Die Beteiligten streiten um Krankenhausbehandlungskosten in Höhe von 46.864,80 Euro.
Der bei der Klägerin versicherte und unter myeloischer Leukämie leidende T (im Folgenden: der Versicherte) befand sich vom 10. September 2001 bis zum 6. Dezember 2001 (87 Tage) in stationärer Krankenhausbehandlung bei der Beklagten. Zwischen den Beteiligten ist umstritten, ob der Versicherte hier intensivmedizinisch im Sinne des Vergütungsrechts behandelt wurde.
In der der Klägerin von der Beklagten vorgelegten Aufnahmeanzeige für den Versicherten vom 24. September 2001 war als Station „Fachabteilung 3690“ (Fachabteilung Onkologie, onkologische Betten mit und ohne Intensivüberwachung) angeführt; in der Entlassungsanzeige vom 11. Dezember 2001 wurde angegeben, dass sämtliche Eingriffe nach dem Prozedurenschlüssel OPS-301 in der hämatologisch-onkologischen Fachabteilung (Fachabteilung 500) durchgeführt worden seien, mit Ausnahme der am 25. Oktober 2001 durchgeführten Revision des venösen Katheters (Operation 5-399.6, Fachabteilung 3600). In der von der Beklagten im Gerichtsverfahren vorgelegten Aufnahme- und Entlassungsanzeige (Ausdruckdatum 6. August 2004) war „Fachabteilung 3600“ (Intensivstation) genannt.
Laut Entlassungsbericht vom 11. Februar 2002 erfolgte die Aufnahme zur Einleitung einer hochdosierten Chemotherapie mit dem Ziel einer Blastenreduktion vor geplanter allogener Transplantation (Schwester des Versicherten als geeignete Knochenmarks- bzw. Stammzellenspenderin). Der Versicherte wurde mit einem zentralvenösen Katheter versorgt und erhielt Chemotherapie. Während der Behandlung litt der Versicherte unter Diarrhoen, Fieber und Schmerzen im rechten Bein unklarer Genese. Wiederholt erfolgten Knochenmarkspunktionen. Das Ziel der Blastenreduktion wurde erreicht, doch eine Knochenmarkstransplantation wurde aufgrund der spezifischen Leiden des Versicherten (protrahierte Aplasie, multiple Infektionskomplikationen) nicht mehr für angezeigt gehalten.
Mit Endabrechnung vom 17. Dezember 2001 stellte die Beklagte der Klägerin (seinerzeit AOK Brandenburg) insgesamt 219.447,09 DM (112.201,52 Euro) in Rechnung:
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87 x Basispflegesatz vollstationär
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à 299,12 DM, insgesamt 26.023,44 DM,
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87 x Intensivpflegesatz
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à 2.223,25 DM, insgesamt 193.422,75 DM,
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DRG Systemzuschlag stationär
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0,90 DM,
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zusammen
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219.447,09 DM.
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Die Rechnungssumme wurde kurz darauf von der Klägerin beglichen.
In einer Stellungnahme vom 23. April 2002 hob der Medizinische Dienst der Krankenversicherung Berlin-Brandenburg (MDK, Dr. N) auf Veranlassung der Klägerin und in Würdigung des Entlassungsberichts vom 11. Februar 2002 hervor, dass der Versicherte nicht auf einer Intensivtherapiestation behandelt worden sei.
Mit Schreiben vom 11. Juni 2002 forderte die Klägerin die Beklagte hierauf zur Rückzahlung von 67.953,96 Euro auf. Gerechtfertigt sei nur der Pflegesatz für die Fachabteilung Onkologie, nicht aber für intensivmedizinische Behandlung.
Nachdem die Beklagte keine Rückzahlung geleistet hatte, hat die Klägerin am 15. Juli 2004 Klage erhoben mit dem Ziel der Verurteilung der Beklagten zur Zahlung von 67.953,96 Euro. Zur Begründung hat sie unter Bezugnahme auf weitere Stellungnahmen des MDK (Dr. N) vom 8. November 2004, vom 13. Juni 2005 und vom 2. August 2006 angeführt, der Versicherte sei offenkundig nicht intensivmedizinisch behandelt worden, denn sämtliche Maßnahmen seien in der Fachabteilung für Hämatologie und internistische Onkologie durchgeführt worden, was höchstens mit einer Intensivüberwachung einhergegangen sei. Es fehle auch an der Dokumentation einer intensivmedizinischen Behandlung. Zur Intensivmedizin gehöre Intensivüberwachung und –therapie. Bei genauer Betrachtung der konkreten Behandlung des Versicherten fehle es an letzterer. Es sei weder üblich noch notwendig, eine Chemotherapie wie diejenige des Versicherten auf einer Intensivstation durchzuführen. Intensivtherapie werde definiert als Behandlung Schwerstkranker, deren vitale Funktionen in lebensbedrohlicher Weise gestört und wiederherzustellen bzw. durch besondere Maßnahmen aufrechtzuerhalten seien. Der therapeutische Aufwand sei bei dem Versicherten zwar hoch gewesen, doch hätten seine Vitalfunktionen keiner Intensivtherapie bedurft. Daher dürfe nicht der Abteilungspflegesatz für die Intensivmedizin in Rechnung gestellt werden. Selbst wenn der Versicherte wegen seiner erhöhten Infektanfälligkeit überwachungspflichtig gewesen und damit erhöhter pflegerischer Aufwand einhergegangen sei, sei dies mit den Pflegesätzen für eine hämatologische bzw. internistisch-onkologische Abteilung abgegolten. Ein Vergleich des Abteilungspflegesatzes Hämatologie (355,65 Euro) etwa mit dem der allgemeinen Chirurgie (287,32 Euro) zeige, dass dem besonderen Aufwand der hämatologischen und internistisch-onkologischen Abteilung mit den üblichen Komplikationen Rechnung getragen werde. Es liege der Verdacht nahe, dass die Beklagte gegenüber der ursprünglich eingereichten Aufnahme- bzw. Entlassungsanzeige Veränderungen vorgenommen habe, um zu bewirken, dass die Behandlung des Versicherten wie eine intensivmedizinische erscheine. Sollte die Beklagte – wie behauptet – gegebenenfalls mit den Krankenkassenverbänden in Berlin vereinbart haben, dass eine chemotherapeutische Behandlung in der Abteilung Hämatologie bzw. internistische Onkologie durch die intensivmedizinischen Pflegesätze abzugelten sei, sei dies für die AOK das Landes Brandenburg ohne Belang.
Die Beklagte hat zur Entgegnung im Wesentlichen vorgebracht: Der Intensivpflegesatz unterliege einer Mischkalkulation von Intensivtherapie und Intensivüberwachung. Im Jahre 2001 seien von den 283 Intensivbetten der Beklagten 172 auf die Intensivtherapie und 111 – darunter das hier streitige – auf die Intensivüberwachung entfallen. Üblicherweise unterliege die Behandlung der akuten Leukämie der intensivmedizinischen Überwachung auf einer hämatologischen Intensivstation. Der personelle und der technische Betreuungsaufwand seien dabei erheblich: Notwendig seien nämlich tägliche laborchemische sowie zahlreiche bildgebende Untersuchungen, für die die Kapazitäten auf einer peripheren Station nicht gegeben seien. Außerdem unterliege der Patient intensiver apparativer Überwachung seiner Vitalfunktionen. Die Station WHO-S51i, auf der der Versicherte behandelt worden sei, sei schon immer eine Intensivstation der Hämatologie/Onkologie gewesen. Die dortige „Intermediate-Care-Einheit“ unterscheide sich grundlegend von der Pflege auf der Normalstation. Auf einer Normalstation ohne intensive Überwachung wäre der Versicherte fehl am Platze gewesen. Intensivüberwachung setze keine Lebensgefahr voraus, sondern wolle nur die rechtzeitige und angemessene Reaktion auf eine lebensgefährliche Situation sicherstellen. Die von der Klägerin gerügte unterschiedliche Bezeichnung der Fachabteilungen beruhe auf einer zwischenzeitlichen Änderung der Fachabteilungsschlüssel. Die ursprünglich angegebene Nr. 3690 bezeichne gerade die spezielle Zuweisung von Intensivbetten zur Hämatologie/Onkologie.
In der mündlichen Verhandlung vor dem Sozialgericht Potsdam am 19. Dezember 2006 hat die Klägerin ihre Klageforderung auf 46.864,80 Euro reduziert; vom 3. Oktober bis zum 29. Oktober 2001 habe eine intensivere Behandlung des Versicherten stattgefunden.
Das Sozialgericht Potsdam hat die Beklagte mit Urteil vom 19. Dezember 2006 zur Zahlung von 46.864,80 Euro verurteilt und ist zur Begründung dem Vorbringen der Klägerin gefolgt. Den Betrag habe die Beklagte ohne Rechtsgrund von der Klägerin erhalten. Eine sachgerechte Prüfung der Entgeltforderung habe die Beklagte vereitelt, indem sie dem MDK keine Akteneinsicht gewährt habe.
Gegen das ihr am 15. Februar 2007 zugestellte Urteil richtet sich die Berufung der Beklagten vom 7. März 2007. Zur Begründung vertieft sie ihr erstinstanzliches Vorbringen und erklärt ergänzend, der Versicherte sei nicht nur vorübergehend „intensiver behandelt“ worden; die gesamte Phase müsse einheitlich abgerechnet werden.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Potsdam vom 19. Dezember 2006 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Die Klägerin beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie hält die erstinstanzliche Entscheidung für zutreffend und betont, dass bei bloßer „Intensivüberwachung“ die Abrechnung des Intensivpflegesatzes von 1.136,73 Euro kalendertäglich nicht statthaft sei.
Wegen des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird im Übrigen auf den Inhalt der Gerichtsakte, des Verwaltungsvorgangs der Klägerin und der Patientenakte des Versicherten Bezug genommen, der, soweit wesentlich, Gegenstand der Erörterung in der mündlichen Verhandlung und der Entscheidungsfindung war.