Gericht | OVG Berlin-Brandenburg 3. Senat | Entscheidungsdatum | 26.02.2013 | |
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Aktenzeichen | OVG 3 A 11.12 | ECLI | ||
Dokumententyp | Urteil | Verfahrensgang | - | |
Normen | Art 6 Abs 1 S 1 MRK, § 198 GVG, § 201 GVG, Art 23 ÜberlVfRSchG, § 173 S 2 VwGO |
Der Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 250 Euro zu zahlen. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
Von den Kosten des Verfahrens tragen der Kläger 1/4 und der Beklagte 3/4.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Der jeweilige Vollstreckungsschuldner darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe von 110 vom Hundert des jeweils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht der jeweilige Vollstreckungsgläubiger vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 vom Hundert des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.
Die Revision wird zugelassen.
Die Klägerin begehrt Rechtsschutz wegen der Dauer eines von ihr geführten verwaltungsgerichtlichen Verfahrens. Gegenstand des Verfahrens war die Heranziehung der Klägerin zur Zahlung von Schmutzwassergebühren für den Zeitraum von Januar bis September 2008 durch den .... Er setzte durch Bescheid vom 21. November 2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 28. Januar 2009 die Gebühren für den Abrechnungszeitraum auf 2.180,16 Euro fest. Aufgrund der von der Klägerin geleisteten Abschlagszahlungen sowie der Verrechnung mit einem früheren Guthaben belief sich der tatsächliche Zahlbetrag auf 716,16 Euro.
Gegen die Bescheide erhob die Klägerin am 26. Februar 2009 Klage vor dem Verwaltungsgericht ... (VG ...). Die Klage begründete sie am 21. Juli 2009 unter Hinweis auf die Begründung einer von denselben Verfahrensbevollmächtigten erhobenen, ebenfalls auf einen Gebührenbescheid des Zweckverbandes für 2008 bezogenen Klage in dem Verfahren VG .... Auf Bitten des Verwaltungsgerichts reichte sie am 26. August 2009 den Vortrag aus dem Parallelverfahren auch im hiesigen Verfahren ein und bezeichnete dabei die Klagebegründung als vorläufig; der Beklagte müsse noch Unterlagen über Altlasten sowie einen Vertrag mit der Betreibergesellschaft des ... zu den Gerichtsakten reichen. Mit der Klage machte die Klägerin geltend, bei der Gebührenfestsetzung seien wesentliche Grundsätze der Wirtschaftlichkeit sowie das Äquivalenzprinzip und der Gleichbehandlungsgrundsatz missachtet worden. Am 25. August 2009 legte der Beklagte die Klageerwiderung vor, die sein Vorbringen in dem Parallelverfahren VG ...wiederholte. Am 28. Juni 2011 überreichte der Beklagte in dem Parallelverfahren VG ... auf Anforderung des Verwaltungsgerichts Satzungsunterlagen. Eine Ablichtung seines dortigen Schriftsatzes nahm das Verwaltungsgericht zu der das Verfahren der Klägerin betreffenden Gerichtsakte. Durch Präsidiumsbeschluss wurde mit Wirkung vom 11. Juli 2011 statt der bis dahin berufenen 5. Kammer die 8. Kammer des Verwaltungsgerichts ... für das Verfahren der Klägerin zuständig (VG ...).
Am 22. Dezember 2011 erhob die Klägerin Verzögerungsrüge.
Am 21. Mai 2012 übertrug das Verwaltungsgericht den Rechtsstreit dem Berichterstatter als Einzelrichter zur Entscheidung. Am 29. Mai 2012 beraumte der Berichterstatter für den 20. Juni 2012 eine mündliche Verhandlung an. Am 8. Juni 2012 übersandte die Klägerin mit Rücksicht auf das zwischenzeitlich ergangene Urteil des Verwaltungsgerichts in der Sache VG ... eine ergänzende Klagebegründung.
Am 25. Juni 2012 hat die Klägerin Entschädigungsklage erhoben.
Durch ihr am 12. Juli 2012 zugestelltes Urteil hat das Verwaltungsgericht die Klage in dem Verfahren VG ... abgewiesen. Gegen das Urteil richtet sich der am 13. August 2012 eingegangene Antrag der Klägerin auf Zulassung der Berufung (OVG ...), den sie mit dem Antragsschriftsatz auch begründet hat. Am 27. August 2012 hat sie ergänzend vorgetragen. Der Beklagte hat am 2. Oktober 2012 erwidert. Am 9. Oktober 2012 ist ein weiterer Schriftsatz der Klägerin eingegangen.
Am 13. November 2012 hat sie erneut Verzögerungsrüge erhoben.
Im Entschädigungsverfahren ist die Klägerin im Wesentlichen der Auffassung, zwischen Oktober 2009 und März 2011 habe das Verwaltungsgericht den Rechtsstreit ohne erkennbare Gründe nicht gefördert. Die angemessene Entschädigung hierfür betrage mindestens 1.200 Euro. Dabei sei schon berücksichtigt, dass der Entschädigungsbetrag gegebenenfalls angesichts des verhältnismäßig geringen Streitwerts des vor dem Verwaltungsgericht geführten Verfahrens nicht die für den Regelfall vorgesehene Höhe von 1.200 Euro jährlich erreichen werde. Allerdings ergebe sich eine gewisse Bedeutung der Angelegenheit dadurch, dass die Klägerin angesichts ihrer grundsätzlichen Einwendungen gegen die Gebührenerhebung auch Gebührenbescheide für spätere Erhebungszeiträume angefochten haben. Die damit verbundenen Kosten wären ihr bei rechtzeitiger Entscheidung des Verwaltungsgerichts erspart geblieben.
Die Klägerin beantragt,
den Beklagten zu verurteilen, an sie eine angemessene Entschädigung, die 1.200 Euro nicht unterschreiten sollte, für die überlange Verfahrensdauer des Rechtsstreits vor dem Verwaltungsgericht ...- VG ... - zu zahlen.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Er beruft sich darauf, es habe während des Verfahrens bei dem Verwaltungsgericht eine erhebliche personelle Fluktuation gegeben. Nach April 2008, als insgesamt 3.903 Verfahren anhängig gewesen seien, davon 691 Verfahren in der 5. Kammer, sei der personelle Bestand von 23 auf zeitweise 20,5 besetzte Richterstellen zurückgegangen. Später sei er dank eines Unterstützungskonzepts des Ministeriums der Justiz auf 27,75 Richterstellen gestiegen, gegenwärtig betrage er 23,25 Richterstellen. Zu den ausgeschiedenen Dienstkräften hätten mehrere besonders erfahrene und qualifizierte Richter gehört. So sei im November 2010 und Juli 2011 je ein Richter zum Richter am Oberverwaltungsgericht befördert worden. Im November 2010 sei ein Vorsitzender Richter Direktor eines Sozialgerichts geworden. Im November 2011 sei die Beförderung eines Richters zum Vorsitzenden Richter am Verwaltungsgericht ... zu verzeichnen gewesen. Im Januar 2012 und August 2012 sei jeweils ein Richter an das Ministerium der Justiz beziehungsweise als wissenschaftlicher Mitarbeiter an das Verfassungsgericht des Landes Brandenburg abgeordnet worden. Diese zahlenmäßige Häufung grundsätzlich normaler personeller Veränderungen, denen kein Stellenabbau zugrunde gelegen habe, habe zu einer erheblichen Schwächung des Verwaltungsgerichts geführt. Dem habe ein Zuwachs an Richterstellen durch das besagte Unterstützungskonzept des Ministeriums der Justiz für die Verwaltungsgerichtsbarkeit im Land Brandenburg gegenübergestanden, in dessen Verlauf zwischen August 2010 und Januar 2011 insgesamt fünf Richterarbeitskräfte an das Verwaltungsgericht abgeordnet worden seien beziehungsweise dort Beschäftigungsaufträge erhalten hätten. Hierdurch sei im Dezember 2010 die Bildung der 8. Kammer ermöglicht worden, die gezielt Altverfahren abgebaut habe. Bis Juni 2012 habe sich der Anhang des Gerichts auf 2.197 Verfahren verringert, davon lediglich 446 Verfahren mit einem Alter von mehr als zwei Jahren.
Die zunächst für das Verfahren der Klägerin zuständige 5. Kammer sei im Januar 2008 mit einem Vorsitzenden und 2,5 Beisitzern besetzt gewesen. Eine mit der Hälfte ihrer richterlichen Arbeitskraft tätige Richterin sei im September 2008 aufgrund Mutterschutzes und Elternzeit aus der Kammer ausgeschieden. Im Januar und Februar 2009 sei die Kammer wegen der Elternzeit eines weiteren Richters nur noch mit einem Vorsitzenden und einem Beisitzer besetzt gewesen, ab März 2009 wieder mit einem Vorsitzenden und zwei Beisitzern. Im September 2009 sei ein Beisitzer beförderungsbedingt ausgeschieden, ab Oktober 2009 sei dafür eine Beisitzerin mit der Hälfte ihrer Arbeitskraft zugewiesen worden. Eine Richterin mit ebenfalls der Hälfte ihrer Arbeitskraft sei im Dezember 2009 hinzugetreten. Seit Januar 2010 sei die Kammer mit einem Vorsitzenden und 2,5 Beisitzern besetzt gewesen. Nach dem Wechsel eines Beisitzers in eine andere Kammer im Juli 2010 habe das Gerichtspräsidium im August 2010 einen Beisitzer neu zugewiesen. Bis zu der im Dezember 2010 erfolgten Einrichtung der 8. Kammer sei noch ein weiterer Beisitzer zugewiesen geworden.
In sächlicher Hinsicht habe das Gerichtspräsidium die 5. Kammer im Juli 2009, November 2010 und Juli 2011 um eine Reihe abgabenrechtlicher Streitigkeiten entlastet. Die Kammer sei in diesem Zeitraum mit komplexen, aufgrund ihrer Entscheidungsreife und des zeitlichen Vorrangs zunächst zu bearbeitenden umweltrechtlichen Streitsachen belastet gewesen. Die Berichterstatterin des Verfahrens der Klägerin habe im Oktober 2009 über ein Dezernat mit 121 Streitsachen verfügt, davon zahlreiche derjenigen der Klägerin zeitlich vorgehend.
Das Verwaltungsgericht habe unter den zahlreichen, gegen den ..., gerichteten Verfahren das Verfahren VG ... als Musterverfahren ausgewählt. Dort sei die Klage im Februar 2009 eingegangen. Im Mai 2009 habe der Kläger Akteneinsicht genommen, im August 2009 habe er eine von ihm als vorläufig bezeichnete Klagebegründung eingereicht. Im Oktober 2009 habe der Beklagte erwidert. Auf den Hinweis des Verwaltungsgerichts, angesichts des hohen Verfahrensstandes könne ein Termin nicht in Aussicht gestellt werden, seien Sachstandsanfragen des Klägers nicht erfolgt. Im März 2011 habe der Berichterstatter die Vorlage von Satzungsunterlagen durch den Beklagten erbeten. Im Juni 2011 habe der Kläger erneut Akteneinsicht genommen. Im Juli 2011 sei die Zuständigkeit für das Verfahren durch Präsidiumsbeschluss auf die 8. Kammer des Verwaltungsgerichts (VG ...) übergegangen. Im Januar 2012 sei ein Termin zur mündlichen Verhandlung für Mai 2012 bestimmt worden. Im Anschluss sei ein mittlerweile rechtskräftiges Urteil ergangen. Nach Abschluss des „Musterverfahrens“ sei das Verfahren der Klägerin zügig gefördert worden.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Streitakten des vorliegenden Verfahrens sowie des Verfahrens vor dem Verwaltungsgericht mit den Geschäftszeichen VG ... Bezug genommen. Diese Akten haben vorgelegen und sind Gegenstand der mündlichen Verhandlung und Entscheidung gewesen.
Der Senat ist gemäß § 173 Satz 2 VwGO, zuletzt geändert durch das Gesetz über den Rechtsschutz bei überlangen Gerichtsverfahren und strafrechtlichen Ermittlungsverfahren vom 24. November 2011 (BGBl. I S. 2302), i.V.m. § 201 Abs. 1 Satz 1 GVG zur Entscheidung berufen.
Die Klage ist zulässig und teilweise begründet.
Das Gesetz über den Rechtsschutz bei überlangen Gerichtsverfahren und strafrechtlichen Ermittlungsverfahren ist auf das Begehren der Klägerin anwendbar. Gemäß Art. 23 des Gesetzes gilt es auch für Verfahren, die bei seinem Inkrafttreten am 3. Dezember 2011 (vgl. Art. 24) bereits anhängig waren. Dies trifft auf das seit dem 26. Februar 2009 anhängige Verfahren der Klägerin zu.
Die Klägerin hat die Vorgabe des Art. 23 Satz 2 des Gesetzes über den Rechtsschutz bei überlangen Gerichtsverfahren und strafrechtlichen Ermittlungsverfahren eingehalten. Hiernach gilt für anhängige Verfahren, die bei Inkrafttreten des Gesetzes schon verzögert sind, § 198 Abs. 3 GVG mit der Maßgabe, dass die Verzögerungsrüge unverzüglich nach dem Inkrafttreten erhoben werden muss. In diesem Fall wahrt sie gemäß Art. 23 Satz 3 des Gesetzes über den Rechtsschutz bei überlangen Gerichtsverfahren und strafrechtlichen Ermittlungsverfahren einen Anspruch nach § 198 GVG auch für den vorausgehenden Zeitraum. Die Klägerin hat auf das Inkrafttreten des Gesetzes am 3. Dezember 2011 ohne schuldhaftes Zögern, nämlich am 22. Dezember 2011, Verzögerungsrüge erhoben.
Die Klägerin hat die Entschädigungsklage auch gemäß § 198 Abs. 5 Satz 1 GVG frühestens sechs Monate nach der Verzögerungsrüge, nämlich am 25. Juni 2012, erhoben.
Die Dauer des von der Klägerin geführten Gerichtsverfahrens war unangemessen lang.
Gerichtsverfahren im Sinne von § 198 Abs. 1 Satz 1 GVG ist das Verfahren ab Erhebung der Klage vor dem Verwaltungsgericht, nicht jedoch schon ab Beginn des Widerspruchsverfahrens (vgl. Senatsurteil vom 27. März 2012 - OVG 3 A 1.12 -, juris Rn. 24 f.: Roderfeld, in: Marx/Roderfeld, a.a.O., § 198 Rn. 187; Marx, a.a.O., § 173 VwGO Rn. 9). Der Widerspruch ist angesichts der Möglichkeit der Erhebung einer Untätigkeitsklage eine wirksame Beschwerde im Sinne von Art. 13 EMRK und die gerichtliche Behandlung der Untätigkeitsklage ist ihrerseits am Maßstab des Art. 6 Abs. 1 Satz 1 EMRK zu messen.
Der Senat lässt offen, ob Gerichtsverfahren im Sinne von § 198 Abs. 1 Satz 1 GVG stets das einheitlich zu betrachtende Verfahren in allen Rechtszügen (hier: vor dem Verwaltungsgericht und dem Oberverwaltungsgericht) ist oder ob der Begriff auch das Verfahren lediglich in einer bestimmten Rechtsstufe (hier: vor dem Verwaltungsgericht) umfassen kann. Die Frage hat der Senat mangels Entscheidungsrelevanz bereits in seinem Urteil vom 27. März 2012 (OVG 3 A 1.12, juris Rn. 28 ff. mit Nachweisen zur insoweit nicht eindeutigen Rechtsprechung. des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte - EGMR - und des Bundesverfassungsgerichts - BVerfG) offen gelassen. In dem weiteren Urteil vom 12. September 2012 (OVG 3 A 2.12, juris Rn. 23) hat er eine Gesamtbetrachtung jedenfalls dann für geboten gehalten, wenn sich ein Gerichtsverfahren über zwei Instanzen erstreckt und der Kläger allein die unangemessene Verfahrensdauer der Rechtsmittelinstanz rügt. Im hiesigen Fall wurde der das Verfahren vor dem 9. Senat des Oberverwaltungsgerichts Berlin-Brandenburg einleitende Zulassungsantrag am 13. August 2012 gestellt, mithin vor 6 ½ Monaten. Der 9. Senat hat bis zum 12. September 2012, dem Ablauf der ab Zustellung des erstinstanzlichen Urteils laufenden Zweimonatsfrist des § 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO, das Zulassungsvorbringen der Klägerin abwarten dürfen. Der Beklagte hat am 2. Oktober 2012 erwidert. Die Klägerin hat hierzu am 9. Oktober 2012 Stellung genommen. Eine Förderung des Verfahrens ist dem 9. Senat im Anschluss dadurch erschwert worden, dass ihm die Sachakten wegen der Klageerhebung im Entschädigungsverfahren nicht durchgehend vorgelegen haben. In einem solchen Falle, in dem das zweitinstanzliche Verfahren erst seit verhältnismäßig kurzer Zeit spruchreif ist und die Akten aufgrund von der Klägerin zu vertretender Umstände nicht durchgehend vorliegen, lassen sich noch keine Feststellungen zur Angemessenheit der Verfahrensdauer treffen. Es ist daher nicht zu beanstanden, wenn die Klägerin ihr Begehren darauf beschränkt hat, das erstinstanzliche Verfahren habe unangemessen lang gedauert.
Ob der Anspruch eines Verfahrensbeteiligten auf Entscheidung seines gerichtlichen Verfahrens in angemessener Zeit verletzt wurde, ist im Lichte der Rechtsprechung des EGMR zu Art. 6 Abs. 1 EMRK sowie des Bundesverfassungsgerichts zu Art. 19 Abs. 4, 20 Abs. 3 GG zu beurteilen (vgl. auch BT-Drs. 17/3802, S. 1, 15). Das Gesetz über den Rechtsschutz bei überlangen Gerichtsverfahren und strafrechtlichen Ermittlungsverfahren stellt einen Rechtsbehelf im Sinne von Art. 13 EMRK dar (vgl. Senatsurteil vom 27. März 2012, a.a.O., Rn. 25). Danach reicht es nicht aus, dass ein Gerichtsverfahren lange, sehr lange oder aus der Sicht der Beteiligten zu lange dauert, sondern es muss ein Verstoß gegen Art. 6 Abs. 1 EMRK, Art. 19 Abs. 4 GG vorliegen. Als Maßstab nennt § 198 Abs. 1 Satz 2 GVG die Umstände des Einzelfalls, insbesondere die Schwierigkeit und Bedeutung des Verfahrens sowie das Verhalten der Verfahrensbeteiligten und Dritter (vgl. insoweit auch EGMR, Urteil vom 24. Juni 2010, Beschwerde Nr. 21423/07, Rn. 32).
Das von der Klägerin geführte Verfahren war nicht überdurchschnittlich schwierig. Gegenstand des Verfahrens war ein Gebührenbescheid. Hiergegen hatte die Klägerin im Wesentlichen eingewandt, der Gebührensatz sei überhöht, weil die von dem Verband betriebene Anlage überdimensioniert sei und der Verband einen Vertrag mit einem Dritten zu Lasten der Gebührenpflichtigen geschlossen habe. Nach eigener Darstellung des Beklagten lag bereits Rechtsprechung des OVG Frankfurt (Oder) vor, deren Anwendbarkeit noch geprüft werden musste. Die von der Klägerin erhobenen Rügen waren zudem im Wesentlichen pauschaler Art. Der Schwierigkeitsgrad nahm auch nicht dadurch zu, dass eine Vielzahl vergleichbarer Klagen vorlag und das Verwaltungsgericht vorab über die Klage in einem „Musterverfahren“ (VG ...) entschied. Diese Vorgehensweise beruhte allein auf prozessökonomischen Gründen.
Das Verfahren war für die Klägerin angesichts des Streitwerts von über 2.100 Euro von nicht mehr ganz geringer Bedeutung. Die Klage gegen die Bescheide des ... hatte keine aufschiebende Wirkung, da es sich um die Anforderung öffentlicher Abgaben und Kosten im Sinne von § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 VwGO handelte. Gravierende Auswirkungen, insbesondere auf ihr tägliches Leben (vgl. Verfassungsgericht des Landes Brandenburg, Beschluss vom 28. März 2001 - 2/01 -, DVBl. 2001, 912 = juris Rn. 9), hat sie allerdings nicht vorgetragen. Zu berücksichtigen ist zudem, dass ein Grundstückseigentümer sich bewusst sein muss, dass er für die Schmutzwasserentsorgung Zahlung zu leisten hat. Der Beklagte wäre zudem selbst im Falle des Obsiegens der Klägerin nicht gehindert gewesen, bis zum Eintritt der Festsetzungsverjährung (vgl. § 12 Abs. 1 Nr. 4 Buchstabe b KAG Bbg in Verbindung mit § 171 Abs. 3a Satz 3 AO, § 100 Abs. 1 Satz 1 FGO) aufgrund einer berichtigten Kalkulation erneut und rückwirkend Gebühren für den Abrechnungszeitraum einzufordern. Die Klägerin konnte dementsprechend höchstens darauf hoffen, bei einer Neukalkulation geringere Gebühren zahlen zu müssen. Aufgrund früherer Abschlagszahlungen sowie durch Verrechnung mit einem früheren Saldo ergab sich im konkreten Fall ein Zahlbetrag von 716,16 Euro.
Eine besondere Bedeutung folgte nicht daraus, dass die Klägerin sich zur Einreichung weiterer Klagen für spätere Erhebungszeiträume veranlasst sah. Die noch ausstehende Entscheidung des Verwaltungsgerichts über die Klage in dem Verfahren VG ... hätte in rechtlicher Hinsicht keine Bindungswirkung entfaltet, weswegen der Klägerin weder der Tenor noch die Entscheidungsgründe zuverlässigen Aufschluss über den Erfolg etwaiger späterer Klageverfahren hätte geben können. Ihr Vorbringen lässt auch nicht erkennen, dass sie von der Einreichung der späteren Klagen abgesehen hätte, wenn ihr der für sie negative Ausgang des Verfahrens VG ... rechtzeitig bekannt gewesen wäre. Ferner zeigt sie nicht auf, dass und inwieweit - abgesehen von der fehlenden Bindungswirkung - selbst nur Erkenntnisse aus dem Verfahren VG ... auf spätere Verfahren übertragbar gewesen wären, beziehen sich die zugrunde liegenden Kalkulationen doch regelmäßig nur auf einen bestimmten Abrechnungszeitraum.
Was das Verhalten der Beteiligten angeht, erhob die Klägerin am 26. Februar 2009 Klage und bezog sich am 21. Juli 2009 zur Klagebegründung auf einen Schriftsatz ihrer Verfahrensbevollmächtigten in dem Parallelverfahren VG .... Soweit sie die am 26. August 2009 überreichte Klagebegründung nur deswegen als vorläufig bezeichnete, weil sie eine endgültige Klagebegründung von der Vorlage von Unterlagen - über Altlasten sowie einen Vertrag mit der Betreibergesellschaft des ... - durch den Beklagten abhängig machen wollten, ist dies plausibel. Nahezu zeitgleich legte der Beklagte am 25. August 2009 die Klageerwiderung vor und wiederholte dabei sein Vorbringen in dem Parallelverfahren VG .... Am 28. Juni 2011 überreichte der Beklagte in dem Parallelverfahren Satzungsunterlagen, die auch für das hiesige Ausgangsverfahren von Bedeutung waren. Am 8. Juni 2012 übersandte die Klägerin mit Rücksicht auf das zwischenzeitlich ergangene Urteil des Verwaltungsgerichts in dem Parallelverfahren eine ergänzende Klagebegründung.
Was das Verwaltungsgericht angeht, durfte es bis August 2009 zunächst die Einreichung von Schriftsätzen durch die Beteiligten abwarten. Dabei ergab sich, dass diese das Parallelverfahren VG ... als „Musterverfahren“ erachteten und im Verfahren der Klägerin auf ihr Vorbringen in jenem Verfahren jeweils nur Bezug nahmen. Das hiesige Verfahren förderte das Verwaltungsgericht im Mai 2012, als es den Rechtsstreit dem Berichterstatter als Einzelrichter zur Entscheidung übertrug und für den 20. Juni 2012 eine mündliche Verhandlung anberaumte. Das klageabweisende Urteil hat das Verwaltungsgericht der Klägerin zeitnah im Juli 2012 zugestellt.
Zusammenfassend betrug die Gesamtdauer des Verfahrens rund 3 Jahre und 5 Monate. Davon ging ca. ein halbes Jahr zu Verfahrensbeginn auf das Verhalten der Verfahrensbeteiligten zurück. Im Anschluss ließ das Verwaltungsgericht die Klage unbearbeitet, um zunächst das „Musterverfahren“ zu fördern. Zwar kann es unter bestimmten Umständen angemessen sein, wenn nationale Gerichte aus verfahrensökonomischen Gründen den Ausgang parallel laufender Verfahren abwarten. Die Beteiligten erklärten sich mit einer derartigen Verfahrensweise auch konkludent einverstanden. Die Verfahrensweise muss jedoch im Hinblick auf die besonderen Umstände der Rechtssache verhältnismäßig sein. Maßgeblich ist insoweit darauf abzustellen, dass das „Musterverfahren“ seinerseits zügig betrieben wird (vgl. EGMR, Urteil vom 25. Februar 2010, Beschwerde Nr. 36395/07, juris Rn. 40, m.w.N.). Dies war in Bezug auf das Verfahren VG ... nicht der Fall.
Wie der Beklagte vorträgt, ging die Klage in dem „Musterverfahren“ im Februar 2009 bei dem Verwaltungsgericht ein. Im Mai 2009 nahm der dortige Kläger Akteneinsicht, im August 2009 reichte er eine Klagebegründung ein, wobei ihm deren Bezeichnung als vorläufig aus den oben genannten Gründen nicht zum Nachteil gereicht. Im Oktober 2009 erwiderte der Beklagte. Dass der Kläger auf den Hinweis des Verwaltungsgerichts, angesichts des hohen Verfahrensstandes könne ein Termin nicht in Aussicht gestellt werden, später keine Sachstandsanfragen an das Verwaltungsgericht richtete, ist ihm nicht zur Last zu legen, da die Mitteilung des Verwaltungsgerichts klar erkennen ließ, eine Förderung des Verfahrens werde auf absehbare Zeit nicht in Betracht kommen. Wie sich weiter aus dem Vorbringen des Beklagten ergibt, erbat das Verwaltungsgericht im März 2011 die Vorlage von Satzungsunterlagen durch den Beklagten. Im Juni 2011 nahm der Kläger erneut Akteneinsicht. Im Januar 2012 wurde ein Termin zur mündlichen Verhandlung für Mai 2012 bestimmt. Im Anschluss erging ein mittlerweile rechtskräftiges Urteil.
Nach alledem benötigte das Verwaltungsgericht für die Bearbeitung des „Musterverfahrens“ 3 ¼ Jahre, ohne dass das Verhalten der Beteiligten in dem Zeitraum nach Oktober 2009 maßgeblich zur Verzögerung beigetragen hätte. Eine solche Verfahrensdauer stellt keine zügige Erledigung im Sinne der oben genannten Rechtsprechung des EGMR mehr dar.
Der Beklagte kann sich nicht auf die allgemeine Belastung der Verwaltungsgerichte in dem fraglichen Zeitraum sowie die besondere Belastung des Verwaltungsgerichts ... berufen. Die Gerichte haben sich mit zunehmender Dauer nachhaltig um eine Beschleunigung des Verfahrens zu bemühen (vgl. BVerfG, Beschluss vom 2. Dezember 2011 - 1 BvR 314/11 -, WM 2012, 76 = juris Rn. 7). Der Beklagte ist verpflichtet, seine Rechtsordnung so zu organisieren, dass seine Gerichte in der Lage sind, das Recht des Einzelnen zu garantieren, innerhalb einer angemessenen Frist eine rechtskräftige Entscheidung zu erwirken, wobei ein zeitweiliger Rückstand bei der Geschäftserledigung der Gerichte nach der Rechtsprechung des EGMR nur dann nicht zur Haftung führt, wenn mit der gebotenen Schnelligkeit geeignete Abhilfemaßnahmen getroffen werden (vgl. EGMR, Urteil vom 24. Juni 2010, Beschwerde Nr. 21423/07, Rn. 34). Dies war nicht der Fall.
Soweit der Beklagte vorträgt, seit November 2010 hätten sechs besonders erfahrene und qualifizierte Richter das Verwaltungsgericht verlassen, war es seine Aufgabe, für angemessenen Ersatz zu sorgen. Beförderungen zählen zu den üblichen Vorgängen an einem erstinstanzlichen Gericht und müssen, wenn die Geschäftslage es erfordert, durch Nachbesetzungen kompensiert werden. Dass der Beklagte trotz der verhältnismäßig geringen Größe des Verwaltungsgerichts ... und der hohen Arbeitsbelastung im Januar 2012 eine besonders erfahrene und qualifizierte Dienstkraft abordnete - die zweite derartige Abordnung erfolgte im August 2012 zeitlich nach dem Urteil im Verfahren des Klägers - und damit das Verwaltungsgericht personell weiter schwächte, muss er sich zurechnen lassen. Nach seiner eigenen Darstellung ließ er während der Anhängigkeit des Verfahrens des Klägers den Richterbestand von 23 auf 20,5 besetzte Richterstellen sinken. Dass der Bestand später erheblich auf 27,75 Richterstellen erhöht wurde, zeigt, wie schwerwiegend der Beklagte selbst die Situation einschätzte. Als er zwischen August 2010 und Januar 2011 insgesamt fünf Richterarbeitskräfte an das Verwaltungsgericht Frankfurt (Oder) abordnete oder Beschäftigungsaufträge erteilte, war das Verfahren des Klägers bereits eineinhalb beziehungsweise zwei Jahre alt. Erst im Dezember 2010 wurde die 8. Kammer gebildet, die gezielt Altverfahren abbauen sollte. Dem „Musterverfahren“ kam indes auch diese Maßnahme zunächst nicht zugute. Es wurde im Wesentlichen erst im Jahr 2012 gefördert.
Auch die von dem Beklagten dargelegte Fluktuation in der zunächst zuständigen 5. Kammer des Verwaltungsgerichts ... entlastet ihn nicht. Ist ein Spruchkörper durch Unterbesetzung oder wiederholten Wechsel in der personellen Zusammensetzung nicht mehr in der Lage, länger anhängige Verfahren zu fördern, muss das Präsidium erforderlichenfalls Gegenmaßnahmen ergreifen, indem es den Spruchkörper personell hinreichend verstärkt oder für alte Verfahren die Zuständigkeit eines anderen Spruchkörpers begründet (vgl. Verfassungsgericht des Landes Brandenburg, Urteil vom 17. Dezember 2009 - 30/09 - , NVwZ 2010, 378 = juris Rn. 21). Zwar ist Ersteres durch wiederholte Zuweisung von Richtern zur 5. Kammer, Letzteres im Juli 2009, November 2010 und Juli 2011 durch Entlastung der 5. Kammer um abgabenrechtliche Streitigkeiten unternommen worden. Die Maßnahmen reichten aber offenbar nicht aus, wie an der weiterhin nicht erfolgten Förderung des „Musterverfahrens“ sowie an dem eigenen Vorbringen des Beklagten erkennbar wird, die 5. Kammer sei mit komplexen, aufgrund ihrer Entscheidungsreife und des zeitlichen Vorrangs - demnach einer im Verhältnis noch längeren Wartezeit - zunächst zu bearbeitenden umweltrechtlichen Streitsachen belastet gewesen. Erst im Juli 2011 begründete das Präsidium für das zu dem Zeitpunkt seit 1 ¾ Jahren im Wesentlichen nicht geförderte „Musterverfahren“ die Zuständigkeit der 8. Kammer, die allerdings ihrerseits weitere zehn Monate Abhilfe nicht schaffen konnte.
In diesem Lichte ist dem Beklagten zwar der Umstand, für sich genommen, zugute zu halten, dass das Verwaltungsgericht nach der Entscheidung über die Klage in dem „Musterverfahren“ zeitnah, nämlich im Juli 2012, über die Klage der Klägerin befunden hat. Zu jenem Zeitpunkt war die Dauer ihres Verfahrens angesichts der nicht mehr zügigen Erledigung des „Musterverfahrens“ jedoch schon unangemessen lang. Allerdings beschränkte sich die Unangemessenheit auf einen Zeitraum von deutlich unter einem Jahr.
Für den aufgrund der unangemessenen Dauer des Gerichtsverfahrens zu vermutenden Nachteil, der nicht Vermögensnachteil ist (vgl. § 198 Abs. 2 Satz 1 GVG), ist eine Entschädigung auch im Hinblick auf die Subsidiaritätsklausel des § 198 Abs. 2 Satz 2 GVG zu gewähren. Danach kann Entschädigung nur beansprucht werden, soweit nicht nach den Umständen des Einzelfalls Wiedergutmachung auf andere Weise gemäß § 198 Abs. 4 GVG, also insbesondere durch die Feststellung, dass die Verfahrensdauer unangemessen war, ausreichend ist. Im Falle der Klägerin genügt eine derartige Feststellung nicht mehr. Das Verfahren vor dem Verwaltungsgericht hat eine noch angemessen erscheinende Verfahrensdauer zwar nicht wesentlich überschritten. Es hatte für die Klägerin angesichts des Streitwerts von über 2.100 Euro jedoch eine nicht mehr ganz geringe Bedeutung (vgl. BT-Drs. 17/3802, S. 20). Andere hinreichende Kompensationsmöglichkeiten wie zum Beispiel im Strafverfahren (vgl. EGMR, Urteil vom 29. Juli 2004, Beschwerde Nr. 49746/99, Rn. 67 f.; BT-Drs. 17/3802, S. 20) sind nicht ersichtlich.
Der Entschädigungsbetrag für den vermuteten immateriellen Schaden beläuft sich gemäß § 198 Abs. 2 Satz 3 GVG pauschal auf 1.200 Euro für jedes Jahr der Verzögerung, wobei für Zeiträume unter einem Jahr eine zeitanteilige Berechnung erfolgt (vgl. BT-Drs. 17/3802, S. 20). Bei einer Unangemessenheit der Verfahrensdauer im Umfang von fünf Monaten ergäbe sich hieraus ein Entschädigungsbetrag von 500 Euro. Auf Grund der besonderen Umstände des Einzelfalls - der nicht wesentlichen Überschreitung der noch angemessenen Verfahrensdauer und der wenn auch nicht mehr ganz geringen, so doch eher im unteren Spektrum verwaltungsgerichtlicher Streitigkeiten anzusiedelnden Bedeutung des Verfahrens für die Klägerin, die zudem mit dem Erlass eines von Fehlern bereinigten erneuten Gebührenbescheides hätte rechnen müssen (siehe oben) - wäre indessen die Festsetzung des pauschalen Entschädigungsbetrages unbillig. Der Senat macht daher von seiner Befugnis nach § 198 Abs. 2 Satz 4 GVG Gebrauch und setzt die Entschädigung in der Höhe der Hälfte des sich nach § 198 Abs. 2 Satz 3 GVG ergebenden Betrages fest.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 155 Abs. 1 Satz 1 VwGO. Der Senat hat gemäß § 201 Abs. 4 GVG die Kosten nach billigem Ermessen zu verteilen. Durch diese gesetzliche Regelung kann nicht nur - hier nicht einschlägig - vermieden werden, dass der Beklagte bei unverhältnismäßig hohem Streitwert mit unangemessen hohen Kosten zu rechnen hat (vgl. BT-Drs. 17/3802), sondern auch umgekehrt gewürdigt werden, dass die Entschädigungsvorstellungen der Klägerin nicht aus der Luft gegriffen sind.
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 173 Satz 2 VwGO, § 201 Abs. 2 Satz 1 GVG i.V.m. § 167 Satz 1 VwGO, §§ 708 Nr. 11, 711 Satz 1 ZPO.
Die Revision ist zuzulassen, da nach § 173 Satz 2 VwGO, § 201 Abs. 2 Satz 3 GVG, § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO der Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung vorliegt.