Gericht | LArbG Berlin-Brandenburg 10. Kammer | Entscheidungsdatum | 30.11.2012 | |
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Aktenzeichen | 10 Sa 1405/12 | ECLI | ||
Dokumententyp | Urteil | Verfahrensgang | - | |
Normen | § 9 AÜG |
I. Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Arbeitsgerichts Berlin vom 19. Juni 2012 - 36 Ca 20539/11 - teilweise abgeändert.
Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 1.460,80 EUR zu zahlen.
II. Im Übrigen wird die Berufung zurückgewiesen.
III. Die Kosten der Berufung trägt die Beklagte.
IV. Der Wert des Berufungsverfahrens wird auf 1.521,44 EUR festgesetzt.
V. Die Revision wird zugelassen.
Die Parteien streiten um die Höhe der dem Kläger als Leiharbeitnehmer für die Zeit vom 1. Januar 2008 bis 30. April 2008 zustehende Vergütung.
Der Kläger ist 61 Jahre alt (…… 1951) und stand aufgrund eines Arbeitsvertrages vom 17. Mai 2006 (Bl. 292-293 d.A.) vom 18. Mai 2006 bis 30. April 2008 in einem Arbeitsverhältnis mit der Beklagten, einem Zeitarbeitsunternehmen, als Lohnempfänger für wechselnde Einsätze bei unterschiedlichen Firmen. Der vereinbarte Stundenlohn betrug zuletzt 7,50 EUR brutto.
In Ziffer 1 b) des Arbeitsvertrages haben die Parteien vereinbart:
Auf den Arbeitsvertrag finden die zwischen dem Arbeitgeber und der Tarifgemeinschaft Christliche Gewerkschaften Zeitarbeit und PSA abgeschlossenen Haustarifverträge in der jeweils letzten Fassung Anwendung.
Maßgeblich sind danach der Manteltarifvertrag vom 13. Oktober 2003 sowie der Entgelttarifvertrag/West vom 12. Dezember 2006.
Vom 1. Januar 2008 bis 30. April 2008 war der Kläger für die Beklagte bei der H. I. Hy. GmbH als Montagehelfer mit unterschiedlichen Monatsstunden eingesetzt. Anschließend stand der Kläger bis 30. April 2009 befristet in einem unmittelbaren Arbeitsverhältnis mit der Firma H. I. Hy. GmbH auf demselben Arbeitsplatz und erhielt entsprechend dem dazu geschlossenen Arbeitsvertrag eine monatliche Vergütung von 1.653,-- EUR entsprechend 9,50 EUR je Stunde.
Die H. I. Hy. GmbH erteilte dem Kläger unter dem 13. Januar 2012 Auskunft, dass ein mit dem Kläger vergleichbarer Arbeitnehmer 2008/2009 einen Stundenlohn in Höhe von 9,79 EUR bis 10,00 EUR erhalten habe (Bl. 61 d.A.).
Nachdem durch Urteil des Bundesarbeitsgerichts vom 14. Dezember 2010 (1 ABR 19/10) festgestellt wurde, dass die CGZP nicht tariffähig sei und keine Tarifverträge schließen könne, hat der Kläger am 22. Dezember 2011 Differenzvergütungsansprüche für die Zeit vom 1. Januar 2008 bis 30. April 2008 gegenüber der Beklagten geltend gemacht (Bl. 11-12 d.A.).
Mit der am 28. Dezember 2011 beim ArbG Berlin eingegangenen und der Beklagten am 6. Januar 2012 zugestellten Klage fordert der Kläger für den Zeitraum vom 1. Januar 2008 bis 30. April 2008 die Differenz zwischen der bei der Beklagten gezahlten Vergütung und der Vergütung, die der Kläger beim Entleiher einschließlich der Urlaubsabgeltung hätte beanspruchen können.
Der Kläger begründet die Höhe seiner Forderung mit der von ihm für die gleiche Tätigkeit im Arbeitsverhältnis bezogene Vergütung und dem Hinweis, dass er damit noch unterhalb der Vergütung entsprechend der Auskunft der Entleiherin vom 13. Januar 2012 liege.
Der Kläger hat beantragt,
die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger 1.665,44 € brutto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über den Basiszinssatz seit Klagezustellung zu zahlen.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Die Beklagte meint, dass der Kläger seine Behauptungen zur Vergütung vergleichbarer Arbeitnehmer ins Blaue hinein aufgestellt habe. Sie wendet sich aus Rechtsgründen gegen die Unwirksamkeit der mit der CGZP vereinbarten Haustarifverträge und meint, dass die im Falle deren nach wie vor streitiger Unwirksamkeit Rechtsfolge nicht eine Erhöhung der Vergütungsansprüche für die Vergangenheit sein könne. Zumindest sei der arbeitsvertragliche Verweis auf diese Tarifverträge wirksam. Dieser beziehe sich auch auf § 17 des Manteltarifvertrages mit der dortigen Ausschlussfrist.
Das Arbeitsgericht hat der Klage mit Urteil vom 19. Juni 2012 unter Bezugnahme auf die Regelung des § 10 Abs. 4 AÜG weitgehend - im Umfang von 1.521,44 EUR - stattgegeben. Zur Begründung hat es ausgeführt, dass gem. § 10 Abs. 4 AÜG der Verleiher im Rahmen einer Arbeitnehmerüberlassung verpflichtet sei, dem Leiharbeitnehmer für die Zeit der Überlassung an den Entleiher die im Betrieb des Entleihers für einen vergleichbaren Arbeitnehmer des Entleihers geltenden wesentlichen Arbeitsbedingungen einschließlich des Arbeitsentgelts zu gewähren, sofern nicht ein auf das Arbeitsverhältnis anzuwendender Tarifvertrag abweichende Regelungen treffe. Ein Tarifvertrag sei im streitigen Zeitraum hier auch aufgrund arbeitsvertraglicher Verweisung nicht auf das Arbeitsverhältnis anwendbar gewesen, da der CGZP schon bei Abschluss der Tarifverträge die Tariffähigkeit gefehlt habe.
Seiner Darlegungslast habe der Kläger zunächst genügt, indem er den Inhalt der Auskunft des Entleihers vorgetragen habe. Dieses habe die Beklagte nicht hinreichend bestritten. Auf Vertrauensschutzgesichtspunkte könne sich die Beklagte nicht berufen, da der gute Glaube an die Tariffähigkeit einer Vereinigung nicht geschützt sei und die Beklagte bereits aufgrund ihrer Beteiligung an dem Verfahren 54 BV 13961/07 vor dem Arbeitsgericht gewusst habe, dass die Tariffähigkeit der CGZP zumindest zweifelhaft sei.
Die Ansprüche des Klägers seien auch nicht verfallen, denn der Verfall einer Forderung könne nur dann eintreten, wenn der Gläubiger trotz der zumutbaren Möglichkeit der Bezifferung des Anspruchs dieses über die vereinbarte Ausschlussfrist hinaus verzögere. Selbst wenn ein Anspruch eigentlich fällig sei, könne der Rechtsgedanke des Verjährungsrechts herangezogen werden, dass der Beginn der Ausschlussfrist bei unübersichtlicher oder zweifelhafter Rechtslage hinausgeschoben werden könne, bis ein rechtskundiger Dritter die Rechtslage einzuschätzen vermöge. Demgemäß sei eine Fälligkeit der klägerischen Forderung und damit ein Beginn der Ausschlussfrist erst mit der Entscheidung des Bundesarbeitsgerichtes vom 22. Mai 2012 (1 ABN 27/12) anzunehmen gewesen. Erst in dieser Entscheidung habe das Bundesarbeitsgericht entschieden, dass sich seine Rechtsprechung vom 14. Dezember 2010 auch auf den hier streitigen Zeitraum erstrecke. Der Kläger könne mindestens die Vergütungsdifferenz von 2,-- EUR je Stunde auch für die Feiertagsvergütung und Entgeltfortzahlung während der Einsatzzeiten beanspruchen. Gleiches gelte für die Urlaubsvergütung und die Urlaubsabgeltung.
Gegen dieses der Beklagten am 27. Juni 2012 zugestellte Urteil legte diese am 23. Juli 2012 Berufung ein und begründete diese am 24. August 2012. Zur Begründung führt die Beklagte aus, dass zwar die fehlende Tariffähigkeit der CGZP vom Bundesarbeitsgericht festgestellt worden sei, doch sei dieses noch nicht rechtskräftig entschieden. Weiter würde die Entscheidung des BAG vom 14. Dezember 2010 nicht auf einen Zeitpunkt davor zurück wirken. die Beklagte genieße Vertrauensschutz. Denn der Kläger habe zunächst nie an der Richtigkeit seiner Abrechnungen gezweifelt. Der fehlende Schutz des guten Glaubens an die Tariffähigkeit einer Organisation beziehe sich nur auf eine einzelne Gewerkschaft, nicht aber auf eine Spitzenorganisation. Und allein die Beteiligung an dem Beschlussverfahren im Jahre 2007/08, in welchem ganz andere Erwägungen angestellt worden seien, könne der Beklagten den Vertrauensschutz nicht entziehen. Die Vergütungshöhe sei ebenfalls weiter streitig, da der Bezug auf die Auskunft des Entleihers allein unzureichend sei. Der Stundenlohn des Klägers nach Weiterbeschäftigung durch den Entleiher weiche von der Auskunft ab. Deshalb hätte das weiter aufgeklärt werden müssen. Die Klage sei erst am 28. Dezember 2011 erhoben worden. Deshalb sei mit einer alsbaldigen Zustellung vor Eintritt der Verjährung nicht zu rechnen gewesen. Die tarifliche Ausschlussfrist gelte weiter, da der Tarifvertrag allenfalls fehlerhaft sei. Die Fälligkeit habe nicht von Entscheidungen des BAG abgehangen. Schließlich könne sich die Vergütung nur für geleistete Arbeitsstunden, nicht aber für Nebenleistungen ergeben. Entsprechend müsse die Forderung des Klägers um 8,67 Feiertagsstunden und 14,32 Urlaubsstunden im Januar 2008, 16 Urlaubsstunden im Februar und 15,75 Feiertagsstunden im März reduziert werden müssen.
Die Beklagte und Berufungsklägerin beantragt,
das Urteil des Arbeitsgerichts Berlin vom 19. Juni 2012, Az. 36 Ca 20539/11, abzuändern und die Klage in vollem Umfang abzuweisen.
Der Kläger und Berufungsbeklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Der Kläger geht von einer hinreichenden Darlegung des vergleichbaren Entgelts aus und bezieht sich im Übrigen auf seinen erstinstanzlichen Vortrag.
Wegen des weiteren Vorbringens der Parteien in der Berufungsinstanz wird auf den vorgetragenen Inhalt der Berufungsbegründung der Beklagten vom 24. August 2012 und ihren Schriftsatz vom 6. November 2012 sowie auf die Berufungsbeantwortung des Klägers vom 21. September 2012 und dessen Schriftsatz vom 13. November 2012 sowie das Sitzungsprotokoll vom 30. November 2012 Bezug genommen.
I.
Die nach § 64 Abs. 2 ArbGG statthafte Berufung der Beklagten ist form- und fristgerecht im Sinne der §§ 66 Abs. 1 ArbGG, 519, 520 Zivilprozessordnung (ZPO) eingelegt und begründet worden.
II.
Im Ergebnis und auch in der Begründung ist jedoch weitgehend keine andere Beurteilung als in erster Instanz gerechtfertigt. Das Landesarbeitsgericht folgt dem Arbeitsgericht Berlin überwiegend hinsichtlich der Begründung und sieht gemäß § 69 Abs. 2 ArbGG von einer nur wiederholenden Begründung ab. Die Angriffe der Berufung sind nicht geeignet, die Rechtslage anders zu beurteilen und geben nur Anlass zu folgenden Anmerkungen:
1.
Soweit die Beklagte meint, dass aufgrund eingelegter Verfassungsbeschwerde die Rechtskraft des Beschlusses des LAG Berlin-Brandenburg vom 9. Januar 2012 (24 TaBV 1285/11) nicht gegeben sei, übersieht die Beklagte, dass eine Verfassungsbeschwerde kein Rechtsmittel darstellt und den Eintritt der formellen und materiellen Rechtskraft nicht hemmt (BAG, Urteil vom 22. Juli 2010 - 8 AZR 1012/08 m.w.N.). Gleiches gilt für die Anhörungsrüge als außerordentlicher Rechtbehelf (vgl. PG/Kroppenberg ZPO, 4. Aufl. § 705 RN 7).
2.
Entgegen der Ansicht der Beklagten kann sie sich weder allgemein noch konkret auf Vertrauensschutzaspekte zur Stützung ihrer Rechtsposition berufen. Zum einen war die Beklagte, worauf das Arbeitsgericht zu Recht abgestellt hat, nahezu von Anfang an an den Verfahren um die Wirksamkeit der Tarifverträge der christlichen Gewerkschaften im Zusammenhang mit der Zeitarbeit beteiligt, so dass sie das Risiko der Tarifunfähigkeit kannte. Darüber hinaus stellt die Feststellung der Tarifunfähigkeit einer Organisation einen reinen Anwendungsfall der Auslegung des § 2 TVG und keinen rückwirkenden Eingriff in abgeschlossene Lebenssachverhalte dar (vgl. im Einzelnen die Begründung der Kammer 24 des Landesarbeitsgerichts Berlin-Brandenburg in dem vom Kläger in diesem Rechtsstreit eingereichten Urteil vom 13. Juni 2012 im Verfahren 24 Sa 213/12).
3.
Entgegen der Ansicht der Beklagten musste der Stundenlohn des Klägers nicht weiter aufgeklärt werden. Denn die vom Kläger in diesem Rechtsstreit verlangte Vergütung lag unterhalb der entsprechend der Auskunft der Entleiherin vom 13. Januar 2012 vom Kläger grundsätzlich zu beanspruchenden. Damit hätte eine weitere Aufklärung allein aufgrund der Angaben des Klägers kein für die Beklagte positives Ergebnis bringen können. Für eine Abweichung der Vergütung unterhalb der vom Kläger begehrten Stundenvergütung gab es keinen Anhaltspunkt. Insofern hat die Beklagte das Vorbringen des Klägers nicht hinreichend substantiiert bestritten.
4.
Hinsichtlich der Fälligkeit des klägerischen Anspruchs folgt das Landesarbeitsgericht ausdrücklich den Ausführungen des Arbeitsgerichts. Soweit die Beklagte darauf verweist, dass der Kläger mit der Übernahme durch die ehemalige Entleiherin gewusst habe, was vergleichbare Stammarbeitnehmer verdienen, so dass er seine Ansprüche hätte geltend machen können, greift diese Argumentation zu kurz. Gerade die rechtliche und nicht eine tatsächliche Unsicherheit hatte das Arbeitsgericht in das Zentrum seiner Argumentation gestellt.
Unter Berücksichtigung der vom Arbeitsgericht zutreffend dargestellten Grundsätze ist es zu Recht von einer Fälligkeit der Ansprüche des Klägers auf „equal pay“ im Sinne der Ausschlussfrist erst mit der Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts über die fehlende Tariffähigkeit der CGZP, für den hier maßgeblichen Zeitraum am 22. Mai 2012, ausgegangen. Erst zu diesem Zeitpunkt hat der Kläger positive Kenntnis von den anspruchsbegründenden Tatsachen erhalten, die ihm die Geltendmachung seiner Ansprüche möglich und zumutbar machten. Die Ansprüche des Klägers waren abhängig von der Wirksamkeit des im Arbeitsvertrag in Bezug genommenen Tarifvertrages mit der CGZP. Diese Frage war zwingend nach den Regelungen in § 97 ArbGG in dem beim Arbeitsgericht Berlin anhängigen Beschlussverfahren zu klären. Erst mit einem rechtskräftigen Abschluss dieses Beschlussverfahrens konnte der Kläger hinreichend feststellen, ob ihm die Ansprüche zustanden oder nicht (vgl. insoweit auch LAG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 20. September 2011 - 7 Sa 1318/11).
III.
Allerdings war der Berufung zu entsprechen, soweit das Arbeitsgericht dem Kläger mehr Urlaubsvergütung zugesprochen hatte als die Beklagte ihm gezahlt hatte. Da der Kläger versäumt hatte darzulegen, dass er während des jeweiligen Referenzzeitraumes ausschließlich bei der Fa. H. I. Hy. GmbH beschäftigt war und sein Prozessbevollmächtigter trotz ausdrücklicher Nachfrage im Berufungstermin dazu auch keine Auskunft geben konnte, war der Berufung im Umfang von 60,64 EUR brutto für 14,32 Urlaubsstunden im Januar 2008 und 16 Urlaubsstunden im Februar 2008 stattzugeben.
IV.
Die Kostenentscheidung folgt § 64 Abs.6 ArbGG in Verbindung mit § 92 Abs. 2 ZPO. Als weitgehend unterlegene Partei hat die Beklagte die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen. Der Anteil des Unterliegens des Klägers war verhältnismäßig so gering, dass es nicht gesondert zu berücksichtigen war.
Die Revision war gemäß § 72 Abs.2 ArbGG wegen grundsätzlicher Bedeutung im Zusammenhang mit den Folgen unwirksame Tarifverträge aufgrund fehlender Tariffähigkeit und insbesondere der dabei zu beachtenden Fälligkeitsregeln bei tariflichen und vertraglichen Ausschlussfristen zuzulassen.