Gericht | OVG Berlin-Brandenburg 6. Senat | Entscheidungsdatum | 13.01.2012 | |
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Aktenzeichen | OVG 6 N 55.09 | ECLI | ||
Dokumententyp | Beschluss | Verfahrensgang | - | |
Normen | § 124 Abs 2 Nr 1 VwGO, § 124 Abs 2 Nr 3 VwGO, § 12 Abs 7 DBGrG, § 19 Abs 1 S 1 DBGrG, § 37 Abs 4 BetrVG, § 107 S 1 BPersVG, § 9a Abs 2 BBesG 2002 |
1. Das Benachteiligungsverbot für freigestellte Betriebsratsmitglieder gilt auch für Beamte des Bundeseisenbahnvermögens, die der DB AG zugewiesen sind.
2. Das hieraus folgende Erfordernis, ihre Gehaltsentwicklung fiktiv fortzuschreiben, erfasst auch Zulagen, die nach individueller Leistung gewährt werden (Anschluss an VGH München, Beschluss vom 12. Februar 2008 - 14 B 06.1022 - und BVerwG, Urteil vom 13. September 2011 - 2 C 34.00 -, ZBR 2002, S. 314 f.)
Der Antrag des Beklagten auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Berlin vom 24. September 2009 wird abgelehnt.
Der Beklagte trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens.
Der Streitwert wird für die zweite Rechtsstufe auf 7.860 Euro festgesetzt.
Der Kläger ist Technischer Bundesbahnoberamtsrat im Dienste des Bundeseisenbahnvermögens. Er ist der Deutsche Bahn Aktiengesellschaft - DB AG - zur Dienstleistung zugewiesen. Mit der Klage wendet er sich gegen die Anrechnung einer ihm nach § 6 des Zulagentarifvertrages für die Arbeitnehmer der DB AG - ZTV - für das Jahr 2005 gewährten Zulage in Höhe von 7.860 Euro auf seine Besoldung. Das Verwaltungsgericht hat der Klage stattgegeben und den Bescheid des Bundeseisenbahnvermögens vom 2. März 2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides desselben Amtes vom 7. September 2007, mit dem die Verrechnung mit laufenden Besoldungszahlungen festgelegt wurde, aufgehoben.
Hiergegen wendet sich der Beklagte mit dem vorliegenden Antrag unter Berufung auf die Zulassungsgründe ernstlicher Richtigkeitszweifel im Sinne des § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO sowie grundsätzlicher Bedeutung im Sinne des § 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO. Der Berufungszulassungsantrag ist zulässig, aber unbegründet.
1. Ernstliche Richtigkeitszweifel liegen nicht vor. Vielmehr ist das Verwaltungsgericht zu Recht von der Rechtswidrigkeit des angefochtenen Bescheides ausgegangen. Nach § 12 Abs. 7 Satz 1 des Gesetzes über die Gründung einer Deutsche Bahn Aktiengesellschaft - DBGrG - werden anderweitige Bezüge, die ein Beamter aus einer Zuweisung zur DB AG erhält, auf die Besoldung angerechnet. Nach Satz 2 der Vorschrift kann die oberste Dienstbehörde in besonderen Fällen im Einvernehmen mit dem Bundesministerium des Inneren von der Anrechnung ganz oder teilweise absehen. In welchen Fällen von der Anrechnung abzusehen ist, ist seit dem 31. Januar 1997 durch eine „Richtlinie über die Anrechnung anderweitiger Bezüge von Beamten, die der Deutsche Bahn Aktiengesellschaft zugewiesen sind“ (Anrechnungsrichtlinie) geregelt. Nach § 3 dieser Richtlinie werden Zahlungen auf die Besoldung nicht angerechnet, die zur Abgeltung besonderer Leistungen des Beamten bei der DB AG, die die regelmäßigen Anforderungen im Hinblick auf Güte, wirtschaftlichen Erfolg, erbrachte Arbeitsmenge oder Schwierigkeit der Arbeit erheblich übersteigen. Nach den Feststellungen des Verwaltungsgerichts ist zwischen den Beteiligten nicht streitig, dass die dem Kläger gewährte Zulage unter § 3 der Anrechnungsrichtlinie fällt. Dementsprechend ist die ihm in den vorangegangenen Jahren nach § 6 ZTV gewährte Zulage auch nicht auf seine Besoldung angerechnet worden. Der Beklagte meint allerdings, dass die Zulage nunmehr auf die Besoldung des Klägers anzurechnen sei, weil sie nach individueller Leistung gewährt werde, die der Kläger nicht erbracht habe, weil er wegen seiner Tätigkeit für den Betriebsrat seit April 2004 von der Dienstausübung freigestellt sei.
Dieser Auffassung folgt der Senat nicht. Vielmehr ist das Verwaltungsgericht zu Recht davon ausgegangen, dass die Anrechnungsrichtlinie, die selbst keine ausdrücklichen Regelungen für freigestellte Betriebsratsmitglieder enthält, im Lichte des Benachteiligungsverbotes für Betriebsratsmitglieder, das gemäß § 19 Abs. 1 Satz 1 DBGrG in Verbindung mit § 37 Abs. 4 BetrVG auch im vorliegenden Fall Anwendung finde, auszulegen sei. § 19 Abs. 1 Satz 1 DBGrG ordnet die Anwendung der Vorschriften des Betriebsverfassungsgesetzes für die der DB AG zugewiesenen Beamten des Bundeseisenbahnvermögens an. Nach § 37 Abs. 4 Satz 1 BetrVG darf das Arbeitsentgelt von Mitgliedern des Betriebsrats einschließlich eines Zeitraums von einem Jahr nach Beendigung der Amtszeit nicht geringer bemessen werden als das Arbeitsentgelt vergleichbarer Arbeitnehmer mit betriebsüblicher beruflicher Entwicklung. Nach Satz 2 gilt dies auch für allgemeine Zuwendungen des Arbeitgebers. Dieses Benachteiligungsverbot bezweckt den Schutz sowohl der Institution der Personalvertretung als auch der daran beteiligten Personen und dient der inneren und äußeren Unabhängigkeit der Mitglieder der jeweiligen Vertretungsorgane. Insbesondere sollen qualifizierte und leistungsfähige Mitarbeiter von der ehrenamtlichen Tätigkeit nicht deshalb Abstand nehmen, weil sie sonst auf Einkommen verzichten müssten. Aufgrund des Benachteiligungsverbots ist dem Mitglied der Arbeitnehmer- bzw. Personalvertretung eine berufliche Entwicklung und Entlohnung zu gewährleisten, wie sie ohne Freistellung verlaufen wäre. Der berufliche Werdegang und die Entlohnung sind fiktiv nachzuzeichnen. Die Mitglieder der Arbeitnehmer- bzw. Personalvertretung haben für die Dauer ihrer Freistellung Anspruch auf Zahlung desjenigen Arbeitsentgeltes, das sie erhalten hätten, wenn sie nicht für die Betriebs- oder Personalratstätigkeit freigestellt worden, sondern ihrer regelmäßigen Tätigkeit nachgegangen wären. An individuelle Leistung anknüpfende Entlohnungsbestandteile wie zum Beispiel Überstundenvergütungen oder Erfolgsprämien können davon nicht ausgeschlossen werden. Auch aufgrund individueller Leistungen bemessene Zulagen oder Prämien fallen unter das Arbeitsentgelt in diesem Sinne, soweit sie dem freigestellten Betriebsratsmitglied vergleichbare Arbeitnehmer erhalten und anzunehmen ist, dass er aufgrund der betrieblichen Verhältnisse einerseits und der vor der Freistellung gezeigten Leistungen andererseits zum Kreis der Empfänger der Zuwendungen gehören würde. Daher ist eine entsprechende Zulage auch dann zu zahlen, wenn wegen der Leistungsanforderungen nur ein vergleichsweise geringer Teil der jeweiligen Belegschaft in den Genuss der Zuwendungen kommt, jedoch anzunehmen ist, dass das freigestellte Betriebsratsmitglied zu diesem Kreis gehören würde, wenn es nicht freigestellt wäre und seiner angestammten Tätigkeit nachginge (so ausdrücklich VGH München, Beschluss vom 12. Februar 2008 - 14 B 06.1022 -, Rn. 17 bei juris m.w.N.; ferner BVerwG, Urteil vom 13. September 2001 - 2 C 34.00 -, ZBR 2002, S. 314 f., Rn. 12 bei juris).
Anhand dieser Maßstäbe hat das Verwaltungsgericht zu Recht angenommen, dass bei fiktiver Fortschreibung der Gehaltsentwicklung dem Kläger, wie schon in den Jahren zuvor, die streitige Zulage gewährt worden wäre. Sie werde nach übereinstimmenden Angaben der Verfahrensbeteiligten nicht nur vereinzelt herausragenden Beschäftigten gewährt, sondern dem weit überwiegenden Teil der Dienstkräfte derjenigen Entgeltgruppen, der auch der Kläger angehöre.
Das Vorbringen des Beklagten rechtfertigt keine andere Entscheidung. Dass die zuvor zitierte Entscheidung des VGH München eine Entgeltzulage nach § 4 ZTV und nicht wie vorliegend eine Zulage nach § 6 ZTV betraf, weckt keine Richtigkeitszweifel. Dasselbe gilt für den Hinweis des Beklagten auf den Umstand, dass die in der zitierten Entscheidung des VGH München streitige Zulage eine deutlich geringere Höhe hatte als die hier streitige. Sein Hinweis, die Zulage nach § 6 ZTV setze den Nachweis einer individuell erbrachten Leistung voraus, verkennt den Charakter des Benachteiligungsverbots für Betriebsratsmitglieder und der daraus resultierenden Notwendigkeit der fiktiven Fortschreibung der Entlohnung. Es liegt auf der Hand, dass es eine Benachteiligung wäre, wenn Mitarbeiter, anstatt wie üblich eine Zulage zu erhalten, allein wegen ihrer Betriebsratszugehörigkeit auf diese verzichten müssten. Dass diese leistungsabhängig gewährt wird, steht einer fiktiven Fortschreibung der Gehaltsentwicklung nicht entgegen.
Nicht nachvollziehbar ist der Hinweis des Beklagten auf § 9a Abs. 2 Bundesbesoldungsgesetz. Diese Regelung ist inhaltsgleich mit § 12 Abs. 7 DBGrG. Der Beklagte meint, sie gehe letzterem als speziellere Regelung vor. Selbst wenn man seiner Auffassung folgte, würde das im Ergebnis nichts ändern, da auch dann für die Frage, ob eine Anrechnung der Zulage auf die Besoldung ausnahmsweise zu unterbleiben hat, auf die Anrechnungsrichtlinie abzustellen wäre.
Der Einwand des Beklagten, der Gesetzgeber habe mit § 19 Abs. 1 Satz 1 DBGrG sicherstellen wollen, dass die der Deutschen Bahn AG zugewiesenen Beamtinnen und Beamten ihr aktives und passives Wahlrecht für die Wahlen der betrieblichen Interessenvertretung ausüben könnten, er habe aber keinesfalls beabsichtigt, mit dieser Bestimmung über den Umweg des Betriebsverfassungsgesetzes besoldungsrechtliche Fragestellungen zu regeln, rechtfertigt keine andere Entscheidung. Dass das Benachteiligungsverbot für Betriebsratsmitglieder, die als Beamte der DB AG zugewiesen sind, nicht gelten soll, kann nicht angenommen werden, zumal es auch im Personalvertretungsrecht gilt (vgl. § 107 Satz 1 BPersVG). Dass mit der erstinstanzlichen Entscheidung im Ergebnis besoldungsrechtliche Regelungen umgangen würden, kann ebenfalls nicht angenommen werden. Gerade der Hinweis des Beklagten auf § 9a Abs. 2 BBesG belegt, dass insoweit kein Widerspruch zu besoldungsrechtlichen Regelungen besteht.
Schließlich geht auch der Hinweis des Beklagten auf den Beschluss des Oberverwaltungsgerichts Lüneburg - 5 LA 261/08 - vom 1. September 2009 fehl. Er meint zu Unrecht, das Urteil des Verwaltungsgerichts stünde mit dieser Entscheidung in Widerspruch. Der Beklagte verkennt den Inhalt der Entscheidung des OVG Lüneburg. Im dortigen Fall hat das Gericht eine erstinstanzliche Entscheidung bestätigt, die die Anrechnung einer aufgrund des Firmentarifvertrages gewährten Zulage auf die Besoldung für rechtmäßig erachtet hat. Die Rechtmäßigkeit der Anrechnung wurde aber nicht aus dem von des Beklagten angeführten Grund (Leistungsabhängigkeit) bejaht, sondern weil der dortige Kläger, ebenfalls ein Betriebsratsmitglied, in eine unzutreffende Vergütungsgruppe, die für die Höhe der Zulage maßgeblich war, eingestuft worden war. Die dem dortigen Kläger gewährte Zulage hätte diesen nach den Feststellungen des Gerichts ungerechtfertigt begünstigt. Mit anderen Worten: Die fiktive Fortschreibung der Gehaltsentwicklung des dortigen Klägers hätte zu einer deutlich niedrigeren Zulage führen müssen.
2. Entgegen der Auffassung des Beklagten hat die Rechtssache auch keine grundsätzliche Bedeutung im Sinne des § 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO. Grundsätzliche Bedeutung kommt einer Rechtssache zu, wenn sie eine für das erstrebte Rechtsmittelverfahren erhebliche Rechtsfrage aufwirft, die im Interesse der Einheitlichkeit oder Fortbildung des Rechts obergerichtlicher Klärung bedarf (OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 28. Oktober 2005 - OVG 5 N 45.05 -, Rn. 16 bei juris). Zur Darlegung der grundsätzlichen Bedeutung ist gemäß § 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO eine solche bestimmte ungeklärte und entscheidungserhebliche Rechts- oder Tatsachenfrage zu formulieren. Weiter ist die Entscheidungserheblichkeit der betreffenden Frage im Berufungsverfahren aufzuzeigen sowie anzugeben, worin die allgemeine, über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung bestehen soll. Es ist darzulegen, in welchem Sinne und aus welchen Gründen die Beantwortung der Frage zweifelhaft und streitig ist.
Der Beklagte versäumt es schon, eine grundsätzlich bedeutsame Rechtsfrage zu formulieren. Sein lediglich allgemeiner Hinweis, dass sich die verwaltungsgerichtliche Rechtsprechung bislang nur mit Zulagenzahlungen an freigestellte Interessenvertreter befasst habe, deren Gewährung in erster Linie formalen Voraussetzungen genügen müsse oder die im Rahmen sog. Teamprämien einem vorher fest bestimmbaren Personenkreis in gleicher Höhe gewährt worden seien, trifft zum einen nicht zu, wie sich aus den unter 1. dargelegten Gründen ergibt, zum anderen wirft der Fall insoweit keine Rechtsfragen auf, die zu ihrer Klärung der Durchführung eines Berufungsverfahrens bedürften. Auch die von dem Beklagten behauptete Abweichung zur Rechtsprechung des OVG Lüneburg besteht aus den dargelegten Gründen nicht.
3. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 47 Abs. 1 und 3, § 52 Abs. 3 GKG.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO, § 68 Abs. 1 Satz 5 in Verbindung mit § 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).