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Entscheidung 4 T 67/19


Metadaten

Gericht LG Neuruppin 4. Zivilkammer Entscheidungsdatum 16.04.2019
Aktenzeichen 4 T 67/19 ECLI ECLI:DE:LGNEURU:2019:0416.4T67.19.00
Dokumententyp Beschluss Verfahrensgang -
Normen

Tenor

1. Die sofortige Beschwerde der Schuldnerin gegen den Beschluss des Amtsgerichts Neuruppin vom 15.01.2019, Az. 15 IK 441/15, wird zurückgewiesen.

2. Die Schuldnerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

3. Der Wert des Beschwerdeverfahrens wird auf 5.000,00 EUR festgesetzt.

4. Die Rechtsbeschwerde wird zugelassen.

Gründe

I.

Mit Beschluss des Amtsgerichts Neuruppin wurde am 03.09.2015 auf Antrag der Schuldnerin das Insolvenzverfahren über ihr Vermögen eröffnet. Forderungen waren im Verfahren bis zum 27.10.2015 anzumelden. Im Prüfungstermin vom 30.11.2015 wurden Forderungen in Höhe von 17.469,64 EUR zur Tabelle festgestellt. Mit ihrem Schreiben vom 03.09.2018 beantragte die Schuldnerin die vorzeitige Beendigung des Insolvenzverfahrens bei Ausgleichszahlung der noch offenen Summe. Mit Schreiben vom 17.09.2018 nahm die Insolvenzverwalterin zum Antrag der Schuldnerin Stellung und regte an, den Antrag auf vorzeitige Erteilung der Restschuldbefreiung zurückzuweisen. Zur Begründung verwies sie auf eine Unterdeckung der Masse in Höhe von 1.248,72 EUR. Nachdem die Schuldnerin Anfang Oktober 2018 einen Betrag in Höhe von 1.180,22 EUR zur Wertstellung der Unterdeckungssumme an die Insolvenzverwalterin überwiesen hatte, wiederholte sie ihren Antrag. In ihrer auf das Schreiben der Schuldnerin erfolgten Stellungnahme vom 24.10.2018 wies die Insolvenzverwalterin darauf hin, dass der Insolvenzmasse im Zeitraum vom 03.09.2015 bis 03.09.2018 kein ausreichender Betrag zugeflossen sei, der die vorzeitige Erteilung der Restschuldbefreiung gemäß § 300 Abs. 1 Nr. 2 InsO rechtfertigen würde.

Mit Beschluss vom 15.01.2019 hat das Amtsgericht Neuruppin den Antrag der Schuldnerin vom 03.09.2018 auf vorzeitige Erteilung der Restschuldbefreiung zurückgewiesen. Zur Begründung führt Amtsgericht aus, dass nach Abzug der Verwaltervergütung und den Gerichtskosten binnen der von § 300 Abs. 1 Nr. 2 InsO festgesetzten Frist, namentlich bis zum 03.09.2018, keine hinreichende Masse zur Verfügung gestanden habe, die eine Befriedigung i.H.v. 35 % ermöglicht hätte. Die nach Ablauf der Frist zum 03.10.2018 erfolgte Zahlung der Schuldnerin sei verspätet und auch im Übrigen nicht ausreichend gewesen, um die Quote von 35 % zu erreichen. Auf die weiteren Beschlussgründe (Bl. 27 f. der Akten) wird umfassend Bezug genommen.

Gegen den Beschluss wendet sich die Schuldnerin mit ihrer am 05.02.2019 beim Amtsgericht eingegangenen sofortigen Beschwerde. Die Schuldnerin vertritt die Ansicht, das Amtsgericht sei zu Unrecht der Annahme gefolgt, dass es sich bei § 300 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 InsO um eine Stichtagsregelung handele. Vielmehr sei davon auszugehen, dass einem Schuldner auch dann die Restschuldbefreiung vorzeitig zu erteilen ist, wenn er die erforderliche Mindestbefriedigungsquote von 35 % erst nach Ablauf von drei Jahren ab Verfahrenseröffnung erreicht. Dies müsse vorliegend erst recht gelten, weil sie, die Schuldnerin, die Frist nur geringfügig überschritten habe. Sie sei in Anbetracht ihrer beachtlichen Gesamtzahlungen an die Gläubiger besonders schützenswert, weshalb es nicht der Billigkeit entspreche, ihr wegen der minimalen Überschreitung der Dreijahresfrist von nur einem Monat die vorzeitige Restschuldbefreiung zu versagen. Zudem sei zu berücksichtigen, dass ihr bei Antragstellung am 03.09.2018 die Höhe der Verwaltervergütung nicht bekannt gewesen sei. Diese Information sei ihr erst nachträglich durch das Schreiben der Treuhänderin vom 17.09.2018 zur Kenntnis gelangt. Schließlich müsse zu ihren Gunsten Berücksichtigung finden, dass sie am 03.10.2018 noch einen weiteren Betrag in Höhe von 1.180,22 EUR geleistet und somit die Quote von 35 % über erfüllt habe.

Das Amtsgericht hat der Beschwerde mit Beschluss vom 04.03.2019 nicht abgeholfen und die Sache zur Entscheidung dem Landgericht Neuruppin vorgelegt.

II.

Die sofortige Beschwerde ist gemäß §§ 300 Abs. 4 S. 2, 6 Abs. 1, 4 InsO, 567 ff. ZPO statthaft, frist- und formgerecht eingelegt und insgesamt zulässig. Sie ist jedoch unbegründet.

Das Ausgangsgericht hat den Antrag der Schuldnerin auf vorzeitige Erteilung der Restschuldbefreiung mit zutreffender Begründung zurückgewiesen. Die Voraussetzungen des § 300 Abs. 1 S.2 Nr. 2 ZPO liegen nicht vor, da der Insolvenzverwalterin innerhalb eines Zeitraums von drei Jahren seit der Abtretung nicht ein Betrag zugeflossen ist, der eine Befriedigung der Forderungen der Insolvenzgläubiger in Höhe von mindestens 35 Prozent ermöglicht.

Die Schuldnerin greift die – zutreffenden - Berechnungen des Amtsgerichts zu dem um die Kosten des Verfahrens und der Vergütung der Verwalterin zu reduzierenden Massebestand, zu dem die Zahlungen der Schuldnerin berücksichtigenden Restbetrag und dem sich daraus ergebenden Quotenbetrag mit der Beschwerde nicht an. Sie opponiert gegen den ablehnenden Beschluss vornehmlich unter Billigkeitsgesichtspunkten und mit der Begründung, § 300 Abs. 1 S.2 Nr. InsO sei als Fristenregelung zu verstehen. Ferner argumentiert sie mit der Geringfügigkeit der Fristüberschreitung und ihrer Unkenntnis über die Höhe der in Abzug zu bringenden Verwaltervergütung. Sämtlichen Argumenten bleibt im Ergebnis der Erfolg versagt.

Soweit die Schuldnerin meint, die verspätete Zahlung sei insofern unerheblich, als die vorzeitige Restschuldbefreiung auch dann zu erteilen sei, wenn die erforderliche Mindestbefriedigungsquote von 35 % - wie hier - erst (geringfügig) nach Ablauf von drei Jahren erreicht werde, kann sie damit nicht durchdringen. Sinn und Zweck der gesetzlichen Regelung sprechen gegen diese Sichtweise.

Vor Einführung des § 300 InsO wurden besondere Anstrengungen des Schuldners in Hinblick auf die Befriedigung der Gläubiger weder verlangt noch honoriert. Mit der Einführung des § 300 InsO wollte der Gesetzgeber ein Anreizsystem zum Interessenausgleich schaffen, das dem Schuldner die Möglichkeit einer vorzeitigen Restschuldbefreiung dann einräumt, wenn er sich unter Einsatz überobligatorischer Anstrengungen um eine Befriedigung seiner Gläubiger bemüht. Aus Sicht des Beschwerdegerichts wäre eine Auslegung der Regelung dahingehend, dass beispielsweise ein Schuldner, der die Mindestquote nach § 300 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 InsO erst nach vier Jahren erbringen kann, dann eben nach vier Jahren die vorzeitige Restschuldbefreiung erlangt, uferlos und mit der gesetzgeberischen Intention nicht mehr zu vereinbaren. Da die mit § 300 Abs.1 Satz 2 Nr. 1 InsO eingeführte Verkürzung der Restschuldbefreiungsphase die Aussichten der Gläubiger, zu einer Befriedigung ihrer Forderungen zu gelangen, ohnehin erheblich verkürzt, würde das von der Schuldnerin angenommene weite Verständnis der Frist dazu führen, dass die Befriedigungschancen der Gläubiger noch weiter sinken würden. Dies widerspräche nicht nur dem Anreizsystem, auf das der Gesetzgeber erkennbar großen Wert gelegt hat, sondern in besonderem Maße dem mit der Einführung der Regelung intendierten sachgerechten Ausgleich der Interessen von Gläubiger und Schuldner. Auch wenn der Gesetzgeber nicht ausdrücklich klargestellt hat, dass es sich bei der Drei-Jahres-Frist um eine Stichtagsregelung handelt, kann die Frist unter Berücksichtigung des Ausnahmecharakters der Norm und der gesetzgeberischen Intention nur als solche verstanden werden.

Der Schuldnerin ist zuzugestehen, dass es sich im vorliegenden Fall um eine sehr geringfügige Überschreitung der Frist von lediglich einem Monat gehandelt hat. Eine Überziehung der Frist ist im Rahmen des § 300 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 InsO jedoch unabhängig von der Länge nicht zulässig. Dem Argument, es sei unbillig und entspräche nicht den gesetzgeberischen Willen, dem Schuldner die vorzeitige Restschuldbefreiung vorzuenthalten, wenn er die erforderliche Befriedigungsquote erst kurz nach Ablauf der Dreijahresfrist erzielen konnte, vermag das Beschwerdegericht nicht beizutreten. Auch in anderen Verfahrensordnungen führt eine lediglich geringfügige Fristenüberschreitung zum Rechtsverlust. Die damit verbundenen Konsequenzen sind jedoch aufgrund des berechtigten Bedürfnisses der am Prozess Beteiligten nach Rechtsklarheit und wegen der Befriedung des Rechtsverkehrs hinzunehmen. Dieses Verständnis des § 300 Abs. 1 S.2 Nr.2 InsO als Stichtagsregelung entspricht wiederum der Intention des Gesetzes. In der Begründung zum Regierungsentwurf heißt es ausdrücklich, dass die Verkürzung demjenigen Schuldner zuteilwerden soll, der die Mindestbefriedigungsquote „innerhalb von drei Jahren“ erzielt hat (BT-Drucks. 17/11268, S. 30). Hätte der Gesetzgeber die Erreichung einer Mindestbefriedigungsquote von 35 % an sich als ausreichend erachtet, wäre nicht ersichtlich, warum ein Schuldner dann nicht beispielsweise auch schon nach zwei Jahren vorzeitig Restschuldbefreiung erlangen können soll, wenn die Befriedigungsquote erreicht ist. Sinn und Zweck des Absatzes 1 Satz 2 Nr. 2 ist es vielmehr, als Ergebnis einer Abwägung zwischen den Interessen des Gläubigers und des Schuldners, vorzeitige Restschuldbefreiung zu ermöglichen, wenn der Schuldner innerhalb des vom Gesetzgeber festgelegten zeitlichen Rahmens in besonderer Weise Aufwand betrieben hat, der im Ergebnis einen beträchtlichen Beitrag zum Schuldenabbau leistet. Bei einer – wenn auch nur geringfügigen - Fristüberschreitung ist für die Annahme eines derartig besonderen Engagements des Schuldners kein Raum, weshalb ihm auch die Belohnungsfunktion der vorzeitigen Restschuldbefreiung versagt werden muss. Den von § 300 Abs. 1 S.2 Nr. 2 InsO formulierten strengen Anforderungen muss im Übrigen auch ein anwaltlich nicht vertretener Schuldner genügen. Lediglich aus Klarstellungsgründen sei angemerkt, dass die Schuldnerin offenbar schon im Jahr 2018 im Insolvenzverfahren anwaltlich durch ihren Prozessbevollmächtigten vertreten wurde. Anderenfalls ergäbe das als Anlage 2 zu den Gerichtsakten gereichte Schreiben, in welchem die Insolvenzverwalterin dem Prozessbevollmächtigten der Schuldnerin unter Bezugnahme auf ein von ihm verfasstes Schreiben aus Januar 2018 die Berechnung ihrer Vergütung persönlich zugesandt hat, keinen Sinn.

Die Argumentation der Schuldnerin, eine geringfügige Überschreitung der Frist sei deshalb hinzunehmen, weil sie zum Zeitpunkt des Ablaufs der Drei-Jahres-Frist keine Kenntnis von der konkreten Höhe der erst am 17.09.2018 bezifferten Vergütung der Treuhänderin gehabt habe, kann der Beschwerde ebenso wenig zu Erfolg verhelfen. Grundsätzlich trifft das Gesetz keine Aussage dazu, wie der Schuldner die Höhe der auf Verfahrenskosten und Mindestbefriedigungsquote zu erbringenden Zahlungen rechtsverbindlich klären kann. Es kann vorliegend jedoch dahinstehen, ob ein entsprechender originärer Auskunftsanspruch des Schuldners aus Fürsorgegesichtspunkten gegenüber dem Insolvenzgericht besteht (so u.a. Ahrens, Aktuelles Privatinsolvenzrecht, 3. Aufl. 2019, Rn. 1048) oder aber dem Schuldner ein direkter Auskunftsanspruch gegen den Insolvenzverwalter zuzubilligen ist, was angesichts der Rechtsstellung des Insolvenzverwalters gegenüber dem Schuldner, dem gemäß § 80 InsO zudem die Verwaltungs- und Verfügungsmacht über sein Vermögen entzogen ist und der während der Wohlverhaltensperiode sein pfändbares Einkommen an den Treuhänder abgetreten hat, naheliegt (in diesem Sinne: Waltenberger in: Kayser/Thole, Heidelberger Kommentar zur Insolvenzordnung, 9. Aufl. 2018, § 300 Rn. 12). Berücksichtigt man die Ausführungen des Bundesgerichtshofs zu § 231 InsO in einem ähnlich gelagerten Fall (Beschluss vom 24.03.2011 - IX ZB 67/10, ZInsO 2011, 777, Rz. 7), wird dem Schuldner jedenfalls grundsätzlich ein Auskunftsbedürfnis und auch -anspruch zugesprochen, da er anderenfalls sein Recht auf Verkürzung der Wohlverhaltensperiode nicht wahrnehmen kann. Dass die Schuldnerin explizit und im Sinne der von § 300 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 InsO vorgegebenen Frist rechtzeitig einen solchen Anspruch entweder beim Insolvenzgericht oder bei der Insolvenzverwalterin geltend gemacht hat, um den Anforderungen an die für eine vorzeitige Restschuldbefreiung erforderlichen überobligatorischen Bemühungen insgesamt gerecht zu werden, hat sie weder behauptet noch glaubhaft gemacht.

Letztlich verfängt auch das Argument der Schuldnerin, ihre Beschwerde müsse Erfolg haben, weil sie fälschlicherweise davon ausging, alles Erforderliche für die Erteilung der Restschuldbefreiung getan zu haben, nicht. Soweit vereinzelt die Ansicht vertreten wird, dem Schuldner sei unter Umständen bei schuldloser Versäumung der Frist des § 300 Abs.1 S. 2 Nr. 2 InsO Wiedereinsetzung in den vorherigen Stand zu gewähren (vgl. A. Schmidt, Privatinsolvenz, 4. Aufl., § 5 Rz. 70), kann die Schuldnerin mangels Glaubhaftmachung des fehlenden Verschuldens an der Fristüberschreitung hieraus nichts zu ihren Gunsten herleiten. Dass sie aus subjektiver Sicht von der Richtigkeit ihrer Berechnung ausging, rechtfertigt die Annahme eines Wiedereinsetzungsgrundes nicht.

Die Entscheidung über die Kosten folgt aus den §§ 4 InsO, 97 Abs. 1 ZPO. Bei der Festsetzung des Gegenstandswertes schätzt das Beschwerdegericht das Interesse der Beschwerdeführerin gem. § 23 Abs. 2 S. 1, Abs. 3 S. 2 RVG auf 5.000,00 €.

Die Kammer lässt entsprechend der Anregung der Schuldnerin die Rechtsbeschwerde wegen der grundsätzlichen Bedeutung zu. Die in der Literatur unterschiedlich bewertete Frage, ob dem Schuldner die vorzeitige Restschuldbefreiung auch dann zu erteilen ist, wenn die erforderliche Mindestbefriedigungsquote von 35 % erst nach Ablauf der dreijährigen Frist nach Verfahrenseröffnung erreicht ist, ist - soweit ersichtlich - höchstrichterlich nicht entschieden.