist ausschließlich ein etwaiger Bürgschaftsvertrag vom 13. Juli 2005, dessen Wirksamkeit einer gesonderten Prüfung zu unterziehen wäre.
Nach § 765 Abs. 1 BGB verpflichtet sich der Bürge durch den Bürgschaftsvertrag gegenüber dem Gläubiger eines Dritten – hier der Beigeladenen -, für die Erfüllung der Verbindlichkeit des Dritten – hier die Firma S S T GmbH - einzustehen. Die Bürgschaft besteht damit als vertraglich begründetes Rechtsverhältnis allein zwischen Gläubiger und Bürgen, dient der Sicherung einer Forderung des Gläubigers gegen den Hauptschuldner, den „Dritten“, und findet ihren Anlass in der Rechtsbeziehung zwischen der Klägerin als Bürgen und der Fa. S als Hauptschuldner. Die Bürgschaft begründet eine persönliche Verpflichtung der Klägerin als Bürgen, für deren Erfüllung diese nach Maßgabe der §§ 767 ff. BGB mit ihrem gesamten Vermögen einzustehen hat. Die Bürgschaft ist allerdings akzessorischer Natur, ferner ist die Haftung des Bürgen subsidiär. Neben dem Abschluss eines Bürgschaftsvertrags setzt die Inanspruchnahme der Klägerin als Bürgen mithin das Bestehen einer – durch die Bürgschaft zu sichernden – Forderung des Gläubigers (der Beigeladenen) gegen den Hauptschuldner (die Fa. S) sowie den Eintritt des Bürgschaftsfalls voraus. Die Vorschrift des § 765 Abs. 2 BGB lockert das Akzessorietätserfordernis dahingehend auf, dass die Bürgschaft auch für eine künftige oder bedingte Verbindlichkeit übernommen werden kann. Die Bürgschaft begründet eine von der Verbindlichkeit des Hauptschuldners verschiedene selbstständige Verpflichtung des Bürgen (vgl. Habersack in Münchener Kommentar zum BGB <MüKo>, 6. A. 2013, Rn. 2 zu § 765). Wiewohl die Bürgschaft ein akzessorisches Recht begründet, bestimmt sich ihr Rechtscharakter nicht aus der Natur der Hauptschuld (vgl. Habersack a. a. O.). Daraus folgt, dass die Bürgschaft der Klägerin zwar der Sicherung der Ansprüche der Beigeladenen aus rückständigen Gesamtsozialversicherungsbeiträgen gegen die S S T GmbH dient, ein aus der Bürgschaft resultierender etwaiger Anspruch der Beigeladenen gegen die Klägerin aber ein eigenständiger (wiewohl akzessorischer) Anspruch zivilrechtlicher Natur ist. Die Klägerin ist nicht Schuldnerin der Gesamtsozialversicherungsbeiträge geworden.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 Abs. 1 SGG und entspricht dem Ergebnis des Rechtsstreits.
Die Revision ist nicht zuzulassen, da die Voraussetzungen hierfür (§ 160 Abs. 2 Nrn. 1 und 2 SGG) nicht vorliegen.