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Grunderwerbsteuer


Metadaten

Gericht FG Berlin-Brandenburg 11. Senat Entscheidungsdatum 24.01.2012
Aktenzeichen 11 K 11002/08 ECLI
Dokumententyp Urteil Verfahrensgang -
Normen

Tenor

Die Klage wird abgewiesen.

Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens.

Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand

Die Klägerin wurde am 30. Oktober 2006 errichtet. An dem Stammkapital der Klägerin sind die beiden Gesellschafter-Geschäftsführer, A und D, jeweils zur Hälfte beteiligt.

Die Gesellschafter-Geschäftsführer der Klägerin errichteten ebenfalls am 30. Oktober 2006 eine weitere GmbH unter der Firma G2-GmbH. Die Stammeinlagen übernahmen beide Gesellschafter jeweils zur Hälfte.

Die Klägerin erwarb mit notariellem Kaufvertrag vom 30. Oktober 2006 von der Gesellschaft bürgerlichen Rechts ... Straße 14 – GbR ... Straße 14 (alt) – ein in der ... Straße 14, belegenes Mietwohnhaus. Als Kaufpreis vereinbarten die Parteien einen Betrag in Höhe von € 1 800 000,-. Auf den Inhalt des Kaufvertrags vom 30. Oktober 2006 wird im Übrigen Bezug genommen. Gesellschafter der GbR ... Straße 14 (alt) waren die Gebrüder S K-GmbH (Anteil = 98%) und Herr M (Anteil = 2%). Das Grundstück ... Straße 14 war der einzige Vermögensgegenstand dieser Gesellschaft.

Der Beklagte setzte die Grunderwerbsteuer im Hinblick auf den Kaufvertrag vom 30. Oktober 2006 mit Bescheid vom 27. November 2006 auf € 63 000,- fest.

Mit notarieller Urkunde vom 13. Dezember 2006 hoben die Parteien des Kaufvertrags vom 30. Oktober 2006 zum einen den Grundstückskaufvertrag vom 30. Oktober 2006 in vollem Umfang rückwirkend auf (I. Nr. 2 des Vertrags vom 13. Dezember 2006). Als Eigentümerin des Grundstücks ... Straße 14 war nach wie vor die GbR ... Straße 14 (alt) in das Grundbuch eingetragen. Zum anderen verkaufte die Gebrüder S K-GmbH einen Gesellschaftsanteil an der GbR ... Straße 14 (alt) in Höhe von 94,5% an die Klägerin und einen Gesellschaftsanteil an der GbR ... Straße 14 (alt) in Höhe von 3,5% an die G2-GmbH. Weiterhin verkaufte der Gesellschafter M seinen Gesellschaftsanteil an der GbR ... Straße 14 (alt) in Höhe von 2% an die G2-GmbH. Die Anteilsübertragung sollte zum 31. Dezember 2006, 24:00 Uhr erfolgen. Als Kaufpreis für die Übertragung der Gesellschaftsanteile vereinbarten die Vertragsparteien einen Gesamtkaufpreis in Höhe von € 1 800 000,-. Zudem bewilligten und beantragten die Vertragsparteien die Umschreibung des Grundbuchs zugunsten der neuen Eigentümerin des Grundstücks ... Straße 14, der GbR ... Straße 14 (neu), bestehend aus der Klägerin und der G2-GmbH. Auf den Inhalt der notariellen Urkunde vom 13. Dezember 2006 wird im Übrigen Bezug genommen.

Die Klägerin beantragte auf der Grundlage der notariellen Urkunde vom 13. Dezember 2006, den Grunderwerbsteuerbescheid vom 27. November 2006 nach § 16 Abs. 1 Nr. 1 Grunderwerbsteuergesetz – GrEStG – aufzuheben. Der Beklagte lehnte eine Aufhebung des Grunderwerbsteuerbescheids ab. Zur Begründung führte er aus, der ursprüngliche Kaufvertrag sei tatsächlich nicht rückgängig gemacht worden. Die Beteiligung der Klägerin auch an dem zweiten Vertrag vom 13. Dezember 2006 belege, dass sie weiterhin ein Interesse an dem Grundstück gehabt habe.

Zur Begründung ihres Einspruchs trug die Klägerin vor, sie sei zur Zeit des Abschlusses des Aufhebungsvertrags vom 13. Dezember 2006 noch nicht im Grundbuch eingetragen gewesen. Die Grundstücksverkäuferin, die GbR ... Straße 14 (alt), habe daher frei über das Grundstück verfügen können. Es habe kein Austausch der Beteiligten auf der Käuferseite stattgefunden, und es sei auch nicht das Grundstück übertragen worden. Vielmehr seien die Gesellschaftsanteile an der GbR ... Straße 14 (alt) übertragen worden. Sie, die Klägerin, habe nach dem Abschluss der Aufhebungsvereinbarung keine Möglichkeit gehabt, eine Rechtsposition aus dem Vertrag vom 30. Oktober 2006 herzuleiten und zu verwerten.

Der Beklagte wies den Einspruch als unbegründet zurück. Der Klägerin sei aus dem Kaufvertrag vom 30. Oktober 2006 eine Rechtsposition verblieben. Denn der vereinbarte Kaufpreis, für das Grundstück einerseits, für die Gesellschaftsanteile andererseits, sei gleich gewesen. Tatsächlich sei das Grundstück von der GbR ... Straße 14 (alt) an die GbR ... Straße 14 (neu) veräußert worden, weil das Grundstück der einzige Vermögensgegenstand gewesen sei. Zudem seien der Aufhebungsvertrag und der Anteilsübertragungsvertrag in einer Urkunde zusammengefasst worden. Die Beteiligung der Klägerin an dem Übertragungsvertrag vom 13. Dezember 2006 belege deren Interesse an dem Grundstück ... Straße 14.

Zur Begründung ihrer Klage wiederholt die Klägerin ihren Vortrag aus dem Einspruchsverfahren.

Die Klägerin beantragt,

den Beklagten unter Aufhebung der ablehnenden Verfügung vom 20. März 2007 und der dazu ergangenen Einspruchsentscheidung vom 11. Dezember 2007 zu verpflichten, den Bescheid über Grunderwerbsteuer vom 27. November 2006 aufzuheben,

hilfsweise, die Revision zuzulassen.

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen,

hilfsweise, die Revision zuzulassen.

Er verweist zur Begründung seines Antrags auf die Ausführungen in der Einspruchsentscheidung.

Entscheidungsgründe

Die zulässige Klage ist nicht begründet. Der ablehnende Verfügung ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten (§ 101 Satz 1 FGO). Der Beklagte hat zutreffend eine Aufhebung der Festsetzung nach § 16 Abs. 1 Nr. 1 GrEStG abgelehnt.

Nach § 16 Abs. 1 Nr. 1 GrEStG wird eine Steuerfestsetzung auf Antrag aufgehoben, wenn ein Erwerbsvorgang vor dem Übergang des Eigentums am Grundstück auf den Erwerber durch Vereinbarung der Vertragspartner innerhalb von zwei Jahren seit der Entstehung der Steuer rückgängig gemacht wird.

„Rückgängig gemacht“ ist ein Erwerbsvorgang, wenn über die zivilrechtliche Aufhebung des den Steuertatbestand erfüllenden Rechtsgeschäfts hinaus die Vertragspartner sich derart aus ihren vertraglichen Bindungen entlassen haben, dass die Möglichkeit zur Verfügung über das Grundstück nicht beim Erwerber verbleibt, sondern der Veräußerer seine ursprüngliche Rechtsstellung wieder erlangt. Der Wegfall der Verfügungsmöglichkeit des Erwerbers über das Grundstück einerseits und die Wiedererlangung der ursprünglichen Rechtsstellung des Veräußerers andererseits stehen – dem systematischen Verhältnis der Steuertatbestände des § 1 GrEStG zu der gegenläufigen Korrekturvorschrift des § 16 GrEStG entsprechend – in einem sachlichen Zusammenhang (vergleiche: Bundesfinanzhof – BFH –, Urteil vom 23. August 2006 – II R 8/05, Sammlung der Entscheidungen des Bundesfinanzhofs – BFH/NV – 2007, 273, m.w.N.).

Erfolgt im Zusammenhang mit der „Rückgängigmachung“ des Erwerbsvorgangs eine Weiterveräußerung des Grundstücks, ist für die Anwendung des § 16 Abs. 1 GrEStG entscheidend, ob für den früheren Erwerber trotz formaler Aufhebung des ursprünglichen tatbestandserfüllenden Rechtsgeschäfts im Zusammenhang mit der Weiterveräußerung die Möglichkeit der Verwertung einer aus dem „rückgängig gemachten“ Erwerbsvorgang herzuleitenden Rechtsposition verblieben und der Verkäufer demgemäß nicht aus seinen Bindungen entlassen war. War dem ursprünglichen Erwerber eine solche Rechtsposition verblieben und hat er diese im Zusammenhang mit der Weiterveräußerung des Grundstücks auch tatsächlich im eigenen (wirtschaftlichen) Interesse verwertet, ist die Anwendung des § 16 Abs. 1 GrEStG ausgeschlossen. Zur Bejahung einer dem Ersterwerber aus dem Erwerbsvorgang verbliebenen Möglichkeit, eine ihm verbliebene Rechtsposition zu verwerten, bedarf es konkreter Feststellungen unter Berücksichtigung des Einzelfalls (siehe: BFH, Urteil vom 23. August 2006 – II R 8/05, a.a.O. [274], m.w.N.).

Dem früheren Erwerber verbleibt die Möglichkeit der Verwertung einer aus dem „rückgängig gemachten“ Erwerbsvorgang herzuleitenden Rechtsposition in jedem Fall dann, wenn die Aufhebung des ursprünglichen tatbestandserfüllenden Rechtsgeschäfts und das die Weiterveräußerung betreffende Rechtsgeschäft in einer einzigen Vertragsurkunde zusammengefasst sind. In diesem Fall hat der Ersterwerber die rechtliche Möglichkeit, die Aufhebung des ursprünglichen Kaufvertrags zum Zwecke des anschließenden Erwerbs des Grundstücks durch eine von ihm ausgewählte dritte Person zu nutzen. Denn der Veräußerer wird aus seiner Übereignungsverpflichtung gegenüber dem früheren Erwerber erst mit der Unterzeichnung des Vertrages durch alle Vertragsbeteiligten und damit erst in dem Augenblick entlassen, in dem er bereits wieder hinsichtlich der Übereignung des Grundstücks an den Zweiterwerber gebunden ist. Deshalb besteht auch kein Raum für die Annahme, der Verkäufer habe jedenfalls „für eine juristische Sekunde“ nach Aufhebung des tatbestandserfüllenden Rechtsgeschäfts seine ursprüngliche Rechtsstellung zurückerlangt (siehe hierzu auch: BFH, Urteil vom 23. August 2006 – II R 8/05, a.a.O. [274]).

Diese dargestellten Grundsätze hält der Senat auf den Streitfall übertragbar. Zwar hat die GbR ... Straße 14 (alt) nach der Aufhebung des Kaufvertrags vom 30. Oktober 2006 nicht das Grundstück ... Straße 14 erneut veräußert, sondern haben die Gesellschafter dieser GbR ihre Gesellschaftsanteile an die Gesellschafter der GbR ... Straße 14 (neu) übertragen. Da dieses Grundstück jedoch der einzige Vermögensgegenstand der GbR ... Straße 14 (alt) war, stellte die Übertragung der Gesellschaftsanteile im wirtschaftlichen Ergebnis nichts anderes als die Übertragung des Grundstücks ... Straße 14 dar. Insofern gewinnt auch eine besondere Bedeutung, dass der im Kaufvertrag vom 30. Oktober 2006 und im Anteilsübertragungsvertrag vom 13. Dezember 2006 vereinbarte Gesamtkaufpreis identisch waren. Insoweit war also das Grundstück ... Straße 14 in wirtschaftlicher Hinsicht tatsächlicher Gegenstand des Vertrags vom 13. Dezember 2006.

Vor diesem wirtschaftlichen Hintergrund erachtet es der Senat auch nicht für schädlich, dass die Anteile an der GbR ... Straße 14 (alt) von deren Gesellschaftern übertragen worden waren.

Diese Einschätzung wird nach Auffassung des Senats auch durch die Vorschrift des § 1 Abs. 2a GrEStG gestützt. Denn nach dieser Vorschrift wird die Übertragung von mindestens 95 vom Hundert der Anteile an einer Personengesellschaft mit inländischem Grundvermögen auf eine neue Personengesellschaft als ein Erwerbsvorgang im Sinne des § 1 Abs. 1 GrEStG fingiert und damit mit einer Grundstücksveräußerung gleichgestellt. Deshalb kann es nach Auffassung des Senats für die Anwendung bzw. Nichtanwendung des § 16 Abs. 1 Nr. 1 GrEStG keinen Unterschied machen, ob die zweite Übertragung durch einen Vorgang im Sinne des § 1 Abs. 1 GrEStG oder durch einen Vorgang im Sinne des

§ 1 Abs. 2a GrEStG erfolgt. Denn in beiden Fällen liegt jedenfalls ein Erwerbsvorgang im grunderwerbsteuerlichen Sinne vor.

Ist hiernach unter den besonderen Umständen des Streitfalls die Anteilsveräußerung im wirtschaftlichen Sinne als die Veräußerung des Grundstücks ... Straße 14 anzusehen, liegen die dargestellten Voraussetzungen des § 16 Abs. 1 Nr. 1 GrEStG nicht vor. Denn die Aufhebung des Kaufvertrags vom 30. Oktober 2006 und die wirtschaftliche Weiterveräußerung des streitigen Grundstücks ... Straße 14 erfolgte in einer einzigen Vertragsurkunde. Damit verblieb der Klägerin nach der angeführten Rechtsprechung des BFH, der sich das Gericht anschließt, die Möglichkeit der Verwertung einer aus dem „rückgängig gemachten“ Erwerbsvorgang herzuleitenden Rechtsposition.

Um die Anwendbarkeit des § 16 Abs. 1 Nr. 1 GrEStG auszuschließen, muss aber hinzukommen, dass der Ersterwerber die verbliebene Rechtsposition in seinem eigenen (wirtschaftlichen) Interesse verwertet hat (ebenso: BFH, Urteil vom 14. November 2007 – II R 1/06, BFH/NV 2008, 403 [404]). Ein derartiges wirtschaftliches Interesse der Klägerin lag zur Überzeugung des Senats vor. Denn zum einen hat die Klägerin 94,5% der Gesellschaftsanteile an der GbR ... Straße 14 (alt) erworben. Dieser Umstand spricht bereits dafür, dass die Weiterveräußerung im wirtschaftlichen Interesse der Klägerin erfolgte (siehe hierzu auch: BFH, Urteil vom 25. August 2010 – II R 35/08, BFH/NV 2010, 2301).

Zum anderen spricht auch der in der mündlichen Verhandlung erörterte Gesichtspunkt der Förderung durch die IBB-Berlin für diese Einschätzung. Denn nach dem Vortrag der Klägerin beruhte die Aufhebung des Kaufvertrags und die nachfolgende Anteilsübertragung auf dem Umstand, dass nur auf diese Weise die Förderung durch die IBB-Berlin beibehalten werden konnte. Dementsprechend lag es also im wirtschaftlichen Interesse der Klägerin, die Förderung nach dem Grundstücksübergang zu erhalten.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO.

Der Senat hat die Revision nach § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO zugelassen, da – soweit ersichtlich – höchstrichterlich nicht geklärt ist, ob die Grundsätze der Rückgängigmachung eines Erwerbsvorgangs nach § 16 Abs. 1 Nr. 1 GrEStG auf den Fall einer Anteilsveräußerung der Anteile an einer nur grundstücksverwaltenden Personengesellschaft übertragbar sind.