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Entscheidung 8 Sa 1136/11


Metadaten

Gericht LArbG Berlin-Brandenburg 8. Kammer Entscheidungsdatum 21.10.2011
Aktenzeichen 8 Sa 1136/11 ECLI
Dokumententyp Urteil Verfahrensgang -
Normen § 20 DWArbVtrRL

Leitsatz

Anteilige Wechselschichtzulage für Teilzeitkräfte

Tenor

I. Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Arbeitsgerichts Berlin vom 04.05.2011 - 41 Ca 537/11 - abgeändert.

Die Klage wird abgewiesen.

II. Die Kosten des Rechtsstreits hat die Klägerin zu tragen.

III. Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand

Die Parteien streiten über die Höhe der Wechselschichtzulage für die teilzeitbeschäftigte Klägerin.

Die Klägerin ist unter Vereinbarung der Anwendung der Arbeitsvertragsrichtlinien des Diakonischen Werks der evangelischen Kirche in Deutschland (AVR) in der jeweiligen Fassung in § 2 Abs. 1 des Arbeitsvertrages der Parteien vom 19. Dezember 1990 bei der Beklagten als Krankenschwester im Umfang von 50 % der regelmäßigen Arbeitszeit eines vollbeschäftigten Mitarbeiters, zuletzt mit 19,25 Stunden pro Woche beschäftigt und von der Beklagten, die ein Krankenhaus betreibt, im Streitzeitraum in Wechselschicht mit mindestens 40 Arbeitsstunden in der Nachtschicht in fünf bzw. sieben Wochen eingesetzt. Für die fünfwöchigen Zeiträume gewährte die Beklagte der Klägerin auf der Grundlage von § 20 AVR jeweils 50 % der Zulage für vollbeschäftigte Arbeitnehmer in Höhe von 51,13 € brutto statt 102,26 € brutto, für siebenwöchige Zeiträume in Höhe von 51,13 € brutto statt 61,36 € brutto.

§ 20 AVR - Wechselschicht- und Schichtzulage - lautet wie folgt:

(1) Die Mitarbeiterin bzw. der Mitarbeiter, die bzw. der ständig nach einem Schichtplan (Dienstplan) eingesetzt ist, der einen regelmäßigen Wechsel der täglichen Arbeitszeit in Wechselschichten (§ 9e Abs. 2 Satz 2) vorsieht und die bzw. der dabei in je fünf Wochen durchschnittlich mindestens 40 Arbeitsstunden in der dienstplanmäßigen oder betriebsüblichen Nachtschicht leistet, erhält eine Wechselschichtzulage i.H.v. 102,26 € monatlich.

(2) Die Mitarbeiterin bzw. der Mitarbeiter, die bzw. der ständig Schichtarbeit (§ 9e Abs. 3) zu leisten hat, erhält eine Schichtzulage i.H.v. 61,36 € monatlich, wenn sie bzw. er nur deshalb die Voraussetzungen des Abs. 1 nicht erfüllt,

a) weil nach dem Schichtplan eine Unterbrechung der Arbeit am Wochenende von höchstens 48 Stunden vorgesehen ist oder

b) weil sie bzw. er durchschnittlich mindestens 40 Arbeitsstunden in der dienstplanmäßigen oder betriebsüblichen Nachtschicht nur in je sieben Wochen leistet.

(3) Die Mitarbeiterin bzw. der Mitarbeiter, die bzw. der ständig Schichtarbeit (§ 9e Abs. 3) oder Arbeit mit Arbeitsunterbrechungen (geteilter Dienst) zu leisten hat, erhält, wenn die Schichtarbeit oder der geteilte Dienstag

a) innerhalb von mindestens 18 Stunden geleistet wird, eine Schichtzulage i.H.v. 46,02 € monatlich,

b) innerhalb von mindestens 13 Stunden geleistet wird, eine Schichtzulage i.H.v. 35,79 € monatlich.

(4) Die Abs. 1 bis 3 gelten nicht für Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, in deren regelmäßiger Arbeitszeit regelmäßig eine Arbeitsbereitschaft von durchschnittlich mindestens drei Stunden täglich fällt (z. B. Pförtnerinnen und Pförtner, Wächterinnen und Wächter).

(5) Nichtvollbeschäftigte Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter erhalten von den Zulagen gem. Abs. 1 bis 3, die für entsprechende vollbeschäftigte Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter festgelegt sind, den Teil, der dem Maß der mit ihnen vereinbarten Arbeitszeit entspricht.

Für Nichtvollbeschäftigte tritt an die Stelle der 40 Arbeitsstunden in Abs. 1 und Abs. 2 Buchst. b) die Stundenzahl, die ihren Teilzeitquoten entspricht.

Die Klägerin hat die Reduzierung der Schicht- und Wechselschichtzulage für Teilzeitbeschäftigte als Diskriminierung nach § 4 TzBfG angesehen und die Beklagte auf Zahlung und Feststellung ihrer Verpflichtung zur Zahlung der ungekürzten Zulage in Anspruch genommen. Die Beklagte hat Klageabweisung beantragt und die Leistung der Zulagen im gewährten Umfang für gerechtfertigt gehalten.

Von der weiteren Darstellung des Sach- und Streitstandes erster Instanz wird unter Bezugnahme auf den Tatbestand des angefochtenen Urteils abgesehen.

Durch das Urteil vom 4. Mai 2011 hat das Arbeitsgericht Berlin wie folgt erkannt:

I. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 102,55 EUR brutto (einhundertzwei 55/100) nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz auf 51,13 EUR seit dem 01. Dezember 2010, auf 20,46 EUR seit dem 27. Januar 2011 und auf 30,96 EUR seit dem 14. April 2011 zu zahlen.

II. Es wird festgestellt, dass die Beklagte verpflichtet ist, der Klägerin bei Leistung von Schicht- und Wechselschichtarbeit und im Falle der Erbringung von 40 Arbeitsstunden in der dienstplanmäßigen oder betriebsüblichen Nachtschicht 100 Prozent der in § 20 Abs. 1 AVR vorgesehenen Zulage, statt der in § 20 Abs. 5 AVR vorgesehenen, um 50 Prozent gekürzten Zulage zu zahlen.

III. Die Kosten des Rechtsstreits hat die Beklagte zu tragen.

IV. Der Streitwert wird auf 716,11 EUR festgesetzt.

V. Die Berufung ist zugelassen.

und zur Begründung im Wesentlichen ausgeführt, die Regelung zur Kürzung der Schicht- bzw. Wechselschichtzulage in § 20 Abs. 5 Unterabs. 1 AVR sei wegen Verstoßes gegen § 4 Abs. 1 Satz 1 TzBfG unwirksam, denn die teilzeitbeschäftigte Arbeitnehmerin werde „wegen der Teilzeitarbeit“ gegenüber vollzeitbeschäftigten Arbeitnehmern schlechter behandelt. Die Benachteiligung sei nicht durch sachliche Gründe gerechtfertigt, insbesondere stelle § 20 Abs. 1 AVR nicht auf mögliche Belastungsunterschiede zwischen Vollzeit- und Teilzeitkräften ab, da die Zulage allein die sich aus der Arbeit in Wechselschicht überhaupt und einer bestimmten Mindestzahl von Nachtarbeitsstunden ergebende Belastung vergüte. Unerheblich sei dabei, in welchem Rhythmus die einzelnen Schichten aufeinander folgten, wie lange also eine mögliche Regenerationszeit sei. Die arbeitsrechtliche Kommission habe nicht die sich aus den genannten Umständen ergebende jeweilige konkrete Belastung als Maßstab für eine Schicht- oder Wechselschichtzulage gemacht, sondern generell auf die durch die Arbeit begründete Belastung abgestellt. Dieser generellen Belastung sei auch die Klägerin als Teilzeitkraft in gleicher Weise ausgesetzt. Die diskriminierende Wirkung werde nicht dadurch beseitigt, dass § 20 Abs. 5 Unterabs. 2 AVR die Voraussetzungen für einen Anspruch bei anteiliger Belastung herabsetze, da dadurch nicht die schlechtere Behandlung bei voller Belastung ausgeglichen werde. Wegen der weiteren Begründung wird auf die Entscheidungsgründe des Urteils (Bl. 104 - 109 d. A.) verwiesen.

Gegen das der Beklagten am 18. Mai 2011 zugestellte Urteil richtet sich die am 3. Juni 2011 bei dem Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg eingegangene Berufung, die die Beklagte mit einem am 5. Juli 2011 eingegangenen Schriftsatz begründet.

Die Beklagte rügt, das Arbeitsgericht habe nicht berücksichtigt, dass die arbeitsrechtliche Kommission die Zulagen nach § 20 Abs. 1 - 3 AVR für die vollbeschäftigten Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in Kenntnis der Entscheidungen des Bundesarbeitsgerichts vom 26. März 1992 (10 AZR 127/92) und vom 24. September 2008 (10 AZR 634/07) höchst differenziert festgelegt, zusätzliche Ruhezeiten oder längere Ruhepausen zum Anlass für den Fortfall bzw. die Verringerung der Zulagen genommen und für Teilzeitkräfte andere Grenzwerte und eine andere Höhe der Zulage geregelt habe. Damit habe die arbeitsrechtliche Kommission die vormals nicht eindeutige Regelung auf nicht zu beanstandende Weise nach dem Maßstab des § 4 Abs. 1 Satz 2 TzBfG umformuliert.

Die Beklagte und Berufungsklägerin beantragt,

unter Abänderung der Entscheidung des Arbeitsgerichts Berlin vom 04.05.2011 - 41 Ca 537/11 - die Klage abzuweisen.

Die Klägerin und Berufungsbeklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Die Klägerin verteidigt das angefochtene Urteil und macht geltend, nie Arbeiten erbracht zu haben, die zu einer Ermäßigung der Schichtzulagen hätten führen können. Sie sei bezogen auf Nachtschichtdienste genau den gleichen Belastungen wie Vollzeitbeschäftigte ausgesetzt. Das Arbeitsgericht habe unter Berücksichtigung der Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts vom 23. Juni 1993 zutreffend festgestellt, dass die Kürzung der Zulage nicht durch sachliche Gründe gerechtfertigt sei.

Wegen des weiteren Vorbringens der Parteien in der Berufungsinstanz wird auf den vorgetragenen Inhalt der Berufungsbegründung vom 4. Juli 2011 (Bl. 118 - 121 d. A.) und der Berufungsbeantwortung vom 4. August 2011 (Bl. 131 - 134 d. A.) Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

I.

Die nach § 64 Abs. 2 lit. a) ArbGG vom Arbeitsgericht zugelassene und mithin statthafte Berufung der Beklagten ist form- und fristgerecht im Sinne der §§ 66 Abs. 1 ArbGG, 519, 520 ZPO eingelegt und begründet worden.

II.

Die Berufung hat auch in der Sache Erfolg und führt unter Abänderung des angefochtenen Urteils zur Abweisung der zulässigen Klage als unbegründet.

Die Klägerin kann die Beklagte weder auf Zahlung weiterer Zulagen noch auf die begehrte Feststellung in Anspruch nehmen, denn der Klägerin steht über die ihr gem. § 20 Abs. 5 der auf das Arbeitsverhältnis der Parteien kraft einzelvertraglicher Vereinbarung anwendbaren AVR gewährten Zulagen kein weiterer Anspruch zu.

1. Zwar war die Klägerin im Streitzeitraum ständig in Wechselschichten eingesetzt und hat dabei in je fünf bzw. sieben Wochen durchschnittlich mindestens 40 Arbeitsstunden in der Nachtschicht geleistet, dennoch steht ihr die Wechselschichtzulage gem. § 20 Abs. 1 bzw. Abs. 2 AVR nicht in voller Höhe, sondern gem. § 20 Abs. 5 AVR nun in dem ihrer Arbeitszeit entsprechenden Teil zu.

Gem. § 20 Abs. 5 Unterabs. 1 AVR erhalten die nicht vollbeschäftigten Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter von den Zulagen Abs. 1 - 3 die für entsprechende vollbeschäftigte Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter festgelegten Zulagen den Teil, der dem Maß der mit ihnen vereinbarten Arbeitszeit entspricht. Damit hat die arbeitsrechtliche Kommission in § 20 Abs. 5 AVR die ausdrückliche Regelung dahin getroffen, dass die Zulage bei Teilzeitbeschäftigten nach dem pro-rata-temporis-Grundsatz im Sinne des § 4 Abs. 1 Satz 2 TzBfG zu kürzen ist.

2. Die Regelung ist entgegen der Auffassung der Klägerin nicht wegen eines Verstoßes gegen das Diskriminierungsverbot Teilzeitbeschäftigter gem. § 4 Abs. 1 Satz 1 TzBfG unwirksam.

Nach § 4 Abs. 1 Satz 1 TzBfG darf der Arbeitgeber einen teilzeitbeschäftigten Arbeitnehmer nicht wegen der Teilzeitarbeit gegenüber einem vollzeitbeschäftigten Arbeitnehmer schlechter behandeln, wenn nicht sachliche Gründe die unterschiedliche Behandlung rechtfertigen. Nach dem in § 4 Abs. 1 Satz 2 TzBfG normierten pro-rata-temporis-Grundsatz ist einem teilzeitbeschäftigten Arbeitnehmer Arbeitsentgelt oder eine andere teilbare geldwerte Leistung mindestens in dem Umfang zu gewähren, der dem Anteil seiner Arbeitszeit an der Arbeitszeit des vergleichbaren vollzeitbeschäftigten Arbeitnehmers entspricht.

Diesen Anforderungen genügt die Regelung in § 20 Abs. 5 AVR, hält insbesondere als Teil der Allgemeinen Geschäftsbedingungen, als die die kirchlichen Arbeitsvertragsregelungen nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (BAG Urteil vom 17.11.2005 - 6 AZR 160/05 - NZA 2006, 872), der sich das Berufungsgericht anschließt, einzuordnen sind, einer Inhaltskontrolle nach § 307 BGB stand.

In der Gewährung der Zulage im Umfang der individuellen Arbeitszeit wird erkennbar dem Umstand Rechnung getragen, dass die durch die Zulage auszugleichende Belastung bei Vollzeitbeschäftigten pauschal betrachtet durch den höheren Arbeitszeitanteil höher ist als bei Teilzeitbeschäftigten. Dem steht auch nicht entgegen, dass die Zulage gemäß § 20 Abs.1 AVR - anders als bei der Regelung in § 8 Abs. 5 TVöD - davon abhängig ist, dass der vollzeitbeschäftigte Mitarbeiter in einer bestimmten Zeitspanne mindestens 40 Arbeitsstunden in der Nachtschicht leistet. Durch die Regelungen in § 20 Abs. 2 a, Abs. 3 und Abs. 4 AVR hat die arbeitsrechtliche Kommission deutlich gemacht, dass die Zulage auch bei Vollzeitbeschäftigten bei geringerer Belastung durch längere Ruhezeiten entfällt bzw. gekürzt wird. So erhält der Mitarbeiter gemäß § 20 Abs. 2 AVR eine Schichtzulage nur in Höhe von 61,31 Euro brutto, wenn nach dem Schichtplan eine Unterbrechung der Arbeit am Wochenende von höchstens 48 Stunden vorgesehen ist oder er durchschnittlich mindestens 40 Arbeitsstunden in der Nachtschicht nur in je sieben Wochen leistet. Damit wird ausreichend deutlich, dass bei der Gewährung der Zulage für vollzeitbeschäftigte Mitarbeiter auf die jeweils durch die Wechselschicht- und Nachtarbeit entstehende konkrete Belastung abgestellt wird, der teilzeitbeschäftigte Mitarbeiter wegen der längeren Ruhezeiten nur in geringerem Maße ausgesetzt sind.

Hinzu kommt, dass gem. § 20 Abs. 5 Unterabs. 2 AVR für nicht vollbeschäftigte Mitarbeiter an die Stelle der 40 Arbeitsstunden die Stundenzahl tritt, die dem jeweiligen Teilzeitquotienten entspricht. Dies hat zur Folge, dass die Klägerin die anteilige Zulage nach § 20 Abs. 1 AVR bereits erhält, wenn sie in je fünf Wochen mindestens 20 Arbeitsstunden in der Nachtschicht leistet. Damit erhält die Klägerin – gemessen an ihrem Monatsbruttoentgelt – Zulagen mindestens in der Höhe, die ein vergleichbarer vollzeitbeschäftigter Mitarbeiter erhält.

Durch diese differenzierten Regelungen wird deutlich, dass die arbeitsrechtliche Kommission - wie auf die Tarifvertragsparteien des öffentlichen Dienstes - eingeschätzt hat, dass die sich aus Schicht- und Wechselschichtarbeit ergebenden Erschwernisse einen Teilzeitbeschäftigten im Vergleich zu einem Vollzeitbeschäftigten proportional geringer belasten (so auch BAG, Urteil vom 24.09.2008 - 10 AZR 634/07 - NZA 2008, 1422), so dass ihre § 4 Abs. 1 Satz 2 TzBfG entsprechende pro-rata-temporis-Regelung rechtlich nicht zu beanstanden ist.

III.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 Abs. 1 ZPO.

IV.

Die Revision war gem. § 72 Abs. 2 Nr. 1 ArbGG wegen grundsätzlicher Bedeutung zuzulassen.