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Einstweiliger Rechtsschutz gegen Abschiebung eines Asylbewerbers nach Griechenland wegen dortiger Zuständigkeit


Metadaten

Gericht VG Frankfurt (Oder) 7. Kammer Entscheidungsdatum 06.01.2010
Aktenzeichen 7 L 319/09.A ECLI
Dokumententyp Beschluss Verfahrensgang -
Normen Art 100 Abs 1 GG, Art 16a Abs 2 GG, Art 19 Abs 4 GG, § 123 Abs 1 VwGO, § 123 Abs 5 VwGO, § 80 Abs 5 VwGO, § 27a AsylVfG, § 34a Abs 1 AsylVfG, § 34a Abs 2 AsylVfG, § 31 Abs 1 AsylVfG, § 26a Abs 3 AsylVfG, Art 18 Abs 7 EGV 343/2003, § 43 Abs 1 VwVfG, § 41 Abs 1 VwVfG, § 41 Abs 5 VwVfG, § 8 VwZG

Tenor

Der Antragsgegnerin wird im Wege der einstweiligen Anordnung aufgegeben, Maßnahmen zum Vollzug der Verbringung des Antragstellers nach Griechenland vorläufig auszusetzen. Soweit bereits eine Abschiebungsanordnung erlassen und der zuständigen Ausländerbehörde übergeben wurde, wird der Antragsgegnerin ferner aufgegeben, dieser mitzuteilen, dass eine Abschiebung des Antragstellers nach Griechenland vorläufig nicht durchgeführt werden darf.

Die Antragsgegnerin trägt die Kosten des Verfahrens, für das Gerichtskosten nicht erhoben werden.

Gründe

Der sinngemäß gestellte, aus dem Tenor ersichtliche Antrag hat Erfolg.

Er ist als Antrag nach § 123 Abs. 1 Satz 2 VwGO statthaft. Die Antragsgegnerin hat, soweit ersichtlich, über den Asylantrag des Antragstellers bislang nicht entschieden, so dass ein Antrag nach § 123 Abs. 5 VwGO i. V. m. § 80 Abs. 5 VwGO derzeit nicht in Betracht kommt. Zwar befinden sich in den von der Antragsgegnerin vorgelegten Verwaltungsvorgänge zwei nahezu inhaltsgleiche Bescheidentwürfe mit Datum vom 29. September bzw. 29. Oktober 2009, aus denen sich ergibt, dass die Antragsgegnerin den Asylantrag nach § 27 a AsylVfG für unzulässig hält, weil nach ihrer Auffassung gemäß Art. 18 Abs. 7 der Verordnung (EG) Nr. 343/2003 zur Festlegung der Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedstaats, der für die Prüfung eines von einem Drittstaatsangehörigen in einem Mitgliedstaat gestellten Asylantrag zuständig ist (vom 18. Februar 2003, ABl. L 50/1) – Dublin II–VO – Griechenland für die Behandlung des Asylantrages des Antragstellers zuständig ist. Dieser Bescheid ist jedoch gemäß § 43 Abs. 1 Satz 1 i. V. m. § 41 Abs. 1 und 5 VwVfG bislang nicht wirksam geworden, weil er dem Antragsteller (noch) nicht bekannt gegeben worden ist. Wird der Asylantrag – wie hier – nach § 27 a AsylVfG abgelehnt, erfolgt die Bekanntgabe der Entscheidung zusammen mit der Abschiebungsanordnung nach § 34 a AsylVfG durch Zustellung an den Ausländer selbst, § 31 Abs. 1 Satz 4 AsylVfG. Wird der Ausländer durch einen Bevollmächtigten vertreten, soll diesem ein Abdruck der Entscheidung zugeleitet werden. Hier fehlt es jedenfalls bislang an einer solchen Zustellung des Bescheides der Antragsgegnerin an den Antragsteller. Dass diesem die in den Verwaltungsvorgängen der Antragsgegnerin enthaltenen Entwürfe auf dem Wege der Akteneinsicht seines Prozessbevollmächtigten in die Verwaltungsvorgänge bekannt geworden sind, stellt keine wirksame Bekanntgabe im Sinne der vorgenannten Vorschriften dar, da es schon an der erforderlichen Zustellung gegenüber dem Antragsteller selbst fehlt. Dieser Mangel wird auch nicht etwa durch § 8 des Verwaltungszustellungsgesetzes (VwZG) geheilt, da die Anwendung dieser Vorschrift voraussetzt, dass die Behörde eine Zustellung vornehmen wollte (vgl. Engelhardt/App, Verwaltungsvollstreckungsgesetz und Verwaltungszustellungsgesetz, Kommentar, 8. Auflage 2008, Rdnr. 2 zu § 8 VwZG). Ein solcher Wille der Antragsgegnerin ist hier nicht erkennbar.

Der Antrag nach § 123 Abs. 1 Satz 2 VwGO ist auch zulässig. Dem steht insbesondere nicht entgegen, dass gemäß § 34 a Abs. 2 AsylVfG die Abschiebung in einen für die Durchführung des Asylverfahrens zuständigen Staat (§ 27 a AsylVfG) nach § 34 a Abs. 1 AsylVfG nicht im Wege einstweiligen Rechtsschutzes (§ 80 oder § 123 VwGO) ausgesetzt werden darf. Die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 34 a Abs. 2 AsylVfG liegen allerdings vor. Die Antragsgegnerin sieht den im Bundesgebiet gestellten Asylantrag des Antragstellers offensichtlich nach § 27 a AsylVfG als unzulässig an, weil aufgrund der vorgenannten Rechtsvorschrift der Europäischen Gemeinschaft ein anderen Staat, nämlich Griechenland, für die Durchführung des Asylverfahrens zuständig ist. Dies zeigt auch das Übernahmeersuchen der Bundesrepublik Deutschland vom 15. Juli 2009 an Griechenland, das von dort nicht innerhalb der Frist des Art. 18 Abs. 7 der Dublin II-VO beantwortet worden ist.

Das Bundesverfassungsgericht hat jedoch bereits in seinem Grundsatzurteil vom 14. Mai 1996 – 2 BvR 1938, 2315/93 –, BVerfGE 94, 49, 113, ausdrücklich festgestellt, dass § 34 a Abs. 2 AsylVfG mit seinem dort zum Ausdruck gekommenen generellen Ausschluss einstweiligen Rechtsschutzes nur bei sinnentsprechender restriktiver Auslegung mit Art. 16 a Abs. 2 Satz 3 GG im Einklang steht. Nach dieser Entscheidung kann die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes trotz dieser Ausschlussregelung in gewissen Sonderfällen gleichwohl statthaft und geboten sein, etwa wenn sich die für die Qualifizierung als „sicher“ maßgeblichen Verhältnisse im Drittstaat schlagartig geändert haben und die gebotene Reaktion der Bundesregierung nach § 26 a Abs. 3 AsylVfG hierauf noch aussteht, wenn der Drittstaat selbst gegen den Schutzsuchenden zu Maßnahmen politischer Verfolgung oder unmenschlicher Behandlung greift und dadurch zum Verfolgerstaat wird oder wenn sich der Drittstaat – etwa aus Gründen besonderer politischer Rücksichtnahme gegenüber dem Herkunftsstaat – von seinen rechtlichen Verpflichtungen löst und einem bestimmten Ausländer Schutz dadurch verweigert, dass er sich seiner ohne jede Prüfung des Schutzgesuchs entledigen wird.

Darüber hinaus sieht das Bundesverfassungsgericht verfassungsrechtlichen Klärungsbedarf mit Blick auf den Ausschluss des vorläufigen Rechtsschutzes durch § 34 a Abs. 2 AsylVfG auch in dem hier maßgeblichen Anwendungsbereich des § 27 a AsylVfG. Danach besteht Anlass zur Untersuchung, ob und gegebenenfalls welche Vorgaben das Grundgesetz in Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG und Art. 16 a Abs. 2 Sätze 1 und 3 GG für die fachgerichtliche Prüfung der Grenzen des Konzepts der normativen Vergewisserung bei der Anwendung von § 34 a Abs. 2 AsylVfG trifft, wenn Gegenstand des Eilrechtsschutzantrags eine beabsichtigte Abschiebung in einen nach der Dublin II-VO zuständigen anderen Mitgliedsstaat der Europäischen Gemeinschaften ist. Mehreren diesbezüglich erhobenen Verfassungsbeschwerden hat das Bundesverfassungsgericht in verschiedenen Beschlüssen Erfolgsaussichten nicht abgesprochen und daraufhin mit Blick auf die im Falle einer Abschiebung nach Griechenland unter Berufung auf „ernst zu nehmende Quellen“ zu befürchtenden Rechtsbeeinträchtigungen die Abschiebung eines Asylbewerbers untersagt (vgl. zuletzt Beschluss der 1. Kammer des 2. Senats vom 08. Dezember 2009 – 2 BvR 2780/09 –, zitiert nach juris).

Dabei kann hier offen bleiben, ob eine derartige verfassungsrechtliche Prüfung zum Ergebnis hat, dass § 34 a Abs. 2 AsylVfG insoweit verfassungswidrig ist oder ob eine verfassungskonforme einschränkenden Auslegung dieser Vorschrift in Betracht kommt. Denn die Fachgerichte sind auch durch Art. 100 Abs. 1 GG und das dort dem Bundesverfassungsgericht vorbehaltene Verwerfungsmonopol nicht gehindert, schon vor der im Hauptsachenverfahren einzuholenden Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts auf der Grundlage ihrer Rechtsauffassung vorläufigen Rechtsschutz zu gewähren, wenn dies nach den Umständen des Falles mit dem Interesse eines effektiven Rechtsschutzes geboten erscheint und die Hauptsachenentscheidung dadurch nicht vorweggenommen wird (vgl. BVerfG, Beschluss vom 24. Juni 1992 – 1 BvR 1028/91 –, BVerfGE 86, 382, 389; in diesem Sinne auch Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 07. Oktober 2009 – 8 B 1433/09 –). Näher liegt es, dass die Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes auch im Anwendungsbereich des § 27 a AsylVfG deshalb statthaft ist, weil § 34 a Abs. 2 AsylVfG in Fortführung der im dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 14. Mai 1996 aufgestellten Grundsätze verfassungskonform einschränkend auszulegen sein dürfte (so auch Oberverwaltungsgericht für das Land Nordhrein-Westfalen, a. a. O.). Eine Prüfung, ob der Zurückweisung in den Drittstaat oder in den nach europäischem Recht oder Völkerrecht für die Durchführung des Asylverfahrens zuständigen Staat ausnahmsweise Hinderungsgründe entgegenstehen, kann der Ausländer danach dann erreichen, wenn es sich aufgrund bestimmter Tatsachen aufdrängt, dass er von einem der im normativen Vergewisserungskonzept des Art. 16 a Abs. 2 GG und der §§ 26 a, 27 a und 34 a AsylVfG nicht aufgefangenen Sonderfälle betroffen ist. Zwar sind an die Darlegung eines solchen Sonderfalles strenge Anforderungen zu stellen, doch ist ein Antrag nach § 80 Abs. 5 bzw. § 123 VwGO in diesen Fällen auch in Ansehung von § 34 a Abs. 2 AsylVfG nicht generell unzulässig. Dies entspricht offensichtlich auch der Auffassung des Bundesverfassungsgerichts, wie diese in dem Erlass mehrerer einstweiliger Anordnungen betreffend Griechenland als für die Durchführung des Asylverfahrens zuständigen Drittstaat zum Ausdruck kommt.

Der Antrag ist auch begründet.

Gemäß § 123 Abs. 1 Satz 2 VwGO sind einstweilige Anordnungen zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn diese Regelung nötig erscheint, um wesentliche Nachteile abzuwenden. Der Antragsteller hat in diesem Zusammenhang einen Anordnungsanspruch und einen Anordnungsgrund glaubhaft zu machen.

Der Antragsteller hat zunächst einen Anordnungsanspruch hinreichend glaubhaft gemacht. Unter Berücksichtigung seines Vorbringens, insbesondere der von ihm zitierten verschiedenen Erkenntnisquellen (Berichte des Schweizerischen Bundesamtes für Migration vom 23. September 2009 und von Human Rights Watch vom 27. Juli 2009, ferner Stellungnahmen von Pro-Asyl vom 19. Februar 2009 und des UNHCR vom 16. April 2008) sowie der bisherigen Rechtsprechung zur Überstellung von Asylbewerbern nach Griechenland auf der Grundlage der Dublin II-VO ist im Hauptsacheverfahren zu prüfen, ob und gegebenenfalls welche Vorgaben das Grundgesetz für die fachgerichtliche Prüfung der Grenzen des Konzepts der normativen Vergewisserung trifft, wenn eine Abschiebung in einen nach der Dublin II-VO zuständigen anderen Mitgliedstaat der Europäischen Gemeinschaften – hier Griechenland – Verfahrensgegenstand ist, und ob etwaige Vorgaben einer Überstellung entgegenstehen (neben der bereits zitierten Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts und des Oberverwaltungsgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen, vgl. auch Verwaltungsgericht Düsseldorf, Beschluss vom 14. Oktober 2009 – 18 L 1542/09.A –). Die Erfolgsaussichten einer solchen Prüfung im Hauptsacheverfahren sind offen, da die Prüfung die Beantwortung tatsächlich und rechtlich komplexer Fragen erfordert, die im Verfahren vorläufigen Rechtsschutzes nicht möglich ist.

Auch ein Anordnungsgrund liegt vor. Dem steht nicht entgegen, dass die Antragsgegnerin, wie dargelegt, bislang noch keine Entscheidung nach § 31 Abs. 1 Satz 4 AsylVfG i. V. m. § 27 a und § 34 a Abs. 1 AsylVfG wirksam erlassen hat. Dem Antragsteller ist nicht zuzumuten, zunächst die Zustellung eines solchen Bescheides abzuwarten. Die Antragsgegnerin hat bisher weder gegenüber dem Antragsteller noch gegenüber dem erkennenden Gericht erklärt, von einer Überstellung des Antragstellers nach Griechenland gemäß der Dublin II-VO Abstand zu nehmen. Es ist vielmehr zu vermuten, dass die Zustellung erst kurz vor der Abschiebung erfolgt, und sodann kaum Zeit bleibt, um Rechtsschutz nachzusuchen. Bliebe dem Antragsteller der begehrte Erlass der einstweiligen Anordnung versagt, würde er aber in der Hauptsache obsiegen, könnten möglicherweise bereits eingetretene Rechtsbeeinträchtigungen im Zuge seiner Überstellung nach Griechenland nicht mehr verhindert oder rückgängig gemacht werden. Bereits die Erreichbarkeit des Antragtellers in Griechenland für die Durchführung des Hauptsacheverfahrens wäre nicht sichergestellt, sollte ihm, was nach den vorliegenden Auskünften jedenfalls nicht als ausgeschlossen erscheint, ihm in Griechenland die Obdachlosigkeit drohen. Die Nachteile, die entstünden, wenn die einstweilige Anordnung erginge, dem Antragsteller der Erfolg in der Hauptsache aber letztlich versagt bliebe, wiegen demgegenüber weniger schwer.

Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 154 Abs. 1 VwGO i. V. m. § 83 b AsylVfG.

Der Beschluss ist unanfechtbar (§ 80 AsylVfG).