Gericht | LSG Berlin-Brandenburg 3. Senat | Entscheidungsdatum | 15.12.2011 | |
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Aktenzeichen | L 3 U 146/10 | ECLI | ||
Dokumententyp | Urteil | Verfahrensgang | - | |
Normen | § 7 SGB 7, Art 3 Abs 1 GG, Art 19 Abs 3 GG, Art 19 Abs 4 GG, Art 20 Abs 2 S 2 GG |
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Neuruppin vom 20. Mai 2003 wird zurückgewiesen.
Kosten sind weder für das Klage- noch für das Berufungsverfahren zu erstatten.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Die Klägerin begehrt von der Beklagten die Herabsetzung der Gefahrklassen nach den Gefahrtarifen 1995 und 1998.
Die Klägerin ist ein Unternehmen der gewerbsmäßigen Arbeitnehmerüberlassung und aufgrund des Aufnahmebescheids vom 06. August 1997 seit dem 01. Januar 1997 Mitglied der Beklagten. Sie verlieh im verfahrensgegenständlichen Zeitraum ihren Angaben zufolge Arbeitnehmer ausschließlich im Heizungs- und Installateurgewerbe in Gruppen von 30 bis 70 Personen an bis zu 15 Entleiher pro Jahr mit einer durchschnittlichen Verleihdauer von drei bis sechs Monaten. Rund 80 % ihrer Arbeitnehmer waren nach ihren Angaben Facharbeiter.
Die Beklagte stufte die Klägerin mit Bescheid vom 06. August 1997 im Gefahrtarif 1995 Teil I in die Gefahrtarifstellen 23 (Unternehmen der gewerbsmäßigen Arbeitnehmerüberlassung – Beschäftigte, die ausschließlich in kaufmännischen und verwaltenden Unternehmensteilen der Verleiher und Entleiher eingesetzt sind und ausschließlich kaufmännische und verwaltende Tätigkeiten verrichten; Gefahrklasse 1,60) und 24 ein (Unternehmen der gewerbsmäßigen Arbeitnehmerüberlassung – Beschäftigte, die nicht in der Gefahrtarifstelle 23 genannten Voraussetzungen erfüllen; Gefahrklasse 12,80 im Jahr 1995, 15,80 im Jahr 1996, 18,80 in den Jahren 1997 bis 1999). Teil II Nr. 2 S. 1 des Gefahrtarifs 1995 lautet: „Ergibt sich in Einzelfällen, dass wegen einer von der üblichen erheblich abweichenden Betriebsweise die Unternehmen geringeren oder höheren Gefahren unterliegen als die, für die die Gefahrklasse im Teil I berechnet ist, so kann die Berufsgenossenschaft die Gefahrklasse um 10 bis 50 vom Hundert herabsetzen oder heraufsetzen.“
Die Beklagte erließ zum Gefahrtarif 1995 für die zur Gefahrtarifstelle 24 zu veranlagenden Unternehmen einen Kriterienkatalog, wonach Voraussetzungen für eine Herabsetzung der Gefahrklasse die Einhaltung der sicherheitstechnischen Standards, eine von der üblichen erheblich abweichende Betriebsweise und eine deswegen wesentlich verringerte Unfallgefährdung seien. Als Indizien für eine von der üblichen erheblich abweichende Betriebsweise werden genannt:
- Leiharbeitnehmer werden für Tätigkeiten, die dem erlernten (Aus- oder Fortbildung) Beruf entsprechen, überlassen
- die Überlassung von Helfern unterschreitet 15 % der Gesamtüberlassungsstunden
- es werden konstante Arbeitsgruppen überlassen
- es wird an äußerst wenige Entleiher verliehen
- es wird eine besondere Arbeitsschutzorganisation festgestellt (Anlage)
- Sonstiges.
Für das Vorliegen einer besonderen Arbeitsschutzorganisation (bAsO) verlangte die Beklagte nach der zuvor in Bezug genommenen Anlage die Erfüllung von neun weiteren Kriterien.
Ab 1998 stufte die Beklagte die Klägerin mit Bescheid vom 31. März 1998 im Gefahrtarif 1998 in die – wie die Gefahrtarifstellen im Gefahrtarif 1995 Teil I lautenden - Gefahrtarifstellen 48 und 49 zu den Gefahrklassen 0,57 und 10,66 ein. Teil II Nr. 2a des Gefahrtarifs 1998 lautet: „Ergibt sich in Einzelfällen, dass wegen einer von der üblichen erheblich abweichenden Betriebsweise oder Betriebseinrichtung ein Unternehmen geringeren oder höheren Gefahren unterliegt als die, für die die Gefahrklasse im Teil I berechnet ist, so kann die Berufsgenossenschaft die (in Teil I festgesetzte) Gefahrklasse um 10 bis 30 v.H. herabsetzen oder heraufsetzen.“
Mit Anwaltsschreiben vom 26. Januar 1999 beantragte die Klägerin u.a. die Herabsetzung der Gefahrklassen nach den Gefahrtarifen 1995 und 1998. Die Beklagte holte eine Stellungnahme ihres Präventionsstabs vom 22. Juli 1999 ein und lehnte den Antrag mit Bescheid vom 24. Oktober 2001 ab. Sie führte zur Begründung aus, eine von der üblichen erheblich abweichende Betriebsweise sei nicht erkennbar. Eine monostrukturelle Spezialisierung auf das Heizungs- und Installateurgewerbe sei häufig mit ausschließlich regionalen Überlassungen verbunden. Auch die Spezialisierung der Arbeitnehmerüberlassung auf wenige Kunden bzw. Stammkunden und Facharbeiter entspreche nicht unüblichen Vorkommnissen in der Zeitarbeitsbranche und könne deshalb nicht zu einer Herabsetzung führen. Gleiches gelte für lange Überlassungszeiten und Arbeitsgruppen. Oft werde sogar die gesetzlich auf zwölf Monate beschränkte Überlassungsdauer genutzt. Für eine Ermessensentscheidung bestehe schon mangels Erfüllung des Herabsetzungstatbestands kein Raum. Die Klägerin erhob am 29. Oktober 2001 Widerspruch und verwies auf ihre Verleihpraxis, aus welcher sich ihrer Auffassung nach Besonderheiten ergäben, welche eine Herabsetzung rechtfertigten. Durch die hohe Qualifizierung ihrer Arbeitnehmer reduzierten sich die Unfallgefahren erheblich, indem sie nur mit wenigen Entleihern zusammenarbeite, überdurchschnittliche viele Facharbeiter zudem zu einer überdurchschnittlichen Verleihdauer verleihe. Der Kriterienkatalog zum Gefahrtarif 1995 sei auch dem Gefahrtarif 1998 zugrunde zu legen. Die Beklagte wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 12. Dezember 2001 zurück. Sie hielt an ihrer bisherigen Begründung fest und führte ergänzend aus, dass die Klägerin insbesondere nicht die Kriterien einer bAsO erfülle. Allein schon deshalb komme eine Herabsetzung nicht in Betracht. Da sie unter Anwendung des veröffentlichten Kriterienkatalogs auch anderen Unternehmen gegenüber so verfahre, entspreche die Behandlung der Klägerin auch dem Grundsatz der Gleichbehandlung. Hinzukomme, dass sie mit der Einführung des neuen Gefahrtarifs 1998 die Anwendung des bisherigen Kriterienkatalogs nicht übernommen habe. Da die Klägerin nicht sämtliche Kriterien des Kriterienkatalogs zum Gefahrtarif 1995 erfüllt habe, bestehe auch kein schützenswertes Vertrauen in die Fortgeltung unter dem Gefahrtarif 1998.
Die Klägerin hat ihr Begehren mit der am 17. Dezember 2001 zum Sozialgericht Neuruppin (SG) erhobenen Klage weiterverfolgt. Sie hat die Meinung vertreten, dass die Beklagte nicht ihrer Amtsermittlungspflicht nachgekommen sei, und hierzu behauptet, die neun Punkte der bAsO zu erfüllen. Ferner habe die Beklagte nicht den Stundenanteil der Facharbeiter festgestellt. Unzutreffend berufe sich die Beklagte darauf, dass der Kriterienkatalog unter dem Gefahrtarif 1998 nicht mehr gelte, zumal die Beklagte auch für den Tarifzeitraum 1998 Herabsetzungen nach dem Kriterienkatalog anderen Zeitarbeitunternehmen gegenüber gewährt habe. Die Beklagte habe bei der Frage der Herabsetzung einen Beurteilungsspielraum, mit der Folge, dass sie die Beurteilungsrichtlinien für alle Unternehmen in gleicher Weise und gleichförmig anwenden müsse. Auch unabhängig davon habe die Klägerin einen Anspruch auf Gleichbehandlung. Zur Untermauerung ihres Vorbringens hat die Klägerin auf landessozialgerichtliche Rechtsprechung verwiesen. Maßgeblich seien die im jeweiligen Unternehmen wirksam werdenden Faktoren, die eine geringere Unfallgefahr herbeiführten als in den anderen Unternehmen des Unternehmenszweiges der betreffenden Gefahrtarifstelle, wozu der gesamte Aufbau und Ablauf des Betriebes zu bewerten sei. Die Klägerin hat auf eine zwischen der Beklagten und anderen Zeitarbeitsunternehmen geschlossene Vereinbarung „über die Fortführung der Verfahren betr. Herabsetzungen nach dem Gefahrtarif 1995“ vom 09. Oktober 2000 verwiesen. Die Beklagte müsse sich an ihrer eigenen Verwaltungsübung festhalten lassen. Die Klägerin hat schließlich behauptet, dass sogar zu mehr als 90 % der Mitarbeiter der Klägerin, die verliehen worden seien, in den Zeiträumen von 1995 bis 1997 wie auch von 1998 bis 2000 Facharbeiter gewesen seien. Mehr als 90 % ihrer angefallenen Arbeitsstunden seien Facharbeiterstunden gewesen. Die Klägerin hat eine Liste der bei ihr von 1997 bis 2000 tätig gewesenen Mitarbeiter mit Kennzeichnung ihrer Qualifikation vorgelegt.
Die Beklagte ist der Klage im Wesentlichen mit ihrem vorprozessualen Vorbringen entgegengetreten. Sie hat ergänzend ausgeführt, dass einzuräumen sei, dass es auch unter dem Gefahrtarif 1998 einige wenige Fälle gegeben habe, die auf den für den Gefahrtarif 1995 geltenden Kriterien beruhten. Es habe sich um fehlerhafte Entscheidungen der Beklagten zu Beginn des Jahres 1998 gehandelt, welche eine einzige Unternehmensgruppe mit elf zugehörigen Unternehmen betroffen habe. Eine Gleichbehandlung mit fehlerhaften Entscheidungen gebe es indes nicht.
Mit Urteil vom 20. Mai 2003 hat das SG die Klage abgewiesen und der Klägerin die Kosten auferlegt. Es hat im Wesentlichen auf die Begründung der angefochtenen Bescheide Bezug genommen. Aus der von der Klägerin vorgelegten Liste ergebe sich nicht, dass die Überlassung von Helfern 15 % der Gesamtüberlassungsstunden unterschreite. Soweit die Klägerin in ihrer Liste intern Mitarbeiter mit langjähriger Berufserfahrung mit Facharbeitern gleich stelle, bleibe dies außer Betracht, weil diese interne Regelung objektiv nicht überprüfbar sei.
Die Klägerin hat gegen das ihr am 30. Juni 2003 zugestellte Urteil am 02. Juli 2003 Berufung eingelegt. Sie vertieft ihr bisheriges Vorbringen und führt ergänzend aus, dass nach den weiterhin anzuwendenden Kriterien der Beklagten u.a. nicht an die formale Facharbeiterqualifikation anzuknüpfen sei.
Mit Beschluss des Amtsgerichts Neuruppin vom 01. Juni 2004 wurde mit Wirkung vom 01. Juni 2004 das Insolvenzverfahren über das Vermögen der Klägerin eröffnet.
Nach zwischenzeitlicher Unterbrechung des Verfahrens und Neubestimmung der geschäftsplanmäßigen Zuständigkeit
beantragt die Klägerin (sachdienlich gefasst),
das Urteil des Sozialgerichts Neuruppin vom 20. Mai 2003 sowie den Bescheid der Beklagten vom 24. Oktober 2001 in der Fassung des Widerspruchsbescheids vom 12. Dezember 2001 aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten, die Gefahrklasse zum Gefahrtarif 1995 um 20 % und die Gefahrklasse zum Gefahrtarif 1998 um 12 % herabzusetzen.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend und tritt der Berufung unter Hinweis auf landessozialgerichtliche und höchstrichterliche Rechtsprechung entgegen, wonach ihre Herabsetzungspraxis bestätigt worden sei.
Die Beteiligten haben mit Schriftsätzen vom 15. September 2001 und 16. September 2011 sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und Vorbringens der Beteiligten wird auf die Gerichtsakten und beigezogenen Verwaltungsakten der Beklagten verwiesen und inhaltlich Bezug genommen, welche bei der Entscheidung vorgelegen haben und Gegenstand der Beratung gewesen sind.
Der Senat kann durch Urteil ohne mündliche Verhandlung entscheiden, weil die Beteiligten hierzu ihr Einverständnis erklärt haben (§§ 153 Abs. 1, 124 Abs. 2 des Sozialgerichtsgesetzes <SGG>).
Die zulässige Berufung der Klägerin ist unbegründet. Das SG hat die Klage im Ergebnis zu Recht abgewiesen. Die angefochtenen Bescheide der Beklagten sind rechtmäßig und beschweren die Klägerin nicht. Sie hat keinen Anspruch auf Herabsetzung der Gefahrklassen aus den hierfür einzig in Betracht zu ziehenden Anspruchsgrundlagen aus Teil II Nr. 2 S. 1 des Gefahrtarifs 1995 und Teil II Nr. 2a des Gefahrtarifs 1998.
Voraussetzung für die Herabsetzung ist nach beiden, insofern gleichlautenden Gefahrtarifen, dass sich in Einzelfällen ergibt, dass wegen einer von der üblichen erheblich abweichenden Betriebsweise ein Unternehmern geringeren oder höheren Gefahren unterliegt als die, für die die Gefahrklasse im Teil I berechnet ist. Sind diese Voraussetzungen erfüllt, so ist der Berufsgenossenschaft (BG) hinsichtlich des Umfangs der Herabsetzung Ermessen eröffnet. Die Voraussetzungen für eine Herabsetzung sind dann erfüllt, wenn in Abweichung vom „Normalfall“ eines Unternehmens mit regelrechter Betriebsweise, guten Einrichtungen und allen üblichen und durch die Unfallverhütungsvorschriften angeordneten Schutzvorkehrungen bei einem einzelnen Unternehmen eine Betriebsweise vorliegt, die von der in dem betreffenden Gewerbezweig üblichen nicht unerheblich abweicht und zu einer von dem „normalen“ Unternehmen nicht unwesentlich geminderten oder erhöhten Gefahrenlage führt. Entscheidend für die Anwendung dieser Regel über die Herabsetzung der Gefahrklassen ist, dass bei einem bestimmten Unternehmen besondere betriebliche Gegebenheiten vorhanden sind und deshalb eine von der im Teil I des Gefahrtarifs vorgesehenen Gefahrklasse abweichende Veranlagung dieses Unternehmens durch die BG als gerechtfertigt angesehen wird. Diese Korrekturmöglichkeit ist auf Einzelfälle beschränkt und darf nicht dazu führen, für eine bestimmte Art von Unternehmen, die durch die Veranlagung zu einer bestimmten Gefahrtarifstelle einer bestimmten Gefahrklasse zugeordnet wurden, über den Weg der Herabsetzung eine niedrigere Gefahrklasse festzusetzen. Schon aus dem im Wortlaut des Teils II Nr. 2 der Gefahrtarife verwandten Plural „Einzelfälle“ folgt, dass es mehr als einen Einzelfall bei der Herabsetzung geben kann, ohne dass damit eine Festlegung notwendig oder möglich ist, wie viele Einzelfälle es jeweils im Höchstfall sein können (ständige Rechtsprechung des Bundessozialgerichts <BSG>, vgl. Urteil vom 11. November 2003 – B 2 U 55/02 R -, zitiert nach juris Rn. 22). Bei Vorliegen der genannten Tatbestandsvoraussetzungen (Einzelfall, erheblich abweichende Betriebsweise, geringere Unfallgefahr, Kausalität zwischen den beiden letzteren Voraussetzungen), bei denen es sich um unbestimmte Rechtsbegriffe handelt, deren Vorliegen durch Subsumtion geprüft werden muss, ist vielmehr die Herabsetzung im Wege einer gebundenen Entscheidung vorzunehmen; das „kann“ ist insoweit nicht als Ermessens-, sondern als „Kompetenz-Kann“ zu verstehen. Aus der Verwendung eines weiten Rahmens (10 bis 50 bzw. 30 v.H.) für die Herab- bzw. Heraufsetzung der Gefahrklasse ohne Angabe, nach welchen Kriterien dieser Rahmen im Einzelfall Anwendung finden soll, ist in Verbindung mit der Verwendung des Wortes „kann“ zu entnehmen, dass die Entscheidung der BG über den Umfang der Herabsetzung allerdings nach Ermessen zu treffen ist, insoweit also ein Auswahlermessen besteht (vgl. BSG, a.a.O., Rn. 23).
Das Tatbestandsmerkmal einer von der üblichen erheblich abweichenden Betriebsweise ist im vorliegenden Fall nicht erfüllt, sodass es auf das Bestehen der weiteren Merkmale und eine ordnungsgemäße Ermessensausübung nicht mehr ankommt.
Die Klägerin betreibt ein Unternehmen der gewerblichen Arbeitnehmerüberlassung. Dass ihr Unternehmen dieser Gattung angehört, wird von ihr nicht in Abrede gestellt. Als solches wurde ihr Unternehmen von der Beklagten auch bindend veranlagt. Selbst die Richtigkeit der überwiegend vagen Angaben der Klägerin zu den konkreten Qualifikationen der zu verleihenden Beschäftigten, ihren konkreten Einsatzzeiten bzw. Verleihdauern und den Entleihern unterstellt, ergibt sich, dass ihr Unternehmen nicht einem Unternehmen der gewerblichen Arbeitsnehmerüberlassung fremde bzw. dafür unübliche Aktivitäten entfaltet, sondern dass es eben Arbeitnehmer verleiht, wie es für diesen Gewerbezweig typisch ist. Es werden mithin auch nach dem Vortrag der Klägerin keine für den Zweig untypische Arbeitsmethoden verwandt, bei deren Vorliegen die Annahme einer Abweichung i.S.d. Teils II Nr. 2 S. 1 bzw. Nr. 2a der Gefahrtarife in Betracht käme. Soweit sich allerdings die erheblich abweichende Betriebsweise aus einem hohen Facharbeiterstundenanteil, wenigen Entleihern und langen Verleihdauern ergeben soll, kann dahingestellt bleiben, ob mit diesem Vorbringen überhaupt schlüssig eine abweichende Betriebsweise dargelegt wird. Vergleichsmaßstab kann nämlich in diesem Rahmen nicht ein durchschnittliches Unternehmen der gewerblichen Arbeitnehmerüberlassung schlechthin sein, sondern es ist auf die übliche Betriebsweise der in der betreffenden Gefahrengemeinschaft zusammengefassten Mitgliedsunternehmen der BG abzustellen (vgl. BSG, a.a.O., Rn. 24). Hieran gemessen ergeben sich aus dem klägerischen Vorbringen nicht einmal ansatzweise Anhaltspunkte dafür, dass die Betriebsweise der Klägerin eine im Vergleich zu anderen Arbeitsnehmerüberlassungen unübliche sei. Vielmehr handelt es sich bei der Betriebsweise des Unternehmens der Klägerin noch zumindest um eine Variante der üblichen Betriebsweise, jedenfalls weicht sie nicht erheblich davon ab. Weitere Besonderheiten in der Betriebsweise des Unternehmens der Klägerin liegen nicht vor. Wollte man den Mitgliedsunternehmen mit dieser Betriebsvariante eine Herabsetzung der Gefahrklasse zubilligen, würde dies im Kern die Schaffung einer neuen, im Gefahrtarif bisher nicht vorgesehenen Gefahrklasse für eine bestimmte Art von Unternehmen, die einer bestimmten Gefahrtarifstelle einer bestimmten Gefahrklasse zugeordnet sind, bedeuten; eine solche Möglichkeit wird durch Teil II Nr. 2 der Gefahrtarife aber gerade nicht eröffnet (vgl. BSG, ebd.).
Der Meinung, wonach den BGen bei der Anwendung und Auslegung der unbestimmten Rechtsbegriffe „üblich“, „erheblich“, „abweichend“ und „Betriebsweise“ ein gerichtsfreier Beurteilungsspielraum einzuräumen sei (so etwa Landessozialgericht <LSG> Schleswig-Holstein, Urteil vom 06. Februar 2002 – L 8 U 57/01 -, S. 10 der von der Klägerin vorgelegten anonymisierten Urteilsausfertigung), folgt der erkennende Senat eingedenk der vorzitierten höchstrichterlichen Rechtsprechung nicht, welche die Subsumtion unter die unbestimmten Rechtsbegriffe - im Wege voller gerichtlicher Überprüfung – selbst vollzieht (gegen einen gerichtsfreien Beurteilungsspielraum ausdrücklich auch LSG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 19. Oktober 2005 - L 17 U 156/04 -, zitiert nach juris Rn. 23). Gründe wie ein uneinholbarer behördlicher Erkenntnisvorsprung, welche in Abkehr vom aus Art. 19 Abs. 4 S. 1 des Grundgesetzes (GG) folgenden Grundsatz effektiven Rechtsschutzes die gerichtliche Überprüfbarkeit der einfachrechtlichen Gesetzesanwendung aus Gründen der Gewaltenteilung (Art. 20 Abs. 2 S. 2 GG) zurückdrängen könnten, sind nicht ersichtlich. So kommt es auch nicht auf die – zwischen den Beteiligten umstrittene - Beantwortung der Frage an, ob und in welchem Maße die Klägerin die von der Beklagten aufgestellten Kriterienkataloge erfüllt, welche für die Gerichte als bloßes behördliches Binnenrecht grundsätzlich keine rechtliche Bindungswirkung erzeugen.
Mangels gerichtsfreien Beurteilungsspielraums bzw. eröffneten Ermessens besteht auch kein Raum für eine Selbstbindung der Verwaltung, welche einen Gleichbehandlungsanspruch aus Art. 3 Abs. 1 GG der Klägerin des Inhalts auslösen könnte, dass sie ebenfalls unter den hier geltenden Gefahrtarifen in den Genuss einer Herabsetzung kommen müsste, wie sie die Beklagte anderen Unternehmen gegebenenfalls fehlerhaft bzw. im Rahmen eines Vergleichsschlusses zukommen ließ. Vielmehr ist ein Rückgriff auf den allgemeinen Gleichheitssatz verwehrt, nachdem schon nicht die tatbestandlichen Voraussetzungen der Herabsetzung erfüllt sind. Der allgemeine Gleichbehandlungsgrundsatz gebietet, alle Menschen (und alle inländischen juristischen Personen, Art. 19 Abs. 3 GG) vor dem Gesetz gleich zu behandeln. Handelt die Verwaltung aber rechtswidrig und begünstigt sie Einzelne zu Unrecht, weil die Tatbestandsvoraussetzungen nicht erfüllt sind, so lässt sich daraus kein Anspruch auf Fehlerwiederholung herleiten. Denn es gibt keine „Gleichheit im Unrecht“ (etwa Bundesverfassungsgericht <BVerfG>, Beschluss vom 17. Januar 1979 - 1 BvL 25/77 -, zitiert nach juris Rn. 50 und 59). Dies folgt bereits aus dem Wortlaut des Art. 3 Abs. 1 GG, der die Gleichheit „vor“ und nicht „entgegen“ dem Gesetz garantiert. Andernfalls würde die rechtswidrige Verwaltungspraxis über den Gleichheitssatz gesetzesändernd wirken, was mit dem Vorrang des Gesetzes (Art. 20 Abs. 3 GG) unvereinbar wäre. Die Verwaltung könnte - bewusst oder unbewusst - Gesetze unrichtig anwenden, auf diese Weise durch eine fehlerhafte Rechtsanwendung geltendes Recht verdrängen und sich faktisch eine Gesetzgebungskompetenz verschaffen. Dann wäre die Rückkehr zu einer rechtmäßigen Verwaltungspraxis praktisch unmöglich, weil die Behörde auch in allen weiteren Fällen nach ihrer rechtswidrigen Praxis verfahren müsste. Dies hätte letztlich auch Folgen für die Gerichte, weil sie entgegen Art. 20 Abs. 3 GG nicht mehr an Gesetz und Recht, sondern an das tatsächliche Handeln der Verwaltung gebunden wären. Folglich kann sich die Klägerin nicht auf rechtswidrige Parallelfälle berufen und eine entsprechende „Gleichbehandlung“ fordern (so zutreffend LSG Nordrhein-Westfalen, a.a.O., Rn. 29).
Da bereits die Tatbestandsvoraussetzungen des Teils II Nr. 2 S. 1 bzw. Nr. 2a der Gefahrtarife 1995 und 1998 fehlen, war der Ermessensspielraum im Hinblick auf eine Herabsetzung der Gefahrklasse schon nicht eröffnet. Dementsprechend haben Klage und Berufung auch keinen Erfolg, soweit man neben dem auf die Verpflichtung der Beklagten zur Herabsetzung der Gefahrklassen gerichteten Hauptantrag hier auch einen konkludent gestellten Hilfsantrag auf Verpflichtung auf Neuentscheidung unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts annehmen wollte.
Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 183, 193 Abs. 4 S. 1 SGG in der bis zum 01. Januar 2002 geltenden Fassung (Art. 17 Abs. 1 S. 2 des Sechsten SGG-Änderungsgesetzes <6. SGGÄndG>; vgl. hierzu Meyer-Ladewig/ Keller/ Leitherer, SGG - Kommentar, 9. Aufl. 2008, vor § 183 Rn. 12), weil die Klage bereits vor dem 02. Januar 2002 rechtshängig geworden ist.
Die Revision ist nicht zuzulassen, weil die Voraussetzungen des § 160 Abs. 2 SGG nicht vorliegen. Die Rechtssache hat schon deshalb keine grundsätzliche Bedeutung i.S.v. § 160 Abs. 2 Nr. 1 SGG, weil die Gefahrtarife 1995 und 1998 bereits außer Kraft getreten sind. Der Senat weicht – wie gezeigt - auch nicht gemäß § 160 Abs. 2 Nr. 2 SGG von der Rechtsprechung des BSG ab.